Klack-Klack-Klack – der Boden wackelt. Ohje, schon was kaputt gemacht? Nein, nur mutig weiter, denn mit jedem Klack gerät man tiefer ins Herz der neuen Ausstellung des Dortmunder Kunstvereins – und wird Teil eines größeren Systems.
Unter dem Titel „Wet Resistance“ (Feuchter Widerstand) werden neun künstlerische Positionen vorgestellt, die verunsichern und denen ein Hauch Weltuntergang, aber auch Humor und Schönheit gemeinsam sind. Eine Mischung, für die der Künstler José Montealegre (geb. 1992 in Honduras) und Rebekka Seubert, künstlerische Leiterin des Dortmunder Kunstvereins, verantwortlich sind. Es ist die zweite Ausstellung am neuen Standort des Kunstvereins, Rheinische Straße 1. Alles ist noch im Umbau, aber dieses Provisorium nutzen die Macher:innen geschickt.
Die Tomatillo – eine Botschaft aus der Vergangenheit
Der labile Kachelboden ist bereits Teil der Inszenierung. Ihm entspringt eine filigrane Pflanze, ihre Blätter sind aus Kupfer und ranken an Bambusstäben dem Licht entgegen. Die Arbeit ist von Montealegre selbst und sie ist eine Botschaft aus der Vergangenheit.
Der Titel „Página 295“ bezieht sich auf exakt diese Seite in einer Enzyklopädie aus dem 17. Jahrhundert über Pflanzen und Tieren der „neuen Welt“. Hier fand der Künstler in der Darstellung der Tomatillo, einer Urform der Tomate, sein Vorbild.
Heute ist diese Pflanze verschwunden, genau wie die Enzyklopädie – die Wertschätzung der „alten Welt“ gilt nur noch dem Kupfer. Er wird vorwiegend in Südamerika abgebaut und ist als Stromleiter aus der Elektrotechnik nicht mehr wegzudenken.
Auf den zweiten Blick wird es meistens unangenehm
Neben der „Tomatillo“ schaukelt eine Wasserpistole der besonderen Art. Darling López-Salinas (geb. 1987 in Nicaragua) hat sie aus Plastikmüll gebastelt. Sie wirkt harmlos und irgendwie lustig – doch ihre Ladung hat es in sich.
Vergiftete Wasser aus dem Lago de Managua, einem See ihrer Heimatstadt, verursacht durch illegale Abwasserentsorgung der Industrie.
Und Ambivalenz kennzeichnet auch die Werke der anderen Künstler:innen. Da liegen Fallen, die gefährlich aussehen und doch selbst aus zerbrechlicher Keramik sind (Hanna-Maria Hammari).
Zarte Vogelformen bedecken den Boden – gefertigt aus Bildschirmscherben, Ketten und anderem Schrott (Anna Solal). Sie sind eher Boten des Untergangs, als des nahen Frühlings.
Die in Milch badenden Dinosaurier auf den Fotos von Julian Irlinger (geb. 1986 in Erlangen) sind längst ausgestorben. Vor den Bildern steht ein neongelber Vogelkäfig von Tetsumi Kudo (Japan, 1935-1995). Ist darin etwa eine verkohlte Hand? Als die Atombombe auf Hiroshima fiel, war der Künstler 10 Jahre alt. Wann sterben wir aus?
Hilft uns die Technik oder ist sie unser Feind?
Schnell die Treppe hoch zu den Arbeiten von Berenice Olmedo (geb. 1987 in Mexico). Sauerstoffmasken verzieren die Wand, ihre Schläuche ragen in den Raum wie Krakenarme.
Spätestens seit der Pandemie sind uns diese Objekte näher als uns lieb ist. Daneben hat die Künstlerin eine medizinische Matratze platziert, die sich aufbläht und zusammenfällt. Auch dies ein Hinweis auf unsere Grenzen – technische Hilfe und Bedrohung zugleich.
Eine seltsame Welt ist es, der wir hier begegnen. Hell, klar strukturiert, schön, aber irgendwie unheimlich. Sie wird bewacht von zwei Frauenköpfen der Künstlerin Zoe Wiliams (geb. 1983, England).
Die Keramik-Büsten sind am Eingang und auf der ersten Etage platziert – zarte Wesen, bedeckt mit Algen und Würmern, so abschreckend, wie einladend.
Besucher:innen hinterlassen Spuren: Wer im Glashaus sitzt…
Von hier oben geben die großen Fenster den Blick frei auf die U-Bahn-Haltestelle und die Rheinische Straße. Menschen, Verkehr. Unten im Aquarium von James Krone (geb. 1975, USA) wuchern Algen. Eigentlich hatte der Künstler es vor drei Jahren nur mit Leitungswasser gefüllt, aber mit der Zeit …
Der neue Kunstverein, er erscheint uns in diesem Moment selbst wie eine Art Aquarium, ein Glaskasten in dem die Besucher:innen bereits Spuren hinterlassen haben. Fußspuren auf den Kacheln, Fingerabdrücke an den Scheiben.
Bei der Eröffnung schwappte die Performance rund um die „Liquid Currency-Bar“ auf den Wall. Tanzen, schwitzen, atmen – wir stören und doch sind wir es, die lebendig sind. Drinnen wackelt der Boden, draußen laufen die Menschen vorbei oder verharren an der Ampel. Das Handy in der Hand. Stehen sie nicht auch irgendwie auf schwankendem Grund?
Mehr Informationen:
- Die Ausstellung „Wet Resistance“ ist bis zum 30. Oktober 2022 in den Räumen des Dortmunder Kunstvereins unweit des Dortmunder U zu sehen.
- Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags von 15 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung.
- Der Eintritt ist frei.
- Weitere Infos und Begleitprogramm: dortmunder-kunstverein.de