Die Dortmunder Mitternachtsmission konnte dank einer Förderung des Diakonischen Werks RWL ein neues Projekt ins Leben rufen. Leiterin Andrea Hitzke und die „alte, neue“ Mitarbeiterin Samira Fifowski erklären im Gespräch, worum es sich bei dem Projekt handelt und geben Einblicke in ihre Arbeit.
Energie-Projekt soll marginalisierten Personen bei steigenden Kosten helfen
Die Dortmunder Mitternachtsmission unterhält als eigenständiger, gemeinnütziger Verein im Dachverband des Diakonischen Werkes seit 1918 in Dortmund eine Fachberatungsstelle für Sexarbeitende und ist spezialisierte Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution. Mitarbeitende der Mitternachtsmission sind sieben Tage die Woche mindestens zwei Mal täglich aufsuchend zu zweit im Milieu unterwegs.
Mittlerweile arbeiten 19 Personen hauptamtlich in der Hilfseinrichtung und mehr als fünfzehn Honorarkräfte. Hinzu kommen einige ehrenamtliche Mitarbeitende. Im Jahr verzeichnen sie rund 1000 Klient:innen, dabei sind mehr als 400 Personen Opfer von Menschenhandel, hauptsächlich Frauen und Mädchen, aber zunehmend auch Männer.
Die Herkunft der Klient:innen, die von Menschenhandel betroffen sind,variiert je nach weltpolitischer Lage, seit 2013 sind es überwiegend Frauen aus westafrikanischen Ländern. ___STEADY_PAYWALL___
Durch die Energiehilfen der evangelischen Kirche konnte die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. im Juni 2023 im Rahmen einer Projektförderung ein weiteres Unterstützungsangebot für die Klient:innen schaffen. Das geförderte Projekt bietet den Klient:innen Hilfe rund um das Thema Energie. Vorerst ist die Förderung begrenzt auf ein halbes Jahr und endet im Dezember diesen Jahres. Die Fördergelder kann die Mitternachtsmission vielfältig einsetzen: So wurde ein Budget bewilligt, dessen Gelder in konkrete, personenbezogene Bedürfnisse fließen, und auch Personalkosten für eine 50 prozentige Projektstelle decken.
Barriere für Sexarbeitende bei Beratungsstellen meist zu hoch
„Zu Beginn der Energiekostensteigerung kam eine Klientin zu uns, die von Menschenhandel betroffen ist, und einen Anwalt wegen ihrer Aufenthaltsgenehmigung beschäftigt. Als dann eine Stromrechnung von 500 Euro auf sie zu kam, musste sie entscheiden was ihr wichtiger ist: Die Anwaltsrechnung oder die Stromrechnung“, erzählt Andrea Hitzke, die Leiterin der Mitternachtsmission.
Durch Zufall habe die Klientin im Gespräch mit Mitarbeitenden der Hilfseinrichtung von der prekären Situation berichtet. Und sie sei nicht die Einzige gewesen, die unter den Folgen der hohen Energiepreisen leide.
Andrea Hitzke erklärt die Problematik: „Es ist so, dass Bezieher:innen von Sozialleistungen die Miet- und Gaskosten finanziert bekommen. Die Stromrechnungen müssen aber selbst gezahlt werden. Wir haben auch Klient:innen, die aus anderen EU-Ländern kommen und keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, da wird es zur Zeit ganz heikel.“
Zudem gehörten Menschen, die in der Prostitution arbeiten, einer vulnerablen, stigmatisierten und an gesellschaftlichen Rand gedrängten Gruppe an. Die Angst vor Diskriminierung erschwere Klient:innen oft den Weg zu anderen Beratungsangeboten, weshalb es so wichtig sei, dass das Angebot in der Mitternachtsmission angeboten würde.
Aus den Geldern des Förder-Fonds kann die Mitternachtsmission Beihilfen auszahlen, also beispielsweise die Stromrechnungen der Klient:innen bezahlen oder helfen, alte, wenig effiziente Geräte durch Neue zu ersetzen. Auch niedrigschwellige Energieberatungen, sowohl aufsuchend, als auch in den Räumlichkeiten der Mitternachtsmission, werden nun angeboten.
Insbesondere für von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffenen Klient:innen, die nach traumatischen Erfahrungen einen Neuanfang beschreiten und erste Erfahrungen mit Stromverträgen oder Entscheidungen bezüglich der Erstausstattung treffen müssen, sei diese Beratung und Unterstützung sehr wertvoll.
Samira Fifowski, die „neue, alte Mitarbeiterin“ besetzt die geförderte Stelle
Samira Fifowski arbeitet seit mehreren Jahren bei der Mitternachtsmission als Honorarkraft und hat kürzlich ihren Bachelor in Soziologie absolviert. Über eine Freundin sei sie zu der Beratungsstelle gekommen, erzählt die junge Frau. „Ich wohne in der Nordstadt und habe daher schon viel von der Szene mitbekommen. Wichtig war mir außerdem immer schon, eine sinnvolle Arbeit auszuüben“, erklärt sie. „Wir lachen auch viel und haben Spaß, trotz der Ernsthaftigkeit unserer Arbeit“, ergänzt sie schmunzelnd.
Auf die Frage, ob sie Bedenken hatte vor Beginn des Arbeitsverhältnisses erwidert sie: „Ich habe hier eine sehr große Verantwortung, dessen bin ich mir bewusst und das war zu Beginn etwas einschüchternd. Natürlich hatte ich auch Angst vor der schwere einzelner Schicksale. Ich wurde im Vorstellungsgespräch gefragt, ob ich denke, dass ich Distanz wahren kann und da habe ich ehrlicherweise gesagt, dass ich das vorab nicht einschätzen kann.“
Mit der Zeit und durch das Ausführen ihrer Arbeit habe sie dann eine gesunde Nähe-Distanz-Beziehung erlernt, jedoch gebe es immer wieder Ausnahmefälle: „In Situationen, in denen ich merke ,Das geht mir jetzt zu nah‘ habe ich die Möglichkeit, Fälle im Team zu besprechen. Dann bin ich mit der Situation nicht alleine.“
Die neue, durch die Projektförderung geschaffene Stelle besetzt die Dortmunderin seit Juni. „Samira kennt die Szene schon durch ihre vorherige Streetwork-Tätigkeit und hat keine Berührungsängste. Das hat den Einstieg in ihre jetzige Tätigkeit sehr erleichtert“, bewertet Andrea Hitzke die Wahl der neuen Mitarbeiterin.
Ihre Stunden seien durch die Beratung – die auch aufsuchend erfolgt – bereits gut gefüllt, erklärt Samira Fifowski. Zum Teil begleite sie die Kolleg:innen, die in anderen Bereichen arbeiten und weise auf das neue Angebot hin. „Die Nachfrage nach unserer Energiehilfe ist sehr hoch. Wir erfahren eine äußerst positive Resonanz“, verrät sie.
Fifowski trägt ihre Erfahrungen weiter in ihre Awareness-Arbeit in einem Dortmunder Kollektiv
Samira Fifowski ist neben ihrer Tätigkeit bei der Mitternachtsmission auch zuständig für die Awareness-Arbeit in einem Kollektiv. Das bedeutet, dass sie eine Anlaufstelle für Personen ist, – meist im Rahmen von Veranstaltungen – die sich in unangenehmen oder gefährlichen Situationen befinden, wie beispielsweise sexuell belästigt oder diskriminiert werden.
Auf die Frage, ob ihr Hobby und ihr Beruf miteinander zusammen hängen, erwidert sie: „Ich konnte Ungleichheiten immer schon ganz schwer hinnehmen und möchte einen progressiven Wandel mitgestalten, das liegt natürlich auf allem, was ich mache.“ Die Erfahrungen, die sie in der Mitternachtsmission mache, befeurten diese Bestreben noch mehr und sensibilisierten sie.
Zudem hinterfrage sie Machtverhältnisse äußerst kritisch und nehme Diskriminierungsformen wahr: „Tagtäglich habe ich mit Personen zu tun, die mehrfach-Diskriminierung erfahren. Zu sehen was auch staatliche Institutionen teils verhindern oder erschweren, schärft den Blick auf den „Status-quo“, bewertet Samira Fifowski.
Die Mitternachtsmission hofft auf fortlaufende Projektfinanzierungen
„Wir haben einige Kolleg:innen hier – so wie Samira – die keine soziale Arbeit studiert haben“, erklärt die Leiterin der Mitternachtsmission. Vielmehr stellten sie Personen aufgrund ihrer persönlichen Kompetenzen ein. So sei beispielsweise ohne drei afrikanischen Kolleginnen, die als pädagogische Fachkräfte arbeiten, aber keine Sozialarbeiterinnen sind, „nix möglich“.
Die Kolleginnen deckten zu dritt etwa zwanzig afrikanische Sprachen ab und brächten viel kulturelles Wissen aus den Ländern mit, ohne das die afrikanischen Klient:innen nicht verstanden werden könnten, berichtet Hitzke und nennt ein konkretes Beispiel: „Einige afrikanische Personen schauen Autoritätspersonen aus Respekt nicht direkt in die Augen. Das wussten aber weder wir, noch die zuständigen staatlichen Behörden und haben das Verhalten missinterpretiert.“ Dies habe den Umgang massiv erschwert.
Ebenso wie Samira Fifowski wurden die Stellen für die drei afrikanischen Mitarbeiterinnen aus einer Projektförderung geschaffen, die zeitlich begrenzt ist. Andrea Hitzke wünscht sich, dass sowohl alle vier Stellen fortlaufend gefördert werden. „Ohne diese Kolleginnen geht es schlichtweg nicht“, erklärt sie mit fester Stimme.
„Und ich glaube auch nicht, dass bis zum Ende der Projektförderungen weniger Personen in prekären Situationen in der Prostitution arbeiten oder aus westafrikanischen Ländern, die von Menschenhandel betroffen sind, zur Mitternachtsmission kommen“, ergänzt sie abschließend.
Weitere Informationen:
Zur Website der Dortmunder Mitternachtsmission geht es hier lang: Mitternachtsmission.de
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