„Der Angstraum ist bald Geschichte“ titelte Nordstadtblogger im Dezember 2014. Zehn Jahre später steht alles wieder auf Anfang. Schlimmer noch: Der Versuch mit Kunst einen Beitrag zur Verschönerung des Stadtteils zu leisten und das „Tor zur Nordstadt“ positiv zu gestalten, mündete in ein Horror-Szenario. Was ist passiert?
Vom Angstraum zum Kunstraum: ein neues Design soll es richten
Seit Jahrzehnten sind die Zufahrtswege in die Nordstadt ein Thema – insbesondere die Unterführung an der Brinkhoff-/Schützenstraße. Sie ist mit drei Brücken auf rund 200 Metern die größte, längste und auch am meisten genutzte Verbindung zwischen Nordstadt und City.
Mit dem Auto ist man schnell durch – mit dem Rad, dem Roller oder zu Fuß nicht. Leider. Der Weg ist alles andere als ein Vergnügen. Dreck, gelbliches Licht, Lärm – die Atmosphäre ist düster, aber das ist nicht neu. Schon 2003 machten Bewohner:innen und der Planerladen e.V. durch Aktionen auf den „Angstraum“ aufmerksam.
2010 kam Bewegung in die Pläne, denn mit der Eröffnung des U-Turms geriet die Passage in den Fokus: neuer Asphalt, bessere Beleuchtung und eine künstlerische Gestaltung wurden beschlossen und umgesetzt. Gesamtinvestiton: 695.000 Euro.
Denkmäler, Kunstwerke, Brunnen, Fassadengestaltung, Gedenktafeln – die Gestaltung des öffentlichen Raums ist vielfältig. Wer bestimmt eigentlich, was angeschafft wird? Was kostet der Unterhalt? Wer kümmert sich darum? Und ist überhaupt noch Platz für Neues? Nordstadtblogger fragt nach.
Erst die Fahrbahn, dann die Kunst: die Nord-West-Passage entsteht
Nachdem Fahrbahn, Gehweg und Fahrradweg erneuert wurden und die Beleuchtung zumindest ergänzt, folgt 2014 die Kunst.
Der Dortmunder Grafiker Marc Suski setzt sich in einem Wettbewerb durch und gestaltete 2015 zunächst die Mauern der Unterführung und ein Jahr später die Platten auf der Südseite.___STEADY_PAYWALL___
Suski prägt den Begriff „Nord-West-Passage“ und entscheidet sich für das Thema „Respekt“, das er in unterschiedlichen Sprachen und Variationen auf den Platten visualisiert.
Speziallack zum Schutz der Arbeit? Das war leider zu teuer.
Respekt? „Bereits nach kurzer Zeit haben Sprayer angefangen meine Arbeit zu crossen,“ so Suski, vor allem im vorderen Bereich, der einigen in der Szene wohl nicht so gefallen habe. Schade findet er das und auch ein wenig selbstgefällig, denn schließlich seien die Geschmäcker verschieden.
Länger unberührt blieben die Platten im vorderen Bereich – aber auch hier machen Ablagerungen durch Abgase die Arbeit schnell unkenntlich. „Wir hatten der Stadt angeboten, die Arbeiten mit Schutzlack zu versehen, dann wäre die Reinigung einfacher gewesen, aber das war zu teuer“, erinnert sich Suski. In all den Jahren sei die Arbeit dann vielleicht ein- oder zweimal gereinigt worden und irgendwann habe man offenbar aufgegeben.
Die Entscheidung für den Abbau ist Sache der Deutschen Bahn
Im April 2024 dann das endgültige Aus. Von Freunden hat Suski erfahren, dass seine Arbeit gerade abgebaut wird. Und nicht nur das: sie wird dabei auch vollständig zerstört. „Ok, die Platten waren verdreckt und das ist alles zehn Jahre her, aber da hätte ich mir schon eine Info gewünscht“, so Suski.
Christian Schön, Sprecher der Stadt Dortmund, hat dafür volles Verständnis, aber „die Brücke selbst liegt im Verantwortungsbereich der Deutschen Bahn. Dort war man zu einer neuen Einschätzung gekommen und hat dann die Entscheidung über den Abbau der Arbeit getroffen. Die Stadt wurde darüber informiert.“
Ein Erhalt oder ein Versetzen der Arbeit sei wohl nicht möglich gewesen. Schade, meint Schön und er sagt, die Stadt würde sich freuen, wenn die Bahn die Initiative für eine neue Gestaltungsidee ergreifen würde. Dabei würde sich die Stadt dann sicher mit einbringen. Aktuell ersetzt ein Gitter-Zaun die Kunst am südlichen Ende, die Graffit-Wände an der Schützenstraße bröckeln. „Apokalyptisch“ findet das nicht nur Suski.
Winter 2023: Obdachlose nutzen die Kunst als Schutzraum
Durch den neuen Zaun fällt der Blick auf Müllberge, verbrannte Matratzen, Kleidung, Rucksäcke: „Hinter den Platten haben Obdachlose Schutz gesucht“, berichtet ein Kenner der Situation. „Da unten war es feucht, viele Menschen dort wurden krank, von Ratten gebissen.“
Suski macht das fassungslos. Er sollte die Platten damals als Sichtschutz gestalten, damit Dreck, Ratten, Müll in den Torbögen nicht überhand nehmen und alles ein wenig freundlicher wirkt. Unvorstellbar für ihn, dass Menschen dann ausgerechnet dort unten, unter der Kunst, Zuflucht gesucht haben. Die Vermutung liegt nahe, dass vor allem dem ein Ende bereitet werden sollte.
„Sicherheit steht für uns an erster Stelle. Ästhetik hat keine Priorität.“
„Es hat dort wiederholt gebrannt“, erklärt ein Sprecher der Deutschen Bahn auf Anfrage von Nordstadtblogger. Das sei gefährlich gewesen – für die Menschen, die dort Schutz gesucht haben, aber natürlich auch für die Verkehrssituation.
„Sicherheit steht für uns an erster Stelle“, so der Sprecher, „wir wollten kein Risiko eingehen und es musste schnell gehen, ästhetische Fragen haben da erstmal keine Priorität.“ Eine Zukunftsperspektive ist ihm nicht bekannt, aber er gibt zu: „Es ist im Sinne von Bahn und Stadt, wenn wir da zusammenarbeiten.“ Er selbst lebt in Bochum, da gäbe es schöne Lösungen mit Lichtkunst.
Was also bleibt für den Moment? Die Kunst ist zerstört, die Obdachlosen wurden verdrängt, ein Gitterzaun und bröckelnder Backstein flankieren den Weg in die Nordstadt. Erfolgreiche und nachhaltige Investitionen sehen anders aus. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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Reader Comments
Rosa Blank
Bei allem Respekt für die Respekt-Kunst waren doch beide Probleme mit wenig Nachdenken vorhersehbar:
1. Auf den schrägen Flächen sammelt sich stärker Schmutz an als auf senkrechten Flächen.
2. Durch die Stellwände mit der Kunst wurde ein einigermaßen gut zugänglicher, regengeschützter und nicht einsehbarer Raum geschaffen. Es war klar, dass hier Obdachlose Schutz suchen werden.
Insofern gebe ich allen Beteiligen Schuld an der Misere. Dass es die Bahn jetzt aber nicht mal schafft, vor Ihrer eigenen Tür zu kehren, ergibt einen hässlichen Kontrast zum neu gestalteten Bahnhof.