„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, sagt meine Tante immer. Der Körper zwickt, das Haar wird grau und alte Menschen gelten als wenig attraktiv. Insbesondere alte Frauen sind in der Öffentlichkeit nahezu unsichtbar – liegt das vielleicht auch an der Gestaltung des öffentlichen Raums selbst? Wie wäre es, wenn sich alte Frauen Raum erobern und das wortwörtlich? Das Theaterkollektiv „stegemann-schubert“ lädt zur einer feministische Stadtraum-Begehung zwischen Theater, Tanz und Hörspiel ein.
„Der Putz blättert, aber Vielfalt und Leben sind überall spürbar“
Nicola Schubert und Karoline Stegemann haben sich 2011 an der Schauspielschule kennengelernt. Sie arbeiten als Kollektiv an der Schnittstelle von Recherche, Text, Performance und Schauspiel und „ageing trouble“ ist ihr viertes gemeinsames Projekt.
Rund zwei Jahre haben sie an Konzept und Umsetzung gearbeitet und das Stück extra für die Dortmunder Nordstadt konzipiert. „Wir arbeiten immer ortsspezifisch und wir fanden, der Stadtteil passt gut zu unserer Botschaft. Hier und da blättert der Putz, aber überall sind Vielfalt und Leben spürbar“, erzählt Stegemann. ___STEADY_PAYWALL___
Zwei Generationen von Frauen haben gemeinsam an der ungewöhnlichen Themenkombination „Altersdiskriminierung und Stadtplanung“ gearbeitet. Das Ergebnis lässt sich am 15. und 16. September als performativer Audiowalk erleben.
„Wir nehmen alle Menschen mit auf einen Spaziergang, der von szenischen Arrangements im Stadtraum begleitet wird“, erklärt Nicola Schubert. „Die Teilnehmenden tragen Kopfhörer und hören Interviews, Musik und Sounds. Tanz, Schauspiel und Performance verbinden sich dann live mit dem Gehörten zu einem ganz besonderen Erlebnis und man sieht die Umgebung mit anderen Augen.“
Tanzen ist immer möglich – es geht hier um Freiheit
Der Spaziergang startet am Rekorder II in der Scharnhorststraße 68 und geht dann u.a. zum Blücherpark. Bei der Probe erleben wir dort die Tänzerin Marta Herrero Cagigal. Sie ist 65 Jahre alt, war Solistin an der Oper Düsseldorf, aber mit 31 Jahren war Schluss. Das tanzen noch immer möglich ist, stellt sie hier unter Beweis. Mit großen und kleinen Gesten erobert sie den Park, tanzt und springt auf der Wiese.
Für die jungen Männer auf den umliegenden Bänken sieht das ein wenig seltsam aus. Sie hören ja keinen Ton und sehen nur diese kleine, ältere, schwarz gekleidete Frau, die zu großen Sprüngen ansetzt. „Macht ihr Yoga?“, fragt einer der Jungs. „Es geht um Freiheit“, sagt Cagigal.
Auch im Stück kommt sie zu Wort: „Ich habe 1000 Pirouetten gedreht, es gibt so viele Erlebnisse, sie machen mich zu einer glücklichen Person.“ Weitere Frauen erzählen von ihren Erfahrungen und Ängsten, reflektieren ihr Leben – die Gesprächspartnerinnen sind zwischen 65 und 80 Jahre alt und „stegemann-schubert“ haben sie über den Planerladen, das Café Concordia und den Dortmunder Sprechchor gefunden.
Sie alle haben eine Geschichte zu erzählen – doch wer hört ihnen sonst zu? Nach einer Stunde wird der Spaziergang am Seniorenheim an der Schützenstraße enden. „Alle diese Frauen sollte man einmal nach ihren Erfahrungen fragen“, so eine Teilnehmerin „hier ist so viel Potenzial“.
Die Gestaltung des Stadtraums ist auch ein Ausdruck von Machtverhältnissen
Ginge es nach den Regisseurinnen, sollten alle alten Frauen raus aus dem stillen Kämmerlein, sich was zutrauen und sich zeigen. Aber das ist gar nicht einfach, wenn der Weg beschwerlich ist, keine Bank zur Pause einlädt oder alles schlecht beleuchtet ist.
Mit dem Rollator oder einem Einkaufswagen ist auf dem Bürgersteig oft kein Durchkommen – „falsche Prioritäten bei der Stadtplanung“, findet Nicola Schubert, denn auch junge Frauen – z.B. Frauen mit Kinderwagen – haben das Problem und dies sei eben auch ein „Ausdruck von Machtverhältnissen“.
Für diese Beobachtungen will das Team sensibilisieren und den Blick schärfen: „Wie schön wäre es, wenn wir am Ende anders durch die Stadt gehen, mit erhobenem Kopf, flexen“, so Stegemann.
Flexen? „Sich Raum nehmen, sich einfach mal breit machen“, meint sie. Frauen sollten zu Flaneusen werden, die nicht länger ängstlich und vorsichtig durch die Straßen laufen und bestimmte Orte und Zeiten vielleicht sogar meiden, sondern sie sollten selbstbewusst flanieren können. Es ist (wie es im Stück einmal heißt) der „Traum von einer Stadt voller Luft und Licht, einer feministischen Stadt, in der wir uns sich sicher fühlen“.
Weitere Informationen:
- 15. und 16. September 2023 jeweils um 17 Uhr und um 19 Uhr
- Treffpunkt: Rekorder II, Scharnhorststraße 68, 44147 Dortmund
- Tickets (15 Euro) an der Abendkasse und auf rausgegangen.de
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