Von Susanne Schulte
Die Diskussion um den künftigen Namen einer kleinen Straße in Dortmund-Grevel hat in den letzten Wochen große Beachtung gefunden. Nach dem gebürtigen Scharnhorster Kurt Goldstein, so hieß und heißt es in der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung Dortmund an die Bezirksvertretung Scharnhorst (BV), könnte die Sackgasse im Dorf Grevel, das zum Bezirk Scharnhorst gehört, demnächst heißen.
Drei Namensvorschläge stehen zur Wahl
Kurt Goldstein war einer der drei Vorschläge, die den Bezirksvertreter:innen von der Verwaltung vorlagen. Die anderen beiden sind Im Weiler und Halläcker. Die SPD hatte sich für die Sitzung am 31. Oktober mit einem Antrag für das amtliche Erinnern an den Antifaschisten Kurt Goldstein ausgesprochen, der nach 1951 in der DDR lebte. Einer der beiden AfD-Vertreter in dem politischen Gremium, Mike Dennis Barthold, meinte daraufhin, es sei keine Antwort auf die Verfolgung durch die Nazis, anschließend SED-Funktionär zu werden.
Von dem Leben und Arbeiten Kurt Goldsteins in der DDR wollte nun Jürgen Focke, der CDU-Fraktionsvorsitzende nichts gewusst haben. Richtig ist, dass davon nichts in der Beschlussvorlage stand.
Richtig ist aber auch, dass bereits am 12. November 2019 von der Scharnhorster Bezirksvertretung beschlossen wurde, demnächst eine angemessene Straße nach Goldstein zu benennen. Und da war Jürgen Focke ja bereits Mitglied der BV.
Die CDU stellte dann in der Oktober-Sitzung den Antrag, die Entscheidung über den Namen auf die nächste Sitzung zu verschieben.
Nun wird morgen, am Dienstag, 5. Dezember, abgestimmt. Wie die CDU votieren wird, hat sie schon vorher in einer Pressemitteilung kundgetan: Sie spricht sich gegen Kurt Goldstein als Namensgeber aus. Die erweiterte Darstellung über das Leben des gebürtigen Scharnhorsters, die die Verwaltung nachlieferte, hat die Fraktionsmitglieder nicht überzeugt.
Föderation der Widerstandskämpfer schreibt an Andrea Ivo
Nicht nur die Mitglieder des Dortmunder VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist:innen), die 2014, in dem Jahr, in dem Goldstein 100 Jahre alt geworden wäre, alle Fraktionen in Scharnhorst anschrieben mit der Bitte, die Gustav-Noske-Straße in Scharnhorst in Kurt-Goldstein-Straße umzubenennen, auch die Internationale Förderation der Widerstandskämpfer (FIR) meldete sich öffentlich zu Wort, nachdem die Abstimmung verschoben worden war.
Der Generalsekretär der FIR, Dr. Ulrich Schneider, schrieb an Bezirksbürgermeisterin Andrea Ivo: „Dass AfD-Politiker glauben, etwas gegen diese honorige Person vorbringen zu müssen, konnte nicht überraschen, war doch Kurt Goldstein Zeit seines Lebens ein aufrechter Antifaschist. Dass jedoch die CDU daraufhin eine Verschiebung der Entscheidung durchsetzte, hat uns schon erschreckt.“
„Wir bitten Sie, Frau Bezirksbürgermeisterin, sich mit Ihrer Autorität für eine würdige Entscheidung im Sinne der öffentlichen Erinnerung an diesen jüdischen Kommunisten, Spanienkämpfer, Überlebenden der KZ Auschwitz und Buchenwald einzusetzen“, so Schneider. Selbst die Tageszeitung ND (Neues Deutschland) berichtete über die Diskussionen in Scharnhorst.
Goldstein engagierte sich zeitlebens gegen Faschismus und Antisemitismus
Warum die Stadt Kurt Goldstein als Straßen-Namensgeber für würdig hält, hat das Stadtarchiv zusammengetragen und ausführlich den BV-Mitgliedern geschrieben: Kurt Goldstein wurde 1914 in Alt-Scharnhorst geboren. Seinen Eltern gehörte das Kaufhaus Emil Goldstein. 1922 zieht die Familie nach Hamm. Goldstein wird mit 14 Jahren Mitglied der SAJ, der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, später dann im kommunistischen Jugendverband Deutschland und 1930 der KPD.
Nach 1933 flüchtet Goldstein nach Palästina, kämpft ab 1936 im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten, flieht nach der Niederlage der Republik nach Frankreich, wird interniert, 1942 an die deutschen Besatzer ausgeliefert und nach Auschwitz deportiert.
Er überlebt 1945 den Todesmarsch. Nach 1946 kommt er nach Dortmund zurück, siedelt 1951 nach Ost-Berlin, arbeitet als SED-Mitglied für das Zentralkomitee und wechselt dann zum Rundfunk der DDR, wird Intendant des Deutschlandsenders, später Stimme der DDR.
„Kurt Goldstein engagiert sich zeitlebens gegen Faschismus und Antisemitismus. Er ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees und Sekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer“, heißt es weiter. 2005 erhält er das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Er stirb im September 2007.
Weitere schriftliche Anträge auf Benennung der Straße liegen nicht vor
In den bislang vorliegenden Dokumenten zu diesem Tagesordnungspunkt 12.1 in der morgigen Sitzung ist kein weiterer Antrag für einen alternativen Namen zu finden. Die AfD hatte in der Oktober-Sitzung einen mündlichen Vorschlag gemacht: Die Straße sollte nach dem Dortmunder Wolfgang Buddenberg benannt werden, einem Opfer der RAF.
Mike Dennis Barthold ließ jedoch bei seiner Wortmeldung unerwähnt, dass Buddenberg 1937 als Jura-Student in die NSDAP eintrat und bis 1945 als Gerichtsassessor und Amtsgerichtsrat tätig war. Auch nach dem Krieg arbeitete Buddenberg als Richter und schrieb viele Haftbefehle gegen RAF-Mitglieder.
1972 explodierte ein Sprengsatz unter seinem Auto, in dem er jedoch nicht saß. Er ging laut Darstellung eines Internet-Nachschlagewerks an diesem Tag zu Fuß zur Arbeit. Seine Frau wurde jedoch schwer verletzt.
Reader Comments
Ulrich Sander
Es stand im Neuen Deutschland, Berlin, 4. Dezember 2023 – Eingesendet von einem Nordstadtblogger-Leser
Reaktionäre Geschichtspolitik
Sebastian Weiermann über die Entsorgung des Antífaschismus
Warum schreibe ich hier über eine winzige Straße in Dortmund, deren Benennung nur Thema in der dortigen Bezirksvertretung ist? Weil die Straße uns etwas über gesellschaftliche Entwicklungen in diesem Land sagt. Denn Kurt Goldstein, um den es hier als Namensgeber geht, war Kommunist und Jude. Kurt Goldstein war Antifaschist.
Als in den 90ern Häuser brannten und Nazis wieder begannen, ihre Aufmärsche zu zelebrieren, da war er da. Stand dagegen auf, sprach bei Demonstrationen, stellte sich den Faschist*innen entgegen. Noch viel wichtiger: Er ging in Schulen und berichtete dort über die Schrecken des Holocausts. Kurt Goldstein hatte ein Außenlager von Auschwitz überlebt. Für dieses Engagement wurde er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Goldsteins Ehrung fand in einer Zeit statt, in der Deutschland sich – man kann viel dann – als Musterschüler in der Geschichtsaufarbeitung verstand und inszenierte.
Dass er Kommunist war und auch in der DDR Funktionen innehatte, spielte bei der Ehrung eine geringere Rolle als Goldsteins Einsatz gegen alte und neue Nazis.
Von diesem »geläuterten« Deutschland ist immer weniger übrig. Die AfD will es loswerden, sie will uneingeschränkt »stolz auf Deutschland« sein. In Dortmund hat sie versucht, Kurt Goldstein wegen dessen Funktionen in der DDR zu diskreditieren. Mit Erfolg, die CDU ist darauf eingestiegen.
Das zeigt nicht nur, dass die »Brandmauer« zur AfD nicht viel mehr als eine Worthülse ist, es zeigt auch, dass die CDU sich ideologisch weiter an die AfD anpasst. Antífaschismus ist in diesem Land kaum noch etwas wert. Eine winzige Straße in Dortmund ist ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zu Blau-Schwarz.