DGB-Kundgebung zum 1. Mai unter freiem Himmel – Immer mehr Betriebe verschlechtern die Arbeitsbedingungen

Erster Mai-Kundgebung 2021 auf dem Friedensplatz. „Ohne uns, kein Geschäft“, steht auf der Plakatreihe.

Von Susanne Schulte (Text) und Klaus Hartmann (Fotos)

Vor allem die, die für die 1. Mai-Kundgebung auf dem Friedensplatz arbeiten mussten, waren glücklich. „Nach 14 Monaten ist es unser erster Auftritt“, sagten die Musiker Thilo und Hennes, die vor, zwischen und nach den Reden und Interviews mit bekannten Liedern zum Mitsingen und Mitwippen gute Laune verbreiteten. Das tat gut nach den vielen Berichten über die schlechten Arbeitsbedingungen aus vielen Dortmunder Betrieben. 200 Zuschauer*innen innerhalb des abgesperrten Bereichs hörten und sahen zu, eine ganze Reihe hielt sich noch hinter den rot-weißen Bändern auf. Dank der bestens funktionierenden Lautsprecheranlage gingen kein Wort und kein Ton verloren. Dass es kein Gedränge gab, gefiel der Dortmunder DGB-Vorsitzenden Jutta Reiter. „Danke, dass ihr zuhause geblieben seid“, sagte sie allen, die vor den Computerbildschirmen zusahen.

„Die Krise hat wie ein Brennglas die Missstände in der Gesellschaft öffentlich gemacht“

Jutta Reiter, DGB

Solidarität lebe vom direkten Austausch und von persönlichen Kontakten. So sei dann auch ein 1. Mai der Repräsentan*innen besser als gar kein 1. Mai unter freiem Himmel, griff sie das Motto des Gewerkschaftsbundes in diesem Jahr auf, das lautet: „Zukunft ist Solidarität“.

Und in diesem Sinne schickte sie auch herzliche Grüße an die Demokrat*innen, die auf dem Wilhelmsplatz in Dorstfeld Gesicht gegen die aus der Nazi-Szene organisierte Veranstaltung zeigten. „Wir wollen die Plätze nicht den Corona-Leugnern und den Rechten überlassen“, sagte Reiter.

„Die Krise hat wie ein Brennglas die Missstände in der Gesellschaft öffentlich gemacht“, so die DGB-Vorsitzende und nannte als Beispiele die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die Minijobber*innen, die kein Kurzarbeiter*innengeld erhalten und die Frauen, die in ihren Wohnungen ihre Jobs erledigen, die Familien versorgen und die Kinder unterrichten.

„Ein ,weiter so‘ nach der Pandemie darf es nicht geben.“ So sei auch eine Schuldenbremse eine Zukunftsbremse. Wer glaube, über die Erhöhung des Renteneintrittsalters die Finanzierung der Pandemieausgaben zu stemmen, habe „sie nicht mehr alle an der Latte“.

 Amazon orientiert sich immer an der Branche mit den niedrigsten Löhnen

Ayla Celik, stellvertretende Vorsitzende der GEW in NRW

Ayla Celik, die stellvertretende Vorsitzende der GEW (Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft) in Nordrhein-Westfalen, mahnte, „das Gegeneinander darf nicht stärker werden als das Miteinander. Dann ist die Demokratie in Gefahr.“ Als sie die Live-Musik von der Bühne gehört habe, sei ihr erneut bewusst geworden, „wie wichtig Kultur und Begegnung für das seelische Wohlbefinden sind“.

Einer Krise könne man nicht hinterher sparen. Man müsse aus ihr herauswachsen. Das betreffe auch die Stellen der Lehrkräfte. Schon heute seien viele Tausende nicht besetzt, in nächster Zeit würden weitere 15000 frei. Die Landesregierung schlage vor, dass Beamt*innen freiwillig 44 Stunden die Woche arbeiten sollten. Diese Idee sei keine Investition in die Attraktivität des öffentlichen Dienstes.

Wie es in der Privatwirtschaft aussieht, bei Tedi und Amazon, bei Hülpert und Real, bei Trinkgut und der LEG-Tochter TSP sowie bei den Thalia-Buchläden erzählten anschließend in von Jutta Reiter moderierten Interviews Betriebsrät*innen und Vertrauensleute aus den Betrieben.

Amazon orientiert sich immer an der Branche mit den niedrigsten Löhnen

Denis Walter, Real

Azis von Kralik-El Boutaybi berichtet, dass für Amazon-Beschäftigte kein Tarifvertrag gelte, das Unternehmen sich stets an der Branche mit den niedrigsten Löhnen orientierte. In Deutschland sei das die Logistikbranche, in Italien – genau umgekehrt – der Einzelhandel. Die Amazon-Belegschaften in Deutschland fordern den Einzelhandelstarif für sich mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Vom Auf und Ab bei Real konnte Dennis Walter viel erzählen. Keine Tarifbindung, Sanierungstarifvertrag, Verkäufe des Unternehmens, Übernahmen der Läden durch Globus und Kaufland mit wieder keinen oder anderen Tarifverträgen.

Er forderte eine Allgemeinverbindlichkeit für den Handel, damit die Arbeitsbedingungen in allen Unternehmen für die Beschäftigten die gleichen seien, niemand gegeneinander ausgespielt werden könne.

Für die Edeka-Tochter Trinkgut gilt ein schlechterer Tarifvertrag als für die Lebensmittelläden

Mehmet Ali Dede – Trinkgut/Edeka

Das ist auch das Anliegen von Mehmet Ali Dede uns seinen Kolleg*innen bei Trinkgut, einer 2006 gegründeten Edeka-Tochter.

Einen Tag vor Ende der Friedenspflicht, nach der die Belegschaft für einen Tarifvertrag hätte streiken dürfen, entschied die Geschäftsführung, den Logistik-Tarifvertrag zu übernehmen, den schlechteren gegenüber dem Einzelhandelsvertrag, so der Gewerkschafter: „Edeka liebt Lebensmittel, aber seine Mitarbeiter nicht.“

So würden die Trinkgut-Angestellten in manchen Tarifgruppen um 30 Prozent schlechter bezahlt als die Konzern-Kolleg*innen bei Edeka. Die Trinkgut-Beschäftigen fordern einen Tarifvertrag, der für alle im Unternehmen gilt.

Buchhandels-Kette Thalia steigt jetzt aus dem Tarifvertrag aus

Meike Schnittfeld – ehemals Mayersche, jetzt Thalia

Auch im Kfz-Handwerk und im Buchhandel sehe es nicht rosig aus, so Martin Lenkowski, der Betriebsratsvorsitzende von Hülpert, und Meike Schnittfeld von Thalia. Hülpert sei nicht tarifgebunden und gehöre damit zu den 70 Prozent der Handwerksbetriebe, für die das ebenfalls gelte.

Es sei mühsam, die Belegschaft in der IG Metall zu organisieren, aber mit guten Aktionen und Ausdauer können auch das nach und nach gelingen. Thalia, die vor kurzen die Meiersche übernommen hat, sei jetzt auch aus dem Tarifvertrag ausgestiegen, so Schnittfeld.

Das hatte die Mayersche, wo sie arbeitete, schon 2017 gemacht. „Für uns wird sich ja nichts ändern. Aber für die Kolleg*innen“, fürchtete sie. 

Volksinitiative gegen Krankenhausschließung hofft auf 66000 Unterschriften

Barbara Granseuer – Altenpflegerin

Für eine gute Versorgung in Sachen Gesundheit streiten Barbara Granseuer und Dave Vaghose. Die Altenpflegerin erinnerte an die erfolglos verlaufenden Tarifgespräche für die Altenpflege.

Letztendlich hatten Caritas und Diakonie nicht unterschrieben. „Das ist frech. Dafür gab es keine Begründung“, sagte sie. Streiken sei in der Pflege kaum möglich, da Menschen zu betreuen seien. Und häufig sei auch die Verbundenheit mit den Betrieben sehr groß.

Dave Vaghose macht sich im Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen stark und appellierte an das Publikum, die Volksinitiative gegen geplante Krankenhausschließungen zu unterstützen. 66000 Unterschriften würden gebraucht, um dieses Anliegen dem Landtag vorlegen zu können.

Beschäftigte im Brackeler Tedi-Lager bangen um ihre Arbeitsplätze

Serkan Cam – Tedi

Um ihre Arbeitsplätze bangen die Männer und Frauen im Tedi-Lager, einer Tochterfirma des gleichnamigen Unternehmens, in Brackel. Tedi habe ein doppelt so großes Lager in Kamen gebaut, berichtete Serkan Cam. Bislang dachten er und seine Kolleg*innen, die komplette Belegschaft würde dahin umziehen.

Aber das scheine nicht der Fall zu sein. Denn das neue Lager solle auch ein eigenständiges Unternehmen werden. Viel Druck könne man der Geschäftsleitung nicht machen. Da mehr Werkvertragsbeschäftigte am Hellweg arbeiteten als eigene Angestellte, sei die Kampfkraft geschwächt.

Das sieht bei der TSP, der Technik Service Plus, anders aus. Die Tochterfirma der LEG organisiert und erledigt den Handwerkerdienst in den Häusern und Wohnungen und wurde 2017 gegründet. Der ebenfalls schnell gegründete Betriebsrat setzte sich umgehend für einen Tarifvertrag ein. „Die LEG hat einen Tarifvertrag. Darum dachten wir nicht, dass die Geschäftsleitung uns einen verweigert“, sagten Björn Cerny und Patrick Kock.

LEG verweigert den Handwerker*innen in der Tochterfirma einen Tarifvertrag

Björn Cerny – TSP, Tochter der LEG

Doch das tat sie. Jetzt sind die Männer und Frauen im Arbeitskampf. „Letzte Woche hatten wir unseren 60. Streiktag.“ Ja, es gebe auch Verständnis bei den Mieter*innen, aber nicht von allen. Doch die SPD-Fraktion im Landtag habe ihre Solidarität mit den Streikenden erklärt.

Hatte das Kundgebungspublikum von einigen Forderungen bereits gehört, erfuhr es vom Alltag in einigen der Betriebe zum ersten Mal. Jutta Reiter nahm durch ihre gezielten Fragen vielen der Redner*innen die Scheu, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Diese Art der Kundgebung tut dem 1. Mai sehr gut.

Am Tag der Arbeit sprechen die, die tagtäglich unter den geschilderten Bedingungen arbeiten müssen. Das Format muss der DGB beibehalten – auch nachdem das Virus nicht mehr den Ablauf der Feier bestimmt. 

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  1. Mehr als 2 Billionen € Schulden! Bundestagswahl 2021: Wir befragen Dortmunder Kandidaten Eine Veranstaltung von DGB Dortmund und Attac Dortmund am Montag, 10. Mai, 19:00 Uhr, online (PM)

    Mehr als 2 Billionen € Schulden! Bundestagswahl 2021: Wir befragen Dortmunder Kandidaten – Eine Veranstaltung von DGB Dortmund und Attac Dortmund am Montag, 10. Mai, 19:00 Uhr, online*

    (*Anmeldung bei Strucksberg@gmx.de)

    Bund, Länder und Kommunen haben bis Ende 2020 einen Schuldenberg von über 2,1 Billionen € aufgetürmt. Seitdem ist er schon wieder erheblich gewachsen.
    Wer soll das bezahlen? Verhindern die Coronaschulden die sozial-ökologische Wende?
    Die Fragen stellen wir vier Direktkandidaten für den neuen Bundestag:
    * Marco Bülow (Die Partei) * Jens Peick (SPD)
    * Markus Kurth (Grüne)
    * N.N. (Linke)

    In Dortmund gibt es eine hoch interessante Situation: Der bisherige Bundestagsabgeord- nete Marco Bülow hat den Wahlkreis Dort- mund 1 seit 2002 immer direkt gewonnen. Wie bekannt hat er sich von der SPD wegen deren Politik losgesagt, möchte aber in diesem Wahlkreis erneut gewählt werden.
    Moderation: Manfred Rotermund, Attac Dortmund.

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