In diesem Jahr feiert die Bundesrepublik das Jubiläum des Grundgesetzes. Vor 75 Jahren entwickelte und verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz, welches allen Menschen in Deutschland die selbe Freiheit garantiert. Um dies zu feiern, wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) „Freiheit“ als das Hauptthema für das diesjährige Wissenschaftsjahr ausgerufen. Auch Dortmund möchte sich an dem Wissenschaftsjahr beteiligen und lädt zum GedankenGang ein.
Steinwache – vom Polizeifoltergefängnis zur Gedenkstätte
Um den Menschen in Dortmund zu zeigen, welche Auswirkung die Freiheit im Zusammenhang mit politischer Teilhabe, Erinnerungskultur und die Herausforderungen des Klima- und Technologiewandels auf das Zusammenleben hat, laden Forschende Teilnehmer:innen auf Spaziergänge ein.
Am 20. Juli – dem Gedenktag des Attentatsversuches von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler – luden Barbara Welzel, Professorin für Kunstgeschichte und Kulturelle Bildung Barbara und Projektassistentin Fiona Newzella zum dritten Diskussionsspaziergang ein. Das Thema diesmal war – passend zum Datum – die Frage, ob Freiheit Erinnerung braucht.
Die Diskussionsrunde, geleitet von Barbara Welzel, fand rund um und im Hof der Steinwache statt, welche zur Zeit der NS-Diktatur der Gestapo als Foltergefängnis und Durchgangsstation zu Konzentrationslagern für Verfolgte diente. In der ehemaligen Polizeistation wurden auch Verfolgte direkt vor Ort ermordet, an die Stolpersteine erinnern.
„Respekt durch Recherche“
Vor der Steinwache wurde zudem auch das Denkmal, welches an die Opfer des NSU-Terrors erinnert, besucht und diskutiert. Der NSU hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin ermordet. Um an das in Dortmund ermordete Opfer Mehmet Kubaşık zu erinnern, wurde im Beisein der Familie dieses Denkmal errichtet, welches auch auf die ideologischen Verbindungen zwischen der NS-Diktatur und dem NSU hinweisen soll.
Es wurde in der Diskussionsrunde über die Konzeptkunst, auf der die Stolpersteine und das NSU-Denkmal basieren, gesprochen und dabei auf die Besonderheiten wie Dezentralität und Materialität eingegangen. Solche Denkmäler sollen nicht zentral und wissenschaftlich sein, sondern auch den Menschen aus der Nachbarschaft die Möglichkeiten bieten, sich über die Geschehnisse zu informieren und zu gedenken.
Die Stolpersteine zeigen an, wo die Verfolgten und zumeist ermordeten Menschen zuletzt freiwillig gelebt haben, bevor sie zwangsumgesiedelt oder getötet wurden. Es ginge bei den Stolpersteinen darum, Namen statt Nummern zu haben, so Welzel. Sie seien ein Zeichen der Freiheit, da die Namen der verfolgten Mitbürger:innen gezeigt und nicht versteckt werden. „Das Aufdecken der Todesursache und des weiteren Verbleibens ist wie das Zurückholen der Würde“ – so ein Teilfazit der Runde.
Denkmäler als Mahnmal für die Freiheit
Ebenso sollen diese Denkmäler zur Kommunikation und zum Aufeinander-Zugehen anregen. Denn laut einer Teilnehmerin „entsteht Rassismus dort, wo die Kommunikation fehlt.“
Besonders im Bezug auf Freiheit, sollten die Denkmäler zeigen, dass das Recht auf Unversehrtheit im Grundgesetz stehe, aber, dass dies nicht automatisch dazu führe, dass diese immer eingehalten würden. Die Bevölkerung müsse sich stattdessen für die Einhaltung einsetzen.
Gleichzeitig dürfe man aber bei jedem Denkmal nicht in die Totalitätsfalle tappen, erklärte die Professorin für Kunstgeschichte. Die Frage sei, ob jeder Gedenkort alles muss, oder auch nur Apsekte aufweisen und mit Verweisen arbeiten kann.
Insgesamt wurde die Frage, ob die Freiheit Erinnerung braucht von den Teilnehmer:innen mit Ja beantwortet. Der letzte Termin für den „Gedanken-Spaziergang“ findet unter dem Thema „Frei handeln, cool bleiben. Stadtteil-Spaziergang für mehr schattige Plätze und grüne Oasen in der Nordstadt“ am 31. August statt.
Weitere Informationen unter: tu-dortmund.de/(…)/gedankengaenge
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Journalistin berichtet über den Mythos Stauffenberg-Attentat (PM)
Die politische Journalistin Ruth Hoffmann stellt ihre Recherchen zum „Mythos Stauffenberg-Attentat“ in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache vor. Am Donnerstag, 26. September, geht es ab 19 Uhr um ihr Buch „Das deutsche Alibi“.
Wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg die Bombe platzierte und warum der Anschlag misslang, ist den meisten aus dem Geschichtsunterricht bekannt. Dass aber rund 200 Personen, ein breites Bündnis von Menschen aller sozialer Schichten und unterschiedlichster politischer Couleur am sogenannten „Stauffenberg-Attentat“ beteiligt waren, ist nur wenigen bewusst. Die Journalistin Ruth Hoffmann unternimmt eine umfassende Dekonstruktion des Mythos „Stauffenberg-Attentat“.
Attentat wird von Politik instrumentalisiert
Sie zeichnet nach, wie der 20. Juli seit Gründung der Bundesrepublik aus ihrer Sicht politisch instrumentalisiert wird: Mal, um sich gegen die DDR abzusetzen und kommunistische Widerständler zu diffamieren; mal, um Politikern, die mit dem NS-Regime kollaboriert hatten, eine Nähe zum Widerstand anzudichten. Oder, wie neuerdings die AfD, um die eigene Demokratiefeindlichkeit mit einem angeblichen Widerstandsgeist in der Tradition Stauffenbergs zu kaschieren. Denn: Noch heute gilt der 20. Juli 1944 als „Aufstand des Gewissens“ einer kleinen Gruppe konservativer Militärs, noch heute verstellt diese legendenhafte Überhöhung unseren Blick auf die Ereignisse und die gesellschaftliche Vielfalt der Verschwörung.
Ruth Hoffmann hat Ethnologie, Geschichte und Politik studiert und ist Absolventin der Henri Nannen-Journalistenschule. Sie arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Medien, u.a. Geo, Stern, P.M. History und Spiegel Geschichte. 2012 erschien ihr Buch „Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat“ über die Kinder hauptamtlicher Mitarbeiter*innen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.