Am 28. März 1949 wurde die „Gesellschaft der Freunde des Auslandsinstituts“ – die heutigen Auslandsgesellschaft.de – gegründet. Das Ziel lautete damals wie heute Völkerverständigung im Geist von Humanität und Toleranz. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in einer Serie Gastbeiträge aus dem Jubiläumsmagazin zum 75. Bestehen des Vereins.
Blickt man mit dem Wissen von heute auf die historische Situation der späten 1940er-Jahre zurück, dann erst erschließt sich die Bedeutung und die Tragweite, die die Gründung eines Auslandsinstituts in der zerbombten Stadt Dortmund vier Jahre nach Kriegsende hatte.
Ein Gastbeitrag von Kurt Eichler
Den offenen politischen Diskurs mieden viele Menschen aus subjektiv nachvollziehbaren Gründen. In einer ideologisch und institutionell vom Faschismus durchtränkten Gesellschaft mussten Toleranz, demokratische Strukturen und Anerkennung des Fremden gelernt werden, und dass die junge Institution – zunächst noch ohne feste Bleibe – vornehmlich auf Dialog und Vermittlung, auf kulturelle und wissenschaftliche Themen setzte, um diese Werte und die dringend notwendige Völkerverständigung zu befördern, hat den Demokratieprozess positiv befördert.
Insofern hatte die zivilgesellschaftliche Initiative der „Gesellschaft der Freunde des Auslandsinstituts e.V.“ – so der damalige Vereinsname – noch vor Gründung der Bundesrepublik und des Europarats den Charakter einer sogenannten „Vorfeldorganisation“. Sie war dem Frieden und der Aussöhnung mit den europäischen Nachbarn verpflichtet und deckte einen Nachholbedarf an kulturellem, gesellschaftlichem und europäischem Austausch ab.
Wegbereiter des Auslandsinstituts war die „Brücke“, eine Einrichtung, die die britische Militärverwaltung bereits 1947 mit vergleichbaren Zielsetzungen eingerichtet hatte, sowie das Deutsch- Französische Institut, das Ende 1948 gegründet worden war. Beide Institutionen gingen später in die Auslandsgesellschaft über.
Dortmund verfügte damit in kurzer Zeit über ein wertvolles Potential an europäischen Beziehungen. In der Folgezeit hat dies ganz wesentlich die internationale Ausrichtung der Stadtpolitik beeinflusst und insbesondere den bürgerschaftlichen und kulturellen Austausch befördert.
Von Anfang an haben die politischen Repräsentanten und die städtische Verwaltung das Auslandsinstitut unterstützt. Mandatsträger sind bis heute in den Organen der Auslandsgesellschaft vertreten. Der Oberbürgermeister oder eine von ihm benannte Vertretung gehört laut Satzung dem Vorstand als geborenes Mitglied an und soll die
Verbindung zur Stadt untermauern. In den fünfziger Jahren ging die Trägerschaft des Auslandsinstituts sogar für kurze Zeit in die städtische Verwaltung über. Aus dieser seinerzeitigen Übernahme begründet sich die bis heute erhaltene institutionelle Förderung der Auslandgesellschaft durch die Stadt Dortmund.
Die Rückführung des Instituts in die Vereinsträgerschaft der ab 1957 umbenannten Rheinisch-Westfälischen Auslandsgesellschaft e.V. mochte auch damit zusammenhängen, dass eine stärkere zivilgesellschaftliche Verankerung, Synergieeffekte mit den Länderkreisen der Gesellschaft und vor allem mehr Eigenverantwortung erreicht werden sollten.
Gerade in dieser Zeit des Kalten Krieges waren außenpolitische Kontakte nicht ohne Risiken, vor allem in Richtung Osten. Eine städtische Einrichtung hätte diesen Autonomiestatus und die erforderliche Handlungsfreiheit, auch den Mut, bei weitem nicht in dem Umfang umsetzen können wie das unabhängige Auslandsinstitut.
Eine Pioniertat war 1951 die Organisation einer Holland-Woche
Für die Stadt Dortmund bedeutet die Existenz der Auslandsgesellschaft mit dem Auslandsinstitut und den weiteren Abteilungen ein Alleinstellungsmerkmal, über das keine andere Kommune in Nordrhein-Westfalen verfügt. Dies führte von Beginn an zu zahlreichen Verknüpfungen und Kooperationen mit städtischen Stellen, insbesondere
dem Kulturamt und ab 1990 dem Kulturbüro, in denen eine Abteilung für den Internationalen Kulturaustausch zuständig war. Eine Pioniertat war 1951 die Organisation einer Holland-Woche durch das Auslandsinstitut, gefolgt von einer Schweden-Woche zwei Jahre später.
Dieses Konzept eines kulturell-landeskundlich-politischen Austausches mit einem europäischen Land unter starker bürgerschaftlicher Beteiligung fand seine Fortsetzung in der Gründung der Auslandskulturtage der Stadt Dortmund (ab 1992: Internationale Kulturtage), die ab 1957 bis 2010 durchgeführt wurden und an denen die Auslandsgesellschaft und ihre jeweiligen Länderkreise mit eigenen Veranstaltungen mitwirkten.
Aus Kooperationen bei den Auslandskulturtagen entwickelten sich auch Städtepartnerschaften, etwa mit Rostow am Don/ Russland (1978) und Novi Sad/ Serbien (1981). Im Rahmen einer Delegationsreise der Auslandsgesellschaft fand die erste Begegnung von städtischen Vertretern mit der jüdischen Exilschriftstellerin Nelly Sachs in Stockholm statt.
Aus diesem Besuch folgte der Vorschlag des Deutsch-Skandinavischen Länderkreises, die Dichterin mit einem Preis zu ehren. Dieser wurde 1961 an die spätere Nobelpreisträgerin vergeben und hat den nach ihr benannten Literaturpreis der Stadt Dortmund begründet. Der Nelly-Sachs-Preis zählt zu den wichtigsten Literaturauszeichnungen in Deutschland.
Ab den fünfziger Jahren eröffneten die Kontakte des Auslandsinstituts nach Frankreich, Großbritannien und Italien sowie nach Skandinavien Dortmunder Chören und anderen Vereinen Besuche in diesen Ländern. Dortmunder Schulen und Jugendgruppen partizipieren bis heute an den Austauschmöglichkeiten, die die Auslandsgesellschaft organisiert. Aus diesen Begegnungen entwickelten sich dauerhafte Partnerschaften, die von der Stadt gefördert werden.
Auch die ersten Städtepartnerschaften Dortmunds mit Amiens/ Frankreich (1960), Leeds/ Vereinigtes Königreich (1969) oder Buffalo/ USA (1977) wurden initiiert durch die Austauschprogramme der Auslandsgesellschaft. Die Entsendung von Lektoraten, die Anbindung von ausländischen Austauschorganisationen und Kulturinstituten, wie
beispielsweise das Dänische Kulturinstitut, oder die Gründung von neuen Länderkreisen erweiterten vor allem seit den sechziger Jahren den internationalen Wirkungskreis der Auslandsgesellschaft und die Reputation Dortmunds als weltoffene und international aufgeschlossene Stadt. Dies betraf etwa die Verbindungen nach Mittel- und Osteuropa, aber auch nach Japan und China.
Organisation einer China-Akademie in Dortmund
1990 richtete die Rheinisch-Westfälische Auslandsgesellschaft mit dem Auslandsinstitut und in enger Verbindung mit der Stadt Dortmund die Ausstellung „Jenseits der großen Mauer. Der erste Kaiser von China und seine Terrakotta-Armee“ aus, die deutschlandweit ausstrahlte und einen Besucherboom auslöste.
Als Begleitprogramme zu dieser Präsentation sowie einer Folgeausstellung im Jahr 1993 („Chinas Goldenes Zeitalter“) organisierte die Auslandsgesellschaft jeweils eine China-Akademie.
1991 schloss die Stadt Dortmund mit der chinesischen Stadt Xian, dem Herkunftsort der Terrakotta-Armee, eine Städtepartnerschaft. Auch nach 75 Jahren hat die einstige „Vorfeldorganisation“ nichts von ihrer Wirksamkeit eingebüßt.
Es ist der Stadt Dortmund zu wünschen, dass sie in Zukunft die Auslandsgesellschaft, ihre Einrichtungen und Netzwerke, ihre Austauschprogramme und Begegnungsmöglichkeiten als nicht-staatliche Institution intensiv nutzt, wenn sie in Europa und international auftritt und wirtschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen begründen und festigen will. Es gibt in Deutschland nur wenige Städte, die eine solches Potential vor der Haustür haben. Für Dortmund und seine Bürgerinnen und Bürger ist das ein Glücksfall.
Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Jubiläumsmagazin „75 Jahre Auslandsgesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. In diesem Magazin hat die Auslandsgesellschaft 75 Jahre in die Dekaden aufgeteilt, dann das allgemeine Geschehen, der Stadt Dortmund und das, was in der Auslandsgesellschaft passiert ist, dargestellt.
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