Die Kritik am langsamen Agieren des Innenministers in der angespannten Flüchtlingssituation mehrt sich. Denn in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Dortmund-Hacheney ist die Lage mehr als angespannt – die Anlage ist an manchen Tagen bis zu 100 Prozent überbelegt.
Land soll endlich auf „Krisenmodus“ umstellen und zügig reagieren
Daher mehren sich die Forderungen, dass das Land auf „Krisenmodus“ umstellen soll, weil dies schnellere Reaktionen, weniger Bürokratie und vor allem die Einbeziehung von externen Partnern wie der Katastrophendienste ermöglicht.
Dortmund hat – sowohl bei der Bewältigung der Probleme in der EAE als auch bei der Unterbringung der kommunal zugewiesenen Flüchtlinge – im Herbst Krisenstäbe eingerichtet, wodurch die Problemlösungen beschleunigt wurden. Doch diesen Schritt geht man in Düsseldorf nicht.
Kanitz: Zustände sind für Flüchtlinge, Mitarbeiter und Anwohner unannehmbar
„Momentan halten sich täglich bis zu 900 Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Hacheney auf, die eigentlich für nur 350 Personen ausgelegt ist.
Was das für Schlafplätze, Hygienebedingungen und Essensausgabe bedeutet, kann sich jeder leicht vorstellen“, befindet der CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Steffen Kanitz.
„Die Zustände sind sowohl für Anwohner als auch für die Flüchtlinge und Mitarbeiter unzumutbar.
Wir fordern den Innenminister, Herrn Jäger, auf, seiner Verantwortung endlich gerecht zu werden und sehr kurzfristig für weitere Erstaufnahmeeinrichtungen zu sorgen“, sieht Kanitz einen unmittelbaren Handlungsbedarf.
CDU-Kritik am Innenminister: Nichthandeln spielt den Neonazis in die Hände
„Wenn dem Innenminister ernsthaft daran gelegen ist, die Rechtsextremen in unserer Stadt zu bekämpfen, dann muss er sich um die kommunale Flüchtlingsproblematik kümmern“, betont der CDU-Politiker.
„Bei uns brennt der Busch und Herr Jäger ergeht sich in markigen Interviews, ohne dass Dortmund geholfen wird.“
Kanitz spricht das aus, was viele in Dortmund nicht auszusprechen wagen: „Wir laufen sehenden Auges in ein Organisationsversagen des Landes.“
Manch anderer – nicht nur in Dortmund – nimmt dabei auch hinter vorgehaltener Hand – das Wort „Rücktrittsgrund“ in den Mund, wenn es in Kürze in Hacheney krachen und zu massiven Problemen kommen sollte.
Kritik an Infrastruktur für Flüchtlinge kommt auch von Amnesty International
„Angesichts der vielen Krisenherde weltweit sollte es für Europa selbstverständlich sein, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher. Ein Anstieg der Zahlen war absehbar“, sagt Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Berlin auf Nachfrage der Nordstadtblogger.
„Aber statt die Aufnahme von Asylsuchenden als gesellschaftliche Daueraufgabe zu betrachten, wurden in der Vergangenheit Kapazitäten abgebaut. Nur deshalb greifen die Kommunen zu Notlösungen wie die Unterbringung in Containerdörfern“, so Selmin Çalışkan.
„Das darf kein Dauerzustand bleiben“, heißt es dazu aus Berlin, ohne den konkreten Einzelfall im Blick zu haben.
Das NRW-Innenministerium weist die Kritik zurück: In Kürze neue EAE
Die Kritik an der eigenen Arbeit weist das Ministerium für Inneres und Kommunales zurück. Es habe die Bezirksregierungen beauftragt, weitere Notunterkünfte zu akquirieren, um alle Asylsuchenden unterbringen zu können: „Mittlerweile wurden bereits mehr als 2300 zusätzliche Unterbringungsplätze geschaffen, die bis zum Wochenende genutzt werden können“, berichtet Ministeriumssprecher Oliver Moritz.
Bei der Errichtung werde das Land durch Feuerwehren und Hilfsorganisationen unterstützt. Die Gespräche mit den Bezirksregierungen würden weitergeführt. Ziel ist es weiterhin, kurzfristig insgesamt bis zu ca. 3.000 Plätze in sogenannten zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) zu schaffen, um für eine Übergangszeit Flüchtlinge aufnehmen zu können.
Neue Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge sollen zeitnah eröffnen
„Das Land hat die Anzahl von Unterbringungsplätzen für Flüchtlinge in den Landeseinrichtungen in den letzten Jahren von 1.700 in 2012 bis heute auf 8.850 Plätze ausgebaut“, so Moritz weiter.
Auch in Sachen Erstaufnahmeienrichtungen soll es in Kürze Fortschritte geben: Neben der Erweiterung der EAE Bielefeld sind weitere Einrichtungen in Essen (auf dem ehemaligen „Kutel“-Gelände) und auf dem Gelände des ehemaligen JHQ in Mönchengladbach-Rheindahlen geplant.
Potentielle weitere Standorte würden laufend durch die Bezirksregierungen Arnsberg, Düsseldorf und Köln auf ihre Eignung geprüft, darunter Standorte in Düsseldorf (Bergische Kaserne), Wegberg, Olpe und Rees. In den Einrichtungen in Bad Berleburg und Burbach werde der Kreis Siegen-Wittgenstein ab Mai 2015 Erstaufnahmeeinrichtungen betreiben.
Bezirksregierung Arnsberg hat eine Familienbildungsstätte in Olpe beschlagnahmt
Wie hat beispielsweise die Bezirksregierung in Arnsberg – ob im „Krisenmodus“ oder nicht – auf diese Entwicklungen und Anweisungen aus Düsseldorf reagiert? In Olpe wurde per „Ordnungsverfügung“ das leerstehende „Regenbogenland“, eine nicht mehr genutzte Familienbildungsstätte, beschlagnahmt.
„Sie stand ohnehin leer und wir waren in Gesprächen für eine geplante längerfristige Nutzung“, bestätigt Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung in Arnsberg, auf Nachfrage der Nordstadtblogger.
Allerdings sind die Plätze so gut wie erschöpft. In Spitzenzeiten waren sie auch schon voll belegt, was die Not in Hacheney zusätzlich vergrößert. In Olpe sollen nun schon am Wochenende die ersten Menschen einziehen. Bis zu 350 neue Plätze stehen dort perspektivisch zur Verfügung. Das DRK wird die Menschen dort betreuen.
„Wir können die Leute ja nicht in die Obdachlosigkeit schicken“, begründet Söbbeler den Schritt. Weitere Plätze sollen hinzukommen: Daher hat das Innenministerium in allen Bezirken und Kommunen angefragt. Sie sollen Plätze zur sofortigen Meldung für Akutsituationen benennen.
Geteiltes Echo auf Vorschlag: Kosovo als sicheres Herkunftsland einstufen?
Im Januar 2015 hat sich die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo bundesweit gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als versechsfacht. Sie nahm von 451 Asylerstanträgen auf 3.034 Erstanträge zu. Insgesamt wurden im Januar bundesweit 21.679 Asylerstanträge gestellt.
Die Forderung, angesichts des Zustroms aus dem Kosovo, diesen zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären, stößt auf ein geteiltes Echo.
In diesem Zusammenhang stellt der Dortmunder CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Kanitz die Forderung auf, das Kosovo zum sicheren Herkunftsland zu erklären: „Auf Bundesebene müssen wir daher die Gespräche mit den Ländern führen, um hier für Entlastung zu sorgen.“
Ablehnung von Amnesty – Recht auf Einzelfallprüfung erhalten
Eine Maßnahme, die Amnesty ablehnt: „Nachdem Bund und Länder bereits Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer klassifiziert und damit das Asylrecht ausgehöhlt haben, ist die Einordnung des Kosovo ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Das Recht auf eine faire Einzelfallprüfung für jeden Schutzsuchenden aus jedem Herkunftsland ist das Kernstück des Asylverfahrens.“
„Schutzsuchende Menschen als Bedrohung darzustellen, ist eine Verdrehung der Tatsachen. Statt die Situation im Kosovo per Gesetz für sicher zu erklären, müssen sich die EU-Mitgliedstaaten und auch Deutschland mit Nachdruck dafür einsetzen, dass grundlegende Menschenrechte insbesondere für Minderheiten im Kosovo verwirklicht werden.“
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Clemens Schröer für Nordstadtblogger.de
Ein Kommentar von Nordstadtblogger Clemens Schröer zur Forderung, den Kosovo zum sicheren Herkunftsland einzustufen
„Unlängst haben überregionale Medien wie der „Spiegel“ über den „Massenexodus im Kosovo“ berichtet. Über Schlepper, aber auch über Mund-zu-Mund-Propaganda, habe sich herum gesprochen, dass man in Deutschland gut überwintern könne, befindet Rechtsdezernentin Diane Jägers.“
Aber diese „Kältewanderung“ erst jetzt, Mitte Februar, die ersten Frühlingsstrahlen vor der Tür? tagesschau.de vom 10. Februar schreibt dazu: „Der deutsche Bundespolizei-Präsident Dieter Romann appellierte an die Kosovaren. „Meine Hauptbotschaft ist: Verkauft nicht Haus und Hof, um das Geld Schleusern zu geben.“
Der Weg über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland sei ungewiss. Und die Ablehnung des Asylgesuchs sei zu fast 100 Prozent sicher: „Dem folgt die Abschiebung ins Kosovo, und Haus und Hof sind weg.“
Frau Jägers sollte sich fragen, ob man für ein paar warme Monate auf Kosten der deutschen Sozialkassen, wie der rechte Wutbürger immer so gern argwöhnt, wirklich Haus und Hof verkauft?
Im Sinne der Flüchtlinge wie der Einheimischen darf man hoffen, dass sich hier noch ein differenzierteres Bild ergibt, spätestens in den anstehenden Asylverfahren. Schließlich ist der Kosovo nach deutschem Recht kein sicheres Herkunftsland – und diese wohlbegründete Rechtsauffassung sollte doch nicht allein deshalb über den Haufen geworfen werden, weil die Zahl der Asylbewerber steigt.
Ganz im Gegenteil spricht eine stark steigende Flüchtlingszahl doch nicht für eine beruhigte Lage, sondern für sich verschlimmernde Zustände in diesem von Nationalismus, ethnischen Durchstechereien, mafiöser Korruption und Clanwirtschaft gepeinigten Land.
Vor allem die Minderheiten der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter sind im Kosovo vielfältigen Diskriminierungen und Übergriffen ausgesetzt, die ihre elementare Menschenwürde verletzen. Dasselbe gilt abgeschwächt für die Albaner im serbischen und umgekehrt für die Serben im überwiegend albanisch dominierten Teil des Landes. Viele Flüchtlingsorganisationen, wie auch die katholische Caritas warnen daher eindringlich vor Abschiebungen nach negativ beschiedenen Asylverfahren.
Herr Kanitz, der Dortmunder CDU-Bundestagsabgeordnete, fordert vom sozialdemokratischen Innenminister einerseits die Flüchtlingshilfe sofort und massiv aufzustocken, andererseits durch die Erklärung des Kosovo zum sicheren Herkunftsland die Flüchtlinge abzuschrecken, und zwar auch deshalb, weil sonst der braune Brodem brodeln könnte.
Diese letzte Spitze mag dem politischen Parteienkampf geschuldet sein, aber hier werden zwei Politikfelder unzulässig vermischt: Flüchtlingspolitik macht man völlig unabhängig davon, was irgendwelche Dortmunder Nazis davon halten!
Es geht um deutsches Recht, Hilfe in Notlagen, menschenwürdige Aufnahmebedingungen, gerechte juristische Prüfungen der Asylbegehren, eine aufklärende Informationspolitik der aufnehmenden Bevölkerung, Unterstützung einer zivilgesellschaftlichen Willkommenskultur.
Im Weiteren geht es um Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation in den Fluchtländern – im Falle des Kosovo mehren sich natürlich jetzt die Zweifel, ob Deutschland und die EU hier wirklich das Notwendige tun.