Das 2012 gegründete Dortmunder Bündnis „Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich“ ruft zum elften Mal zur Gedenkdemonstration am 4. April 2023 um 17 Uhr am NSU-Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft auf. Genau wie vor 17 Jahren, fällt der Tag auch in diesem Jahr auf einen Dienstag, an dem der beliebte Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık von Neonazis des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU per Kopfschuss ermordet wurde.
Erinnern heißt auch: Nicht Vergessen
Der noch nicht ganz 40-jährige wird mit seiner Ermordung auf der Malinckrodtstraße der Dortmunder Nordstadt zur Krux der noch immer andauernden Aufarbeitung der NSU-Mordserie, die mit den tödlichen acht Schüssen auf Enver Şimşek am 9. September 2000 ihren tragischen Anfang gefunden hatte.
Der Begriff „Döner-Morde“ (Unwort des Jahres 2011) galt lange Zeit als peinlicher Beweis für die Unterlassungen des Verfassungsschutzes, die Schlampereien der Ermittler sowie die Ohnmacht von Journalisten, gegen rassistische Zwischentöne anzuschreiben.
Auf die Schweigepolitik des Verfassungsschutzes machte im vergangenen Jahr 2022, vier Jahre nach dem Ende des NSU-Prozesses, das ZDF Magazin Royale gemeinsam mit der Initiative FragDenStaat aufmerksam. Der als „Geheim“ gestempelte und ursprünglich für 120 Jahre gesperrte Bericht, bekannt als NSU-Akten, mache vor allem eins deutlich.
Auf der Homepage von NSUakten.gratis heißt es: „Was kaum vorkommt in den ‚NSU-Akten‘ ist der NSU“. Wo sich die Betroffenen mehr Beweise für Vertuschungsversuche oder die Rolle des Verfassungsschutzes bei den NSU-Morden selbst gewünscht haben, erfahren sie stattdessen, welche desaströsen Versäumnisse es in der hessischen Behörde gegeben hat.
Stille Kundgebung am Mahnmal der NSU-Opfer
Die insgesamt zehn Opfer rechtsextremer Gewalt zwischen 2000 und 2007 kommen aus Nürnberg, München, Rostock, Hamburg, Kassel, Heilbronn und Dortmund. Ihre Namen sind seit 2013 in Stein gemeißelt, wo sie in direkter Nachbarschaft zum Auslandsinstitut und zum ehemaligen SS-Gefängnis Steinwache in der nördlichen Innenstadt einen Ort der Erinnerung und des Trostes bieten.
Die stille Demo startet am 4. April 2023 um 17 Uhr am Ort der Erschießung Kubaşıks in der Malinckrodtstraße 190. Geplant ist u.a. eine Gedenkminute für die Opfer des NSU-Terrors. Gegen 17.30 Uhr lädt das Aktionsbündnis zur Kundgebung rund um die Gedenkstele vor der Auslandsgesellschaft an der Steinstraße.
Nicht nur soll der Forderung nach Aufklärung, Erinnerung und Konsequenzen Ausdruck verliehen werden. Ein weiteres Thema wird auch die Grabstätte Mehmet Kubaşıks sein, der in seinem Heimatdorf Hanobası nahe der syrischen Grenze beigesetzt wurde. Bei den schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien Anfang Februar wurden das Grab und sein Elternhaus beinahe vollständig zerstört, wie der WDR am 10.02.2023 berichtete.
Aufklären und Verbünden gegen rechtsextreme Gewalt auf allen Ebenen
Das Wetter empfindet Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft, am Tag des Fototermins für den Aufruf der Gedenkdemo ebenso erschaudernd wie das Gefühl, das ihn jedes Mal beschleicht, sobald er das Mahnmal passiert.
„Manche treten näher heran und lesen die Gravuren, aber andere balancieren einfach drauf rum und kümmern sich nicht,“ berichtet Wegener etwas frustriert.
Umso wichtiger ist es den Veranstaltern, in Absprache mit den Angehörigen der Familien Şimşek und Kubaşık, die ihr Kommen für den 4. April in Dortmund angekündigt haben, dass gegen das Vergessen angekämpft wird. Auf der Homepage des Bündnisses „Tag der Solidarität“ heißt es daher: „Erinnern heißt Aufklären.“
Alessio Giunta, Vorstandsvorsitzender der DIDF-Jugend aus Hagen, macht darauf aufmerksam, dass es noch nie so viele Kooperationspartner wie in diesem Jahr gegeben habe. So ist das erklärte Ziel vieler Parteien, Initiativen und Vereine, rechte Gewalt in der Mehrheitsgesellschaft zu problematisieren und das Dortmunder Aktionsbündnis zu unterstützen, wo es nur geht.
Ausstellung, Podiumsdiskussionen, Kinderfest – „Kein Schlussstrich“ für Veranstaltungen
„Warum kein Schlussstrich?“ bedeutet für Mitinitiator und Sozialwissenschaftler Ali Şirin vom gleichnamigen Bündnis sich zu solidarisieren, um gemeinsam gegen den zunehmenden Rechtsdruck, den Antisemitismus und strukturellen Rassismus anzukämpfen.
Der Aufruf zur Gedenkdemonstration wird deshalb begleitet von insgesamt sieben Veranstaltungen. In Zusammenarbeit mit dem Planerladen gGmbH zeigt das Dietrich-Keuning-Haus zum Beispiel, vom 31. März bis zum 14. April 2023 die Ausstellung „The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts” der jüdisch-amerikanischen Künstlerin und Wahl-Berlinerin Tanya Feldman. (Mehr dazu am Ende)
Am 31. März um 19 Uhr gibt es im „Nordpol“ (Bornstraße 144) die Gelegenheit, mit Gamze Kubaşık und Semiya Şimşek zum Thema „Warum kein Schlussstrich?“ zu diskutieren. Mehr Infos gibt es hier: tagdersolidaritaet.wordpress.com
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