Ein Gastbeitrag von Florian Pap (Münster) für das Hoesch-Museum
Werkswohnungen, Freizeitangebote und betriebliche Altersversorgung waren und sind Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsqualität, die die Attraktivität einer Betriebszugehörigkeit steigern. Die Westfalenhütte in Dortmund war beispielhaft für eine große Anzahl solcher Angebote.
Für Betriebe waren Arbeiterwohnungen bereits um 1870 schon eine produktive Investition
In diesem Kontext sollen aber auch betriebsrätliche Kämpfe und Aktionen um mehr Mitsprache und Anerkennung nicht unerwähnt bleiben. Somit stand die Hoesch AG in Dortmund immer zwischen der Wirtschaftlichkeit bestimmter Forderungen der Belegschaft und ihrem sozialen Anspruch.
An vielen schwerindustriellen Standorten wird heute wie vor 150 Jahren versucht, den Arbeitskräften Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Für Betriebe waren Arbeiterwohnungen bereits um 1870 schon eine produktive Investition, denn nur mit ihnen konnten qualifizierte Arbeitskräfte an einem Standort gehalten werden, die sonst häufig für höheren Lohn den Betrieb wechselten.
Krankenkassen, Speiseanstalten und Einkaufsmöglichkeiten geschaffen
Zusätzlich wurden Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen, um die Arbeitnehmer und ihre Familien an die Arbeitsstätte zu binden. Dazu zählten beispielsweise Krankenkassen, Speiseanstalten und Einkaufsmöglichkeiten.
Den Gegensatz bildeten Kost- und Logierhäuser für ledige Männer, die als reine Übergangslösungen betrachtet und daher bei Hoesch allerdings kaum gebaut wurden.
Ziel war es, Wohnraum für die gesamte Belegschaft zu schaffen
Hoesch begann im Oesterholz bereits 1872 – ein Jahr vor Inbetriebnahme des Eisen- und Stahlwerks – mit dem Bau der ersten Werkswohnhäuser aus Ringofensteinen.
Die Zahl dieser Wohnungen nahm in den kommenden Jahrzehnten ebenso sprunghaft zu wie die Zahl der Arbeitskräfte im Werk, weil versucht wurde, Wohnraum für die gesamte Belegschaft zu schaffen. Auf diese Weise entstanden Wohnung um Wohnung ganze Arbeitersiedlungen, wie das Hoesch-Viertel um den Borsigplatz.
Um den Wohnungsmangel zu beseitigen, der im 19. und 20. Jahrhundert durch starke Arbeitszuwanderung und Kriegszerstörungen immer wieder bestand, mussten allerdings auch minderwertige Wohnsituationen geschaffen werden: Scheunen wurden umgebaut, Wohnungen geteilt, es gab zu wenig Toiletten (Badezimmer grundsätzlich nicht) oder die Räume waren feucht.
Der Kampf um Mitbestimmung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen
Viele Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsqualität mussten von der Belegschaft erkämpft werden. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg ging es in dieser Hinsicht voran.
Man setzte durch die Bildung eines Betriebsrates bereits 1947 einen Wandel in Gang: Vom paternalistischen Handeln eines Vorstands, der glaubte zu wissen, was seine Arbeiterschaft benötigte, hin zur Durchsetzung von Verbesserungen, die sie sich tatsächlich wünschte.
Ist der Kampf um Mitbestimmung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen doch so alt wie die Industrialisierung selbst. Spätestens seit den 1950er-Jahren stellte die Belegschaft dabei einen neuen Typus von Hüttenarbeiter dar, der seine Arbeitskraft selbstbewusst und rational betrachtete und Mitbestimmung einforderte.
Das betriebliche Vorschlagswesen als ein Instrument der Mitsprache
So gab es seitdem beispielsweise das betriebliche Vorschlagswesen, das Vorschläge für Produktionsverbesserungen mit teils hohen Geldsummen prämierte. Die Belegschaft betrachtete das als ein Instrument der Mitsprache.
Die Verbesserungen waren vielfältig – unter anderem eine betriebliche Krankenkasse. Eingerichtet wurde sie schon nach Inbetriebnahme um 1873 und war seitdem dazu gedacht, Kosten für Krankheitsausfälle oder Unfälle zu übernehmen. Ihr zusätzlicher Vorteil war, dass von Beginn an auch die Familie der Versicherungsnehmer*innen mitversichert war.
Sehr bald wurde die Versicherung um eine betriebliche Altersversorgung erweitert. Arbeitnehmer*innen erhielten durch diese Sozialversicherung nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren eine Werksrente, die auch Witwen- und Waisenrenten umfasste.
Gleichzeitig wurde von Seiten des Konzerns durchaus versucht, offensichtliche Probleme der Arbeitskrafterhaltung auf die Arbeitnehmer*innen abzuwälzen.
Viele Einrichtungen zielten darauf, die Lebensqualität der Belegschaft zu verbessern
Statt die Arbeitszeit zu verringern, wie der Betriebsrat es immerwährend forderte, schrieb die Betriebszeitung beispielsweise 1957, man solle besser früher aufstehen und nicht ohne Frühstück zur Arbeit hasten – das täte der Gesundheit besser.
Statt Gefahrenherde zu beseitigen, wurden die Arbeiternehmer*innen darüber aufgeklärt, wie sie zu umgehen seien. Erst später ging die Konzernführung dazu über, Geräte und Arbeitsplätze entsprechend anzupassen.
Nichtsdestoweniger wurden gerade in den 1950er-Jahren, in Zeiten großen wirtschaftlichen Aufschwungs – viele Einrichtungen geschaffen oder erweitert, die die Lebensqualität der Belegschaft nochmals verbesserten.
Dazu gehörte die Erweiterung der schon seit 1916 bestehenden Kleingartensiedlungen. Sie waren zunächst zur Versorgung entstanden, um kriegsbedingte Lebensmittelengpässe auszugleichen. Erst ab der Nachkriegszeit wurden sie überwiegend zur Erholung genutzt.
Die Freizeitgestaltung ist seit 1918 ein Thema auf der Westfalenhütte
Ein weiteres Mittel, die Belegschaft bei ihrer Freizeitgestaltung zu unterstützen, war die schon 1918 eingerichtete Werksbücherei, die von der Belegschaft und ihren Familien genutzt werden konnte.
Darüber hinaus wurde 1941 die Betriebssport- und Erholungsanlage im Spähenfelde mitsamt einer Radrennbahn und Tennisplätzen eingeweiht, die 1955 um Spielplätze und eine Kindertageseinrichtung erweitert wurde.
Ebenso existierte seit 1951 eine Rollschuhbahn, die im Winter als Eisbahn verwendet werden konnte; zu ihr gehörte auch ein neues Sportheim mit Clubraum und Umkleiden. Zuletzt wurde die bereits seit 1892 bestehenden Formen von Werksverpflegung 1951 um einen Gaststättenbetrieb erweitert.
Erkämpfte Verbesserungen bilden den Grundstein für den Stolz der Hoeschianer:innen
Die Hoesch AG hat in Zusammenarbeit mit ihrer Belegschaft am Standort Westfalenhütte über die Jahrzehnte viele Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsqualität umgesetzt.
Allerdings lässt sich betriebliche Sozialpolitik wohl in verschiedene Schubladen einsortieren: Verbesserungen, die der Konzern aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen selbst entschied und solche, die sich die Arbeiterschaft erkämpfen musste.
Sie bildeten den größten Baustein für den Stolz, den die Dortmunder Hoeschianer*innen für ihr Werk, ihren Arbeitsalltag und ihre Kolleg*innen empfanden.
Literatur
- Dascher, Ottfried (1992): ‘Die Eisen- und Stahlindustrie des Dortmunder Raumes (1847-1873). Entstehung und Gründerjahre’. In: Dascher, Ottfried; Kleinschmidt, Christian (Hg.): Die Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum. Hagen: Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V., S. 65-80.
- Eden, Sören; Möbius Thorben (2020): ‘Der Ort der ‘Betriebsgemeinschaft’ in der deutschen Gesellschaft 1933-1945’. In: Becker, Frank; Schmidt, Daniel (Hg.): Industrielle Arbeitswelt und Nationalsozialismus. Der Betrieb als Laboratorium der ‘Volksgemeinschaft’ 1920-1960. Essen: Klartext, S. 28-60.
- Gladen, Albin (1982): ‘Die ‘soziale Frage’ im Prozeß der Industrialisierung Dortmunds’. In: Luntowski, Gustav; Reimann, Norbert (Hg.): DORTMUND. 1100 Jahre Stadtgeschichte. Festschrift. Dortmund: Fr. Wilh. Ruhfus, S. 249-270.
- Hindrichs, Wolfgang; Jürgenhake, Uwe; Kleinschmidt, Christian; Kruse, Wilfried; Lichte, Rainer; Martens, Helmut (2000): Der lange Abschied vom Malocher. Sozialer Umbruch in der Stahlindustrie und die Rolle der Betriebsräte von 1960 bis in die neunziger Jahre. Essen: Klartext.
- Krömeke, Eberhard G. (2002): “Der starke Westphalen“. Carl Westphalen. Der Herkules des Paderborner Landes. Lichtenau-Hebram: Arbeitsgemeinschaft Dorf Hebram/Hebram-Wald.
- Lauschke, Karl (2000): Die Hoesch-Arbeiter und ihr Werk. Sozialgeschichte der Dortmunder Westfalenhütte während der Jahre des Wiederaufbaus 1945-1966. Essen: Klartext.
- Mönnich, Horst (1971): Aufbruch ins Revier. Aufbruch nach Europa. HOESCH 1871-1971. Dortmund: HOESCH AG.
- Unverferth, Gabriele (1992): ‘Arbeiterwohnungsbau vor dem ersten Weltkrieg’. In: Dascher, Ottfried; Kleinschmidt, Christian (Hg.): Die Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum. Hagen: Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V., S. 97-116.
Quellen
Interviewtranskripte aus dem Hoesch-Museum Dortmund, die allerdings noch nicht archiviert wurden.
Reader Comments
Frank Motzek
Leider falsch recherchiert! Auf dem dritten Bild handelt es sich NICHT um die Woldenmey-Siedlung um 1970 in Derne, sondern vielmehr um die erst 1972 bezogene Siedlung in Kirchderne (In der Teufe, Sattelweg, Kuppenweg). Das Foto wurde vom Sattelweg aus gemacht und zeigt im Hintergrund die Rückansicht der Häuser „In der Teufe 1 + 3“
Redaktion Nordstadtblogger
Vielen Dank für den Hinweis. Die bisherige Bildunterschrift war tatsächlich verkehrt und wurde nun geändert. Trotz der Ähnlichkeit der abgebildeten Punkthäuser handelt es sich nicht um die Woldemey-Siedlung, sondern um die kurz danach errichtete Hoesch-Siedlung in Kirchderne