Der tödliche Polizeieinsatz am 8. August 2022 in der Nordstadt, bei dem der 16-jährige Flüchtling Mouhamed Lamine Dramé erschossen wurde, hat für fünf beteiligte Polizist:innen ein juristisches Nachspiel. Nach mehr als einem halben Jahr hat die Staatsanwaltschaft Dortmund gegen sie Anklage erhoben. Der Einsatz wird als „nicht verhältnismäßig“ bewertet. Die Anklage lautet auf Totschlag, gefährliche Körperverletzung und Anstiftung. Zur Erinnerung: Erzieher:innen der Jugendeinrichtung in der Nordstadt hatten die Polizei gerufen, da sie einen möglichen Suizid des 16-Jährigen befürchteten. Am Ende war der Junge tot – erschossen durch einen Polizisten.
Oberstaatsanwalt: „Ich halte den polizeilichen Einsatz für rechtswidrig“
Der Polizist, der mit einer Maschinenpistole die tödlichen Schüsse auf den Jugendlichen angegeben hatte, muss sich wegen Totschlag verantworten, drei weitere wegen Körperverletzung (u.a. für den Taser- und Pfeffersprayeinsatz) sowie der Dienstgruppenleiter wegen Anstiftung.
„Ich halte den polizeilichen Einsatz, so wie er abgelaufen ist, für rechtswidrig“, sagte Oberstaatsanwalt Carsten Dombert auf Nachfrage von Nordstadtblogger. Die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes sei nicht gegeben gewesen, die Beamt:innen hätten nicht „das mildeste Mittel“ angewendet, um den Jugendlichen von einem möglichen Suizid abzuhalten.
„Die Anwendung von Reizgas ist nicht das mildeste Mittel, das man einsetzen kann“, so Dombert – vom Einsatz von Tasern und Schusswaffen natürlich ganz zu schweigen. Zudem seien die Schüsse mit dem Taser nahezu gleichzeitig mit den Schüssen aus der Maschinenpistole erfolgt.
Ermittlungen erbrachten keinen Hinweis auf Notwehr oder Nothilfe
Zudem hätten die umfangreichen Ermittlungen keinen Hinweis auf einen möglichen Angriff des Sechzehnjährigen auf die Polizist:innen ergeben: „Die Ermittlungen haben bisher nicht ergeben, dass sie in Nothilfe oder Notwehr gehandelt haben. Das würde auch nur vorliegen, wenn es einen rechtswidrigen Angriff durch Mouhamed Lamine Dramé gegeben hätte.“
Doch der Jugendliche habe sich lediglich aufgerichtet, „nachdem er das Reizgas an seinem Kopf gespürt hat“, so Dombert. In kurzer Folge danach seien die Schüsse aus Taser und Maschinenpistole erfolgt.
Daher habe er Anklage erhoben, die vor dem Schwurgericht des Landgerichts in Dortmund verhandelt werden wird. Dombert rechnet mit einer Verfahrenseröffnung noch in diesem Jahr.
Der Oberstaatsanwalt verwehrte sich gegen Kritik, dass die Ermittlungen zu langsam erfolgt seien. Auch die Kritik, die Ermittler:innen aus Recklinghausen könnten ja nicht unvoreingenommen gegen die Dortmunder Polizei ermitteln, sei falsch.
Die Ermittlungsakte ist mittlerweile 2500 Seiten dick
„Die Ermittlungen waren sehr langwierig – es gab eine Vielzahl von Gutachten“, so Dombert. Die Ermittlungsakte sei zudem mittlerweile 2500 Seiten dick – zusammengetragen von den Ermittler:innen aus Recklinghausen.
„Sie haben ganz akribisch und neutral ermittelt. Darauf basiert die Anklage. Der Vorwurf gegen sie hat mir sehr leid getan“, so Dombert.
Dass ein solches Verfahren Zeit brauche, liege ja auch daran, dass die Verteidiger:innen der beschuldigten Polizeikräfte ein Recht auf Akteneinsicht hätten. Dafür müssten sie eine angemessene Frist bekommen – bei 2500 Seiten Ermittlungsakten dauere das natürlich.
„Die Anklage ist eine logische Konsequenz aus den Fakten“
Die Verkündung der Ermittlungsergebnisse wurde seit Monaten erwartet und mehrfach verschoben. Die Kritiker:innen des Polizeieinsatzes sehen sich bestätigt: „Dies werten wir als Erfolg in der Aufarbeitung tödlicher Polizeiarbeit“, so Sarah Claßmann, Sprecherin des Solidaritätskreises Mouhamed.
„Die Anklage ist eine logische Konsequenz aus den Fakten, die über Mouhameds Tod bekannt sind. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass dies auch eine Errungenschaft des zivilgesellschaftlichen Drucks ist, den wir in den letzten Monaten aufbauen konnten“, so Claßmann weiter.
„Wie bereits Studien gezeigt haben, ist eine Strafverfolgung im Anschluss an Polizeigewalt eine absolute Seltenheit. Dementsprechend begrüßen wir die Ermittlungsergebnisse unter Staatsanwalt Dombert, welcher sich bereits ganz zu Beginn der Arbeit kritisch gegenüber dem Einsatz äußerte.“
Öffentlicher Druck und Forderung nach unabhängiger Ermittlung
Dennoch kritisieren die Aktivist:innen, dass sich die Ergebnisse immer wieder verzögerten und nun letztendlich mehr als drei Monate nach dem ursprünglich angedachten Veröffentlichungstermin erschienen sind. Dies sei vor allem für die Familie von Mouhamed sehr belastend gewesen.
„Trotz der erfolgreichen Ermittlungsarbeit, die unter anderem auch durch massiven Druck in der Öffentlichkeit gefordert wurde, kritisieren wir immer noch die Tatsache, dass hier Polizeidienststellen gegeneinander ermitteln. Dies sind keine unabhängigen Ermittlungen. Wir halten daher unsere Forderung nach unabhängigen Ermittlungsstellen weiterhin hoch“, betont die Sprecherin des Solidaritatskreises.
„Trotzdem möchten wir unterstreichen, dass die offizielle Einschätzung von Mouhameds Tod als Tötungsdelikt ein großer Schritt ist hinsichtlich einer öffentlich kritischen Wahrnehmung von tödlicher Polizeigewalt.
Bislang ist diese nahezu undenkbar in der Gesellschaft gewesen, da sie einen riesigen Riss durch das Vertrauen der Bevölkerung zieht. Dementsprechend kann dies nun als Grundlage einer Reform der Einsatzkonzepte dienen und ein weiteres kritisches Hinterfragen der Institution Polizei anschlussfähig machen.“
Polizeipräsident äußert sich nach Anklageerhebung
„Der Einsatz hat auch in unserer Behörde eine tiefe Betroffenheit ausgelöst. Und ich spreche für die ganze Behörde, wenn ich sage: Es ist unser ureigenes Interesse, dass der Tod dieses jungen Mannes – und damit auch die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen in diesem Einsatz – lückenlos aufgeklärt wird“, betont der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange nach der Anklageerhebung.
Er hatte bereits kurz nach dem Einsatz Disziplinarverfahren und vorläufige Maßnahmen eingeleitet und einen beteiligten Beamten vom Dienst suspendiert sowie vier weitere Beamtinnen und Beamte in andere Tätigkeitsbereiche des Polizeipräsidiums Dortmund umgesetzt.
„Uns ist klar: Dieser Einsatz, bei dem ein 16-jähriger senegalesischer Flüchtling auf tragische Weise ums Leben kam, hat, vor allem bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Vertrauen beschädigt, das wir wieder herstellen müssen“, so Lange.
Nicht erst seit dem Einsatz am 8. August und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Diskussion setze seine Polizeibehörde zahlreiche Maßnahmen – nach innen und nach außen – um, die eines zeigen: „Wir tolerieren keine Form des Extremismus, des Rassismus oder der Diskriminierung, gerade nicht aus unseren eigenen Reihen.“
Lange verweist auf die „aktive Wertearbeit“ der Dortmunder Polizei
Aus diesem Grund thematisiert das Polizeipräsidium Dortmund bereits seit Jahren immer wieder auf unterschiedliche Weise das Thema Werte – mit Veranstaltungs- und Gesprächsformaten aus verschiedenen Perspektiven. Dabei ist dem Behördenleiter auch die intensive Zusammenarbeit mit Institutionen der Stadtgesellschaft wichtig.
Seit 2012 wirkt die Polizei daher bereits beim Runden Tisch für Vielfalt, Toleranz und Demokratie in Dortmund mit. 2014 wurde ein Dialogkreis mit den muslimischen Gemeinden und Institutionen in Dortmund und Lünen ins Leben gerufen, ebenso wie eine Arbeitsgruppe zum Thema Interkulturelle Kompetenz.
Hier besteht eine Kooperation mit dem Jugendring Dortmund. Dieses Thema fließt seit 2017 auch verstärkt in interne Fortbildungen ein – unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Multikulturellen Forum in Dortmund.
Umso wichtiger ist es jetzt, die erhobenen Anschuldigungen gegen die Einsatzkräfte in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren vor Gericht umfassend und fair aufzuarbeiten“, so Polizeipräsident Gregor Lange. „Fakt ist aber auch: Bis zum Ausgang dieses Gerichtsverfahrens gilt auch bei Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten die Unschuldsvermutung – genauso wie bei allen anderen Bürgerinnen und Bürgern.“
Scharfe Kritik an NRW-Innenminister Herbert Reul
Der Solidaritätskreis Mouhamed ist skeptisch: Seiner Einschätzung nach müsse NRW-Innenminister Reul nun noch einmal kritisch in den Fokus gerückt werden. Bereits am Tag nach der Tat stellte sich der CDU-Politiker schützend vor die Einsatzbeamt:innen. Man habe „sich in einer Ecke verschanzt, während jemand mit einem Messer auf sie zustürmt“.
Dieses Narrativ sei jedoch bereits so kurzfristig durch die Beweislage widerlegt worden, dass sich Herbert Reul selbst seither hinter der Aussage verschanze, dass er nur wiedergegeben habe, was die Polizei Dortmund ihm berichtet habe.
„Diese unreflektierte Form der Loyalität zwischen Politik und Polizei ist beispielhaft für die Probleme, welche sich durch diese Institutionen ziehen. Für uns steht es in der Verantwortung der Politik, jeder Situation gegenüber objektiv entgegenzutreten und auch eine klare Abgrenzung zwischen Legislative und Exekutive zu schaffen“, betont Sarah Claßmann.
„Das ist eine Aufgabe, welcher der Innenminister klar nicht gewachsen zu sein scheint. Seine ersten Aussagen prägten das erste öffentliche Bild des Einsatzes, demzufolge Mouhamed als ein aggressiver Jugendlicher, welcher die Polizei angreift, gezeichnet wurde – ein Bild, welches Mouhameds Familie und Unterstützer:innen seitdem versuchen müssen, zu dekonstruieren.“
Vorwurf: Innenminister bedient rassistische Stereotype
Welche politischen und emotionalen Auswirkungen diese Aussagen des Innenministers für die Familie hätten, schein Reul wohl nicht bewusst. „Der Innenminister bedient hier rassistische Stereotype, welche die Wahrnehmung von migrantisierten und geflüchteten Jugendlichen in NRW prägen. Eine Entschuldigung oder Reflektion dieser Tragweite folgte bislang nicht“, so die Sprecherin des Initiativkreises.
„Wir werden das Prozessgeschehen eng begleiten und weiter versuchen, die Wünsche von Mouhameds Familie in jeden der Schritte einfließen zu lassen“, so Sarah Claßmann.
„Wir werden weiter an Konsequenzen und Gerechtigkeit für Mouhamed arbeiten und hoffen, dass sich durch diese beispielhafte Anklage auch Täter:innen in anderen Fällen von tödlicher Polizeigewalt verantworten müssen.“
Daher ruft der Solidaritätskreis am heutigen Mittwoch (15. Februar) um 19 Uhr erneut zu einer Kundgebung auf: Unter dem Motto #justice4Mouhamed wollen sie gegenüber der Wache Nord demonstrieren. Ihre zentrale Botschaft: „Die Täter:innen werden angeklagt. Wann werden endlich die Strukturen hinterfragt?“
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Freudeskreis Mouhamed demonstriert um 18.30 Uhr am Tatort in der Mussundestraße (PM)
Die Anklage gegen 5 Polizisten ist ein Erfolg der Solidaritätsbewegung – der Kampf geht weiter! Kommt heute um 18:30 Uhr zur Gedenkstelle an der Missundestraße in der Dortmunder Nordstadt (gegenüber Haus-Nr. 65)!
Am 14.2. wurde bekannt: Der Polizist, der Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 mit einer Maschinenpistole erschossen hatte, wird wegen Totschlags angeklagt. Drei Polizisten wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Außerdem muss sich der Leiter des Einsatzes wegen „Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung“ verantworten, weil er die Beamten zum Einsatz entsprechend angewiesen haben soll.
Franz Stockert, Sprecher des Freundeskreis Mouhamed, meint dazu: „Es ist selten, dass in solchen Fällen überhaupt Anklage gegen Polizisten erhoben wird. Dass es zur Anklage gekommen ist, ist ein Erfolg der breiten Protest-und Solidaritätsbewegung „Justice for Mouhamed“. Umso wichtiger ist es jetzt nicht nachzulassen, damit die Verantwortlichen verurteilt werden.“
Der Leiter der Staatsanwaltschaft betonte, dass der ganze Einsatz Folge einer ‚fatalen Fehleinschätzung‘ des Einsatzleiters gewesen wäre. Das spielt den ganzen Fall herunter und blendet die Ursache der verschärften Rechtsentwicklung in der Politik und Polizei aus. Warum werden Maschinenpistolen eingesetzt, gegen einen jugendlichen Flüchtling, der Hilfe gebraucht hätte? Warum werden Bewohner ganzer Stadtteile, wie der Dortmunder Nordstadt mit „anlasslosen Polizeikontrollen“ kriminalisiert und videoüberwacht? Warum wird wegen sinnloser Gewalt Einzelner an Silvester eine Hetzkampagne gegen migrantische Jugendliche losgetreten?
Wir treffen uns um 18:30 Uhr an der Gedenkstelle Missundestraße zur Kundgebung. Wir protestieren: „Justice for Mouhamed! Gegen Polizeigewalt und Rassismus – hoch die internationale Solidarität!“
Anklage gegen 5 Polizisten und gegen den Todesschützen wegen Totschlags ist ein Erfolg der Solidaritätsbewegung „Justice for Mouhamed“ (PM)
Der Freundeskreis Mouhamed hatte anlässlich der bekannt gewordenen Anklage eingeladen zu einer Kundgebung an der Gedenkstelle für Mouhamed in der Missundestrasse in der Dortmunder Nordstadt.
Rezan Tay vom „Freundeskreis Mouhamed“ begrüßte die 20 anwesenden Teilnehmer der Kundgebung und hob hervor, dass viele seiner Freunde und Kollegen dachten, dass man gegen die Polizeigewalt sowieso nichts machen könne. Die breite Solidaritätsbewegung „Justice for Mouhamed“ mit mehreren Demonstrationen bei der er von Beginn an mitmachte und die Arbeit des „Freundeskreis Mouhamed“ mit dem begeisternden Solidaritätsfest 24.9. und der Gedenkfeier am 13.11. hat entscheidend dazu beigetragen, dass es jetzt zu diesen Anklagen gegen die Polizisten gekommen ist. Die Solidaritätsbewegung müsse aber jetzt weiter geführt werden, damit auf die Anklagen auch wirklich angemessene Strafen für die Polizisten folgen!
Eine Nachbarin und Senegalesin war gekommen, weil sie von dem Tod von Mouhamed sehr betroffen ist. Unter Tränen sagte sie, dass es sehr wichtig findet, dass wir in der Solidaritätsbewegung nicht locker lassen. Auch Jugendliche aus der Nachbarschaft beteiligten sich an der Kundgebung und berichteten, dass sie die Erschießung von Mouhamed aus dem Fenster beobachten konnten.
Sarah Rißmann, mehrmalige Direktkandidatin für die Internationalistische Liste/MLPD und Lehrerin aus der Dortmunder Nordstadt hob hervor, wie wichtig es ist, dass die Solidaritätsbewegung in der Nordstadt diese Anklagen der Polizisten durchgesetzt hat. Wenn jetzt behauptet wird, dass die Anklage der Polizisten beweise, dass der Rechtsstaat funktioniere, ist das eine Farce. Erst nach und nach sind ja überhaupt die Details auf Druck der Bevölkerung ans Tageslicht gekommen. Die Anklage sei auch ein wichtiger Erfolg gegen die Rechtsentwicklung und gegen Faschisierung des Staatsapparats. Das betrifft auch die Videoüberwachung und die anlasslosen Polizeikontrollen, die in der Nordstadt durchgeführt werden und dass überhaupt Maschinenpistolen in Streifenwagen mitgeführt werden.
Verschiedene Teilnehmer der Kundgebung berichteten von rassistischer Polizeigewalt und Einschüchterung gegenüber der Bevölkerung und dass die Anklagen gegen die Polizei letztlich auf Grund der Solidaritätsbewegung erfolgt sind. Deshalb sei es auch wichtig, dass wir in der Organisierung der Solidarität „Justice for Mouhamed“ nicht nachlassen und auch mit der errichteten Gedenkstelle weiter an ihn erinnern.
Ein nächster Höhepunkt wird das Internationale Benefiz-Fussballturnier am Samstag, den 22.4.23, das vom „Freundeskreis Mouhamed“ organisiert wird, um die Spendensammlung weiterzuführen. Damit wollen wir u.a. auch ermöglichen, dass die Mutter von Mouhamed am Prozess gegen die Polizisten teilnehmen und die Gedenkstelle für Mouhamed besuchen kann.
Gegen Ende der Kundgebung wurde noch gemeinsam ein Lied gesungen. Ein kleine Delegation der Kundgebung ging im Anschluss noch zur Kundgebung an die Nordwache, wo ca. 100 Menschen für „Justice for Mouhamed“ demonstrierten.
Anklageerhebung im Fall Mouhamed Dramé: GRÜNE fordern Neuorganisation der Nordstadtwache und strukturelle Veränderungen in der Polizeiarbeit (PM)
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat nach einem Polizeieinsatz am 8. August 2022, bei dem der 16-jährige Geflüchtete Mouhamed Lamine Dramé in der Nordstadt getötet wurde, Anklage gegen fünf am Einsatz beteiligte Polizist*innen aus Dortmund erhoben. Zur Anklageerhebung erklären Hannah Rosenbaum als Sprecherin des GRÜNEN Kreisverbands sowie Ingrid Reuter und Dr. Christoph Neumann für die GRÜNE Ratsfraktion gemeinsam:
„Mit der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft liegt endlich Einschätzung zum Polizeieinsatz am 08. August 2022 in der Nordstadt vor. Ein Gericht wird nun den Tod des 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé aufklären, der laut Anklage auf ein Fehlverhalten gleich mehrere Polizisten*innen zurückgeht. Neben der Frage der individuellen Schuld wirf der Fall viele Fragen über strukturelle Probleme bei der Polizei in der Aus-, Fort- und Weiterbildung in Bezug auf Rassismus und im Umgang mit psychisch erkrankten Personen auf. Diese müssen jetzt politisch aufgearbeitet werden. Der Fall hat insbesondere bei Bewohner*innen der Nordstadt, in migrantischen Communities und bei POC-Personen das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörde massiv erschüttert. Aus der jüngsten Berichterstattung wurden zudem viele weitere rassistische und sexistische Fälle rund um die Wache Nord öffentlich. Daher unterstützen wir die Forderung des Solidaritätskreises Mouhamed D. zur Neuorganisation der Nordstadtwache.“
Zur Stellungnahme der Polizei Dortmund
„Dass die Polizei aktive Wertearbeit betreibt, wie die Polizei Dortmund zur Anklageerhebung äußert, ist richtig und gut. An der Umsetzung und Wirksamkeit bestehen aber erhebliche Bedenken. In Zukunft wird es wichtig sein, dass die ergriffenen Maßnahmen wirklich nachhaltig sind und zu spürbaren Verbesserungen sorgen, hierfür ist ein noch intensiverer Austausch mit den verschieden Communities entscheidend. Als weiteren wichtigen Baustein zur Schaffung von mehr Vertrauen sehen wir die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Opfer von Polizeigewalt, so kann polizeiliches Fehlverhalten transparent aufgearbeitet werden.
Wir GRÜNE kritisierten regelmäßig den im Fall von Mouhamed D. problematischen Einsatz von Elektro-Tasern. Vor dem Hintergrund der jetzigen Anklageerhebung kommt die Polizei Dortmund nicht daran vorbei, ihre Einsatztaktiken zu hinterfragen und transparent zu machen. Wir fordern ein Moratorium, einen Taser-Stopp, bis zur endgültigen Klärung bzw. Evaluation durch das Innenministerium.“
Nach Tod von Mouhamed (16) – Anklageerhebung reicht der Fraktion DIE LINKE+ nicht aus: „Wir brauchen eine unabhängige Stelle zur Kontrolle der Polizei“ (PM)
„Ich bin froh, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die fünf Polizisten erhoben hat, die dabei waren, als der 16-jährige Mouhamed Dramé starb“, sagt Fatma Karcakurtoglu, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE+. „Dadurch erfährt der junge Senegalese zumindest noch posthum etwas Gerechtigkeit.“
Der Jugendliche war im August von einem Polizeibeamten erschossen worden. Laut Medien- und Polizeiberichten wollte sich der offenbar psychisch labile junge Mann zuerst mit dem Messer selbst töten und griff danach die Polizeikräfte mit dem Messer an. Der Todesschütze muss sich nun wegen Todschlags verantworten. Auf seine Kollegen warten Anklagen wegen gefährlicher Körperverletzung oder Anstiftung zur Körperverletzung.
„Dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat, zeigt im Grunde genommen, dass sich die Bevölkerung nicht nur unnötig in Aufruhr befand, sondern dass es tatsächlich nicht nachvollziehbare Geschehnisse gegeben hat“, meint Fatma Karacakurtoglu – und sie ergänzt: „Dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat, ist aber noch nicht ausreichend. Es müssen strukturelle Veränderungen vorgenommen werden – und das kann nur auf politischer Ebene passieren. Es ist wichtig, die Vorgaben in einer Situation, in der ein Messer mitgeführt wird – gerade bei Suizid gefährdeten Jugendlichen – zu hinterfragen und möglicherweise auch zu überarbeiten.“
Wichtig sei aber auch die Einrichtung einer unabhängigen Stelle zur Kontrolle der Polizei oder einer unabhängigen Beschwerdestelle, betont die linke Politikerin. „Dass Polizeibeamte das Handeln der eigenen Kollegen untersuchen müssen, ist – milde ausgedrückt – nicht glücklich.“
Sehr gut sei allerdings, dass insbesondere der Dortmunder Polizeipräsident den Dialog zu den Migrantenverbänden aufrechterhalte und auch Konsequenzen aus der Situation gezogen habe, lobt Fatma Karacakurtoglu. „Es gibt neue Formate, die den Weg endlich dazu eröffnen, Kontakte mit den Minderheitengesellschaften bzw. mit den Menschen in der Nordstadt zu knüpfen und sich auszutauschen. Es ist wichtig, dass weitere Formate folgen, wie sie in dem Dialogkreis auch erarbeitet wurden.“
Ulrich Sander
Die Bewaffnung der Polizei mit Tasern und Maschinenpistolen, die in jedem Polizeiwagen mitzuführen, sind, geht auf eine Anordnung von Innenminister Herbert Reul (CDU) zurück. Diese Anordnung kann nur als Aufforderung angesehen werden, diese Waffen auch einzusetzen. Dagegen haben wir protestiert und demonstriert – in Dortmund wie in Düsseldorf. Der Innenminister soll zurücktreten!
Wolfgang Richter
Dem Staatsanwalt ist für seinen Mut zu danken, den sinnlosen Tod des Jungen aus dem Senegal und daran beteiligte Polizei vor Gericht zu stellen. Es ist aber zu fürchten, dass der Versuch, polizeiliches Versagen zu be- und verurteilen, zu kurz greift und “Bewährungen” und “Freisprüche” produzieren wird.
Der Totschlag war eine Tat im Rudel – eine ganze Polizeiwache war engagiert und kollektiv beteiligt. Ein Einsatzleiter hat befohlen – ist ihm niemand ins Wort gefallen? Zwei Polizistinnen haben Nahkampfinstrumente eingesetzt – hat keiner ihrer Kameraden Halt gerufen? Ein Waffenträger hat geschossen – hat ihm niemand die Waffe aus der Hand gedreht?
Ein halbes Jahr wurde recherchiert, wer im Rudel mehr und wer weniger beteiligt war. Das ist gut. Aber anzuklagen ist vor allem auch die Rudelbildung selbst und ihre gedankliche und ideologische Verfassung. Polizeipräsidenten und Justizminister tragen Verantwortung, der sie nicht gewachsen sind.