Jahrelang wurde darüber diskutiert. Jetzt ist ohne große Ankündigung und damit auch ohne große Aufmerksamkeit am Donnerstag ab 15 Uhr erstmals die Ratssitzung der Stadt Dortmund live im Internet übertragen worden. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.
Den Livestream verfolgten immer nur eine zweistellige Nutzer*innen-Zahl
Das Konzept sieht vor, dass neben der Sitzungsleitung nur die Redner*innen frontal gezeigt werden, die an eines der beiden seitlichen Redepulte gehen. Ansonsten wird nur die Totale des Rates von hinten gezeigt und nur der Namen des redenden Ratsmitglieds eingeblendet. Wenn ein Ratsmitglied dem Livestreaming nicht zustimmt, wird auch dessen Ton im Stream ausgeschaltet. ___STEADY_PAYWALL___
Auf Nachfrage bei der Stadtspitze wurden mit dem mehr als vierstündigen Livestream auf den verschiedenen Kanälen insgesamt über den gesamten Verlauf der Ratssitzung knapp 2.000 Zuschauer*innen erreicht. Via YouTube waren durchweg aber nur zweistellige Nutzerzahlen online – viele von ihnen saßen auch im Ratssaal, die auf dem Handy oder dem Tablet auf die Umsetzung des Streaming schielten.
Die durchschnittliche Wiedergabezeit lag nach städtischen Angaben allerdings nur bei 10:22 Minuten. Oberbürgermeister Thomas Westphal gab sich auf Anfrage von Nordstadtblogger zur Bewertung ungewohnt wortkarg: „Der OB ist mit der Umsetzung des Streams zufrieden“, ließ er über sein Büro verlauten.
Das Online-Format soll die Rats-Diskussionen transparenter machen
Deutlich gesprächiger zeigten sich die Fraktionen im Rat, die die Sitzungen sehr unterschiedlich beurteilten: „Wir Grünen freuen uns, dass das Livestreaming der Ratssitzungen jetzt endlich auf den Weg gekommen ist. Immerhin haben wir schon 2012 die Initiative dazu gestartet. Unser Ziel war und ist es, über ein solches Format die inhaltliche Diskussion im Rat für die Bürger*innen der Stadt transparent zu machen“, sagte Fraktionssprecher Ulrich Langhorst.
Allerdings sei das Streaming nicht dafür gedacht gewesen, Wahlkampf zu führen. „Einige Ratsmitglieder schienen das gestern allerdings missverstanden zu haben. Nachdem jetzt zehn Jahre von unserer Initiative bis zur Umsetzung ins Land gegangen sind, hätte man vor diesem Hintergrund den Start besser auf die November-Sitzung – und damit auf die Zeit nach der Bundestagswahl – verschoben“, so der Sprecher der Grünen.
Die Kritik wegen einer Funktionalisierung auf den Wahlkampf hin zielt vor allem auf die AfD, in Teilen aber auch auf die Liberalen: „Die AfD hat die Übertragung auf jeden Fall instrumentalisiert und in Teilen pervertiert, kommentierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Hendrick Suck die Online-Premiere des Rates. „Es war geradezu hanebüchen, zu behaupten, dass sie den Livestream auf den Weg gebracht hätten“, kritisierte er die Beiträge der AfD, die die Einführung des Livestreams erneut für sich reklamierten.
Doch auch Teile der Auftritte von FDP-Frontmann Michael Kauch kritisierte der CDU-Fraktionschef: Vor allem der Zusatzantrag der FDP für die Förderung des Schlau-Kontextes sei „eine reine Show-Veranstaltung“ gewesen: „Im Ausschuss war alles besprochen und es gab auch keinen Dissens, in die Förderung einzusteigen“, so Suck.
Alle Fraktionen kritisieren AfD für Wahlkampf und Instrumentalisierung
„Das Streaming wurde bei seiner Premiere natürlich vom Bundestagswahlkampf überlagert. Dies beschränkte sich aber auf wenige Tagesordnungspunkte“, bewertete der Gescholtene Michael Kauch, Fraktionsvorsitzender von FDP und Bürgerliste, die Sitzung.
„Ob sich die Diskussionen dauerhaft verändern, wird der ,Normalbetrieb’ außerhalb von Wahlkampf-Zeiten zeigen“, so Kauch. „Die AfD hat ihre Reden gespickt mit Themen, die nicht im Rat der Stadt Dortmund entschieden werden. Solche sachfremden Reden sollten in Zukunft vermieden werden.“
Kauch war der einzige, der neben der AfD auch ab und zu eines der Redepulte nutzte und somit im Stream „Gesicht zeigte“: „Genutzt habe ich sie bei eigenen Anträgen unserer Fraktion – das hebt die Bedeutung des eigenen Anliegens hervor und zeigt auch Respekt gegenüber den Zuschauerinnen und Zuschauern.“
„Zugleich habe ich das Pult genutzt bei Antworten auf Vorredner, die selbst vom Pult geredet haben“, so Kauch. Die scharfe Replik von Kauch auf ein AfD-Statement kaum übrigens auch bei der CDU gut an, was der CDU-Frontmann bei aller Kritik ausdrücklich lobte. „Die Antwort auf die AfD war richtig gut.“
„Die AfD hat das Ratsstreaming als Bühne für sich und ihren Wahlkampf genutzt. Von den anderen Fraktionen gab es allerdings mehr Gegenrede als sonst. Allen Fraktionen ist bewusst, dass nun mehr und stärker gegengehalten werden muss“, unterstreicht die SPD-Fraktionsvorsitzende Carla-Neumann-Lieven.
„Der Stream insgesamt hat sich aus meiner Sicht bewährt“
„Die Rednerinnen und Redner haben sich insgesamt diszipliniert und ihre Wortbeiträge kurz gehalten. Die Redebeiträge waren nicht so ausschweifend wie sonst. Allerdings geht die Natürlichkeit und Authentizität etwas verloren“, bewertet die SPD-Frontfrau die Premiere.
Die Fraktion „Die Linke+“ ist mit dem neuen Online-Angebot zufrieden: „Mit Ausnahme der AfD, die versucht haben, den Live-Stream für den Wahlkampf zu missbrauchen, waren die Verhaltensänderungen aus meiner Sicht marginal. Der Stream insgesamt hat sich aus meiner Sicht bewährt“, findet Fraktionschef Utz Kowalewski.
„Auf das Verhalten der Rechtsextremisten musste man natürlich reagieren, damit deren Aussagen auch für die Öffentlichkeit eingeordnet werden und ihnen die Bühne nicht überlassen wurde“, so der Linken-Politiker.
Die AfD habe nicht nur Wahlkampf gemacht, sondern auch im Stream nochmal das gezeigt, was der Rat schon seit einigen Jahren wahrnehme: Die Dortmunder AfD habe sich zunehmend radikalisiert und werde vom Flügel eines Herrn Höcke dominiert, findet Utz Kowalewski.
„Zwischen Herrn Helferich und Hardcore-Nazis … besteht kein Unterschied“
„Zwischen einem Herrn Helferich und Hardcore-Nazis wie dem ehemaligen Ratsmitglied Michael Brück (DIE RECHTE/NPD), der sich wegen mangelndem Erfolg inzwischen nach Chemnitz abgesetzt hat, besteht in den inhaltlichen Aussagen kein Unterschied“, so der Fraktionsvorsitzende von „Die Linke+“.
Auf Abstimmungsergebnisse habe das Getöse der Rechtsextremisten natürlich keinen Einfluss gehabt, „zumal die AfD in den Ausschüssen und im Rat gar nicht inhaltlich mitarbeitet oder versucht, etwas für die Dortmunder Bürger zu erreichen, sondern nur versucht bei Ratssitzungen zu agitieren“, so Kowalewski.
Die Bewertung fällt aus Sicht der AfD natürlich gänzlich anders aus. Sie reklamierte auch auf Nachfrage, „dass es ohne unsere entsprechenden Anträge zum Live-Streaming eine Übertragung aus dem Hinterzimmer in die Wohnzimmer der Bürger bis heute nicht geben würde“, so AfD-Fraktionsvorsitzende Heiner Garbe. „Die Premiere war unspektakulär, aber gut.“
„Instrumentalisierung im Wahlkampf ist kein ernst zu nehmender Vorwurf. Für mich ist im Kampf um unser Land täglich Wahlkampf und ich nutze alle Instrumente, um möglichst direkt mit den Bürgern zu kommunizieren“, so Garbe.
Alle Fraktionen wünschen sich Aufnahmen vom Platz aus
„Die Ratsvertreter*innen müssen erstmal Erfahrungen mit dem Live-Streaming sammeln. Die Ratsvertreter*innen sind keine Berufspolitiker*innen und daher auch keine Medienprofis“, erklärt Carla Neumann-Lieven (SPD). „Sie üben ihr Mandat ehrenamtlich aus. Sie müssen erstmal einen sicheren Umgang damit erarbeiten. In den kommenden Ratssitzungen wird das Redepult dann auch von unserer Fraktion genutzt.“
Fast alle Parteien sehen noch Verbesserungsbedarf: So ist das Konzept, dass nur die Redenden gezeigt werden, die zu den Pulten gehen, für mehrere Fraktionen verbesserungswürdig.
„Ratssitzungen gehen im Regelfall bis in den späten Abend. Auch nach der öffentlichen Sitzung, die über den Stream ins Internet übertragen wurde, fand ja noch eine nicht-öffentliche Sitzung statt, die ebenfalls mehrere Stunden angedauert hatte“, erklärt Utz Kowalewski.
„Wenn jeder zu jedem Redebeitrag zum Redepult geht, dann wird die Sitzung sehr in die Länge gezogen. Daher habe ich vom Redepult nur spärlichen Gebrauch gemacht.“
Kostenfaktor: Wunsch nach einer zusätzlichen Kamera von vorne
Diese Sorge teil auch Ulrich Langhorst: „Will man die Sitzung zukünftig nicht durch die Wege jedes einzelnen Ratsmitglieds nach vorn endlos verlängern und vor allem den Zuschauer*innen eine Zuordnung ermöglichen, wäre es gut, die Redner*innen bei ihren Redebeiträgen am Platz zu zeigen“, so der Grünen-Sprecher.
„Der Blick von hinten auf die Rücken der Ratsmitglieder hilft da wenig. Der Gang zum Redner*innenpult bliebe – wie vorab unter den Fraktionen besprochen und in der Vergangenheit auch so gehandhabt – den Punkten von besonderer Bedeutung vorbehalten.“
„Man sollte überlegen, ob man nicht noch eine Kamera aufstellt, die vorne steht und in der Lage ist, die Ratsmitglieder an ihrem Platz von vorne zu filmen“, ergänzt CDU-Mann Jendrick Suck. „Dann kommt jeder zu seinem Bild und man muss nicht auf Wanderschaft gehen. Wir müssen sehen, wieweit das technisch möglich ist.“
Das sei natürlich auch eine Kostenfrage: „Die Form, die gewählt wurde, ist ein Kompromiss zwischen einer optimalen Bildführung und den Kosten, die dadurch entstehen. Ein Kameraaufwand wie im Landtag oder Bundestag wäre kostenmäßig nicht vertretbar“, findet Michael Kauch.
„Der Auftakt ist gemacht. Jetzt müssen wir an die Feinjustierung“
Lob gab es aber für die Qualität der Bilder und dafür, dass das Einblenden der Namen und Fraktionszugehörigkeiten per Bauchbinde gut geklappt hat. Wichtig sei es, dass die Debattenbeiträge den Fraktionen zur eigenen Verwertung ihrer Beiträge zur Verfügung gestellt werden.
Dieser Wunsch des Rates ist bisher von der Verwaltung noch nicht umgesetzt worden, bereitet aber auch manchen Ratsmitgliedern Kopfzerbrechen. Denn wenn die Fraktionen nicht nur die eigenen Beiträge, sondern die von allen Fraktionen bekämen, könnte es zu missbräuchlichem Verhalten kommen.
Dann laufe man Gefahr, dass dann beispielsweise Redebeiträge oder auch süffisante Bemerkungen „im Spiel mit einem Mitbewerber“ aus dem Kontext gerissen würden, so Suck. Dennoch ist er froh, dass es losgeht: „Der Auftakt ist gemacht, das ist auch als Signal gut. Jetzt müssen wir an die Feinjustierung gehen.“
Der Livestream ist übrigens für die gesamte Wahlperiode online abrufbar:
Anmerkung der Redaktion: Nordstadtblogger hat auch die Fraktion von „Die Partei“ angefragt, aber bislang keine Antwort erhalten. Sollte sie noch kommen, werden wir aktualisieren.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Reader Comments
Tungay Özcan
Verständlich, dass die anderen Fraktionen gern die AfD verstecken möchten. Im Zusammenspiel mit der tiefroten Medienlandschaft hat das ja bisher auch gut funktioniert und man konnte alles über die AfD behaupten ohne Beleg und ohne dass die zu Wort gekommen wäre.
Nun kann sich der Bürger ein eigenes Bild machen. Wenn Ratsmitglieder nicht in der Lage sind mit solchen Instrumenten zu interagieren, dann sind sie für mich ungeeignet. Wer nicht einmal seinen eigenen Beitrag am Pult vortragen kann, hat in einem Parlament nichts zu suchen. Selbst Schulkinder müssen Referate vor ihrer Klasse halten.
Der Einsatz von Kameras, die jeden auf seinem Platz einfangen, ist viel zu aufwändig. Nun beweist sich, ob Politik in Dortmund nur in Freundeskreisen ausgeklüngelt wird oder ob es auch wirklichen Sachverstand gibt.