Abschied nach Chanukka: „Der Wanderer des Glaubens“ zieht weiter und Dortmund sucht einen neuen Rabbiner

Lichterfest in Zeiten von Corona - statt hunderter tanzender und singender Menschen ein Gedenken mit Anstand und Abstand. Fotos: Alex Völkel
Corona-Lichterfest: Statt hunderter tanzender und singender Menschen eine Zeremonie mit Anstand und Abstand.

Dortmund sucht einen neuen Rabbiner: „Der Wanderer des Glaubens“ – Baruch Babaev – wird Ende des Monats Dortmund verlassen. Er zieht zurück nach Israel. Babaev war vor 4,5 Jahren als Nachfolger von Avichai Apel in den Gemeindedienst gekommen, nachdem er zuvor 3,5 Jahre als Wander-Rabbiner für den ebenfalls in Dortmund beheimateten Landesverband gearbeitet hatte. Die Gemeinde muss sich nun abermals um einen Nachfolger bemühen – eine schwierige Aufgabe. Denn Rabbiner gibt es ohnehin zu wenige – vor allem dann, wenn es ein spezielles Anforderungsprofil wie in Dortmund gibt.

Beim Lichterfest geht es um Hoffnung und den Kampf gegen die Dunkelheit

Der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, Zwi Hermann Rappoport, fand mahnende Worte.
Der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, Zwi Hermann Rappoport, fand mahnende Worte.

Eigentlich hätte die öffentliche Chanukka-Feier am Phoenix-See die große Abschiedsfeier für Baruch Babaev werden sollen. Doch das große Lichterfest mit Gebet, Musik, Tanz und Spezialitäten musste Corona-bedingt abgesagt werden. Doch ganz darauf verzichten wollten sie gerade in Zeiten des wieder zunehmenden Antisemitismus nicht. Daher wurde in ganz kleinem Rahmen und mit behördlicher Genehmigung eine religiöse Andacht auf der Kulturinsel abgehalten. 

Im Beisein von Rabbiner Babaev und dem Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde, Zwi Hermann Rappoport, entzündeten OB Thomas Westphal, Polizeipräsident Gregor Lange, Hördes Bezirksbürgermeister Michael Depenbrock und Ordnungsdezernent Norbert Dahmen jeweils eine Kerze am großen Chanukka-Leuchter. 

Rabbiner Baruch Babaev nutzte die Gelegenheit, sich von ihnen persönlich zu verabschieden. Außerdem erneuerte er seinen Appell, weiter gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einzustehen. Auch dazu diene Chanukka – denn beim Lichterfest geht es um Hoffnung und den Kampf gegen die Dunkelheit.

Chanukka erinnert an den Sieg der Makkabäer über die hellenistischen Seleukiden. Diese hatten vergeblich versucht, der jüdischen Minderheit die Ausübung ihrer Religion zu verbieten und ihnen ihre jüdische Identität zu nehmen. „Mit dem Chanukkafest feiern wir also das Überleben des jüdischen Geistes in dunkler Zeit“, betonte Zwi Rappoport.

Im Kampf gegen Antisemitismus zählt die jüdische Gemeinde auf die demokratische Mehrheitsgesellschaft

Auch OB Thomas Westphal entzündete eine der Kerzen am Chanukka-Leuchter.
Auch OB Thomas Westphal entzündete eine der Kerzen am Chanukka-Leuchter. Fotos: Alex Völkel

Nach fast einem Jahr der Corona-Pandemie müsse man leider auch heute von einer dunklen Zeit sprechen angesichts der menschlichen und wirtschaftlichen Verluste und der sozialen Isolation vieler Menschen.

„Hinzu kommt für die jüdische Gemeinschaft die immer bedrohlicher und aggressiver werdende Judenfeindschaft, teilweise auch aus der Mitte der Gesellschaft“, so der Vorsitzende der Kultusgemeinde. 

Mehr noch als in den vergangenen Jahren können und sollen die hellen Lichter der Chanukka – gemeinsam mit den Lichtern des Advents – für unsere ganze Gesellschaft ein Zeichen der Hoffnung und Zuversicht sein.

„Diese Hoffnung und Zuversicht schöpfen wir zum einen aus der Botschaft von Chanukka, dass letztlich das Licht über die Dunkelheit, das Gute über das Böse siegen wird. Zum anderen aber auch aus der Solidarität der Mehrheitsgesellschaft“, so Rappoport.

Polizeipräsident Gregor Lange entzündete eine Kerze.
Polizeipräsident Gregor Lange entzündete eine Kerze.

„Denn im Gegensatz zu den Makkabäern, die seinerzeit auf sich allein gestellt waren, haben wir heute im Kampf gegen die Pandemie und auch im Kampf gegen den Antisemitismus die demokratische Mehrheitsgesellschaft solidarisch auf unserer Seite“, betonte Rappoport.

„Diese muss und hat in Bezug auf den Antisemitismus erkannt: Deutschland wäre kein freies, demokratisches Land mehr, könnten wir Juden und andere religiöse Minderheiten hier nicht mehr als freie Bürger leben.“

Dies unterstrichen – durch ihre Anwesenheit und ihr Grußwort, auch OB Thomas Westphal, Polizeipräsident Gregor Lange und Ordnungsdezernent Norbert Dahmen. Viele andere Unterstützer*innen mussten dem Lichterfest in diesem Jahr fern bleiben – so fehlten beispielsweise die Vertreter*innen der christlichen Kirchen und muslimischen Gemeinden.

Hohe Anforderung: Nachfolger soll fließend deutsch und russisch sprechen können

Sie müssen künftig auf die Stimme des Rabbiners verzichten. Denn sowohl Avichai Apel als auch sein Nachfolger Baruch Babaev hatten sich in den vergangenen Jahren sehr massiv im interreligiösen Dialog, aber auch in zivilgesellschaftliche Aktivitäten eingebracht.

Baruch Babaev (li.) ist der neue Rabbiner in Dortmund - er tritt die Nachfolge von Avichai Apel an.
Baruch Babaev (li.) war für 4,5 Jahre Rabbiner in Dortmund – und Nachfolger von Avichai Apel.

Das gilt auch und gerade beim Thema Antisemitismus. Umso wichtiger ist es für die Gemeinde, einen Nachfolger zu finden. „Herr Babaev hat sich nicht nur freigeschwommen, sondern seine Stelle in der Zivilgesellschaft voll ausgefüllt. Wir hätten ihn gerne behalten“, betont der Gemeindevorsteher.

Die Anforderungen an seinen Nachfolger sind groß – die Fußabdrücke, die die bisherigen Rabbiner hinterließen, auch. Die wichtigste Anforderung ist die Sprachfähigkeit. Gesucht wird ein Rabbiner, der fließend deutsch und russisch spricht.  Denn die Gemeinde besteht zu einem großen Teil von Menschen, die aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert sind. Vor allem die Älteren von ihnen sind froh, wenn sie geistigen Beistand auch auf russisch bekommen können. 

„Unsere beiden Rabbiner waren ein Glücksfall“, macht Zwi Rappoport deutlich. Die Gemeinde sucht daher erneut international nach einem Nachfolger. Sie würden gerne wieder einen jüngeren Geistlichen haben, der aber schon Erfahrungen in der Gemeindearbeit gesammelt hat. Dortmund zählt zu den größeren und wichtigeren Gemeinden in Deutschland. „Es wird wohl wieder ein orthodoxer Rabbiner, obwohl der Vorstand eher liberal bzw. traditionell ist“, macht Rappoport deutlich.

Die jüdische Gemeinde wurde schon vor Corona jünger und digitaler

Babaev ist sich sicher, die Gemeinde gut weitergeführt zu haben und ein gut bestelltes Haus zu hinterlassen. „Es war eine tolle Zeit in einer schönen Gemeinde und mit wunderbaren Mitgliedern“, betont der scheidende Rabbiner, der am 31. Dezember Dortmund den Rücken kehrt.

Die Gemeinde ist digitaler geworden - schon vor Corona. Auch die Chanukka-Zeremonie wurde via Livestream übertragen.
Die Gemeinde ist digitaler geworden – schon vor Corona. Auch die Chanukka-Zeremonie wurde übertragen.

Nach sieben Jahren geht er zurück nach Israel: Eine mutige Entscheidung – er hat noch keine neue Stelle. „Mal schauen, wie sich das Leben entwickelt“, gibt sich der Rabbiner zuversichtlich.

Dortmund sieht er als gute Referenz: „Wir haben gezeigt, dass wir etwas erneuern können und das von Avichai Apel Geschaffene erhalten können. Wir haben alle Veranstaltungen fortgeführt und sogar neue Veranstaltungen reingebracht. Das Angebot für Jugendliche und für Mitglieder wurde erweitert.“

Die Gemeinde hat es geschafft, ihr Angebot zu erweitern und auch jünger zu werden – schon vor Corona sei es gelungen, Angebote in den sozialen Medien zu präsentieren. „Daher standen wir auch in der Corona-Zeit nicht mit leeren Händen da, sondern konnten alle Feiertage und Gedenk-Zeremonien auch virtuell anbieten“, betont Babaev. Auch das Entzünden der Kerzen und die Reden am Phoenix-See  gingen via Livestream ins Netz, so dass die Gemeindemitglieder und Gäste dem online beiwohnen konnten.

Hoffen auf schnelle Nachfolge: Aber das Gemeindeleben kommt ohne Rabbi nicht zum Erliegen

Baruch Babaev ist der neue Rabbiner in Dortmund.

Rabbiner Baruch Babaev hofft, dass seine Nachfolge nicht zulange auf sich warten lässt. Eigentlich wollte er schon vor einem Jahr aufhören – doch war er auf Drängen des Dortmunder Gemeindevorstands noch länger geblieben.

Doch nochmals verlängern wollte er nicht. Denn seine Frau ist mit den beiden Kindern  – sein Sohn ist 3,5 Jahre alt, seine Tochter 1,5 Jahre – schon im Sommer zurück nach Israel gegangen.

Noch länger möchte er sie nicht warten lassen, auch wenn noch immer kein Nachfolger für ihn in Dortmund gefunden wurde. Seine frühere Stelle als Wanderrabbiner ist auch nach 4,5 Jahren noch immer unbesetzt.

Das Gemeindeleben wird ohne Rabbiner nicht zum Erliegen kommen: „Für einen Gottesdienst braucht man keinen Rabbiner – auch der Kantor kann ihn leiten. Außerdem haben wir einen Jugendleiter aus Israel, der uns unterstützen wird und auch Gottesdienste leiten kann“, macht Rappoport deutlich.

Auch Beerdigungen sind geregelt. „Doch eine Gemeinde ohne Rabbiner leidet. Hochzeiten, Scheidungen, Seelsorge – der Ratschlag ist wichtig. Wir hoffen, dass es nicht allzu lange dauert“, betont der Gemeindevorsteher. 

Auch die neue jüdische Schule, die im kommenden Sommer eröffnen soll, werde unter einer temporären Abstinenz eines Rabbiners nicht leiden: „Das ist zwar eine Schule, die jüdisch ausgerichtet sein soll und wo der jüdische Religionsunterricht Bestandteil ist. Aber wie alle Ersatzschulen sind wir ans Schulgesetz gebunden: Wir brauchen dort ausgebildetes Lehrpersonal, keine Rabbiner“, macht Rappoport deutlich. 

Doch die Hoffnung, dennoch bis zur Eröffnung der Schule einen neuen Rabbiner zu haben, ist groß. Das passt ja auch zu Chanukka – es ist ja ein Fest des Glaubens und der Hoffnung.

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