Zum 20. Mal startete an Karfreitag (29. März 2024) der Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf. Das Ziel: Die Gedenkveranstaltung am Mahnmal in der Bittermark, das an die Toten der Karfreitagsmorde von 1945 erinnert. In diesem Jahr standen besonders der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der Angriff der Hamas auf Israel im Vordergrund.
Heinrich Czerkus war Teil des Dortmunder Widerstands gegen das Nazi-Regime
Schüsse hallen durch die Nacht, leblose Körper sacken zusammen, fallen in die Bombenkrater, die Symbolbilder eines grausamen Krieges. Gestapo-Mitarbeitende schaufeln Erde auf die Löcher, bedecken die Leichen, um ihre Gräueltaten zu verbergen – April 1945.
Einer der Toten ist Heinrich Czerkus, Widerstandskämpfer gegen die nationalsozialistische Diktatur Hitlers und Platzwart von Borussia Dortmund. Überwachungsprotokolle der politischen Polizei Dortmund aus dem Jahr 1925 belegen, dass er bereits im Jahr 1920 in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) eintrat.
Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten wurde der Dortmunder im „Kampfbund gegen den Faschismus“ aktiv, er war Teil des lokalen Widerstands gegen das Nazi-Regime, vervielfältigte Flugblätter auf der Druckmaschine der BVB-Geschäftsstelle. Gegen Kriegsende flog die Gruppierung auf – ein Spitzel hatte sie verraten.
Mordaktionen der Dortmunder Gestapo kurz vor Kriegsende töteten rund 300 Menschen
Daraufhin kam es Anfang Februar 1945 zu zahlreichen Verhaftungen durch die Dortmunder Gestapo. Berichten von Überlebenden zufolge misshandelte sie in der Gestapozentrale in Hörde zahlreiche Häftlinge, darunter auch den 51-Jährigen Heinrich Czerkus. 28 der 44 kurz zuvor Inhaftierten Widerstandskämpfer:innen wurden im Rombergpark hingerichtet. Czerkus‘ Leichnam wurde am 19. April 1945 im Rombergpark geborgen.
Kurz vor der Besetzung durch die amerikanischen Truppen ermordete die Dortmunder Gestapo vom 7. März bis zum 9. April 1945 etwa 300 Menschen in zehn solcher Mordaktionen. Drei fanden in der Bittermark statt, sechs im Rombergpark und eine am Bahndamm von Hörde.
Neben Zwangsarbeiter:innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Jugoslawien, Polen und der Sowjetunion handelte es sich bei den Opfern auch um deutsche Widerstandskämpfer:innen, die aus dem Hörder Gestapo-Keller und der Steinwache, der „Hölle von Westdeutschland“, verschleppt wurden. Mit der Befreiung durch die Alliierten begann auch die Rekonstruktion der Gestapo-Morde und die Bergung der Leichen.
Zahlreiche Menschen gedachten den Toten des Gestapo-Terrors in der Bittermarck
In diesem Jahr fand der Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf zum 20. Mal statt. Vom Stadion „Rote Erde“ in der Strobelallee gingen und joggten – trotz des regnerischen Wetters – zahlreiche Menschen durch den Rombergpark die mehr als acht Kilometer zum Mahnmal in der Bittermark. Dort erwartete sie um 15 Uhr das Gedenken.
Manfred Kossack, Sonderbeauftragter des Oberbürgermeisters für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, eröffnete die Veranstaltung. Wichtig sei es, jederzeit für Frieden, Freiheit und Menschenwürde einzutreten, „Wegschauen ist verboten“, sagte Kossack nachdrücklich. Er mahnte die Anwesenden, angesichts der Morde von 1945 und den aktuellen Kriegen: „Nie wieder ist jetzt!“
Besorgt zeigte sich er über den Rechtsruck in Europa und das Erstarken der „sogenannten Alternative für Deutschland“. Konkret ging er auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen und die Europawahl ein. Er hoffe, ein „blaues Wunder“ könne verhindert werden, so Manfred Kossack.
Bürgermeister Schilff macht auf derzeitige Hassgewalt gegen Jüd:innen aufmerksam
Der Erste Bürgermeister der Stadt Dortmund, Norbert Schilff, ergriff das Wort: „Es sind Orte wie dieser, die uns mahnen, dass wir unsere Geschichte kennen und verstehen müssen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft sichern zu können“, erklärte er.
Auch er nahm Bezug auf die derzeitig angespannte weltpolitische Lage: „Wir stehen hier, um den unschuldigen Opfern des Zweiten Weltkrieges zu gedenken. Wir stehen auch hier, um ein klares Zeichen gegen die Schrecken des Krieges und für den Frieden zu setzen.“
Der 7. Oktober – der Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel – habe eine Welle der Gewalt ausgelöst, die auch Dortmund nicht unberührt gelassen habe, so der Bürgermeister.
„Die antisemitischen Straftaten in Dortmund haben sich fast verneunfacht.“, stellte er fest. Es sei zutiefst beschämend und beunruhigend, wie wenig Solidarität und Zuspruch die in Dortmund lebenden Jüd:innen erfuhren, angesichts des unvorstellbaren Maßes an Hass und Feindseligkeit, die die jüdische Gemeinde Dortmund seit Oktober 2023 erlebe.
Alle Dortmunder:innen sollten „den jüdischen Mitbürgern beistehen, denn sie sind ein unzertrennbarer Teil unserer Gemeinschaft“, erklärte Schilff. Er richtete sich direkt an die Zuschauenden und sagte abschließend: „In der Schule, auf der Arbeit, Zuhause, am Stammtisch, im öffentlichen Personennahverkehr, wo immer wir sind, erheben Sie Ihre Stimme für Freiheit und für Gerechtigkeit!“
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Reader Comments
Werner G.
Wirkungslose Gedenkveranstaltungen seit Jahren mit immer wider gleichen leeren Floskeln und Ermahnungen!
Trotzdem sitzt eine rassistische Partei (AfD) im Bundestag und alle halten bisher schön Still bzw. schauen nur zu, genauso wie damals!!!!
IHR seid ja alle Heuchler.
Karin Faatz-berte
Und nicht mal für die Gedenkfeier plakatiert !
Die Verurteilung des Krieges im Gazastreifen hat doch nichts mit dem menschenverachtenden Antisemitismus zu tun.
Till Strucksberg
Nicht nur Heuchler. Sie machen die gleiche Politik: „Remigration“ findet jetzt schon statt, genau so wie bewusstes Sterbenlassen an Europas Grenzen. Unglaublicher Reichtum bei Wenigen, aber fast 20 % der Kinder unter der Armutsgrenze. Der Frust darüber lässt Viele an die falschen Versprechungen der AfD glauben.
Wo ist eine wirkliche Opposition? „Uns aus dem Elend zu erlösen, müssen wir schon selber tun.“
Ulrich Sander
Warum wurde nicht der Nahost-Resolution der UNO zugestimmt? Die Waffen nieder – weltweit. Denn mit Waffen ist kein Frieden zu erreichen.
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/news-kompakt-zehntausende-demonstrieren-gegen-netanjahu/ar-BB1kRCec?ocid=msedgntp&cvid=17428222d5694fe9b9833b5b9b5a9e0a&ei=18
Karfreitagsgedenken 2024 auf dem Internationalen Friedhof (PM)
Am Karfreitag fand auf dem Internationalen Friedhof der alljährliche Mahngang statt. Rund 35 Teilnehmer*innen gedacht der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in Dortmund ums Leben gebracht wurden. An den 4 Mahnmalen für jüdische Opfer sowie für polnische, serbische und sowjetische Kriegsopfer legten die Teilnehmer*innen Kränze und Blumen nieder. Anlässlich des Gedenkens zum Karfreitag wurden auch 3 Namenstafeln errichtet. Namentlich erinnert wurde an Michail Kasanjuk, Galina Laktionowa und Nina Guniwa, die auf dem Internationalen Friedehof Rennweg begraben sind.
Michail Kasanjuk musste auf der Zeche Kaiserstuhl Zwangsarbeit leisten. Er war 22 Jahre alt als er im Bombenhagel in Dortmund starb. Michael wurde am 8.10.1921 in Dorf Timanowka bei Kiew geboren. Nach seiner Schulzeit machte er eine Ausbildung zum Schlosser. Am 17. April 1941 wurde er zum Militärdienst nach Batumi in Georgien, das damals zur Sowjetunion gehörte, einberufen. Der Angriff Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 gab auch seinem Leben eine tragische Wende.
Schon im August 1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zunächst kam er in ein frontnahes Lager in Ostrow-Komorowo in Polen und im September 1941 in das Stalag (Mannschaftsstammlager) 310 (XI C) nach Bergen-Belsen in Niedersachsen. Er wurde unter der Erkennungsmarke-Nr. 13982 registriert und leistete Zwangsarbeit in Bau Bataillon 151 bei Altengrabow im heutigen Sachsen-Anhalt. Im Dezember 1942 brachte man Michail in das Stalag VI A im sauerländischen Hemer und von dort sofort in das Arbeitskommando 607R Zeche Kaiserstuhl in Dortmund.
Die Zeche Kaiserstuhl war damals in Besitz von Hoesch. Auf den Zechen des Ruhrgebiets herrschte durch die Einberufung junger Bergleute zur Wehrmacht Arbeitskräftemangel, der durch den Einsatz von sowjetischen Kriegsgefangenen behoben werden sollte. So wurden die Kriegsgefangenen zu zehntausenden auf die Zechen gebracht. Bei dem Bombenangriff auf Dortmund am 5. Mai 1943 starb Michail zusammen mit 193 weiteren Kriegsgefangenen des Arbeitskommandos 607R. Die sterblichen Überreste der Getöteten wurden auf Feld 4 des Internationalen Friedhofs ohne Nennung der Namen begraben.
Galina Laktionowa kam als junges Mädchen nach Dortmund. Sie war eine Teenagerin, 17 oder 18 Jahre alt und musste in Dortmund Zwangsarbeit leisten. Von den annähernd 5.000.000 sowjetischen Zwangsarbeiter*innen wurden, neben den Kriegsgefangenen, auch fast 3.000.000 Zivilpersonen aus der Sowjetunion nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. 4/5 waren Mädchen und junge Frauen. Die Zwangsarbeit war somit jung und weilblich. Die jüngsten waren erst 13 Jahre alt. Von Galina Laktionowa wissen wir heute nicht mehr als ihren Namen und ihr Geburtsjahr 1925. Sie starb am 8. März 1945 in Dortmund und wurde auf dem Internationalen Friedhof auf Feld 13 begraben.
Nina Guniwa wurde im August 1945 geboren. Sie wurde nur wenige Wochen alt. Nina kam wahrscheinlich in einem Lager für displaced persons in Dortmund zur Welt. Sie war zu schwach und konnte nicht überleben. Von Nina wissen wir nur ihren Namen, ihr ungefähres Geburtsdatum und ihren Todestodes. Sie wurde auf Feld 16 des Internationalen Friedhofs begraben. Auf diesem Feld befinden sich 117 Kindergräber. Die Mütter der verstorbenen Kinder mussten Zwangsarbeit in Dortmund leisten und konnten ihre Kinder deshalb nicht ausreichend versorgen.