Offener Brief der Initiative Face2Face Dortmund
Politische Forderungen: Sinnvolle Regelungen und handfeste Unterstützung statt systematische Benachteiligung
Seit einigen Tagen beobachten wir, dass Beamt*innen von Polizei und Ordnungsamt vermehrt durch die Innenstadt unterwegs sind, um Kontrollen zur Durchsetzung der neuen Corona-Schutz-Verordnungen durchzuführen. Problematisch sind dabei nicht die Maßnahmen an sich, sondern die Tatsache, dass anscheinend auf die besondere Situation der Obdach- und Wohungslosen keinerlei Rücksicht genommen wird. Sie müssen die Strafgelder von bis zu 60€ bezahlen, obwohl die Straße ihr Zuhause ist. Auch wenn sie nur mal einen Kaffee trinken oder eine Zigarette rauchen wollen und die Maske nur kurz abnehmen. Entsprechende Fälle wurden uns von Obdachlosen berichtet und haben wir selbst beobachtet. Ein Ausweichen auf Orte, an denen die Maskenpflicht nicht gilt, ist kaum eine Lösung für diese Menschen, da sie auf stärker frequentierte Orte zur Sicherung ihres Einkommens – durch Betteln – angewiesen sind. Abgesehen davon, dass sie die Betroffenen die Strafen in aller Regel nicht zahlen können, ist es also für sie nahezu unmöglich diese Regeln zu befolgen. In der Folge sind die sie nicht selten weiteren Sanktionen, wie z.B. im Extremfall einer Gefängnisstrafe, ausgesetzt. Ist das gerecht? Wir von der noch jungen Initiative Face2Face verteilen seit Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020, mit Herz und Engagement, Essen, Trinken und weitere Produkte des täglichen Bedarfs, führen Gespräche und hören zu, was die Menschen auf der Straße uns und der Gesellschaft zu sagen haben. Ihr Leid hat klarerweise nochmal zugenommen, mit Corona und nun mit der Kältewelle. Hilfsangebote wurden weitgehend zurück gefahren. Es herrscht eine angespannte Stimmung unter den Obdachlosen, was sich nicht selten in Gewalt entlädt. Es gibt in der Winterzeit zu wenig warme niedrigschwellige Schlafmöglichkeiten insbesondere für Menschen ohne bzw. den richtigen Pass. Es gibt kaum noch Orte wo sie sich am Tage aufwärmen können. Auch die sozialen Kontakte sind sehr eingeschränkt. Die Kälte ist – nicht erst seit heute – auf der Straße lebensbedrohlich. Die Stadt hat nun weitere Notfall-Angebote geschaffen, die nicht zentral gelegen sind, und von denen kaum jemand auf der Straße weiß. Für viele ist es vielleicht schon zu spät.
Angesicht aktuell großen Not, bitten wir alle Entscheidungsträger*innen ganz akut um Folgendes:
1. Öffnen Sie Hotels, von der Stadt finanziert und nicht über Spenden. JETZT!!!
2. Lassen Sie die Obdachlosen Menschen in Frieden ihren Kaffee trinken bzw. ihr Lunchpaket zu sich nehmen, auch im inneren Bereich des Walls. Es besteht keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, solange genügend Abstand gehalten wird. Die Straßen sind momentan nicht gerade überfüllt. Bitte prüfen Sie die Maßnahmen Bezüglich der Personengruppe auf ihre Verhältnismäßigkeit.
Weiterhin bitten wir alle beteiligen Behörden und Politiker*innen darum den Menschen zu helfen und es ihnen nicht noch schwerer zu machen als es ohnehin schon ist. Bitte versuchen Sie die Forderungen der Obdach- und Wohnungslosen (siehe unten) zu erfüllen. Bitte stellen Sie mehr und bessere Angebote und vor allem Wohnraum ohne unüberwindbare bürokratische Hürden zur Verfügung. Zwar ist Stadt Dortmund ist im Vergleich zu manchen anderen Städten zum Teil vergleichsweise (!) besser aufgestellt, was das Hilfenetz angeht. Doch ganz offensichtlich reicht das noch lange nicht. Unsere Gruppe freiwilliger, solidarischer, unbürokratischer Unterstützung für die Abgehängten der Gesellschaft wächst in Dortmund derzeit. Wir wollen uns das Leid der Menschen, zu denen wir nun Beziehungen aufgebaut haben, nicht länger mit ansehen. Kooperieren Sie mit uns und den anderen Trägern der Obdach- und Wohnungslosenhilfe. Machen Sie Dortmund zu einer Vorreiterin einer sozial integrierten Stadt ohne Ausgrenzung und Stigmatisierung. Hierdurch könnten Sie nicht nur viel Leid verhindern, sondern auch den sozialen Kitt in unserer Stadt nachhaltig stärken.
Eine solidarische, gerechte Welt ist nötig, und auch möglich!
Politische Forderungen, die gemeinsam mit Obdach- und Wohnungslosen
Menschen in Dortmund und Face2Face entwickelt wurden
Die folgenden Forderungen entstanden zum großen Teil aus Interviews, die wir mit Obdach- und
Wohnungslosen Menschen in Dortmund geführt haben, sowie aus vielen Gesprächen
während unserer Rundgänge. Wir haben weitere Forderungen hinzugefügt, die wir als sinnvoll erachten. Wir freuen und über Vorschläge zur Erweiterung, konstruktive Kritik und jedes
entgegenkommen seitens der Stadt Dortmund und anderen involvierten Behörden.
1. Öffentlich zugängliche Waschmöglichkeiten und öffentliche Toiletten.
2. Leerstand den Menschen in Not zur Verfügung stellen.
→ Wohnraum und Schlafplätze unbürokratisch zur Verfügung stellen.
→ Leerstehende Gebäude und Wohnungen nutzen, anstatt Menschen der Kälte und Gewalt
der Straße auszusetzen. Insbesondere natürlich in der kalten Jahreszeit. Was die Menschen
aber zumeist brauchen ist eine dauerhaft zufriedenstellende Wohn- und Lebenssituation.
→ Die Stadt ist per Gesetz verpflichtet, Menschen vor Obdachlosigkeit zu schützen. Einige
Menschen, mit denen wir darüber gesprochen haben, haben uns versichert, dass sie das nicht getan haben, sie ihre Wohnung verloren haben.
3. Mehr Sozialarbeiter*innen-Stellen bzw. auch Stellen ohne Fachabschluss.
→ Die Menschen brauchen einfach mehr Unterstützung.
4. Grundsicherung und Krankenversicherung für Obdachlose.
→ Durch Kälte, schlechte Ernährung, schlechte Hygiene sind Schmerzen und Leid an der
Tagesordnung und Anfälligkeit für Krankheiten steigt drastisch.
5. Mehr funktionierende Brunnen.
→ Wasser ist ein sehr grundlegendes Bedürfnis und ein Menschenrecht. Es sollte jedem
Menschen frei zugänglich sein.
6. Mehr Räume für den Konsum illegalisierter Drogen.
→ Es liegt im Interesse aller, den Drogenkonsum im öffentlichen Raum zu verringern.
Abhängigkeit ist eine Krankheit und schwer zu kontrollieren. Die Menschen möchten nicht
auf Spielplätzen etc. konsumieren, wissen sich jedoch nicht zu helfen.
7. Mehr Spritzenautomaten.
→ Auch hier besteht dasselbe Problem: Unter Suchtdruck entscheidet sich eine Person eher
dafür, eine fremde Spritze zu benutzen, als auf den Konsum zu verzichten und bringt sich
dadurch in Lebensgefahr.
8. Kostenlose abschließbare Schränke/Spinde im Stadtraum.
→ Wer regelmäßig beklaut wird (Papiere, Wertgegenstände, überlebenswichtige Dinge) muss
sich nur darum sorgen und kommt aus seinem „Loch“ nicht heraus! Viele Menschen sind
mit ihrem Hab und Gut nicht mobil.
9. Mobile Tiny Houses
→ Es gibt hier bereits Beispiele guter Praxis. Es könnte eine Lösung sein für Menschen,
die auf der Straße bleiben wollen,aber Schutz brauchen.
10. Zugang zu Internet gewährleisten oder aber nicht voraussetzen (z.B. beim Arbeitsamt).
→ Digitale Welt, sozialer Aufstieg ist auch an technologischen Anschluss gebunden.
11. Obdachlose Menschen nicht unter dem Vorwand von Infektionsschutz mit Bußgeldern
zu quälen, wenn es um ihre Grundbedürfnisse, wie Essen, Trinken, Schlafen geht.
→ Ausüben von Ermessen und Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.
12. Die Angebote für Obdach- und Wohnungslose wieder in Gänze zulassen, diese ggf.
unterstützen, um den Infektionsschutz zu gewährleisten.
→ Daseinsvorsorge ist Aufgabe der Stadt.
Abgeordnete suchen Dialog mit Friseuren der Region
Friseur-Innung Dortmund und Lünen informiert die Abgeordneten Sabine Poschmann MdB (SPD) und Volkan Baran MdL (SPD) über die prekäre Lage der Betriebe / Unternehmen brauchen unbürokratische Umsetzung staatlicher Hilfsprogramme
Wie ernst ist die Situation in den Friseurbetrieben in Dortmund und Lünen? Was kann und muss getan werden, um den Unternehmen zu helfen? Angesichts jüngst in den sozialen Medien bekannt gewordener bewegender Einzelfälle informierten sich Sabine Poschmann MdB (SPD) und Volkan Baran MdL (SPD) auf Einladung der Friseur-Innung Dortmund und Lünen jetzt im direkten Dialog über die Lage der Betriebe in der Region. Obermeister Frank Kulig und der stellvertretende Obermeister Marcel Kamin standen den Politikern im Rahmen eines kurzfristig anberaumten Austauschs Rede und Antwort zur Situation der Branche. Dabei wurde klar, dass Einzelfälle zwar keineswegs repräsentativ für die ganze Branche sind, die Friseure aber doch deutliche Verbesserungen bei der Umsetzung staatlicher Hilfen fordern. „An einigen Stellen läuft es rund, an anderen gar nicht“, so Obermeister Frank Kulig vor den Politikern. „Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit, brauchen aber vor allem dringend eine beschleunigte Umsetzung weiterer Hilfsprogramme.“ Als Unternehmer sei man zwar bis zu einem gewissen Grad mit Rücklagen auf Umsatzschwankungen vorbereitet, allerdings brächten sieben Wochen Lockdown die Friseurbetriebe wirtschaftlich zunehmend in eine schwierige Situation, die nicht jeder Salon überleben werde. In diesem Zusammenhang sprachen die Vertreter der Innung auch das Thema „Unternehmerlohn“ an, bei dem es um ein Grundeinkommen für Betriebsinhaber geht, die ansonsten derzeit kein persönliches Einkommen haben. Sabine Poschmann berichtete, dass die Überbrückungshilfe III ab Mitte Februar, voraussichtlich noch in dieser Woche, beantragbar sein solle. Möglich sei dann auch die Beantragung von Abschlägen für mehrere Monate, sodass die Liquidität im Februar gesichert werden könne.
Hausbesuche und Schwarzarbeit sind kein Ausweg
Als fatal bewerteten sowohl die Innung als auch die Politiker bei dem Gespräch die derzeitige Tendenz zu Hausbesuchen und Schwarzarbeit in der Branche. „Wir wissen, dass es ein leichter Ausweg ist, um Kunden zu halten und Geld zu verdienen“, so der stellvertretende Obermeister Marcel Kamin. „Aber privat sind die Hygienevorschriften noch weitaus schlechter einzuhalten als in den Salons. Da ist zu kurz gedacht und gefährdet nicht nur unsere Kunden sondern auch uns selbst.“ Darum ruft die Innung alle Friseure in Dortmund und Lünen dazu auf, kein Risiko einzugehen und dem Druck nicht nachzugeben.
Sorgen der Betriebe wahrgenommen
Bereits vor einer Woche hatte die Innung im Rahmen eines Online-Seminars ihre Mitgliedsunternehmen durch eine Steuerberatungsgesellschaft ausführlich über Fördermöglichkeiten und deren Abruf informieren lassen. Dabei war deutlich geworden, dass bürokratische Hürden ein wesentliches Hindernis bei der Beantragung und Bewilligung von Fördergeldern sind. „Wir nehmen die Sorgen und Nöte unserer Mitgliedsbetriebe sehr ernst und erhoffen uns von dem Gespräch mehr Aufmerksamkeit für unsere Anliegen”, so Obermeister Frank Kulig nach dem Treffen. „Warme Wort und das Beklagen von Mängeln helfen allein nicht. Es muss jetzt gehandelt werden.”
Bildzeile: Trafen sich zum Dialog über die Lage der Friseure: (v.l.) Volkan Baran MdL (SPD), Sabine Poschmann MdB (SPD) und Frank Kulig, Obermeister der Friseur-Innung Dortmund und Lünen.
Foto: Innung