„Digitalisierung in der Pandemie“: Fluch oder Segen? – Kontroverse beim Alumni-Tag der Informatik in Dortmund

Zerstört COVID-19 schöpferisch oder wird digitale Ungleichheit auf erweiterter Stufenleiter reproduziert? Repro: TU

Von Anna Lena Samborski

„Digitalisierung in Zeiten der Pandemie“ lautete das Motto des 15. Dortmunder-Alumni-Tag der Fakultät Informatik der Dortmunder TU. Im Mittelpunkt standen zwei Input-Vorträge: Für den Autor und Investor Karl-Heinz Land stellt die Digitalisierung die einzige Möglichkeit zur Bekämpfung der globalen Probleme wie Umweltzerstörung und sozialer Ungleichheit dar. Der Autor, Unternehmer und Internet-Kritiker der ersten Stunde Andrew Keen sieht hingegen in den aktuellen Digitalisierungstrends einen gesellschaftlichen Rückschritt.

6.000 Absolvent*innen des Fachbereichs Informatik der TU Dortmund seit ihrer Gründung 1972

Alumni bei den Informatiker*innen der TU 2020: Wie sollte es anders sein – es geht um Digitalisierung und Corona. Design: Till Barz/TU Do

Seit Gründung des Fachbereichs Informatik an der Universität Dortmund im Jahr 1972 haben mehr als 6.000 Studierende ihr Studium hier abgeschlossen. Der Alumni der Informatik Dortmund e.V. hat sich auf die Fahne geschrieben, den Kontakt, den Austausch und die Kooperationen zwischen diesen Ehemaligen zu fördern.

Seit 2006 veranstaltet der Alumni-Verein zudem ein- bis zweimal jährlich den „Dortmunder Alumni-Tag“ zu den aktuellen Themen an der Schnittstelle zwischen Informatik und Gesellschaft. In den letzten Jahren ging es unter anderem um den Klimawandel, die Datenwirtschaft und Informatik als Machtinstrument (eine Übersicht ist hier zu finden).

Der jüngste Alumni-Tag im November 2020 – diesmal online – nahm die Beschleunigung der Digitalisierung durch die Corona-Pandmie zum Anlass, um aktuelle Digitalisierungstrends kritisch zu hinterfragen. Im Mittelpunkt standen hierbei die verschiedenen Blickwinkel zweier renommierter Experten.

Digitalisierung (unter anderem in der Pandemie): gesellschaftlicher Fort- oder Rückschritt?

So vertrat der Autor und Investor Karl-Heinz Land in seinem Vortrag die These, dass die Digitalisierung die einzige Möglichkeit zur Bekämpfung der globalen Probleme wie Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit darstellt.

Der Autor, Unternehmer und Internet-Kritiker Andrew Keen aus dem Herzen des Silicon Valley sieht hingegen in den aktuellen Digitalisierungstrends einen gesellschaftlichen Rückschritt.

Dabei ist für ihn Technologie weder gut noch böse. Die Geschäftsmodelle der großen Digitalunternehmen führten jedoch zu einer gesellschaftlichen Fragmentierung und wachsenden Ungleichheiten.

Karl-Heinz Land: „Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden.“

Karl-Heinz Land bezeichnet sich selbst als „Technology Evangelist“. Dies beschreibt er dabei auf seiner Homepage so: „Der Technology Evangelist ist ein Mensch, der ein hohes technisches Fachwissen und Know-how besitzt. Sein sehr gutes technisches Verständnis macht ihn zum Impulsgeber und Vermittler von neuen Technologien.“

Somit sieht er in der Digitalisierung und der Technologie die Lösung für nahezu alle akuten Probleme der Menschheit. Dabei ist für ihn die Unumkehrbarkeit der Durchdigitalisierung aller Lebensbereiche eindeutig und er postuliert: „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden.“

Karl-Heinz Land. Foto: TU Dortmund

Außerdem ist er sich sicher, dass „die Digitalisierung nie mehr so langsam sein wird wie jetzt.“ Er prophezeit für die nächsten zehn bis 15 Jahre eine exponentielle Beschleunigung der Digitalisierungstrends.

Führt Digitalisierung zur Dematerialisierung?

Land erkennt an, dass dieser schnelle Wandel zu vielen Herausforderungen führt und die Gesellschaft als Ganzes destabilisiert. Für ihn stellt dies jedoch eine „schöpferische Zerstörung dar“, aus der mit Hilfe von Technik und künstlicher Intelligenz eine besser, gerechtere Gesellschaft entstehen kann.

So erkennt Land getrieben durch die Digitalisierung einen Dematerialisierungstrend, der schlussendlich zur Schonung der Ressourcen unseres begrenzten Planten beitragen werde. Geld werde in Zukunft nicht mehr mit dem Verkauf von Waren, sondern mit der Softwareentwicklung und dem entsprechenden Service verdient.

Als Beispiel bringt der Unternehmensberater das Carsharing an. Nicht die Produktion der Autos, sondern die Entwicklung der entsprechenden Software und des entsprechenden Services machen für ihn die Geschäftsmodelle der Zukunft aus.

Das Internet als neue „Infrastruktur des Wohlstands“ – Anschluss ans Internet als Menschenrecht?

Des Weiteren können Karl-Heinz Land zufolge durchdigitalisierte Städte, sogenannte „Smart Cities“, zu einer Verringerung des Ressourcenverbrauchs um bis 80 Prozent beitragen. Hierbei werden mit Hilfe der künstlichen Intelligenz z.B. Ver- und Entsorgungsnetze sowie nahezu alle Infrastrukturbereiche einer Stadt unter Berücksichtigung der Ressourceneffizienz optimiert.

Für Land stellt das Internet somit  die neue Infrastruktur des Wohlstands dar. So fordert er den Anschluss ans Internet als Menschenrecht ein, um Ungleichheiten auf der Welt entgegenzuwirken. Somit demokratisiere die Digitalisierung „den Zugang zu Bildung und Information, zu Sozial- und Gesundheitsleistungen, sowie zu Kapital und Märkten“.

Dabei schwebt ihm ein System der Datensouveränität vor, bei dem jede*r selbst über seine bzw. ihre Daten verfügen kann. Die Bürger*innen können hierbei selbst entscheiden, wem sie wie lange und zu welchem Preis ihre Daten zur Verfügung stellen möchten. Land schlägt vor, die entsprechenden persönlichen Daten hierfür auf einem in der Hand implementieren Chip zu speichern.

Andrew Keen: Geschäftsmodelle von „Big Tech“ führen zu gesellschaftlichem Rückschritt

Bei genauerem Hinschauen scheint Andrew Keens Sichtweise dieser von Land gezeichneten digitalen Utopie nicht grundlegend zu  widersprechen.  Keens Analyse des tatsächlichen Ist-Zustandes der aktuellen Digitalisierungstrends und -treiber fällt jedoch düster aus:

Andrew Keen. Foto: Jens Panduro/TU Do

Zwar sei die Technologie weder gut noch böse, jedoch bedeuteten neue Technologien nicht automatisch Fortschritt. Im Gegenteil: Die durch die Geschäftsmodelle der großen Technologieunternehmen bestimmte Digitalisierung führe viel mehr zu einem gesellschaftlichen Rückschritt.

Die Folgen für Keen sind unter anderem die Fragmentierung der Wahrheit und der Gesellschaft als solches sowie die Verschärfung von Ungleichheiten. Mit seinem Buch „Die Stunde der Stümper“ wies Keen bereits im Jahr 2007 als einer der Ersten auf diese Gefahren durch das Web 2.0 hin.

Naiver Glaube an Demokratisierung und Teilhabe

Damit stand der Startup-Gründer damals im Silicon Valley ziemlich alleine dar. Denn zu der Zeit war das Silicon Valley geprägt von einem subkulturellen Flair: Die Vorstellung vom Web 2.0 als Demokratisierungs- und Empowermentinstrument für alle herrschte vor.

Auch mit seiner Kritik an sozialen Medien in seinem zweiten Buch „Digital Vertigo“ schien Keen 2012 seiner Zeit voraus zu sein.  Hierbei kritisierte er bereits damals die „Fetischisierung der Transparenz“ und die leichtfertige Aufgabe der Privatsphäre im Gegenzug.

In seinem dritten Buch „Das digitale Debakel: Warum das Internet gescheitert ist – und wie wir es retten“ zog Keen dann 2015 eine erste Bilanz: Seine Befürchtungen schienen sich bewahrheitet zu haben – denn die entstandene digitale Ökonomie war alles andere als demokratisch und egalitär.

Bilanz nach zehn Jahren: „Winner takes it all“-Ökonomie und billionenschwere Digitalunternehmen

Ein brutales System, auch im Bereich der Digitalisierung: Wer gewinnt, kriegt alles, der Rest geht leer aus. Foto: Thomas Engel

Viel mehr hatte sich eine „Winner takes it all“-Ökonomie mit wenigen billionenschweren Digitalunternehmen wie Amazon und Google entwickelt. Die Grundlage deren Geschäftsmodellen war das Sammeln und der Handel mit den Daten der Nutzer*innen, die die Angebote vermeintlicherweise umsonst nutzen konnten.

Dabei ist für Keen zu bedenken: „Wir tauschen unsere Privatsphäre für vermeintlich freie Angebote und Anwendungen ein. Aber sobald wir online sind, werden wir zur Ware.“ Die Folgen dieser Art der Digitalisierung sind für Keen eindeutig klar: Weniger Demokratie, weniger Gleichheit und weniger Transparenz.

Diese Trends haben sich für Keen seitdem fortgesetzt und wurden durch die Corona-Pandemie noch einmal beschleunigt: So habe Amazon im Jahr 2020 die Anzahl seiner Mitarbeitenden verdoppelt und Paypal sei mittlerweile mächtiger als viele Banken, so Keen weiter. Auch die Fragmentierung der Wahrheit und von Informationen innerhalb der Gesellschaft werde in der Pandemie mehr als deutlich.

Forderungen nach neuen, verantwortungsvollen digitalen Geschäftsmodellen

Doch Keen ist nicht hoffnungslos, wie sein viertes Buch – „How to fix the future: Fünf Reparaturvorschläge für eine menschlichere digitale Welt“-  aus dem Jahr 2018 deutlich macht. Seine Hoffnungen liegen auf einer „digitalen Aufklärung“.

Hierzu zählen für ihn die Regulierung der großen Digitalunternehmen sowie die Entwicklung von neuen und verantwortungsvollen digitalen Geschäftsmodellen. In diesem Zusammenhang setzt Keen Hoffnung auf Europa, denn die Europäische Union sei die einzige Instanz, die sich „Big Tech“ bisher entgegengestellt habe.

Außerdem ruft Keen zur Regenerierung des öffentlichen Raumes sowie zum Empowerment des Prekariats im Zuge der digitalen Aufklärung auf. Dabei ist sein eindeutiges Resümee: „Das Problem ist nicht die Technologie, sondern das Wirtschaftssystem. Das Problem sei nicht eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen, das Blockchain, „sondern große Digitalunternehmen und ihre Geschäftsmodelle.“

 

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  1. TU Dortmund unterstützt junge Start-ups – Auftaktveranstaltung für das Gründungsprogramm „STARTUP.INNOLAB“ (PM)

    TU Dortmund unterstützt junge Start-ups – Auftaktveranstaltung für das Gründungsprogramm „STARTUP.INNOLAB“

    Sechs Monate intensiv an der eigenen Geschäftsidee arbeiten – so das Grundkonzept des Programms „STARTUP.INNOLAB“. Zwölf Teams wurden für die diesjährige Runde ausgewählt und bekommen damit erfahrene Mentorinnen und Mentoren zur Seite gestellt, ein maßgeschneidertes Workshop-Programm und die Möglichkeit, sich mit anderen Start-ups und etablierten Unternehmen der Region zu vernetzen.

    Das Team des STARTUP.INNOLAB lädt zur diesjährigen Auftaktveranstaltung ein:

    Datum: Dienstag, 8. Dezember
    Uhrzeit: 16:00 – 19:00 Uhr
    Ort: Youtube (Link wird nach der Anmeldung verschickt)
    Anmeldung: Über eventbrite

    Auftaktveranstaltung STARTUP.INNOLAB Tickets, Di, 08.12.2020 um 16:00 Uhr | Eventbrite
    http://www.eventbrite.de

    Eventbrite – Centrum für Entrepreneurship & Transfer präsentiert Auftaktveranstaltung STARTUP.INNOLAB – Dienstag, 8. Dezember 2020 – Informieren Sie sich über das Event und darüber, wie Sie an Tickets gelangen.

    Es sprechen:
    Prof. Andreas Liening, Dekan der Fakultät Wirtschaftswissenschaften,
    Vorstand des CET & Ronald Kriedel, Geschäftsführer des CET

    Bei der Veranstaltung wird das Team des CET Einblicke in das neue Innovationslabor geben. Die zwölf neuen, innovativen Start-ups und jungen Unternehmen, die die Jury am 21. Oktober für das Programm ausgewählt hat, werden sich vorstellen und im STARTUP.INNOLAB begrüßt. Im Anschluss stehen Ihnen die Start-ups und das Team des INNOLAB für Ihre Fragen über die Plattform „Wonder“ zur Verfügung.

    Folgende Start-ups nehmen dieses Jahr teil:

    AETTA: Das Team entwickelt, optimiert und produziert eine einzigartige propellerlose Antriebstechnik für Drohnen: die AETTA-Schubdüse.

    ANTRIC GmbH: Das Start-Up entwickelt ein robustes und vollgefedertes Lastenrad für den Einsatz in der City-Logistik.

    apomap UG: apomap – die SaaS-Lösung für den Botendienst der Vor-Ort Apotheke. Mit apomap soll die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland gesichert werden.

    atlas UG: das Start-up entwickelt Geräte für das Functional-Training. Das Motto: „In.Gym.Neering“

    beint GmbH: Mit beint wird der Bewerbungsprozess auf Online-Stellenanzeigen optimiert und für Kandidaten mobil darstellbar gemacht. Die Vision ist es, den Bewerbungsprozesse maximal zu vereinfachen und für den mobilen Alltag ihrer Zielgruppe zu optimieren.

    Cipacto: Das Team von Cipacto entwickelt und produziert ein durchgehend digitales, integriertes und intelligentes System zum revisionssicheren Management und Monitoring umweltrelevanter Flüssigkeiten und Gase.

    InviCode: Das Forscherteam fügt jedem Bild oder Video eine weitere Dimension hinzu, die erst durch die Smartphone-Kamera sichtbar wird.

    JOHN DORY: Das Ziel des Gründers ist es, sich in Armut befindlichen Personen kurzfristige Arbeit zu vermitteln, um Ihnen langfristig den Weg aus der Armut zu ermöglichen.

    LaSaRa: Die beiden Gründerinnen von LaSaRa stehen für die Revolution des Coffee to go Bechers – nachhaltig, mit gutem Gewissen und ohne Kompromisse.

    memoresa GmbH: Nach dem Motto „Behalte den Überblick und regle dein digitales Leben“ ist memoresa eine Dienstleistungsplattform für die Veraltung digitaler Nachlässe abseits von materiellen Vermögenswerten.

    Moinflat GmbH: Durch moinflat kann in Zukunft auch ohne Eigenkapital die eigene Traumimmobilie dank einer digitaleren, flexibleren und innovativeren Form des Mietkaufs erworben werden.

    Uma: Die Gründerinnen von Uma entwickeln die erste Digitale Gesundheitsanwendung für die Schwangerschaft.

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