Polizei und Ordnungsamt gehen seit August mit Schwerpunkteinsätzen gegen aggressives Betteln, illegales Campieren und öffentlichen Drogenkonsum bzw. -handel vor. „Wir wollen die Belästigungen bekämpfen, was uns sehr wichtig ist“, betont OB Thomas Westphal. Während den Einsatz insbesondere der Handel begrüßt, wird der repressive Umgang von Obdachloseninitiativen und den Betroffenen selbst kritisiert. Ordnungsdezernent Norbert Dahmen legte jetzt interessante Zahlen für das erste Halbjahr 2023 vor.
Durch den Kontrolldruck soll die Zahl der Verstöße reduziert werden
Die Stadt hat einen Sonderstab eingerichtet, bei dem eine Vielzahl von städtischen Ämtern mit externen Partnern wie der Polizei, der DEW21, der DSW21 und der EDG zusammenarbeitet. Es geht der Stadt vor allem darum, die verstärkte Belästigung von Bewohner:innen, Beschäftigten und Kund:innen zu reduzieren. Mit Blick auf die aktuellen Kontrollen scheint dies zu gelingen – die Fallzahlen sind rückläufig.
Schon vor den Schwerpunkteinsätzen gab es eine Vielzahl von Kontrollen, die mittlerweile detaillierter ausgewertet wurden. Zwischen Januar und Juni wurden in der Innenstadt 279 Personen wegen aggressiven Bettelns verwarnt, 227 davon mehrfach. Nur 27 Prozent davon sind in Dortmund gemeldet, 57 Prozent haben keinerlei Meldeadresse.
Bei den Drogendelikten hat das Ordnungsamt 880 Taten registriert – begangen von 420 Täter:innen. Hier sind nur 28 Prozent in Dortmund gemeldet, 60 Prozent verfügen über keine Meldeadresse, so Ordnungsdezernent Norbert Dahmen.
Beim Vorwurf des illegalen Lagern und Campieren wurden im ersten Halbjahr 708 Taten geahndet – insgesamt 205 Personen wurden aufgegriffen. Hier sind lediglich acht Prozent in Dortmund gemeldet. 84 Prozent verfügen über keinerlei Meldeadresse. Diese Angaben sind deshalb interessant, weil sie u.a. der Suchthilfe und der Sozialverwaltung helfen können, die Hilfsangebote zu optimieren.
Stadt bzw. Jobcenter gehen von bis zu 600 Wohnungslosen in Dortmund aus
Die Zahlen lassen aber auch einen anderen Rückschluss zu: Denn Hilfen können nur die Menschen in Anspruch nehmen, die anspruchsberechtigt sind. In Sachen Notunterkunft bedeutet dies eigentlich, dass nur acht Prozent der Menschen, die wegen des Vorwurfs „Illegales Lagern und Campieren“ angezeigt wurden, die Dortmunder Notschlafstellen kostenlos nutzen dürfen. Die weiteren 84 Prozent, die außerhalb von Dortmund gemeldet sind oder waren, müssten in ihrer Heimatstadt Hilfe in Anspruch nehmen. Der überwiegende Teil dürfte im Umkehrschluss die angebotenen Hilfen nicht in Anspruch nehmen bzw. müsste sie selbst bezahlen.
Dieser Darstellung widerspricht die Stadt: „Die von der Stadt beauftragten Träger stellen sicher, dass jedem Menschen, der einen Übernachtungswunsch äußert, weil er sich nicht selbst helfen kann, ein Angebot gemacht wird“, teilt Stadtsprecherin Anke Widow auf Nordstadtblogger-Anfrage mit.
Allerdings geht sie dabei nicht konkret auf die Personen ein, die entsprechende Anzeigen kassiert haben. Stattdessen verweist die Stadtsprecherin auf allgemeine Zahlen. So erhalten rund 90 Prozent der Menschen, die in den Unterkünften für Wohnungslose übernachten, Sozialleistungen zum Lebensunterhalt. „Das bedeutet, dass die Gebühren für die ,Kosten der Unterkunft’ damit bereits abgedeckt sind, so dass die Menschen keinerlei ,Mehrkosten’ zu tragen haben, wenn sie die Angebote nutzen“, so Widow.
Hinzu kämen die sogenannten „Selbstzahler:innen“: Das sind Menschen, die keine Sozialleistungen erhalten, aber zeitweilig die Notschlafstellen nutzen. Sie belegen durchschnittlich 10 bis 13 Prozent der 124 Betten in der Frauen- und in der Männerübernachtungsstelle. „Aus Sozialleistungsbezug – Sozialgeld/SGB XII und Bürgergeld/SGB II – sind der Stadt und dem Jobcenter 500 bis 600 Leistungsempfänger:innen bekannt, die als ,wohnungslos’ erfasst sind. In dieser Gruppe gibt es eine hohe Fluktuation“, berichtet die Stadtsprecherin.
Die Stadt hält 164 Notschlafplätze sowie Belegwohnungen für 350 Menschen vor
Zur Begriffsklärung: Als wohnungslos gelten Menschen, die keine eigene Wohnung haben, über die sie als Mieter:innen ständig verfügen können. Somit ist nicht jede:r „Wohnungslose“ auch gleich „obdachlos“, jedoch jede*r „Obdachlose“ ist wohnungslos. Einige Menschen übernachten kurz- oder längerfristig bei verschiedenen Freunden, Verwandten, Bekannten.
Von den genannten 500 bis 600 Menschen, die die Stadt Dortmund offiziell als wohnungslos führt, haben bis zu 164 Menschen die Möglichkeit, die Plätze in den städtischen Notschlafstellen zu nutzen. Die Belegungsquote liegt bei durchschnittlich 90 Prozent.
Insgesamt rund 350 Menschen leben zurzeit in den städtischen Belegwohnungen aus dem sogenannten Wohnraumvorhalteprogramm. Die Teams der Wohnungslosenhilfe treffen auf 30 bis 40 Menschen, die zwischenzeitlich „auf der Straße“ schlafen. Genauere Angaben dazu seien nicht möglich, so Widow.
Verweise auf Selbsthilfe und Rückreise in Herkunftsstädte
Dass niemand abgewiesen und allen ein Angebot gemacht bestreiten die Obdachlosenverbände regelmäßig. Zumindest gibt es für Menschen, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, keine längerfristigen Angebote, sondern nur akute Hilfestellungen. Hier verweist die Stadt Dortmund auf Selbsthilfemöglichkeiten, das Organisieren eines selbst finanzierten Schlafplatzes sowie die Möglichkeit zur Rückreise in die jeweilige Heimatstadt.
Dazu gebe es auch Hilfestellungen, erklärt Anke Widow: „Hilfesuchende EU-Zugewanderte ohne den oben genannten Leistungsanspruch können bis zur Ausreise in ihr Herkunftsland Überbrückungsleistungen erhalten. Auf Antrag zahlt das Sozialamt zusätzlich die angemessenen Kosten der Rückreise. In besonderen Härtefällen, die eine Rückreise aktuell nicht möglich machen, zum Beispiel eine schwere Erkrankung, werden auch weitere Leistungen gewährt.“
Allerdings schließen viele der Betroffenen, trotz ihrer hier prekären Lebensumstände, eine Rückkehr in ihr Heimatland aus. Nur 24 Personen haben im vergangenen Jahr in Dortmund die Hilfe zur Rückreise in Anspruch genommen. „Der Stadt Dortmund sind diese problematischen Zusammenhänge mit der Zuwanderung aus EU-Staaten seit langem bekannt“, betont die Stadtsprecherin.
Umfangreiches Unterstützungsnetz für EU-Zugewanderte
„Die Stadt Dortmund und zahlreiche Akteur:innen arbeiten seit Jahren daran, den Personenkreis bestmöglich zu unterstützen und zu fördern. Eingebettet in eine Gesamtstrategie bauten die Netzwerkpartner:innen ein umfangreiches Unterstützungsnetz für EU-Zugewanderte auf. Hierfür werden Fördermittel von Bund, Land oder EU akquiriert“, heißt es weiter.
Die Stadt Dortmund bringe sich zusätzlich mit freiwilligen Zuwendungen finanziell in die Projektförderung ein. Maßnahmen zielten dahin, den Zuwanderer:innen zu helfen, Fuß zu fassen, Arbeit zu finden, ihre Krankenversicherungsansprüche zu klären etc..
Seit Mai 2022 bietet die Ökumenische Anlaufstelle „Willkommen Europa!“ ein vom Sozialamt finanziertes muttersprachliches Clearing für Unionsbüger*innen ohne Leistungsansprüche an, die von Armut betroffen sind und denen es nicht gelungen ist, sich eine Existenz aufzubauen und am Regelsystem in Deutschland anzuknüpfen. Ziel dieser Beratung ist es vor allem, rückkehrwillige Menschen dabei zu unterstützen, in ihr Heimatland zurückzukehren und dort die notwendige Hilfe und Unterstützung zu erhalten.
Übersicht der Notschlafstellen:
In Dortmund gibt es eine Männerübernachtungsstelle (Träger: European Homecare GmbH), eine Frauenübernachtungsstelle (Trägerin: Diakonisches Werk), die Städtische Notschlafstelle für wohnungslose junge Erwachsene gap jump (Träger: European Homecare GmbH), die Städtische Notschlafstelle für wohnungslose Drogenabhängige (Träger: Soziales Zentrum e.V.) sowie das Sleep-In Stellwerk für Jugendliche (Träger: Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen NRW e.V.)
Die Männerübernachtungsstelle bietet 70 Schlafplätze in Zimmern für zwei bis vier Personen. Die Übernachtungsstelle für Frauen hat 50 Schlafplätze mit Zimmern für zwei Personen. Die Notschlafstelle für junge Erwachsene bietet 20 Betten, die Notschlafstelle für Drogenabhängige bietet ebenfalls 20 Betten, für Jugendliche stehen im Sleep In zehn Betten bereit.
Zudem hat die Stadt Dortmund eigens zur Unterbringung der obdachlosen Menschen nach eigener Einschätzung „in ausreichender Anzahl“ Wohnungen angemietet, die sie diesen in einem festgelegten Rahmen zur Verfügung stellen kann. Diese werden über das sogenannte Wohnraumvorhalteprogramm im Sozialamt verwaltet. Von hier aus gelingt einigen Menschen auch der Sprung (zurück) auf den regulären Mietwohnungsmarkt.
Im Rahmen des sozialen Managements des Sozialamtes besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass Nutzende und Vermieter:in sich über die Übernahme des Mietvertrages einigen, so dass die/der Betroffene auf diesem Wege am Ende wieder eine eigene Wohnung, ein „eigenes Zuhause“ hat. Die Stadt verliert dabei eine Ressource aus dem Bestand, würde das Portfolio über Einheiten durch Neuanmietung aber auffüllen.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Hat es Spaß gemacht oder war es Arbeit? Oder beides? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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