Großes Interesse an „Arme Roma – Böse Zigeuner: Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt“

Arme Roma - Böse Zigeuner
Mehr als 100 Interessierte kamen zum Vortrag, zu dem Auslandsgesellschaft und Planerladen eingeladen haben. Fotos: Alex Völkel

Das Thema kommt an: „Arme Roma – Böse Zigeuner – Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt“ lautet der Titel des Buchs von Norbert Mappes-Niediek. Der Journalist und Buchautor stellte jetzt seine Erkenntnisse in Dortmund vor. Auslandsgesellschaft und Planerladen hatten dazu ins Dietrich-Keuning-Haus eingeladen. Das Besucherinteresse war riesig: So groß, dass ein weiterer Raum hinzugenommen werden musste, weil mehr als 100 Interessierte kamen.

Der Begriff „Roma“ als Synonym für Armut und Armutsflüchtling genommen

Arme Roma - Böse Zigeuner
Norbert Mappes-Niediek hat das Buch„Arme Roma – Böse Zigeuner“ geschrieben.

Mappes-Niediek versuchte, Licht ins Dunkel und den Dschungel aus Vorurteilen zu bringen. Denn die Armutszuwanderung ist gerade in der Nordstadt ein Thema. Vor allem die Roma werden dann genannt, die aus Rumänien und Bulgarien gekommen sind. „Roma“ – früher als „Zigeuner“ bezeichnet. Der Begriff schürt Ängste: „Wenn es das Wort Roma nicht gäbe, was wäre anders? Wir würden einfach von Armen sprechen“, betonte der Autor.

Die „Mittelschicht“ der Roma kommt nach Dortmund

Doch wer sind „die“ Roma? Drei verschiedene Gruppen hat der Autor identifiziert: Assimilierte Roma, die sich von der Mehrheitsgesellschaft in den jeweiligen Heimatländern nicht unterscheiden, die Mittelschicht und die ganz Armen, die überwiegend in kleinen Dörfern leben.

Doch welche Menschen stehen auf dem sogenannten „Schwarzarbeiterstrich“ in der Mallinckrodtstraße? „Die Mittelschicht“, lautete die überraschende Antwort des Südosteuropa-Korrespondenten. Allerdings habe diese Mittelschicht nichts mit der Schicht zu tun, die wir in Deutschland kennen. Der Unterschied ist, dass die ganz armen Roma nicht kommen. „Sie wandern nicht. Ihr Horizont endet am Dorfrand“, so Mappes-Niediek. Manche lebten sogar noch als Jäger und Sammler in Wäldern.

Einführung der Marktwirtschaft machte nach 1990 fast alle Roma arbeitslos

Wieso kommen sie nach Deutschland? Die Antwort ist verblüffend einfach: In ihrer Heimat sind sie fast alle arbeitslos. Das war nicht immer so: „Bis 1990 hatten sie alle Erwerbsbiographien“, erläuterte der Gast. Doch mit dem Übergang zur Marktwirtschaft fielen beispielsweise in Rumänien mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze weg: Es gab dort 1990 noch 8,4 Millionen Arbeitsplätze. Heute gibt es in Rumänien nur noch vier Millionen. Die einfachen Jobs fielen als erstes weg. Es waren die schlecht ausgebildeten Arbeiter, die als erstes arbeitslos wurden. Dazu gehörten vor allem auch Roma. Seit dem habe sich ihr Leben drastisch verändert: „Puzzle-Existenzen“ nennt der Autor ihr Schicksal. Sie müssen alle Möglichkeiten nutzen, um zu überleben. Gelegenheitsjobs, Handel und Schrotthandel, Betteln und Prostitution und auch Diebstahl – alles, was zum bescheidenen Lebensunterhalt beiträgt. Ihr einziges soziales Sicherheitsnetz ist die Familie. Die Clans bringen etwas Rückhalt.

„Die Folgen der Armut werden als Ursachen der Armut umgedeutet“

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„ Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt“  ist die Fragestellung bei Buch und Vortrag.

Unter den Menschen, die aus Südosteuropa nach Deutschland kommen, seien die Roma nicht überproportional vertreten. Allerdings gebe es einen gravierenden Unterschied: Bei den Bulgaren und Rumänen kommen vor allem die gut ausgebildeten Menschen. Bei den Roma sind es die Armen. „Daher gibt es eine verzerrte Wahrnehmung“, glaubt der Autor.

Doch sind sie nicht integrierbar? Sind sie an ihrem Schicksal selbst schuld? „Das ist hinlänglich widerlegt“, betonte Mappes-Niediek. Doch ist im Umkehrschluss also die Mehrheitsgesellschaft, die die Roma diskriminiert und ausgrenzt? Auch diese Deutung treffe das Problem nicht. Die Antwort sei einfach: Armut. Sie schürt die Ressentiments. „Die Folgen der Armut werden als Ursachen der Armut umgedeutet“, warnt der Journalist. Die Integrationschancen verschlechterten sich dadurch weiter. Roma seien nicht per se integtrationsfeindlich: In den 60er und 70er Jahren kamen viele Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Darunter waren viele Roma: Sie waren die Gruppe, die sich am besten integrierte.

„Wir können die Bedingungen gar nicht so schlecht machen, dass sie nicht kommen“

Wie kann man die Situation also verbessern oder die Armutsflüchtlinge aus Deutschland fern halten? Nicht dadurch, die Bedingungen für Roma weiter zu verschlechtern, warnte der Experte. „Wir können die Bedingungen gar nicht so schlecht machen, dass die Menschen nicht mehr kommen“, erklärt Mappes-Niediek. „Wenn wir den Zugang zu Sozialleistungen verhindern, schaffen wir erst die Slums, die wir vermeiden wollen.“ Dies sei die Erkenntnis der verfehlten Politik der vergangenen Jahrzehnte. Denn Schwarzarbeit und Betteln reiche aus, um ein Bleiben zu rechtfertigen. Betteln kann bis zu 30 Euro täglich bringen. „Das ist das Doppelte des durchschnittlichen Lohns in Bulgarien.“

Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen wird keinen „Leuchturmeffekt auslösen

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Der Autor fordert, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen.

Doch große Sorge brauchten die Deutschen und Österreicher vor dem 1. Januar 2014 – dann gibt es die vollständige Freizügigkeit für Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien  – nicht haben. Vor allem deshalb, weil diese schon in allen anderen EU-Ländern gilt. Die Menschen seien vor allem nach Frankreich und Italien gegangen. Der Südosteuropa-Korrespondent glaubt daher nicht an einen „Leuchtturmeffekt“, der viele Menschen nach Deutschland locke. „Es wird einige geben, die kommen. Aber das müssen wir aushalten.“  Aktuell gehe es viel mehr, den besonders belasteten Städten wie Dortmund oder Duisburg zu helfen. „Wir brauchen Solidarität zwischen den Kommunen“, betont Mappes-Niediek. „Dortmund und Duisburg haben ohnehin schon kein Geld. Und an Düsseldorf geht das Thema völlig vorbei.“

Gesamteuropäische Aufgabe: Teufelskreis der Armut endlich durchbrechen

Die Lösung sei, den Teufelskreis aus Armut zu durchbrechen. Doch das könne nur durch eine gesamteuropäische Lösung gelingen. Die Struktur- und Sozialfonds der EU könnten strukturelle Probleme in den Heimatländern lösen. Doch der Zugang zu den Mitteln sei kompliziert, die Töpfe werden auf Druck der Geberländer gekürzt oder eingefroren. Daher ist eine baldige Lösung nicht in Sicht. Es brauche daher ein Umdenken.

„Der ethnische Blick ist wenig hilfreich“

Nicht die Zahl der Roma ist überproportional unter den rumänischen Emigranten. Wohl aber die Zahl der Ärzte: „Die Ärzte sollen zu uns kommen, nicht aber die Patienten“, erläutert der Buchautor. Solange es Armut, Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere und unterfinanzierte Gesundheitswesen in den Herkunftsländern gebe, werde es auch weiter Armutszuwanderung geben. Er warnt davor, das Thema Armut mit „typisch Roma“ abzutun: „Das ist zu 80 Prozent Armut, zu 18 Prozent Balkan und zu zwei Prozent Roma“, glaubt der Experte. „Die Menschen betteln nicht, weil sie Roma sind, sondern weil sie kein Geld haben. Der ethnische Blick ist dabei wenig hilfreich.“

 

Weitere Links zum Thema auf nordstadtblogger.de:

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