Lehrer:innen zeigten sich bestürzt - nun wurde der Ort kurzfristig geändert

Enquete-Kommission inklusive AfD-Vertreter sollte in der Anne-Frank-Gesamtschule tagen

Kurzfristig wurde die Sitzung der Kommission von der Anne-Frank-Gesamtschule ins Dortmunder Rathaus verlegt. Archivbild: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Die im September 2023 eingesetzte Enquetekommission I „Chancengleichheit in der Bildung“ des Landtags NRW sollte am Freitag (14. Juni 2024) in der Anne-Frank-Gesamtschule tagen – mit dabei u.a. Carlo Clemens, AfD-Abgeordneter, Kommissionsmitglied und ehemaliger JA-Bundesvorsitzender. Lehrer:innen übten scharfe Kritik aus. Nun wurde der Veranstaltungsort kurzfristig geändert.

Lehrer:innen befürchteten Instrumentalisierung des Besuchs für Clemens‘ rechte Politik

„Es ist fraglich, wie sich eine Person, die Mitglied im Bundesvorstand der als gesichert rechtsextrem eingestuften Jungen Alternative war, für mehr Bildungsgerechtigkeit in der Nordstadt einsetzen kann – obwohl sie ihren Positionen und ihrer politischen Gesinnung nach den Menschen in der Nordstadt feindlich gegenübersteht und menschenfeindliche Äußerungen zum Tagesgeschäft dieser Person gehören“, hinterfragten Lehrer:innen der Anne-Frank-Gesamtschule in einem anonymen Schreiben.

Carlo Clemens macht unter anderem die „Massenmigration“ für den „Bildungsverfall“ verantwortlich. Quelle: Screenshot Instagram

Offen äußern wollte bzw. durfte sich aber niemand – denn auf Rückhalt durch die Schulleitung sei kein Verlass, erklärten sie. Und das, obwohl sich auch Schüler:innen damit unwohl fühlten, dass „ein Rechtsextremist durch ihre Schulflure ziehen und so hofiert wird, als wäre es das Normalste der Welt, als wäre er ein ganz gewöhnlicher Landtagsabgeordneter.“

Das beflecke nicht nur den Namen der Schule, sondern verunsichere auch die Eltern, hieß es weiter. Denn Carlo Clemens hetze in den sozialen Medien insbesondere gegen Muslim:innen und Migranten:innen, die für ihn den Ursprung allen Übels darstellten.

Die Lehrer:innen befürchteten: „Statt sich konstruktiv einzubringen, wird Clemens Bedarfe und Probleme in der Nordstadt für seine Zwecke instrumentalisieren und gezielt nach Bestätigung für seine menschenfeindlichen Ansichten suchen.“

Donnerstagmorgen erfuhren die Lehrer:innen, dass der Veranstaltungsort geändert wurde

In dieser Woche wäre Anne Frank 95 Jahre alt geworden. Die Jüdin war 16 Jahre alt, als sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen an Fleckfieber starb. Zuvor hatte sie sich mehr als zwei Jahre lang in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckt, wo sie das berühmte „Tagebuch der Anne Frank“ schrieb.

Anne Frank ist eines der prominentesten Opfer des Nationalsozialismus‘. Quelle: Fotosammlung Anne Frank Stiftung Amsterdam

Bis auf den Vater Otto wird die gesamte Familie Opfer des Nationalsozialismus‘ und seiner Rassenideologie – Mutter Edith stirbt in Auschwitz, Schwester Margot ebenfalls in Bergen-Belsen.

Nach Anne Frank wurde die Gesamtschule in der Burgholzstraße benannt, in der die vom Landtag NRW eingesetzte Enquete-Kommission I „Chancengleichheit und Bildung“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen sollte. Teile der Lehrer:innenschaft zeigten sich gerade vor diesem Hintergrund bestürzt über den geplanten Besuch – an dem auch der 34-Jährigen AfD-Abgeordnete teilgenommen hätte.

Doch kurzfristig – zwei Tage vor der Tagung der Landtagsabgeordneten – teilt Schulleiter Bernd Bruns auf Anfrage mit: „Die nichtöffentliche Sitzung findet nicht in den Räumen der Anne-Frank-Gesamtschule statt und die Schule ist auch nicht der Veranstalter.“ Die Lehrer:innenschaft zeigt sich am selben Abend noch verwundert, kurz zuvor sei die Veranstaltung noch vorbereitet worden, seitdem habe man keine neuen Informationen bekommen. Donnerstagmorgen heißt es dann aus Kreisen der Lehrenden: „Scheinbar wurde der Veranstaltungsort wirklich verlegt.“

Der AfDler war Bundesvorsitzender der gesichert rechtsextremen „Jungen Alternative“

Doch wer ist dieser Carlo Clemens? Er ist 34 Jahre alt, verheiratet und Familienvater. Nach dem Abitur macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Schulsozialarbeit, studiert dann Erziehungswissenschaften, Geschichte und Germanistik in Köln und Paris.

Die Junge Alternative NRW teilt in den Sozialen Medien „lustige“ Memes. Quelle: Screenshot Instagram

Schon 2013 wird er aktiv in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und auch in ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA), deren Bezirksverband Köln er vor mehr als zehn Jahren mit gründet. Vom Vorsitz im Bezirksverband steigt er in den Landesvorsitz auf. Bis 2022 hat er sogar den Bundesvorsitz der Jungen Alternative inne.

Nachdem die Jugendorganisation der AfD jahrelang über kein Grundsatzprogramm verfügte, veröffentlichte sie 2018 den „Deutschlandplan“. Nachdem dieser großes Interesse beim Verfassungsschutz weckte, wurde die ursprüngliche Auflage ausgebessert, radikale Aussagen wurden aufgelockert.

Doch auch das schien nicht zu reichen – heute findet sich keine Spur mehr vom sogenannten „Deutschlandplan“, der die Auflösung der Europäischen Union und die Aufrüstung der Bundeswehr forderte.

„Traditionsbildend für unsere Bundeswehr ist die gesamte Militärvergangenheit Deutschlands“, heißt es in dem ehemaligen „Deutschlandplan“ der JA. Auch ein „innovativer“ Umgang mit Geflüchteten findet sich dort: Männlichen Geflüchteten solle ab 20 Uhr eine Ausgangssperre auferlegt werden – davon ausgenommen seien jedoch beispielsweise „orientalische Christen oder weiße Südafrikaner“. Grundsätzlich sollten Geflüchtete jedoch nicht integriert, sondern von vornherein auf ihre Rückkehr in die Heimatländer vorbereitet werden.

Vernetzte „Neue Rechte“: Matthias Helferich, die Identitäre Bewegung und Götz Kubitschek

Die Junge Alternative wird mittlerweile trotz jahrelanger Vermeidungsstrategie vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft – Grund sind tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die JA NRW Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, besonders auf ideologischer Ebene.

Matthias Helferich (l.) und Carlo Clemens (r.) Quelle: Screenshot Instagram

Das Innenministerium NRW teilte mit: „In den vergangenen Jahren sind rechtsextremistische Positionen in der JA NRW dominierend geworden und es findet eine umfassende Zusammenarbeit mit zahlreichen Akteuren der rechtsextremistischen Strömung der Neuen Rechten statt.“

Und auch Carlo Clemens scheint gut vernetzt in der Neuen Rechten zu sein. So finden sich neben dem Landtagsabgeordneten auf Fotos in den Sozialen Medien beispielsweise der Dortmunder AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich oder der ehemalige AfD-Kandidat Maximilian Schmitz.

Gegen Matthias Helferich läuft derzeit ein Parteiausschlussverfahren. Immer wieder machte Helferich medienwirksam auf sich aufmerksam, so bezeichnete er sich in 2021 geleakten Chat-Nachrichten als „das freundliche Gesicht des NS“ und erklärte, er wolle den „demokratischen Freisler“ geben. Roland Freisler war Staatssekretär im Reichsjustizministerium und Teilnehmer der Wannseekonferenz, bei der der Holocaust systematisch geplant wurde.

Maximilian Schmitz (m.) und Carlo Clemens (l.) Quelle: Screenshot FaceBook

Maximilian Schmitz ist Burschenschafter der rechten Burschenschaft „Rhenania Salingia“ und ehemaliger Düsseldorfer AfD-Kandidat. 1999 hielt das ehemalige Gründungsmitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) und späterer Holocaustleugner Horst Mahler einen Vortrag für die Mitglieder der „Rhenania Salingia“.

Auch Björn Clemens, Anwalt des mutmaßlichen NSU- Unterstützers André E. und Beschaffers der Waffe, mit der CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen wurde, findet sich in der Liste der Referent:innen.

Schmitz veranstaltete zudem im Januar diesen Jahres einen Stand der Deutschen Burschenschaft (DB) auf der Dortmunder „Jagd & Hund Messe“ – gemeinsam mit Maximilian Hunze, der 2022 wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu acht Monaten Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteilt wurde, wie das Landgericht Heidelberg mitteilte.

Er soll einen so genannten Keilgast (Gast einer Burschenschafts-Veranstaltung) aufgrund seiner jüdischen Abstammung schwer verprügelt und ihn als „Judensau“ beleidigt haben. Hunze legte Berufung ein.

Grund der kurzfristigen Planänderung sollen Sicherheitsbedenken der AfD sein

Auf Instagram teilte Carlo Clemens 2020 einen Post, unter dem er den Antaios-Verlag verlinkte und sich für die schnelle Lieferung bedankte. Dieser Verlag veröffentlicht auch die Werke des Leiters der österreichischen „Identitäten Bewegung“ (IB) Martin Sellner und des skandalbehafteten AfD-Spitzenkandidats für die Europawahl, Maximilian Krah.

Carlo Clemens bedankt sich öffentlich beim rechtsextremen Antaios-Verlag. Quelle: Screenshot Instagram

Sellner war auch bei dem „Geheimtreffen“ in Potsdam dabei, wo über die millionenfache Deportation in Deutschland lebender Menschen mit Migrationshintergrund phantasiert wurde.

Inhaber des Antaios-Verlags ist der rechtsextreme Publizist Götz Kubitschek. Sein Rittergut in Schnellroda beherbergte auch das vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Institut für Staatspolitik (IfS).

In einem Interview mit der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ erklärte Kubitschek 2007: „Der Staat, in dem wir leben, fördert eine Entwicklung, die der deutschen Nation nicht dient. … Er verhindert, dass die deutsche Nation nach der Katastrophe von 1945 zu sich selbst zurückfindet.“

Die Lehrer:innenschaft der Anne-Frank-Gesamtschule zeigt sich erleichtert, dass Carlo Clemens das Schulgebäude der Anne-Frank-Gesamtschule nun doch nicht betreten wird. Die nichtöffentliche Sitzung wird nun im Dortmunder Rathaus stattfinden.

Quellen und weitere Informationen:

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Reader Comments

  1. Niklas

    Es ist nur folgerichtig, dass die Kommission in der Anne-Frank Schule nicht mehr tagen wird. Die Position des Schulleiters, sofern er sich wirklich für die Durchführung des Besuchs und somit auch für den Besuch eines Rechtsextremisten in seinem Haus ausgesprochen hat, ist zu hinterfragen.
    Das Engagement der Lehrer*innen ist dagegen vorbildlich!
    Viele Grüße von einem Lehrer einer Nachbarschule

  2. Mara Punta

    Die Idee, eine Sitzung der Landtagskommission zum Thema Chancengleichheit in dieser Schule durchzuführen ist nachvollziehbar und richtig. Der Ortswechsel unter diesen Umständen auch. Dem Schulleiter auf diesem Wege öffentlich das Misstrauen auszusprechen ist mehr als übergriffig und widerspricht sämtlichen Kommunikationsvereinbarungen in der Schule. Sich anonym an die Medien zu wenden, ohne die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen und ohne konstruktive Vorschläge zur Lösung beizutragen zeichnet ein kleingeistiges Bild der Beschwerdeführer. In diesem Sinne haben die Lehrerinnen und Lehrer alles andere als vorbildlich gehandelt und ihrer Schule einen „Bärendienst“ erwiesen.

    • Nordstadtblogger-Redaktion

      Hallo,

      woher wissen Sie denn, dass nicht die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft und und keine konstruktiven Vorschläge zur Lösung gemacht wurden? Sind Sie selbst Lehrerin dort?

  3. Anne

    Unglaublich, dass die Schulleitung nicht direkt dagegen vorgegangen ist, obwohl man ganz genau wusste, wer Clemens ist! Als Schulleitung muss man sich von rechtsextremen AFD Mitgliedern distanzieren! Die AFG besteht zu 90% aus Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Wie kommt man auf die Idee, so eine Tagung überhaupt zuzulassen? Unglaublich! Die Lehrerschaft hat richtig reagiert und sich dagegen eingesetzt. Wäre schön, wenn die Schulleitung die Worte der Lehrerschaft von Anfang an ernst genommen hätte!

  4. Susanne

    Wäre ich Lehrkraft, hätte ich das an einer Schule, die auch noch den Namen „Anne-Frank“ trägt, auch nicht akzeptiert. Hätte sich die Schulleitung eigentlich nicht noch stärker als die Lehrkräfte in Verantwortung sehen und sich vor ihre Schützlinge stellen müssen? Ich kann mir vorstellen, dass es ein Privileg für eine Schule ist, wenn eine Landtagskommission vorbeikommt. Noch mehr müsste man sich aber verantwortlich gegenüber den Schülern, den Werten und Namen der Schule, gegenüber den Eltern fühlen. Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass man sich aktiv für die Demokratie einsetzen muss. Wir wissen doch, ein stilles Hinnehmen hilft nicht. Man muss sich aktiv gegen Rechts einsetzen, ihnen Zugänge verweigern und die rote Karte zeigen. Mit allen Mitteln der Demokratie. Und das sich eine Lehrerschaft an die Öffentlichkeit wendet, weil die Schulleitung nicht gewillt ist (und das entnehme ich dem Artikel), dann ist dieser Weg auch ein zu würdigender Einsatz gegen Rechts und für die Demokratie. Man brauch daraus keine Loyalitäts-Geschichte zu stricken. Die Loyalität sollte der Verfassung und der Demokratie gegenüber bestand haben, nicht einzelner Personen. Im übrigen schade, dass es hier darum geht, ob das Vorgehen der Lehrer richtig war, anstatt sich das mal vorzustellen, dass man einen Rechte an der Anne-Frank willkommen geheißen hätte. Das denke ich zumindest als eine Anwohnerin der Nordstadt.

  5. Sylvia

    Als ehemalige Lehrerin an der Anne-Frank-Gesamtschule bin ich wirklich entsetzt über diesen Vorgang. Die Arbeit einer Enquete-Kommission in Sachen Chancengleichheit mag Fortschritte bringen… das weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch ein Gefühl der Ehre, wenn solche Kommissionen in der eigenen Schule tagen, so wie auch die Besuche der Bundespräsidenten Herzog und auch Steinmann in der Schule von allen hocherfreut aufgenommen wurden.

    Warum aber diese Kommission inklusive des AFD-Mitglieds gerade in der Anne-Frank-Gesamtschule tagen sollte, erschließt sich mir nicht. Die Schule hat sich immer seit Bestehen gegen Rechts positioniert, hat mit Schüler- und Lehrerschaft an großen Demos in der Nordstadt teilgenommen, führt jedes Jahr Projekttage durch zum Thema Holocaust/Antisemitismus/Rechtsextremismus, erinnert an das Schicksal der „Namensgeberin“ Anne Frank, versucht seit Jahren eine Willkommenskultur für Kinder verschiedenster Herkünfte zu gestalten, vermittelt den vielen Kindern Tag für Tag demokratische Werte. Der oben beschriebene rechtsextreme Teilnehmer Clemens wäre eine Beleidigung für all dies.

    Nur gut, dass KollegInnen sich gewehrt haben und die Veranstaltung verlegt wurde.
    Danke KollegInnen!

  6. Bebbi

    Kann denn der Schulleiter einer öffentlichen Schule frei entscheiden, wer die Räume nutzt? Bei Stadthallen kann die Stadt auch nicht einfach politisch unerwünschte Parteien ausschließen, wie verschiedene Gerichte inzwischen festgestellt haben.

  7. Rüdiger

    Bedenklich ist, dass die Schulleitung erst durch das Einschalten der Öffentlichkeit davon „überzeugt“ werden konnte, den Veranstaltungsort zu wechseln. Ob das Wohl der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte an dieser Schule an oberster Stelle steht, sollte überdacht werden.

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