Es ist ein schwieriges Thema und ein vorurteilsbehaftetes: Flüchtlinge wollen nicht arbeiten, sagen die Kritiker, sie dürfen nicht arbeiten, ihre Unterstützer. Beide Pauschalaussagen stimmen so nicht – das einzige, was stimmt: Der Einzelfall entscheidet. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Arbeitsaufnahme haben sich in den vergangenen Monaten deutlich verbessert. Daher legt die Arbeitsagentur Dortmund nun nach: „Early Intervention NRW+“ lautet der sperrige Name des Programms.
Die Arbeitsagentur möchte die Potenziale von Flüchtlingen fördern
Mit Hilfe eines neuen Projektansatzes will die Agentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund und weiteren Netzwerkpartnern die Potenziale von Flüchtlingen besser erkennen, sie auf den Arbeitsmarkt vorbereiten und schneller integrieren.
„Die gute Integration von schutzsuchenden Flüchtlingen hängt eng damit zusammen, dass sie auf dem hiesigen Arbeitsmarkt Fuß fassen. Viele Menschen, die zu uns kommen, bringen berufliche Qualifikationen mit, die diese Integration erleichtern können und die gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind“, betont Astrid Neese, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund.
„Wir setzen uns gemeinsam dafür ein, dass diese Potenziale frühzeitig erkannt werden.“ Denn viele Flüchtlinge wollen arbeiten. Sie lernen fleißig Deutsch und sind in Ausbildung und Beruf sehr engagiert, wenn sie die Chance bekommen.
Der „Talentscout“ ist erfahrener Flüchtlingshelfer und spricht fünf Sprachen
Bei der Agentur für Arbeit Dortmund ist Abdoulaye Amadou Nassamou seit Mitte März als „Talentscout“ im Einsatz. Er bietet in einem ersten Schritt Sprechstunden im „Projekt Deutsch Lernen“ in der Münsterstraße sowie in den Flüchtlingsunterkünften in Eving und Lütgendortmund an.
Er betreut Flüchtlinge mit einer beruflichen Qualifikation und einer positiven Bleiberechtsperspektive, wie sie etwa für die Herkunftsländer Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea und Somalia vorliegt.
Außerdem hilft er bei Anerkennungsverfahren und unterstützt durch Qualifizierungsangebote, Praktika und Vermittlungsvorschläge.
Amadou Nassamou kommt aus dem Niger, spricht fünf Sprachen und hat viel Erfahrung mit schutzbedürftigen und traumatisierten Flüchtlingen. In Dortmund will er ihnen helfen, auch beruflich Fuß zu fassen.
„Es geht um die Förderung der Selbstsouveränität. Sie erfahren bei uns viel Anerkennung und Wertschätzung“, sagt der 40-jährige Integrationsexperte.
Er weiß nur zu gut, wie belastend die Situation für die Flüchtlinge ist. „Die Menschen sind in einer Phase der völligen existenziellen Unsicherheit. Sie wissen nicht, was der nächste Tag oder die nächste Stunde bringt.“
Das neue Programm hat eine Kapazität von maximal 100 Plätzen
Mittlerweile betreut er 37 hoch motivierte Kundinnen und Kunden – maximal 100 sollen es werden. Darunter sind zwei syrische Ingenieurinnen aus dem Hoch- und Tiefbau. Ihr Diplom wurde 1:1 anerkannt. Sie lernen nun fieberhaft Deutsch. „Die berufsbezogene Sprachförderung folgt – dann steht einer Vermittlung nichts mehr im Weg“, macht Amadou Nassamou deutlich.
Ähnlich sieht es bei einem Mann aus Eritrea aus. In seiner Heimat hat er acht Jahre als Friseur gearbeitet. Sein Coach hat ihn in ein Qualifizierungsprojekt bei der Kreishandwerkerschaft vermittelt, das ihn binnen acht Wochen fachlich und sprachlich fit macht. Er könnte dann sehr schnell in Dortmund Arbeit finden: „Der Arbeitsmarkt ist in diesem Bereich sehr günstig“, unterstreicht der Flüchtlingscoach.
Ein Viertel der Flüchtlinge weist gute berufliche Qualifikationen auf
Etwa ein Viertel der Flüchtlinge wiesen berufliche Qualifikationen eines Facharbeiters oder höher auf, berichtet seine Chefin Astrid Neese. Dies hätten die Erfahrungen der Modellprojekte gezeigt. Auf diese Gruppe konzentriert sich das Dortmunder Programm.
„Das Projekt alleine kann das Problem natürlich nicht lösen. Es ist aber ein relevanter Beitrag zu einem frühen Zeitpunkt“, betont sie und weist die Kritik der „Rosinenpickerei“ zurück. „Wir fangen damit an, wo wir sehr schnell eine konkrete Perspektive bieten können.“
Dies sei der richtige Weg: „Wir haben uns mit den Modellagenturen abgestimmt, damit wir von deren Erfahrungen profitieren. Denn es ist ein neues und sehr komplexes Gebiet“, ergänzt Andreas Specht, Teamleiter der Arbeitsvermittlung.
Schon die Beratung sei sehr komplex: „Das braucht wesentlich mehr Zeit, schon allein um über die Sprachbarriere zu kommen.“ Daher wird Abdoulaye Amadou Nassamou perspektivisch noch Verstärkung bekommen – zwei weitere Stellen werden bei der Agentur in Dortmund geschaffen.
Wichtige Netzwerkarbeit: Unterstützung durch die Stadt und freie Träger
Für die Initiative gibt es Lob und Unterstützung seitens der Stadt und der freien Träger: „Der Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Integrationsmotor. Wir müssen die gesetzlichen Änderungen und die daraus erwachsenen Möglichkeiten dafür nutzen, ihn anzuwerfen“, sagt Birgit Zoerner, Sozialdezernentin der Stadt Dortmund.
Im Rahmen des Bleiberechtsnetzwerks hat auch die EWEDO GmbH als Integrationsträger langjährige Erfahrungen mit Flüchtlingen gesammelt: „Die Integration von Flüchtlingen in Bildung, Ausbildung und Beschäftigung ist möglich und sinnvoll“, so Detlev Becker, Geschäftsführer der EWEDO GmbH.
„Sie bedarf allerdings einer sorgfältigen Einzelfallarbeit und der intensiven Zusammenarbeit aller Akteure in Dortmund. Gemeint sind die betreffenden Verwaltungen, Trägernetzwerke und Betriebe, bzw. Kammern und das Ehrenamt.“
Ziel: Aktivitäten für Flüchtlinge ohne oder mit wenig Qualifikationen
Und dabei könne das neue Programm nur der erste Schritt sein: „Ich stelle mir vor, das Thema auszuweiten – auch auf Menschen, die keine oder wenig Qualifikationen mitbringen. Da haben wir eine ganze Reihe mit zu tun“, ergänzt Zoerner.
Denn eins ist klar: Die Menschen werden vorerst in Dortmund bleiben. „Die Flüchtlinge sind da – und das über Jahre. Sie können nicht ausgeschlossen werden“, betont Becker.
„Auch bei Flüchtlingen mit wenig oder ohne Qualifikationen müssen wir alles versuchen, um gesellschaftliche Anschlüsse zu fördern. Warum sollen wir eine ganze Bevölkerungsgruppe gesellschaftlich ausschließen und öffentlich alimentieren, wenn es andere Möglichkeiten gibt?“
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