Der Rat der Stadt Dortmund hat den nächsten Baustein zur gesamtstädtischen Klimaneutralität beschlossen. Das 2021 beschlossene Handlungsprogramm Klima-Luft 2030 und seine Maßnahmenempfehlungen verfolgen das ambitionierte Ziel, in Dortmund die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. Nun hat eine Projektgruppe der Städtischen Immobilienwirtschaft einen Leitfaden vorgelegt, der praxistaugliche Prozesse für städtische Bauprojekte festlegt. Diese sollen einen effektiven Beitrag zum besseren Klimaschutz leisten. Doch das stößt auf Kritik: Die Anwendung des Leitfadens erhöht die Projektkosten nämlich um 3,5 bis 7 Prozent.
Die Stadt nimmt die „graue Energie“ stärker in den Blick
Der Leitfaden setzt an, schon in frühen Planungsphasen bauliche Varianten zu untersuchen, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen, um die Klimaziele zu erreichen. Bisher ermittelte man nur den Energieverbrauch im Betrieb, geregelt durch das GEG. Die Möglichkeiten zur Energieeinsparung sind hier weitgehend ausgeschöpft.
Die Materialebene, die sogenannte „graue Energie“, bleibt bislang unberücksichtigt, da es keine durchgängige Methode gibt. Eine Bewertung der Energieaufwendungen für Herstellung, Instandhaltung und Abbruch der Materialien findet nicht statt. Das größte Potenzial liegt in der Erhaltung bestehender Bausubstanz.
Bei Bauprojekten sollen nachwachsende Rohstoffe und materialeffiziente Konstruktionen CO2-Emissionen minimieren. Der Leitfaden klärt über die Materialebene auf und verankert die Bilanzierungsregeln des QNG zur Bewertung des Materialeinsatzes. Um die wirtschaftlichste und klimafreundlichste Variante zu wählen, vergleicht man die Auswirkungen in mehreren Stufen mit dem GEG.
Die gesetzliche Bewertung der Betriebsenergie und die im Leitfaden beschriebene Methode zur Materialbewertung sollen den Weg zur Klimaneutralität ebnen. Der Leitfaden definiert zudem Nachhaltigkeitsziele für Bauprojekte und bereitet deren Konkretisierung in den Dortmunder Immobilien-Standards vor. Diese werden regelmäßig aktualisiert und um weitere Nachhaltigkeitsaspekte ergänzt, um als wirksamer Zielkatalog zu dienen.
Mehr Leitfaden für Energielieferverträge, Biodiversität und emissionsfreie Mobilität
Die Verwaltung entwickelt einen gesamtstädtischen Leitfaden, der über den bestehenden hinausgeht und Vorgaben zu Energielieferverträgen, Biodiversität, emissionsfreier Mobilität und mehr enthält. Um die Vernetzung mit dem gesamtstädtischen Leitfaden zu gewährleisten, nutzt man das Bewertungssystem für nachhaltiges Bauen, das öffentlich zugänglich, transparent und effizient ist. Es richtet sich an öffentliche Bauaufgaben und enthält Module für Neubau, Sanierung und Betrieb.
Die angepassten Vorgaben haben ihren Preis: Die Anwendung des Leitfadens erhöht die Projektkosten um 3,5 bis 7 Prozent. Diese Spannbreite ergibt sich aus der Anwendbarkeit auf verschiedene Bauprojekte. Der Leitfaden wurde mit dem Öko-Zentrum NRW abgestimmt, das die Mehrkosten aufgrund eigener Erfahrungen bestätigt.
Die höheren Investitionskosten bei klimaneutraler Bauweise werden mit den Klimafolgekosten bei der Standardbauweise verglichen und transparent dargestellt. Der Leitfaden integriert gängige Zertifizierungsverfahren, über die KFW-Fördermittel bis 1,8 Millionen Euro pro Gebäude generierbar sind. Diese Fördermittel sollen die Mehrkosten der klimaneutralen Bauweise abmildern. Das Öko-Zentrum NRW betont, dass die Förderhöhe die Mehrkosten für nachhaltige Gebäude widerspiegelt.
Der FDP-Fraktionschef argumentiert mit überhöhten Zahlen
Während die Fraktionen von SPD, Grünen, „Die Linke+“ und von „Die Partei“ diesen Weg mitgehen wollten, stimmten CDU, FDP/Bürgerliste und AfD dagegen. Mit Kritik eröffnete Michael Kauch für die FDP/Bürgerliste die Debatte schon vor der Abstimmung, nutzte dabei aber falsche (weil zu hohe) Zahlen: Der FDP-Politiker sprach von sieben bis zehn Prozent höhere Kosten über den gesetzlichen Anforderungen statt von 3,5 bis 7 Prozent, wie in der Vorlage beschrieben.
„Die Stadt Dortmund will die Anforderungen, beispielsweise des Gebäudeenergiegesetzes, deutlich verschärfen, weil man es sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2035 klimaneutral zu sein, obwohl der Rest der Republik das erst in 2045 erreichen will“, so Kauch. „Das hier ist die Rechnung, die uns dafür präsentiert wird. Insbesondere die CDU sollte sich überlegen, ob das der Weg ist.“
„Hier wird die Rechnung für einen klimapolitisch unwirksamen Weg präsentiert. Denn zehn Prozent Kostensteigerung bedeuten zehn Prozent weniger neue Schulen und weniger Prozent weniger Schulen fürs gleiche Geld. Hier wird die Rechnung präsentiert für einen klimapolitisch unwirksamen Weg“, so der Fraktionschef von FDP und Bürgerliste.
CDU erinnerte an Preissprünge, „die uns den Atem geraubt haben“
In der Zeitschiene ein Stück zurückgehen wollte CDU-Planungssprecher Uwe Waßmann. Er erinnerte an die Zeit, in der der Rat die Beschlüsse zum klimaneutralen Bauen und das ambitionierte Ziel der Klimaneutralität bis 2035 gefasst habe. „Damals war das plausibel und ambitioniert“, resümierte Waßmann. „Aber heute haben wir Kostenentwicklungen durch Krisen, Kriege und anderen Gründe in mehrfacher Millionenhöhe erlebt, die wir vielfach diskutiert haben.”
„Das hat zu Teuerungen geführt, die uns den Atem geraubt haben. Die Vorlage wird uns da weiter hineintreiben. Sie wissen um die Diskussionen um die Herausforderungen mit dem Doppelhaushalt für 2025/26. Daher müssen wir mit jedem Euro umsichtig sein – und noch weitergehend, mit Blick auf 2027, ist die Herausforderung nochmals größer”, warnte Waßmann vor einer Beschlussfassung.
„Daher hätten wir den Wunsch, die Vorlage anzuhalten und neu zu diskutieren, ob wir den Plan für den Dortmund-Deluxe-Standard – ohne Vorwurf – zurückziehen und uns auf den gesetzlichen Standard zurückziehen“, so der CDU-Politiker. „Das würde uns haushälterisch helfen, ohne dass wir dem Klima schaden. Wir haben viele gute Beispiele, wo wir klimaneutral bauen auf der gesetzlichen Grundlage.” Sollte an der Richtlinie festgehalten werden, würde seine Partei allerdings dagegen stimmen.
Die SPD sieht die Preissteigerungen mit Wertsteigerungen einhergehen
Die SPD sah das hingegen anders: „Die SPD-Ratsfraktion wird gerne zustimmen. Wir vertreten da eine andere Meinung als beispielsweise die CDU. Die Investitionen, die wir heute tätigen, sind langfristig gut investiertes Geld in Klimaschutz, um unsere ambitionierten Ziele bis 2035 zu erreichen“, betonte SPD-Planungssprecherin Veronika Rudolf.
Ihre Fraktion habe zu dem Thema schon verschiedene Anträge gestellt – auch mit Blick auf das Thema „Graue Energie”: „Jetzt sind wir an dem Punkt angekommen, wo wir das Thema vertiefen können“, sagte Rudolf mit Blick auf den großen Anteil an den Klimaschäden, dem Energie- und Ressourcenverbrauch, die das Bauen verursacht.
„Ja, die Kosten werden steigen, aber auch der Wert der Immobilien steigt mit. Wir wünschen uns sicher alle, dass die Stadt klimaresilient wird – das betrifft auch den Gebäudebestand. Deshalb werden wir zustimmen“, so Veronika Rudolf.
Die Grünen wollen an den Weichenstellungen festhalten
Auch die Grünen stimmten – wenig überraschend – zu: „Unserer Meinung nach ist das auch ein Beispiel für eine wirkungsvolle Kommunalpolitik. Wir hatten erst die Mantelvorlage, dann die Zieldiskussion, wo wir zu Klimaneutralität 2035 Beschlüsse gefasst haben und dann die Ressourcen-Diskussion. Jetzt haben wir den Handlungsleitfaden zum Bausektor, der erheblich zum globalen Klimawandel beiträgt“, erinnerte Grünen-Fraktionssprecherin Katrin Lögering an die Entstehung der Vorlage.
„Wenn wir da keine Weichen stellen, dann werden wir das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen“, warnte sie vor der Abkehr des vor drei Jahren eingeschlagenen Wegs. „Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben. Das betrifft auch die Materialseite und die graue Energie”, so die Grünen-Politikerin weiter.
Zudem lasse der Leitfaden durch allerlei „könnte und sollte“ viele Möglichkeiten für Einzelfallentscheiden: „Jetzt darauf zu kommen, dass das zu Kostensteigerung führen könnte; jetzt den Handlungsleitfaden zu stoppen, wo er fertig ausgestaltet vorliegt, steht der Politik nicht gut zu Gesicht“, kritisierte Lögering ihre Vorredner von CDU und FDP/BL.
AfD und CDU warnen vor einem Dortmunder Sonderweg
AfD-Fraktionschef Heiner Garbe meldete Zweifel an einer „wirkungsvollen Kommunalpolitik“ an: „Ich stelle nur fest, dass sie das Bauen wieder drastisch verteuern wollen – dieses Mal für die Stadt, die maßlos überschuldete Stadt.“ An Wertsteigerungen durch das Bauen nach dem Leitfaden glaubt er nicht.
„Es wird nur immer teurer. Die CDU ist daher schon umgeschwenkt, offenbar hängen sie nicht mehr so toll in ihrer Projektpartnerschaft – und das ist auch vernünftig“, provozierte Garbe mit Blick auf den Dissens zwischen Grünen und CDU.
„Ich will gar nicht Salz in die Wunde streuen. Im Kern sind wir alle für Klimaneutralität”, betonte der CDU-Parteivorsitzende Sascha Mader. Allerdings gebe es unterschiedliche Wege, sie zu erreichen.
Er warnte vor dem Dortmunder Sonderweg: „Er wird keine dramatische Auswirkungen aufs Klima haben”, sagte er mit Blick auf die vergleichsweise wenig Schulen und Kitas im Vergleich zum Gesamt-Gebäudebestand.
Anders als aufs Klima habe das aber starke Auswirkungen auf den kommunalen Haushalt: „Es wirkt sich dramatisch auf unsere Finanzen aus. Das wird real Auswirkungen haben und dazu führen, dass bestimmte Dinge nicht gebaut werden“, fürchtete Mader. „Ich finde es okay, dass man kontrovers diskutiert.”
„Die Linke+“ setzt auf Energieeinsparungen durch striktere Vorgaben
Dies glaubt Utz Kowalewski, Chef der Ratsfraktion „Die Linke+“, nicht: „Ich glaube nicht, dass eine Kita oder eine Schule nicht gebaut wird, wenn wir den Leitfaden beschließen. Es wird sich nach dem Bedarf richten, wie viele Kinder wir haben.” Zudem würden die Baubudgets nicht jedes Jahr abgerufen – daher habe man „ein bisschen Spiel“.
„Wenn ein Gebäude teurer wird, ist das so. Das schlägt sich dann aber strukturell in den Betriebskosten nieder”, sagte er mit Blick auf mögliche Energieeinsparungen und weniger Energiekosten. „Das schlägt sich in der Bilanz nieder, ebenso wie die höhere Werte der Immobilien”, glaubt der Linken-Politiker.
„Daher werden wir nicht jetzt einen Rückzieher machen. Wir glauben, dass Handlungsbedarf besteht. Alle wollen Klimaschutz, aber nicht nach dem Prinzip ,Wasch‘ mir den Pelz und mach‘ mich nicht nass’“, so Kowalewski.
Die SPD sieht die Kommune in einer Vorbildfunktion
Auch Hans Wiesner (Grüne) war das „zu viel Schwarz-Malerei“ und betonte nochmals die Falschheit der Zahlen von FDP-Mann Kauch: „Es geht hier nicht um zehn Prozent Mehrkosten. Es sind in der Regel alles Soll-Vorgaben, die da untersucht werden. Aber wenn man den Planern diese Varianten nicht vorgibt, werden wir stehen bleiben und keine Weiterentwicklung haben“, insistierte das Grünen-Ratsmitglied.
Ein weiteres Pro-Argument: „Die öffentliche Hand muss Vorbildfunktion haben. Wenn wir das jetzt nicht machen, wäre das ein Einschnitt für die nächste Zeit. Wir müssen Vorbild im Planen und dann auch im Bauen sein”, so Wiesner.
Daran knüpfte auch Silvya Ixkes-Henkemeier (SPD) an: „Das Bauen wird vermutlich teurer. Aber man muss im Kleinen anfangen. Jeder Mensch und jede Kommune ist gefordert. Aber wir dürfen nicht auf andere warten. sonst werden wir nie vorwärts kommen.“
„Ja, es wird teurer. Aber habt ihr darüber nachgedacht, um wieviel es teurer wird, wenn jetzt nicht Geld in die Hand annehmen und die nächsten Generationen die Klimafolgen ertragen müssen? Sie werden ein viel größeres Problem haben“, warnte die SPD-Ratsfrau.
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