Der „Deutsche Tierschutzbund“ warnt vor einer Überlastung der Tierheime: Laut einer aktuellen Studie beklagen 80 Prozent der Tierheime einen Aufnahmestopp für Hunde. Doch wie ist die aktuelle Situation im Dortmunder Tierheim? Der stellvertretende Leiter Max Schauerte schildert im Gespräch die derzeitige Lage und weshalb sie aus der Corona-Pandemie auch positive Lehren ziehen konnten.
Überfüllung und Aufnahmestopps – Großteil der deutschen Tierheime aktuell in Notlage
„Die Lage der Tierheime ist und bleibt extrem angespannt. Mit großen Sorgen starten wir in das Tierschutzjahr 2024“, erklärte der Deutsche Tierschutzbund Anfang Februar. Grund seien unzählige Tierabgaben aus privater Hand, Überfüllung und daraus resultierende Aufnahmestopps. Medienberichten zufolge beklagten laut einer aktuellen Studie des Tierschutzbundes rund 80 Prozent der deutschen Tierheime, keine Hunde mehr aufnehmen zu können.
Max Schauerte ist der stellvertretende Leiter des Dortmunder Tierheims. Der Tierpfleger arbeitet seit fünfzehn Jahren dort und auch er kann Unterschiede feststellen: „Seit Corona kommen mehr Tiere rein, das kann keiner leugnen.“ Auch das Dortmunder Tierheim habe „harte Spitzen“ hinter sich, in denen es zu einem kompletten Aufnahmestopp gekommen sei. ___STEADY_PAYWALL___
Angefangen habe die Aufnahmewelle jedoch erst mit Lockerung der Pandemie-Maßnahmen, denn währenddessen sei die Lage eher entspannt gewesen. „Wir hatten weniger Tiere, weil einfach weniger Zuläufe reinkamen, die Menschen hatten mehr Zeit für ihre Haustiere, waren im Home-Office“, berichtet er. Dadurch habe das Team mehr Zeit für die einzelnen Tiere gehabt, es habe mehr Platz gegeben und somit eine bessere Versorgung, so Schauerte.
Erst nach der Corona-Pandemie brachten Halter:innen ihre Tiere vermehrt ins Tierheim
„Nach Corona ging es dann ab. Mit Ablauf der Regelungen haben wir die Zunahme durchaus gemerkt“, erklärt der Tierpfleger. Zunächst seien vermehrt Kaninchen ins Tierheim gebracht worden, dann Katzen und zuletzt Hunde. Er nimmt an, dass dies mit der emotionalen Bindung zu den Tieren zusammenhängt. Diese sei zu Kaninchen eher gering und zwischen Mensch und Hund am Stärksten, so Schauerte.
Auch der Aspekt, dass Teile der Bevölkerung finanziell unter der Pandemie und der Inflation – und somit auch steigenden Tierarztkosten – litten, spiele eine Rolle bei den Abgaben und Fundtieren, vermutet er. Mit dem Aufnahmestopp habe es eine Zunahme von Fundtieren gegeben, Halter:innen setzten ihre Tiere aus der Not heraus aus, um ihnen einen Platz im Tierheim zu beschaffen.
Das stellt jedoch mindestens eine Ordnungswidrigkeit, mit einem Bußgeld von bis zu 25.000 Euro, und je nach Lage des Tieres auch den Straftatbestand der Tierquälerei und somit die Konsequenz einer Haftstrafe dar.
Dass die Zahl der Aufnahmen stetig gestiegen ist, belegen auch die Zahlen des Dortmunder Tierheims. „Im Jahr 2021 hatten wir insgesamt 807 Aufnahmen, 2022 waren es dann 1171 Neuzugänge und im vergangenen Jahr 1247 Tiere“, stellt der 36-Jährige fest.
50 Prozent weniger Rückläufe: Neuer Vermittlungsprozess seit der Pandemie zeigt Erfolg
Max Schauerte zeigt sich trotz allem gelassen – denn die Pandemie habe auch Innovationen mit sich gebracht, berichtet er. Dabei seien beispielsweise Zusammenschlüssen der regionalen Tierheime entstanden. „Die Tierheime kommunizieren miteinander und helfen sich untereinander aus“, erklärt er. So könne man Tiere im Falle einer Überlastung in ein anderes Tierheim vermitteln oder – wenn freie Plätze vorhanden – Tiere anderer Tierheime aufnehmen.
Auch die Vermittlung von Hunden habe sich zum Positiven gewandelt: „Wir haben mit Beginn der Informationslage, dass Tierverkäufe bei einzelnen Tierhändlern auf das Sieben- bis Zehnfache explodiert sind, beschlossen, dass wir unser Verfahren intensivieren müssen“, erläutert der stellvertretende Tierheimleiter. So habe das Tierheim auch während der Pandemie Tiere nur an Personen vermittelt, die auch unabhängig davon an einer Adoption interessiert gewesen wären.
„Wir haben durch Corona festgestellt, dass es viel angenehmer für die Tiere ist, wenn wir nicht dauerhaft geöffnet haben, denn das ist vor allem für die Hunde eine Stresssituation. Wir wollen schlichtweg keine Zoobesucher“, informiert er. Konkret bedeutet dies, dass Interessent:innen vorab eine Selbstauskunft ausfüllen und einen Termin vereinbaren müssen.
Für die gesamte Vermittlung selbst sei dann ein:e Pfleger:in, die Bezugsperson des Tieres, zuständig. So könne das Tierheim viel besser auf die Bedürfnisse des Tieres und der Interessent:innen eingehen und Fragen und Auskünfte beantworten, führt Max Schauerte weiter aus. Das Ergebnis spreche für sich: „Seitdem wir das so machen, hat sich die Zahl der Rückläufe halbiert.“
Die Hauptaufgabe des Dortmunder Tierheims sind Sicherstellungen und Fundtiere
Im Dortmunder Tierheim leben derzeit 220 Tiere – davon 65 Katzen, 57 Hunde, 44 Kaninchen, zehn Reptilien, zwei Nagetiere und „eine Menge Wellensittiche“, wie Schauerte schmunzelnd mitteilt. Verpflegt werden die Tieren von zwölf Tierpfleger:innen in Vollzeit, drei Auszubildenden, fünfzehn Pfleger:innen in Arbeitsgelegenheitsmaßnahmen und etwa 15 ehrenamtlichen „Gassi-Gängern“ und „Katzen-Kuschlern“.
Insbesondere Fundtiere und Sicherstellungen seien die Kernaufgabe des Tierheims. „Etwa 70 Prozent sind Fundtiere, wobei die auch zum Teil von den Besitzern wieder abgeholt werden. Die restlichen 30 Prozent setzen sich aus Sicherstellungen des Veterinär- und Ordnungsamts und Notpflegen zusammen“, klärt Max Schauerte auf. Erst wenn dann noch Plätze frei sind, nimmt das Dortmunder Tierheim Tiere aus privater Haltung auf, wobei für den Fall derzeit eine Warteliste besteht.
Notpflege, das sei beispielsweise der „klassische Fall“, dass der:die Halter:in beim Spaziergang mit dem Hund einen Herzinfarkt erleide und die Rettungssanitäter:innen das Tier vorerst an das Tierheim übergäben, schildert der stellvertretende Tierheimleiter. Sicherstellungen durch die Ordnungsbehörden erfolgten zum Beispiel dann, wenn Tierschutzverstöße gemeldet würden oder Halter:innen eines Listenhundes keine entsprechende Genehmigung vorweisen könnten. Zugenommen habe aber in letzter Zeit deutlich die „schlechte Haltung“ als Grund einer Sicherstellung.
Illeagler Welpenhandel: Eine Gefahr für Mensch und Tier, die im Tierheim endet
Auffallend sei auch die Zunahme von illegalem Welpenhandel, findet Max Schauerte. Diese Beobachtung lässt sich durch dokumentierte Fälle des Deutschen Tierschutzbundes stützen: Im Jahr 2022 protokollierte die Tierschutzorganisation 292 Fälle von illegalem Heimtierhandel, von dem 1.230 Tiere betroffen waren – zum größten Teil Hunde. „Es war noch nie so einfach, einen Hund zu kaufen. Da kommt ein Transporter wie eine Amazon-Bestellung vor deine Haustür gefahren und liefert dir dein Tier“, erklärt der stellvertretende Leiter des Dortmunder Tierheims.
Besonders perfide sei dies, wenn der illegale Handel unter dem Deckmantel des Tierschutzes stattfinde. Bemerkt würde das illegal eingeführte Tier spätestens beim Tierarzt, der dann die zuständigen Ordnungsbehörden informiere. Denn meist seien die Tiere krank, so Schauerte. Das stellte auch der Deutsche Tierschutzbund fest, in rund 80 Prozent der Fälle im Jahr 2022 waren die Tiere bereits beim Transport krank.
96 Prozent der dokumentierten Tiere wurden laut Tierschutzbund an Tierheime weitervermittelt und versorgt. „Die Tiere müssen dann zuerst in eine Quarantäne von mindestens 21 Tagen, um sicherzustellen, dass keine ansteckenden Krankheiten vorliegen, denn sie sind nicht geimpft“, berichtet der 36-Jährige. Er kritisiert den illegalen Handel scharf, denn ansteckende Krankheiten wie Tollwut, stellten eine akute Lebensgefahr für Mensch und Tier dar.
Der Großteil des illegalen Welpenhandels starte in „Welpenfabriken“ in Osteuropa, teilt der Deutsche Tierschutzbund mit. „Dort vegetieren ihre Mütter und Väter in kleinen, dreckigen Verschlägen vor sich hin. Sie stehen und liegen oftmals in ihrem eigenen Kot und Urin. Die Tiere müssen häufig ohne Tageslicht und menschliche Zuwendung leben. In besonders schlimmen Fällen werden sie mit Hormonen, Tritten und Stromschlägen zu Leistung gezwungen.
Schon nach wenigen Wochen entreißen die illegalen Tierhändler:innen die Welpen ihren Müttern. Bis dahin hatten sie noch keine Chance, ihren Nachwuchs auf das Leben vorzubereiten“, heißt es in einem ausführlichen Bericht der Tierschutzorganisation. Die frühzeitige Trennung der Mutter könne zudem schwere Verhaltensstörungen verursachen.
Mehr Bewusstsein für Tierschutz: Junges Team mit neuem Mindset verpflegt die Dortmunder Tiere
„Schön zu beobachten ist aber, dass sich der gesamte Tierschutzsektor enorm gewandelt hat“, findet Max Scheuerte. „Tierheime hatten in den 50er und 60er Jahren einen sehr schlechten Ruf. Das ethische Bewusstsein und Wissen hat das gesamte Verständnis für Tierpflege geändert“, merkt er an.
So griff in den 70er Jahren noch das „Fundrecht“ und Tiere seien nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne einfach versteigert oder im schlimmsten Fall getötet worden, erklärt der Tierpfleger. Auch sei das Trockenfutter einfach mit Kellen in die Käfige geworfen worden, einige Hunde ursprünglicher Rassen werden heute im Dortmunder Tierheim sogar mit Frischfleisch versorgt (barfen).
Das allgemeine öffentliche Interesse daran, dass es den Tieren in der eigenen Umgebung besser gehe, habe zudem stark zugenommen. Aber auch die Behörden zeigten mehr Engagement, denn in Fällen von Sicherstellungen folgt zum Teil ein Rechtsstreit, der sich über Jahre erstrecken kann. Die sichergestellten Tiere müssen so lange im Tierheim ausharren und dürfen nicht vermittelt werden, bis die Besitzrechte juristisch geklärt sind.
Den Ursprung der steigenden Qualität des Tierschutzes im Dortmunder Tierheim sieht Max Schauerte in seinen Mitarbeiter:innen. „Wir sind ein sehr junges Team mit einem Altersdurchschnitt von etwa 35 Jahren. Sie alle bringen ein ganz neues Mindset zum Thema Tierschutz mit“, sagt er wertschätzend.
Weitere Informationen:
- Das Dortmunder Tierheim freut sich immer über Sach- und Geldspenden
- Zur Website des Dortmunder Tierheims geht es hier lang: www.tierheimdortmund.de
- Eine Checkliste des Deutschen Tierschutzbundes, die aufzeigt, woran man illegalen Heimtierhandel erkennen kann, findet sich hier: www.illegalerwelpenhandel.de
- Zur Website des Deutschen Tierschutzbundes geht es hier lang: www.tierschutzbund.de
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!