Von Angelika Steger
Die Bilder hängen längst, der Ausstellungskatalog ist im Museum erhältlich, die Ausstellungseröffnung wäre bereits am 15. November 2020 gewesen – aber kein*e Besucher*in ist da. Die Coronakrise zerstört auch die Erfahrung mit der Kunst – dabei sei sie gerade jetzt so wichtig. Darin sind sich alle, der Leiter des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, Dr. jens Stöcker mit dem Kurator Eckart J. Gillen und der Vorsitzende der Kunststiftung Ruth Baumgarte, Alexander Baumgarte, einig.
Kunst in der Corona-Pandemie: MKK macht nach Kräften die Ausstellung für Besucher*innen zugänglich
Es ist kein einheitlicher Stil, den die Künstlerin Ruth Baumgarte (1923-2013) in ihren Werken hätte. Vielmehr reagiert sie auf alle politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und reflektiert sich dabei immer auch selbst. So sieht man auf mehreren Bildern neben der oder den dargestellten Szenen auch immer ein Portait von ihr – im Hintergrund, die aufmerksame Beobachterin von Zeitgeschichte.
Das mache sie auch so faszinierend, sagt die Projektleiterin Dr. Nassrin Sadeghi. „Zu Weihnachten werden wir einen virutellen Rundgang durch die Ausstellung frei schalten, weil im Dezember keine Museumsöffnung möglich ist. Auch an eine Öffnung im Januar mag kaum jemand glauben. Der Vorsitzende der Kunststiftung und Sohn der Künstlerin ergänzt: „Die Museumswelt befindet sich seit Monaten in einer Krise. Als Organisation haben wir die Ausstellung mit über 100.000 Euro unterstützt, auch Sponosring war dieses Jahr noch möglich.“
Er hofft trotz hoher Infektionszahlen, dass das MKK „Werde, die du bist!“ bald zeigen kann, um dem hohen Niveau gerecht werden zu können. Es wird auch einen Film über die Ausstellung geben, aber: „so viel kann man virtuell gar nicht sehen. Kunst muss man ERLEBEN. „Kunst kann man nur im Museum rezipieren, nur dort ist eine Sichtachse zu den Werken vorhanden, durch das physische Erleben entsteht Emotionaliät.“ Prof. Dr. Beate Reifenscheid, ebenfalls Mitglied der Kunststiftung und Direktorin des Ludwig-Mueseums Koblenz spricht damit sicher nicht wenigen verhinderten Museumsbesucher*innen aus der Seele.
Vier Themenkomplexe in den Werken von Ruth Baumgarte zeigen ihre Schaffensphasen
Denn Ruth Baumgart hat jedes Jahrzehnt intensiv erlebt. Geboren im Jahr der Inflation, hat sie die Weimarer Republik, die NS-Zeit, die Nachkriegszeit und die Krisen der 1970er und 1980er Jahre erlebt. Verschiedene Farben machen die vier Schaffensphasen Ruth Baumgartes deutlich: 1.) den Werdegang, 2.) die Fabrikwelten, 3. die Zukunftsängste in den 1970er und 1980er Jahren und 4.) ihre Afrika-Reisen.
„Sie wollte immer eine Sprache für das schwierige Leben finden“ erklärt Kurator Gillen. Auffällig ist, dass sie während ihres Studiums auch Außenseiter*innen der Gesellschaft in ihrer Kunst zeigt (Zigeuner im Regen 1943, Kreide auf Papier). Wohl weil sie „nur“ eine Kunststudentin war, ist dies der NS-Regierung nicht weiter aufgefallen und sie konnte weitgehend unbehelligt malen.
In dieser Zeit entstehen viele Selbstportraits. Damit reflektiert sie sich immer wieder selbst. Trotz eigener Familie mit fünf Kindern hat sie durchgehalten, auch als ihr Mann sie einschränken hatte wollen. In den 1950er Jahren bestimmte laut Gesetz der Ehemann über die berufliche Tätigkeit einer Frau.
Reaktionen der Menschen und sich selbst im Blick: Themen Fabrik- und Theaterwelten
In den 1950er Jahren lernt sie bei einer Kunstausstellung ihren zweiten Mann kennen. Sie malt die Fabrikwelten, die Arbeit ist ihr Thema. Heroische Darstellungen, wie sie oft in der DDR-Kunst zu sehen sind, sucht man bei Baumgart aber vergebens: ihr geht es um die dokumentation der Zeit, in der sie lebt, welchen Bezug sie dazu hat. In den 1960ern wendet sie sich vom Thema Arbeit ab und zeigt Künstler*innen im Theater. Wie ein Spot mit einer Momentaufnahme sieht man Szenen, als ob die Zeit auf der Bühne angehalten wäre.
Spätere Katastrophen wie Umweltzerstörung (Tschernobyl-Katastrophe 1986, Waldsterben) widmet sie sich wie Arbeitern in den Fabriken der 1950er und 1960er Jahre. Aber: die Bilder sind dunkler, die Gesichter besorgt, dunkel. Kein zerstörter Wald ist zu sehen, sondern die Reaktion der Menschen. In ihrer letzten Schaffensphase dokumentiert sie ihre 40 Afrikareisen. Dies sind die buntesten und intensivsten Bilder der Ausstellung. Landschaft und Menschen, Gegenstände gehen ineinander über, Konturen verschwimmen.
Afrika war für sie auch ein Sehnsuchtsort, angesichts der vielen Katastrophen zu Ende des 20. jahrhunderts. Eindimensional ist ihr Afrika-Bild deshalb jedoch nicht. Die Vielfalt ihrer Stile und Arbeitsweisen machen ihre Werke abwechslungsreich und spannend: nie hat man das Gefühl, etwas schon einmal gesehen zu haben.
Ruth Baumgarte – eine weitgehend unbekannte Künstlerin, eine der wenigen Frauen in der Kunst. Keinem bestimmten Stil oder Genre zuzuordnen, ist sie für den Kunstmarkt nicht so einfach einzordnen. Die Ausstellung „Werde, wie du bist!“ im MKK lädt dazu ein, diese außergewöhnliche Dokumentation des 20. Jahrhunderts jenseits bekannter großer Künstler (nur Männer) und Geschichtsbücher kennenzulernen. Hoffen wir auf eine baldige Eröffnung.
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Feierabend-Führung durch Ruth Baumgarte-Ausstellung am 17. März (PM)
Nach Feierabend Kunst erleben – das bietet das Museum für Kunst und Kulturgeschichte am Donnerstag, 17. März. Um 18 Uhr beginnt eine After-Work-Führung durch die Ausstellung „Werde, die du bist! Ruth Baumgarte – Lebenskunst“.
Zu entdecken ist eine Künstlerinnenpersönlichkeit des späten 20. Jahrhunderts: Die Ausstellung stellt Baumgarte als gegenständlich arbeitende Künstlerin mit starkem Bezug zur Gegenwart vor – etwa, wenn es um ihr Selbstverständnis als emanzipierte Frau geht oder um Zukunftsängste durch Umweltzerstörung oder Atomkatastrophen.
http://www.dortmund.de/mkk
Es gilt die 3G-Regel.
„Salongeschichten für Senioren“ im MKK zur Ruth-Baumgarte-Ausstellung (PM)
Die aktuelle Ausstellung „Werde, die du bist! Ruth Baumgarte – Lebenskunst“ steht im Mittelpunkt der nächsten „Salongeschichten für Senior*innen“ am Mittwoch, 6. April, 14.30 bis 16.30 Uhr im Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Zu entdecken sind eine emanzipierte Künstlerinnenpersönlichkeit und ihr gegenständliches Werk im späten 20. Jahrhundert: Rund 180 Zeichnungen, Gemälde und historische Dokumenten beschäftigen sich mit den Themen der Zeit.
Nach der Führung durch die Ausstellung gibt es Kaffee, Kuchen und Gelegenheit für Gespräche im Salon. Kosten (inkl. Kaffee und Kuchen): 10 Euro. Bitte verbindlich anmelden unter info.mkk@stadtdo.de oder telefonisch: (0231) 50-26028.
Kein Aprilscherz: Freier Eintritt am Freitag in die Sonderausstellung „Ruth Baumgarte“ am MKK (PM)
Am Freitag gibt es freien Eintritt in die aktuelle Sonderausstellung am Museum für Kunst und Kulturgeschichte: Die Ausstellung „Werde, die du bist! Ruth Baumgarte – Lebenskunst“ kann am 1. April den ganzen Tag über kostenfrei besucht werden. Grund dafür sind Arbeiten an der Datenleitung, die den Zugang zum Kassensystem betreffen.
Zu entdecken sind eine emanzipierte Künstlerinnenpersönlichkeit und ihr gegenständliches Werk im späten 20. Jahrhundert: Ruth Baumgarte beschäftigte sich in rund 180 Zeichnungen und Gemälden mit den Themen ihrer Zeit, darunter dem Konflikt zwischen Mensch und Umwelt, Vertreibung, Migration und Flucht oder dem Industriealltag.
Der Eintritt in die Sammlung des MKK ist – wie immer – ebenso frei.
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Ruth Baumgarte und Afrika: Vortrag im MKK (PM)
Als eine der wenigen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts hat die Malerin, Grafikerin und Illustratorin Ruth Baumgarte den afrikanischen Kontinent über mehrere Jahrzehnte bereist. Jenseits des Mainstreams und ohne offizielle Aufträge galt ihr Interesse zwischen den 1980er-Jahren und bis Anfang der 2000er-Jahre vor allem den Menschen und der einzigartigen Natur. Sie setzt sich dabei zunehmend mit Apartheit und kolonialen Relikten auseinander, die selbst in ihren farbintensiven Werken durchscheinen. Ruth Baumgarte erschuf eine einzigartige Bildsprache, die mehrdimensional und symbolistisch aufgeladen ist. In einem Vortrag am Donnerstag, 7. April, 18 Uhr im MKK (Hansastr. 3) zeichnet Prof. Beate Reifenscheid, Direktorin des Ludwig Museum Koblenz, wesentliche Stadien des Afrika- Zyklus nach und verortet das künstlerische Werk. Der Eintritt ist frei.
http://www.dortmund.de/mkk
Zukunftsängste und dunkle Bilder: Die 1980er-Jahre in der Kunst – Vortrag zur Baumgarte-Ausstellung im MKK (PM)
Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt derzeit in seiner Ruth-Baumgarte-Ausstellung auch Bilder der Künstlerin, die in den 1980er-Jahre entstanden und sich zeitgenössischen Themen wie AIDS oder der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl widmen – Bilder in düsteren Farbtönen und symbolistischen, teils surrealen Kompositionen.
In einem Vortrag am Donnerstag, 12. Mai, 18 Uhr spricht der Kurator der Ausstellung, Dr. Eckhart J. Gillen, unter dem Titel „Zukunftsängste“ über „Dunkle Bilder der 1980er-Jahre als Reaktion auf das Ende der Utopien“. Der Eintritt ist frei.
Der Vortrag zeigt, wie die Kunst als Seismograph das Umschlagen der Stimmung im geteilten Deutschland Anfang der 1980er-Jahre registriert. Die Folgen der Biermann-Ausbürgerung, der Exodus aus der DDR, das Kriegsrecht in Polen seit 1981, der NATO-Doppelbeschluss lassen den Glauben an Utopien verloren gehen.
Zweieinhalb Monate nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine, die nach dem Ende des Kalten Krieges eine Zeitenwende darstellt, sind die Bilder von Ruth Baumgarte und die Kunst der 1980er-Jahre in West- und Ostdeutschland wieder hochaktuell.
Der Vortrag behandelt Themen wie „Apocalypse now“, Melancholie und Mythensehnsucht an Beispielen der Malerei der „Neuen Wilden“ in Westberlin, der Neoexpressionisten in Ostberlin und vieler anderer Künstler:innen der 1980er-Jahre im geteilten Deutschland.
Feierabend-Führung durch Ruth Baumgarte-Ausstellung im MKK (PM)
Nach Feierabend Kunst erleben – das bietet das Museum für Kunst und Kulturgeschichte am Donnerstag, 19. Mai. Um 18 Uhr beginnt eine After-Work-Führung durch die Ausstellung „Werde, die du bist! Ruth Baumgarte – Lebenskunst“.
Zu entdecken ist eine Künstlerinnenpersönlichkeit des späten 20. Jahrhunderts: Die Ausstellung stellt Baumgarte (1923 – 2013) als gegenständlich arbeitende Künstlerin mit starkem Bezug zur Gegenwart vor – etwa, wenn es um ihr Selbstverständnis als emanzipierte Frau geht oder um Zukunftsängste durch Umweltzerstörung oder Atomkatastrophen.
http://www.dortmund.de/mkk