Erstmalig lud die Handwerkskammer Dortmund Vetreter:innen aus Medien und Verbänden zum Werkstattgespräch. Am Roundtable drehte man sich vor allem um zwei große Themen: Einsichten zur schwierigen Nachwuchslage im Handwerk und die Absichten, es in der Zukunft anders zu machen. Ein Bericht zu den Zuständen und Zuversichten aus Sicht einer ächzenden Branche.
Das Handwerk leidet unter dem „Gastroeffekt“
Ein Grund zum Feiern gibt es für das Handwerk eigentlich nicht. Dennoch empfingen Berthold Schröder, Präsident der HWK Dortmund, gemeinsam mit Hauptgeschäftsführer Carsten Harder zum ersten sogenannten Werkstattgespräch in die Ardeystraße. Grund für die Einladung mit den unterschiedlichen Medien-Vertretern und nur einer Vertreterin (!) war der Austausch zu aktuellen Entwicklungen, über die „bei gutem Essen und in lockerer Atmosphäre“ diskutiert werden sollten. In einer Montagehalle auf dem Gelände der HWK wurde aufgetischt.
Die Sorgenfalten gruben sich tief in die Stirn von HWK-Präsident Schröder beim Bericht über die aktuelle Branchensituation. Die lebensmittelverarbeitende Branche ächze unter den erheblich gestiegenen Energiekosten. Kein Wunder, dass ein Brot vielerorts schon fast soviel kostet wie zwei Brote.
Aufgrund hoher Baupreise und mangelnder Arbeitskräfte kommt der Wohnungsbau noch immer nicht nach. Bei den von Bauministerin Klara Geywitz für 2024 versprochenen 400.000 Wohnungen bleibt der Vorvorjahrestrend von 2022 stabil, da auch 2023 nur knapp 250.000 Wohnungen fertiggestellt werden.
Dazu die fortlaufende Erosion der Ausbildungszahlen, die sich auch im aktuellen Ausbildungsjahr nicht erholt haben. „Dem Baugewerbe droht der Gastroeffekt“, so Schröder. Der andauernde Mangel an Arbeitskräften im Handwerk ist von der Abwanderung in und ausbleibender Rückkehr nach Corona schwer gezeichnet. „Die Rahmenbedingungen müssen von der Politik angepasst werden“, meint Präsident Schröder. „Die Zustände sind sozialer Sprengstoff, der nur von der Politik entschärft werden kann.“
Fachkräfte aus dem Ausland: „Ich glaub, das wird nix!“
Neben lauten Klageliedern über die Zustände im Handwerk im Speziellen, gibt es aber im Allgemeinen auch leise Töne zu Bestrebungen, wie es in der Zukunft anders laufen muss. Stichwort: Fachkräfte aus dem Ausland. Mit der Kampagne „Make it in Germany“ wirbt die Bundesregierung seit über zehn Jahren. In einem Video wirbt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in fehleranfälligem Englisch für das globale Rekruitment, das offenbar bis heute nur wenige Erfolgsgeschichten schreiben durfte.
Auch Präsident Schröder zeigt sich wenig überzeugt: „Ich glaub, das wird nix! Die erhoffte Zuwanderung von Fachkräften wird nicht stattfinden. Auch bei Fachkräften im Ausland hat sich rumgesprochen, dass in Deutschland die Fremdenfeindlichkeit durch Kriege und Flucht stark zugenommen hat“, meint Schröder.
Hinzu kommt die Sprachbarriere, die auf beiden Seiten zum Problem werden kann. Während Integrationskurse viele Menschen hervorbringen würden, die allein aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht ausbildungsfähig sind, scheitert es ebenso häufig an den wenigen bis nicht vorhandenen Englisch-Kompetenzen der Ausbilder:innen.
Es fehlt an Fachkräften, aber noch mehr an Arbeitskräften
„Aber dem deutschen Handwerk fehlt es nicht nur an Fachkräften, sondern schlichtweg an Arbeitskräften“, berichtet Schröder. Neue Ideen dazu sind bei genauerer Betrachtung eigentlich alte Hüte. Zum Beispiel spricht Präsident Schröder von mehr Praxisanteilen in den Auffangbecken von Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Für die Schüler:innen im Berufgrundschuljahr (BGJ) beispielsweise, die hier häufig ohne Schulabschluss landen, sollten die Berufschulen laut Schröder mehr Praktikumsmöglichkeiten anbieten.
Aber der Reality Check zeigt schon seit vielen Jahren, dass gutgeimente Initiativen wie z.B. die Assistierte Ausbildung (AsA) der Bundesagentur für Arbeit verhältnismäßig erfolglos bleiben. Vor allem kleine Betriebe scheuen sich davor, sich immer wieder neue Troubleshooter ans Bein binden zu lassen, die motivationslos sind und aufgrund mangelnden Durchhaltevermögens schnell das Weite suchen.
Schröder schlägt vor, es sollen „Kümmerer“ eingesetzt werden, die sich, mit Fördergeldern des Bundes, um die Belange der jungen Azubis kümmern. Die Frage, ob es sich hierbei um Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen, Handwerksfachleute oder alles in einem handeln soll, bleibt schließlich unbeantwortet.
Demographischer Wandel verursacht Meister-Sterben
Der demographische Wandel liegt schwer im Magen des HWK-Präsidenten. Die Babyboomer gehen langsam alle in den Ruhestand. Dies hat zurfolge, dass zukünftig ein zunehmender Mangel an Ausbildungsbetrieben entstehen wird. Die HWK sieht sich daher in der Pflicht, junge Menschen dabei zu unterstützen ihren Meister zu machen und vor allem sich in die Selbstständigkeit zu wagen.
Eine nicht-repräsentative Umfrage der HWK Dortmund von knapp 300 fertigen Meister:innen ergab, dass junge Menschen vor allem die Bürokratie fürchten. „Der Verwaltungsaufwand liegt wie eine Decke über diesem Land und nimmt einem die Luft zum atmen“, verbildlicht Schröder die Situation.
Für selbstständige Frauen, die eine Familie gründen wollen, gibt es zudem noch immer kein Unterstützungssystem wie für Frauen in Anstellungsverhältnissen, die Elterngeld bekommen und in Mutterschutz gehen. Eine Dortmunder Friseurmeisterin beklagte zudem die unzumutbaren Bedingungen, durch die ihre Selbstständigkeit erschwert wurde.
Eine finanzielle Unterstützung von 7.500 Euro erhielten Meister:innen demzufolge nur, wenn sie ihre Meisterprüfungen im ersten Anlauf schaffen, sich mit mindestens 15.000 Euro verschulden und nach einem Jahr Mitarbeiter:innen einstellen würden.
„Dazu verlangte man von mir, dass ich mich ordentlich anziehen solle und geschminkt zur Meisterprüfung erscheinen soll, weil ich andernfalls Probleme bei der Benotung bekommen könnte“, berichtet die selbstständige Friseurin über die toxischen Verhältnisse. „Bei der Handwerkskammer herrschen immer noch Zustände wie in den 50er Jahren“, meint sie.
„Cause Girls Can Do It, Too“ – Gender-Gaga im Handwerk?
Mit stolzer Brust stellt sich die Führungsriege der Handwerkskammer deshalb hinter die Kampagne „Starke Frauen. Starkes Handwerk.“ Die Tischarrangements sind gesäumt von Bannern aus der Initiative, die Erfolgsgeschichten von Frauen in Handwerksberufen sichtbar machen.
Die Schornsteinfegermeisterin Julia Bothur aus Bochum ist hier eine von vier Attraktionen, mit der die HWK Dortmund für die Gewinnung von mehr weiblichen Fachkräften wirbt.
Die Kampagne beinhaltet u.a. einen Foto Award, Social Media-Performance von Influencerinen wie Bothur (> 5.000 Follower:innen) und einen 12-seitigen Leitfaden. Mit diesem sollen Betriebe darin bestärkt werden, ihre „Fachkräftepotentiale voll auszuschöpfen“, um auch weiterhin „wirtschaftlich erfolgreich“ zu bleiben, so heißt es im Vorwort.
Der Slogan „Cause Girls Can Do It, Too“ versucht so mit einem modernen Layout und in zeitgemäßem Sprech Frauen von einem Einstieg in einen der rund 130 Handwerksberufe zu überzeugen.
Der Leitfaden orientiert sich an vier Schlüsselkompetenzen: Mit Power, Mut, Empathie und Teamgeist sollen vor allem ewig gestrige Stereotype über Geschlechterrollen ausgeräumt werden. Dass das Handwerk oft noch immer eine von Männern dominierte Höhle zu sein scheint, zeigt nicht nur das geschlechtliche Unverhältnis der Tischgesellschhaft (4:10) beim Werkstattgespräch.
Die Zahlen zum Frauenateil in Handwerksberufen sprechen eine deutliche Sprache: Der Frauenanteil an Ausbildungsverhältnissen im Kammerbezirk Dortmund liegt bei 14,6 Prozent und nur 23 Prozent der Meisterprüfungen wurden 2022 von Frauen abgelegt. Dafür wurden 37,8 Prozent der jungen Handwerksunternehmen im selben Jahr von Frauen gegründet – Tendenz steigend.
Dazu habe eine Studie der Uni Göttingen ergeben, dass bei 91 Prozent der Menschen im Handwerk, die stolz auf ihre Arbeit sind, „Frauen und Abiturientinnen sogar überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem Handwerksberuf“ seien. Dazu wie „Überdurchschnittlichkeit“ sich in Zahlen niederschlägt, gibt die HWK-Image-Broschüre leider keine Angaben.
Pinkwashing als Strategie für mehr LGBTQI+ im Handwerk
Auf die Frage, ob sich die Handwerkskammer Dortmund für eine größere Strahlkraft von Handwerksberufen auch dem Pinkwashing bediene, erntet die Nordstadtbloggerin fragende Gesichter. Mit dem Pinkwashing sind Strategien gemeint, mit denen sich u.a. multinationale Unternehmen, Parteien oder Medienhäuser – meist zur Pride-Saison – in der Öffentlichkeit die Rogenbogenflaggen überstülpen. Indem sie sich vermeintlich offen und tolerant in den Schoß der LGBTQI+-Community einnisten, zeigen sich die oft gesichtslosen und arbeitnehmerfeindlichen Unternehmen als besonders modern und fortschrittlich.
Das vom Tagesspiegel als „rosafarbenes Kalkül“ bezeichnete Marketing-Tool ist inzwischen ein etabliertes Mittel um Menschen einer stetig wachsenden Statusgruppe für seine Zwecke zu rekruitieren und verkaufssteigernde Sympathien hervorzurufen. Aber dort ist die Handwerkskammer noch nicht angekommen. Wenn Frauen im Handwerk auch 2023 noch immer eine deutliche Minderheit bilden und mithilfe von Werbekampagnen gegen Vorurteile ankämpfen, die uns schnell zurück ins 19. Jahrhundert katapultieren könnten, möchte man es sich nicht vorstellen, wie schwer es ein Trans-Mann auf dem Bau haben könnte.
Der Leitfaden für Fachkräfte: LINK
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