70 Jahre Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund

Gegen Antisemitismus und für mehr Dialog: jüdische Geschichte und Vielfalt sichtbar machen

Veranstaltungen des GCJZ mit jüdischer Musik: Ein Konzert von Esther Lorenz und Daniel Kuhz 2024. GCJZ Dortmund

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V. feiert in diesem Jahr ihr 70-jähriges Bestehen. Anlässlich dazu findet am 22. September 2024 eine Feier im Dortmunder Rathaus statt. Der Verein setzt sich seit seiner Gründung für die Begegnung jüdischer Menschen und der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft ein. Auch die Arbeit  gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein ist zentral. Die Zielsetzungen, unter denen der Verein 1954 gegründet wurden, werden weiterhin verfolgt. Denn: Antisemitismus ist auch heute ein Problem in Dortmund. Die Zahlen antisemitischer Straftaten in Dortmund sind seit dem 7. Oktober 2023 stark angestiegen.

Das zentrale Ziel: jüdische Realität sichtbar machen

„Bis heute liegt unsere Arbeit in der Unterstützung der jüdischen Gemeinde in Dortmund und auch in der Sichtbarmachung der jüdischen Vielfalt und Realität in Deutschland“, betont Ruth Nientiedt, die Geschäftsführerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V., kurz GCJZ. „Es geht immer um die Gestaltung eines offenen, respektvollen hier und heute und einer friedlichen Zukunft für alle.“

Der Vorstand der GCJZ Dortmund: Meinhard Elmer, Claudia Steinbach, Annette Back, Alexander Sperling, Stefan Mühlhofer, Verena Mildner-Misz, Julia Sattler, Alexander Krimhand (von links nach rechts).
Der Vorstand der GCJZ Dortmund: Meinhard Elmer, Claudia Steinbach, Annette Back, Alexander Sperling, Stefan Mühlhofer, Verena Mildner-Misz, Julia Sattler, Alexander Krimhand. (von links nach rechts) GCJZ Dortmund

Die Vorsitzenden des Vereins sind Pfarrerin Annette Back, Pastor Meinhard Elmer und Alexander Sperling vom Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. Viele der Vorstandsmitglieder engagieren sich ehrenamtlich im Verein. Die GCJZ Dortmund hat rund 280 Mitglieder.

Die Veranstaltungen des Vereins sind kostenfrei und für jeden zugänglich. Ein zentrales Anliegen der GCJZ ist es, möglichst viele Menschen der Dortmunder Gesellschaft zu erreichen. „Ein Ziel ist es, für Jüdinnen und Juden und die nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft Räume des Dialogs zu schaffen, um auch jüdisches Leben in seiner Vielfalt kennenzulernen“, findet Verena Mildner-Misz vom Vorstand.

Die Angebote des Vereins richten sich nicht nur an jüdische und christliche Menschen, sondern an jeden, der Interesse an jüdischen Themen hat. Die GCJZ beschränkt sich nicht allein auf das Thema Antisemitismus. „Wir engagieren uns gegen Antisemitismus, aber auch gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, betont Verena Mildner-Misz.

70 Jahre GCJZ in Dortmund: die Feier im Dortmunder Rathaus

Der 70-jährige Geburtstag der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund findet am 22. September 2024 im Rathaus Dortmund statt. Der Musiker Ben Salomo wird bei der Feier vor Ort sein. Er hat sich als erster in der deutschen Rap-Szene mit seiner jüdischen Identität beschäftigt. Durch die Auseinandersetzung mit moderner Musik will der Verein auch jüngere Zielgruppen erreichen.

Verena Mildner-Misz vom Vorstand der GCJZ und Ruth Nientiedt, Geschäftsführerin der GCJZ (von links nach rechts).
Verena Mildner-Misz vom Vorstand der GCJZ und Ruth Nientiedt, Geschäftsführerin der GCJZ. (von links nach rechts) Mara Odparlik für Nordstadtblogger.de

Im Rahmen der Feier soll es anstatt von Redebeiträgen Kurzinterviews mit den Kooperationspartner:innen der Gesellschaft geben. Anschließend gibt es ein koscheres Buffet und die Möglichkeit für Gespräche. Eine Anmeldung zu der Feier ist bis zum 5. September 2024 möglich (Kontaktdaten am Ende des Artikels).

Die weitere Arbeit des Vereins sehen Ruth Nientiedt und Verena Mildner-Misz als offenen Prozess an. Das neue Halbjahresprogramm beginnt im Herbst und ist bereits auf der Website des Vereins verfügbar. Die Veranstaltungen sind für jeden zugänglich. „Ich bin davon überzeugt, dass Dinge besser werden, wenn mehr Menschen mitdenken und ihre Ideen einbringen“, findet Geschäftsführerin Nientiedt.

Die Arbeit gegen Antisemitismus in der Nachkriegszeit

Die christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die Shoah. Die Idee stammt aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Ziel war es eine offenere und tolerantere Gesellschaft zu fördern. Die GCJZ Dortmund wurde im Jahr 1954 gegründet. Insgesamt gibt es in Deutschland über 80 solcher Vereine, die gemeinsam zum deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gehören.

Ziel war es, dem nach dem Zweiten Weltkrieg andauernden Antisemitismus in Deutschland entgegenzuwirken. „Es ist großartig, das von jüdischer Seite, da so früh wieder Vertrauen da war“, findet Geschäftsführerin Ruth Nientiedt. Es sollte eine neue Möglichkeit der Begegnung zwischen Jüdinnen und Juden und der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft geben. Damals waren das noch viele Christinnen und Christen.

Ein weiterer zentraler Aspekt der Arbeit der GCJZ war von Anfang an die Aufarbeitung der Shoah und der nationalsozialistischen Verbrechen. Auch in Dortmund wurden Jüdinnen und Juden zu NS-Prozessen begleitet und es gab Gespräche mit Zeitzeug:innen. Ebenfalls zentral war die theologische Auseinandersetzung mit dem christlichen Antijudaismus, wovon sich die christlich jüdischen Gesellschaften stets distanzierten.

„Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit wurde zu einem Zeitpunkt gegründet, wo dieses antijüdische Denken in den Kirchen noch vorhanden war“, verdeutlicht Ruth Nientiedt. Damals hatten die Kirchen noch nicht von einer Mitschuld an der Shoah gesprochen. Die Gesellschaften arbeiten auch heute noch daran, auf die christliche Mitschuld aufmerksam zu machen. „Wir verstehen uns auch als eine kritische Stimme“, meint Nientiedt.

Gedenktage, Solidaritätsaktionen und kulturelle Veranstaltungen

Die GCJZ bietet verschiedene offene Veranstaltungen an. Eine regelmäßige Veranstaltung ist der Gedenktag zur Reichspogromnacht. Das Gedenken an die Angriffe auf jüdische Bürger:innen Dortmunds findet 2024 am 14. November in der Steinwache statt. Der Verein beteiligt sich aus Anlass von antisemitischen Vorfällen auch an Solidaritätsaktionen.

Ein interreligiöses Frauenmahl gehört ebenfalls zu den regelmäßigen Veranstaltungen der GCJZ.
Ein interreligiöses Frauenmahl gehört ebenfalls zu den regelmäßigen Veranstaltungen der GCJZ. GCJZ Dortmund

Bildungsprojekte sind ebenfalls ein für den Verein relevanter Aspekt. Schüler:innen werden durch Gedenkveranstaltungen oder Wettbewerbe in die Arbeit eingebunden. Auch für Lehrer:innen werden Fortbildungen zum Thema Antisemitismus organisiert. „Wir haben Veranstaltungen für alle Generationen, von Schülerinnen und Schülern bis ins Erwachsenenalter und wollen in die Stadtgesellschaft reingehen“, beteuert Mildner-Misz.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des Vereins ist es, auf die vielfältige jüdische Kultur und Lebenswelt aufmerksam zu machen. Dazu gehören unter anderen jüdische Musik, Feste oder Literatur. „Das wollen wir sichtbar machen und jüdischen Stimmen eine Bühne bieten“, so Ruth Nientiedt. Daher organisiert der Verein auch kulturelle Veranstaltungen, wie Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen, Kochkurse oder Tanzkurse. So gibt es im November beispielsweise einen Kurs zu israelischen Volkstänzen in der Jüdischen Kultusgemeinde.

Steigender Antisemitismus in Dortmund und ganz Deutschland

Die antisemitischen Straftaten in Dortmund sind seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stark angestiegen. „Keiner von uns kann diesen Konflikt lösen“, so die Geschäftsführerin Nientiedt. „Das ist wahnsinnig kompliziert und weit weg, aber es hat Auswirkungen hier vor Ort.“ Der Verein steht vor der Frage, wie man einen friedensorientierten und differenzierten Dialog zu dem Konflikt führen kann.

Bildungsarbeit: Ökumenisches Gedenken an den 9. November 1938 mit Schüler:innen des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Sankt Petri 2023. GCJZ Dortmund

„Wenn Jüdinnen und Juden hier vor Ort dafür verantwortlich gemacht werden, dann ist das Antisemitismus“, sind sich Ruth Nientiedt und Verena Mildner-Misz einig. Das sieht der Vereins als Gefahr für die Religionsfreiheit an.

„Jüdinnen und Juden sollen ihre jüdische Identität hier zeigen können, ohne Angst zu haben.“ Der Verein kritisiert, dass Synagogen und einige Jüdinnen und Juden seit Jahrzehnten Polizeischutz brauchen. „Das ist leider die Normalität“, meint Geschäftsführerin Nientiedt.

„Das Wissen über Antisemitismus und jüdische Geschichte, aber auch über den Nah-Ost Konflikt ist oft zu wenig vorhanden“, findet Nientiedt. Daher sieht sie eine besondere Dringlichkeit in den Bildungsangeboten des Vereins. So gibt es unter anderem am 8. Oktober 2024 eine Fortbildung zum Thema Antisemitismus als Herausforderung christlicher Kirchen mit Maria Coors, Leiterin des interreligiösen Projekts „Weißt du, wer ich bin?“.

Neue Herausforderungen in Zeiten der Digitalisierung

Ein zentrales Thema für die GCJZ ist Digitalisierung. Es gibt ein neues Design der Website, einen Instagram-Kanal und Online-Veranstaltungen. Somit soll die Erinnerungsarbeit gegen Antisemitismus auch jüngere Generationen verstärkt erreichen.

Die sich stetig wandelnden Social-Media Plattformen sind jedoch ein Problem. „Wenn man sich anschaut, dass Formate wie TikTok massiv von Rechten bespielt werden, ist das eine Gefahr“, sagt Ruth Nientiedt besorgt. „Da muss man wirklich etwas entgegensetzen.“ Um das digitale Angebot weiter auszubauen, fehlt es dem Verein jedoch an zeitlichen und personellen Ressourcen.

Ein weiteres zentrales Problem in der Vereinsarbeit ist, dass oft nur gewisse Teile der Gesellschaft erreicht werden. Dem versuchen die Vorstandsmitglieder durch Schulprojekte und Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten in der Stadt entgegenzuwirken. „Wir hoffen, durch unsere Arbeit eine Allianz zu schmieden, zwischen Menschen, die sich für Frieden und Verständigung einsetzen und gegen Hass und Gewalt“, sagt Ruth Nientiedt mit Überzeugung.

Mehr Informationen zur Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V.:

  • Website: https://gcjz-dortmund.de/
  • Instagram: @gcjzdortmund
  • Veranstaltung 70 Jahre GCJZ Dortmund: 22. September 2024, 17 Uhr, Dortmunder Rathaus, Anmeldung unter folgender E-Mail-Adresse bis zum 5. September 2024: info@gcjz-dortmund.de

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Reaktionen

  1. Antisemitismus gestern und heute – Lesung und Gespräch (PM)

    Gegenwärtig bewegt der Gaza-Konflikt die Menschen und sorgt in vielen Ländern für einen rasanten Anstieg des Antisemitismus – auch in Deutschland. Den Ursprüngen und Wandlungen dieses strukturellen, bisweilen gewalttätigen Antisemitismus geht der Historiker Dr. Sebastian Voigt (München) in seinem viel diskutierten Buch ‚Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?‘ nach (ISBN 9783777635293).

    Darin skizziert er wichtige Elemente des politischen, religiösen und kulturellen Antijudaismus innerhalb der vergangenen 2500 Jahre. Eine Facette davon, den Antisemitismus von „links“, nimmt Voigt ebenfalls in den Blick. Dabei geht es um antisemitische Wurzeln in der Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts, die in linksextremistischen Gruppierungen des 20. und 21. Jahrhunderts fortbestehen. Gleichzeitig ist sein Buch ein leidenschaftlicher Aufruf zum couragierten Widerstand gegen den heutigen Antisemitismus.

    Am Donnerstag, den 05.09.2024 stellt der Autor sein Werk um 20:00 Uhr in der Buchhandlung transfer. bücher und medien vor. Dr. Jens Becker von der Fritz Hüser-Gesellschaft moderiert die Veranstaltung. Weitere Infos und Tickets unter http://www.transfer-dortmund.de/veranstaltungen

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