Die neue Folge von „Systemfehler“ jetzt überall, wo's Podcast gibt

Klinik-Chefs Michael Kötzing und Prof. Stefan Haßfeld zu Gast im Nordstadtblogger-Podcast

Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Die Debatten um das deutsche Gesundheitssystem werden, nicht erst seit Bekanntwerden der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angestrebten Krankenhausreform, intensiv geführt. Diese Punkte besprachen wir mit dem neuen Arbeitsdirektor des Klinikums Dortmund Michael Kötzing, und dem medizinischen Geschäftsführer und Ärztlichen Direktor Prof. Dr. Dr. Stefan Haßfeld in der sechsten Folge unseres Nordstadtblogger-Podcast „Systemfehler“. Klar ist: Es herrscht viel Frust und Wut bei den Beschäftigten der Gesundheits-Berufe.

Ein „moderates“ Minus von 11,5 Millionen Euro stehen zu Buche

Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Frust der sich auch in Zahlen ausdrückt. 2023 lag das Defizit des Klinikums Dortmund bei 11,5 Millionen Euro. Und damit steht das Klinikum im Vergleich zu anderen Häusern noch relativ gut dar. Mehr als 2/3 aller deutschen Krankenhäuser und 80 Prozent der Maximalversorger hätten 2023 im Minus gelegen. Eine Situation, die zwei Hauptgründe hat: zu wenig Investitionen in den letzten Jahrzehnten und eine starres Vergütungssystem, das der Fallpauschalen.

Das Problem mit den Fallpauschalen ist im Wesentlichen folgendes: die Gesamtkosten, die ein Krankenhaus für eine:n Patient:in hat, werden pauschal vergütet auf der Grundlage von vor 2 Jahren. Dass das aufgrund von Inflation und Preissteigerung nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Ein weiterer, wachsender Kostenpunkt sind die (glücklicherweise) steigenden Löhne von Beschäftigen beispielsweise in der Pflege.

Bei einem Besuch im Dortmunder Klinikum im April hatte Lauterbach noch angekündigt, Tarifsteigerungen durch den Bund auszugleichen. Passiert ist seitdem nichts. Ob die Haushaltsverhandlungen der Ampel-Koalition und das Einhalten der „Schwarzen Null“ hierbei eine Rolle gespielt haben, bleibt Spekulation.

Das Land NRW investiert zu wenig

Aber auch das Land NRW, in Person von Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann, hält sich mit Investitionen zurück. Beispiel: die neue Kinderklinik in Dortmund. Lediglich 15% der Bausumme kommt vom Land NRW. Bei vergleichbaren Projekten in anderen Bundesländern wie Bayern, läge der Anteil bei 90%. Fakt ist, dass der Krankenhaussektor definitiv unterfinanziert ist und das hat Auswirkungen auf Alle: Patient:innen, Pfleger:innen, Ärtzt:innen und die Gesellschaft als Ganzes.

Welche Auswirkungen die Krankenhausreform auf das Klinikum haben wird, sei bis jetzt im Detail noch nicht absehbar. Fest steht: es kommt nicht mehr Geld ins System, sondern es wird anders verteilt. Und das könnte Dortmund tatsächlich neue Patient*innen und damit Mehreinnahmen bringen, da immer mehr auf Spezialisierungen gesetzt werden soll, in Dortmund beispielsweise auf Krebstherapien. Das auch in Dortmund Kliniken schließen könnten, hatte Lauterbach im April nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlich trifft es aber eher Kliniken im ländlichen Raum.

Das Klinikum wirbt um Fachkräfte in Südamerika, den Philippinen und dem Kosovo

Ein Problem vor dem alle, ländlichen wie urbanen, Kliniken stehen, ist insbesondere der Fachkräftemangel im Pflegebereich. Ein großer Teil der Lösung: die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Schon jetzt kommen die rund 4900 Beschäftigen des Klinikums Dortmund aus über 70 Ländern. Größtenteils arbeiten die Menschen im Pflegebereich, aber auch 600 Vollzeit-Ärzte, sogar Maler und Gärtner beschäftigt das Klinikum.

Das Klinikum möchte zukünftig noch mehr Fachkräfte aus dem Ausland für sich gewinnen. Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Für die Anwerbung von Pflegekräften setzt die Klinik auf eine eigene Strategie. Über Agenturen wird direkt um Arbeitskräfte geworben: „Wir haben Aufträge für 250 Pflegekräfte aus dem Ausland. Die ersten 70 sind hier“, so Prof. Haßfeld. Von diesen 70 seien die ersten 30 bereits als aktiv arbeitenden Kräfte in den Klinikalltag integriert.

Ein großes Problem: „Wir leisten uns sehr viel Bürokratie, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir qualifizierte Fachkräfte auch aus dem Ausland brauchen.“, so Haßfeld weiter. Es seien zu viele Institutionen in den bürokratischen Prozess miteingebunden. Die meisten Pflegekräfte seien bereits gut ausgebildet, hätten Deutschkurse belegt und seien motiviert zu starten. Doch die Prozesse ziehen sich häufig monatelang hin.

Die Pflegedienstleiterin kümmert sich intensiv um die Belange der Ankommenden

Was die Pflegekräfte reizt, die im Dortmunder Fall vor allem aus Südamerika, den Philippinen und dem Kosovo kommen, sind höhere Löhne und den Aufbau einer neuen Existenz. Die Herausforderungen dabei sind vielfältig: „Stellen Sie sich vor, sie kommen mit 3 Koffern am Flughafen an und bauen hier eine völlig neue Existenz auf. Das ist die Situation, die die Kolleginnen und Kollegen haben, wenn sie hier ankommen“, so Kötzing.

Julius Obhues | Nordstadtblogger

Um den Menschen das Ankommen zu erleichtern, werden die neuen Kolleg:innen von der hauptamtlichen Pflegedienstleiterin unterstützt: Vom Abholen vom Flughafen, über die Vermittlung von Sprachkursen, bis hin zur Wohnungssuche. Diese Haltung fordert Prof. Haßfeld auch auf größerer Ebene: „Wir müssen uns als Gesellschaft klar positionieren, dass wir politisch sagen, wir wollen Arbeitskräfte aus dem Ausland und sie auch offen willkommen heißen.“

Das Ruhrgebiet habe hierbei jahrzehntelange Erfahrung. Was der sogenannte „Brain Drain“ in den Herkunftsländern bedeutet, ist von der Wissenschaft gut erforscht, da die globale Pflegeökonomie seit den 90er Jahren rasant gewachsen ist. Die aufgehenden Care-Arbeits-Lücken in den Herkunftsländern werden häufig von anderen (meist weiblichen) Familienmitgliedern unter großen Mehrbelastungen gefüllt. Auch deshalb hoffen viele Pflegekräfte darauf, ihre Familien nach Deutschland nachzuholen.

Gute Arbeitsbedingungen als Schlüssel

Dass die Anwerbung von Fachkräften nur ein Puzzle-Teil bei der Lösung der vielen komplexen Probleme, vor dem das Gesundheitssystem als Ganzes steht, sein kann, liegt auf der Hand. Wenn sich ein Großteil der Beschäftigten in der Pflege nicht vorstellen könne in diesem Job in Rente zu gehen, müsse sich etwas an den Arbeitsbedingungen verändern, so Kötzing. Auszubildende findet nur derjenige, der gute Arbeitsbedingungen schafft.

Die Nordstadtblogger Julius Obhues und Matthias Jochimsen im Gespräch mit den beiden Geschäftsführern des Klinikums Michael Kötzing und Prof. Stefan Haßfeld. Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Gute Arbeitsbedingungen erreiche man, nicht nur aber auch, durch solide, finanzielle Grundbedingungen, was nur über eine Reform der Fallkostenpauschale gehen werde. Ab dem 1. September wird sich dann auch der neue kaufmännische Geschäftsführer und Vorsitzender der Geschäftsführung Peter Hutmacher diesen verschiedenen Herausforderungen widmen müssen. So wird aus dem Führungsduo dann wieder ein Trio.

Wer das Interview in voller Länge nachhören möchte, kann dies auf den YouTube- und Spotify-Kanälen der Nordstadtblogger gerne tun. Über Feedback, Themen- sowie Gastvorschläge freuen wir uns ebenfalls. Das Podcast-Team verabschiedet sich erstmal in die Sommerpause und in der nächsten Folge am 6. September wird dann Liz Larkamp der „Freien Szene Film Dortmund“ zu Gast sein. Wir sprechen über mit ihr über die Filmszene in Dortmund und warum Film das beste Medium ist.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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Reaktionen

  1. Finanzierung des Gesundheitswesens läuft aus dem Ruder – Bei den Haushaltsberatungen des Bundes muss jetzt gegengesteuert werden! (PM vdek)

    Der Deutsche Bundestag in Berlin hat seine Beratungen für den Bundeshaushalt 2025 begonnen. Damit wird auch über die zukünftige Entwicklung in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entschieden. Dabei ist die Finanzsituation der GKV gegenwärtig alles andere als stabil – sie ist prekär! Im ersten Halbjahr 2024 betrug das Defizit bereits über zwei Milliarden Euro. Diese Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach bis zum Jahresende weiter zuspitzen. Aktuelle Schätzungen erwarten ein Defizit von über vier Milliarden Euro. Eine Verbesserung der finanziellen Lage der GKV ist somit nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Bundesgesundheitsminister plant weitere ausgabenträchtige Gesetze.

    Spirale der Beitragssatzsteigerungen stoppen

    Bereits vor Monaten hat der Bundesgesundheitsminister beiläufig eingeräumt, dass die erwarteten Mehrausgaben der GKV durch eine weitere Erhöhung der Zusatzbeitragssätze getragen werden sollen. Aktuell erwarten die gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2025 eine Steigerung der Zusatzbeitragsätze von 0,5 bis 0,7 Prozentpunkten. Aktuell laufende Gesetzesvorhaben des Bundesgesundheitsministeriums sind noch nicht eingerechnet. „Die Politik muss die Spirale der stetig steigenden Zusatzbeiträge durchbrechen. Es muss jetzt gehandelt werden, um die Finanzierung des Gesundheitswesens auf eine ausgewogene und nachhaltige Basis zu stellen“, fordert Dirk Ruiss, Leiter der vdek-Landesvertretung NRW.

    Versicherungsfremde Leistungen durch Steuermittel refinanzieren

    Aus Sicht der GKV ist es nötig, versicherungsfremde Leistungen angemessen durch Steuermittel zu refinanzieren. Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde vereinbart, dass die GKV-Beiträge für Bürgergeldempfänger aus Steuermitteln angehoben werden. Passiert ist bisher nichts. Laut einer Studie im Auftrag des GKV-Spitzenverbands fehlen dadurch Beiträge von insgesamt 9,2 Milliarden Euro. In Summe fehlen den Kassen derzeit rund 10 Milliarden Euro für Leistungen, die sie im Auftrag des Staates erbringen. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat kürzlich vorgeschlagen, mehr Steuergelder in die Hand zu nehmen, um die GKV von gesamtstaatlichen Aufgaben zu entlasten.

    Eine weitere Forderung der GKV betrifft die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Eine Absenkung der Mehrwertsteuer würde die GKV um rund sechs Milliarden Euro im Jahr entlasten.
    „Es ist nicht erklärbar, weshalb beispielsweise für Schnittblumen der ermäßigte Mehrwertsteuersatz fällig wird, während bei lebenswichtigen Arzneimitteln 19 Prozent aufgeschlagen werden. Dabei ist die geringere Besteuerung von Arzneimitteln in beinahe allen europäischen Ländern längst Standard“, erklärt Ruiss, und weiter: „Darüber hinaus müssen weitere teure Pläne des Gesundheitsministers gestoppt werden. Die Bundesregierung plant, sich den staatlichen Krankenhaus-Transformationsfonds zur Hälfte von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren zu lassen. Die GKV ist aber kein Selbstbedienungsladen für die öffentliche Hand, um deren Finanzprobleme zu lösen.“ Der GKV-Spitzenverband hat ein Rechtsgutachten zu der Frage der Verfassungswidrigkeit in Auftrag gegeben, Ergebnis: Sozialversicherungsbeiträge sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts streng zweckgebunden und dürfen nicht zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts verwendet werden.

    Auch Pflege bezahlbar halten

    Neben der gesetzlichen Krankenversicherung ist auch die Pflegeversicherung in finanzieller Schieflage. Zum Ende des Jahres 2024 wird ein Defizit von mindestens 1,5 Milliarden Euro prognostiziert, 2025 werden es vermutlich rund 3,5 Milliarden Euro sein. Eine Steigerung des Beitragssatzes um weitere 0,2 Prozent ist so gut wie sicher. Mit Blick in die Zukunft ist eine umfassende Pflegereform unumgänglich. „Nun ist die Politik mehr denn je gefragt, endlich politische Lösungen zu präsentieren. Die Zeit drängt und die Fakten liegen allesamt auf dem Tisch. Die GKV erwartet, dass sich die Ampel an ihre eigenen Ziele im Koalitionsvertrag hält. Die soziale Pflegeversicherung gilt es, als fünfte Säule der Sozialversicherung finanziell zukunftssicher aufzustellen“, fordert Dirk Ruiss nachdrücklich. Die Ersatzkassen haben dazu Vorschläge unterbreitet, wie eine Stabilisierung der sozialen Pflegeversicherung gelingen kann. Dazu zählen ein Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung sowie die Finanzierung der Beiträge zur Rentenversicherung für pflegende Angehörige über die Rentenversicherung anstatt aus der Pflegeversicherung.

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