Sich gegenseitig informieren und voneinander lernen – das ist der Anspruch des von der GrünBau gGmbH organisierten Forums „Europäische Inklusionsprojekte am Park“ im Forum von „Adam’s Corner“ am Westpark, mit dem das siebte Roma-Kulturfestival „Djelem Djelem“ begann. Wie viele der Veranstaltungen hatten die Organisator*innen allerdings mit den Folgen und Einschränkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Nichts destotrotz freute sich GrünBau-Geschäftsführer Andreas Koch, dass in diesem Jahr ihnen die Ehre zukomme, das Festival zu eröffnen.
Mit einem Forum für transnationale Projekte startete das 7. Festival
Grünbau aus der Nordstadt arbeitet mit einer Vielzahl von Partner-Organisationen in Europa zusammen. In Workshops, auf einem Markt der Möglichkeiten sowie in Mitmachaktionen wollten die Partner*innen aus Bulgarien, Frankreich, Österreich, Rumänien, Italien und Deutschland die Ideen und den Stand von Inklusionsprojekten in Süd-Ost-Europa und in Dortmund vorstellen. ___STEADY_PAYWALL___
Doch nur die Partner aus Bulgarien konnten persönlich kommen – alle anderen Länder bzw. Regionen sind zwischenzeitlich zu Risikogebieten erklärt worden. Daher konnten diese nur Online der Veranstaltung beiwohnen – eine Art der Kommunikation, die in den vergangenen Monaten zum Alltag geworden ist. Doch am Ziel der Arbeit hat das nichts geändert: Ziel ist es, voneinander zu lernen und sich untereinander auszutauschen.
Neben dem ganz konkreten An- und Einsatz vor Ort in Dortmund ist die GrünBau auch maßgeblich an Projekten beteiligt, die in einem ganzheitlichen Anspruch lokale Problematiken mit einer damit eng verflochtenen Arbeit am Herkunftsort der Zielgruppe(n) verbindet. „Die Idee war es, ein Forum zu bilden für transnationale Projekte bei Grünbau. Insbesondere zwei Projekte wollten wir miteinander verschneiden“, erläutert Organisator Stefan Blank die Veranstaltungsidee.
E.C.R.I. engagiert sich bei der Stärkung von Multiplikator*innen
Das von Stefan Blank vorgestellt Projekt „E.C.R.I. – European Cooperation for Roma Inclusion“ zielt vor dem Hintergrund von zunehmendem Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit darauf ab, die Kompetenzen von Multiplikator*innen zu entwickeln, die zur Unterstützung und Einbeziehung von Roma-Gemeinschaften beitragen.
Inspiriert von den Mentoringpraktiken in Bulgarien, Rumänien, Frankreich und Deutschland werden die Projektpartner Instrumente entwickeln, um die Ausbildung von Roma-Mentor*innen zu erleichtern, die zu einem Bindeglied zwischen lokalen Behörden, sozialen Organisationen und Roma-Gemeinschaften in den beteiligten Städten werden könnten.
Um integrative Methoden auszutauschen, werden eine Mediationsplattform und ein transmedialer Leitfaden entwickelt. Weiterhin wird ein Training im Inklusionsmentoring entwickelt, um die Grundlagen, die Möglichkeiten und die Kompetenzen, die für die Einbeziehung der Roma-Gemeinschaften erforderlich sind, in den Bereichen Wohnen, Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Kultur zu verbessern.
Gewährleistung des Rechts auf Bildung für Roma-Kinder in europäischen Städten
Beim von Yasmin Yusif vorgestellten Projekt „GUARANTEE“ geht es um das Recht der Kinder auf Bildung. Schulabbrüche sollen verhindert und der Übergang zu Sekundar- und Berufsschulen erleichtert werden. Dabei ist es wichtig, Stereotypen und Vorurteile abzubauen und das gegenseitige Verständnis zwischen Jugendlichen innerhalb und außerhalb der Roma-Community zu fördern.
Damit soll der Segregationsprozess im Bildungssystem aufgehoben werden. Der Wissenstransfer zwischen Fachleuten und der Austausch bewährter Verfahren werden wissenschaftlich begleitet. „Lessons learned“ und „best practices“ werden analysiert, dokumentiert und verbreitet.
Methodisch wird bei der Inklusion durch Sport angesetzt, Lernförderung ist dabei integraler Bestandteil. Die gewonnenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Begleitforschung sollen zur Entwicklung von Praktiken beitragen, die auf andere Standorte und Mitgliedsstaaten der Europäischen Union übertragbar sind.
Kernzielgruppen sind Jugendliche der Minderheiten der Roma, welche sich im Übergang von der Sekundarschule zur Berufsschule befinden. Die Jugendlichen müssen in ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Selbstdisziplin gefördert werden, um die Sekundarschule erfolgreich abzuschließen und eigene Entscheidungen über ihre weitere berufliche Karriere treffen zu können.
Das Projekt wird an zwei Orten durchgeführt: Im bulgarischen Plovdiv – genauer gesagt im Stadtteil Stolipinovo sowie in der Dortmunder Nordstadt. Dies ermöglicht eine eingehende Analyse der Auswirkungen von Kontextfaktoren auf die Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs von Roma-Jugendlichen zu Bildung und Inklusion.
Das „Viertelwerk“: Ein gemeinnütziger Vermieter, der Bewohner*innen in Arbeit bringt
Die Sanierung von Schrott- und Problemimmobilien mit Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu verbinden, das ist der erfolgreiche und bereits praktizierte Ansatz der Stiftung Soziale Stadt. Mit dem „Viertelwerk“ gehen Stiftung und die Stadt noch einen Schritt weiter: Sie haben im vergangenen Jahr ein gemeinnütziges Wohnprojekt ins Leben gerufen, das sich auch intensiv um die Bewohner*innen in den Problemimmobilien kümmert und – das ist ganz entscheidend – nicht aus den sanierten Objekten verdrängt.
Im Zuge der Förderung bezahlbaren Wohnraums haben die Dortmunder Stadtverwaltung und die Viertelwerk gGmbH ein Wohnprojekt mit umfassendem Sozialkonzept initiiert. Es zeichnet sich vor allem durch die Integration des Einzelnen in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt aus. Denn, eine eigene Wohnung als Rückzugsort zu haben, sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen zu können – das ist für viele selbstverständlich, doch noch lange nicht für alle.
Das „Viertelwerk“ saniert nicht nur die Gebäude, sondern kümmert sich auch um die bisherigen und zukünftigen Bewohner*innen, denn eine Verdrängung wie beispielsweise beim Sanierungsprojekt in der Brunnenstraße soll es nicht mehr geben. „Dort waren die Menschen, die auf den Matratzen übernachtet haben, anschließend nicht mehr da“, erinnert Andreas Koch. „Wir wollen jetzt versuchen, mit den Bewohner*innen, die in den Häusern gelebt und gelitten haben, einen Weg zu finden, dass sie bleiben können“, betont der Grünbau-Geschäftsführer.
„Wir wollen gutes Wohnen für Alle – im Gegensatz zu dem Schrott, in dem sie vorher gewohnt haben“
Ihren Ansatz verstehen sie nicht als Kritik an anderen teils privaten Eigentümer*innen, sondern als ergänzendes Modell. Daher setzen sie voll darauf, dass die Wohnungen auch nach der Sanierung mietpreisgebenden und auch für arme Menschen erschwinglich sind. Dabei hat das Viertelwerk nicht nur die hier lebenden Roma, sondern auch Wohnungslose, Arbeitslose, Jugendliche oder andere Menschen im Blick, die auf dem „normalen“ Wohnungsmarkt Probleme haben.
„Wir wollen gutes Wohnen für Alle – im Gegensatz zu dem Schrott, in dem sie vorher gewohnt haben“, betont Koch. Dabei setzt das Viertelwerk durchaus auch auf Durchmischung. Auch wenn in einem der Häuser derzeit fast nur Roma leben, muss das anschließend nicht so sein. Ziel müsse es sein, am Ende möglichst allen Menschen wieder eine Bleibe anbieten zu können – auch an anderen Standorten und in anderen Gebäuden.“
Doch das ist eine große Herausforderung: Das Viertelwerk braucht daher noch sogenannte „Umsetzwohnungen“, in denen die Familien unterkommen, während die bisherige Bleibe saniert wird. Weil der Zustand der Gebäude teils so schlecht ist, muss kernsaniert werden. „Wir haben ein Junkieparadies übernommen“, sagt Koch achselzuckend. Teils gibt es auch Brandschäden in Wohnungen – sie waren nicht mehr bewohnbar.
Erfolgreiche Vermittlung von Roma in Arbeit – alle Familien haben jetzt Ernährer*innen
Jan-Christopher Bremer ist seit Juli 2017 für das begleitende und stabilisierende Angebot verantwortlich. Das Programm für soziale Wohnraumbegleitung und Akquise wird vom Land mitfinanziert. Sie haben Kinder- und Jugendangebote aufgebaut, einen Billardtreff, eine Mädchengruppe, Hausaufgabenbetreuung und eine Nähmanufaktur, bei der sich die Frauen etwas dazuverdienen können. Auch sie präsentierten ihre Erzeugnisse im Forum und boten sie zum Verkauf an.
Der Schlüssel des Viertelwerks: Sie helfen bei der Wohnraum- und – das ist ganz entscheidend – auch bei der Arbeitssuche. Denn nur dann sind die Menschen auch in der Lage, ihre Mieten zu bezahlen. Dabei können schon die geringfügigen Beschäftigungen helfen. Die Frauen sind dabei der Schlüssel, weiß Ute Lohde. „Sie sind der Schlüssel für Veränderungen, man kann über Frauen viel mehr erreichen als über die Männer, das ist unsere Erfahrung“, ergänzt Andreas Koch.
Anders als oft in Klischees und Vorurteilen behauptet, kommen die meisten der Zuwanderer*innen aus Südosteuropa außer dem Kindergeld nicht in den Genuss von Sozialleistungen. „Die Familien haben daher existenzielle Probleme, deshalb versuchen wir immer direkt in Arbeit zu vermitteln“, berichtet Lohde. Denn auch bei Qualifizierungen und Sprachförderungen fallen sie zumeist durchs Raster.
Umso wichtiger kann dabei die Durchmischung sein. Die Vorstellung des Viertelwerks ist, dass auch Studierende mit in die Häuser einziehen. Sie könnten dann auf Basis von Honorarjobs bzw. günstigerer Miete ihre Nachbar*innen unter ihre Fittiche nehmen. Entsprechende Programme seien in Duisburg und Bochum erfolgreich gelaufen.
Die Vermittlung in Arbeit läuft übrigens ausgesprochen erfolgreich: Hatten zu Beginn maximal 20 Prozent der Bewohner*innen einen Job, haben jetzt mehr oder weniger alle Familien einen oder mehrere Verdiener*innen. Dies zu begleiten und unterstützen ist eine Daueraufgabe. „Die meisten haben ja keinen dauerhaften Job über Jahre, sondern Zeit- und Saisonarbeit.“
Auch innerhalb des Projekts gibt es Stellen. So sind beispielsweise der Hausmeister und auch Vorarbeiter aus der Roma-Community. Auch eine Fachkraft – eine Roma-Frau – ist über das Duale Studium Flucht und Migration zu Grünbau gekommen. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir mal so viele Arbeitsplätze für Menschen aus der Community schaffen können“, freut sich der Grünbau-Geschäftsführer.
„Jobwinner“: Integration von jungen Menschen in prekären Lebenslagen in den Beruf
Qualifizierung und Beschäftigung von jungen, perspektivlosen Menschen bleibt weiterhin ein Thema in Dortmund. Doch das dreijährige Pilotprojekt „Pick UP“ ist im vergangenen Jahr ausgelaufen. Daher wurde in der Nachfolge das Projekt „Starter-Job und Jobwinner“ initiiert, in die Kommunale Arbeitsmarktstrategie 2020-2030 eingebunden und im Januar 2020 gestartet.
Das Programm richtet sich an junge Menschen zwischen 16 und 27 Jahren, die in prekären Lebensverhältnissen leben. Auf Grund von Mehrfach-Problemlagen, mangelnder Deutschkenntnisse und fehlender Systemkenntnisse sind sie nicht mehr in der Lage, an den Unterstützungsangeboten des Regelsystems teilzunehmen.
Das Projekt ermöglicht eine pädagogisch begleitende geringfügige Beschäftigung mit einhergehenden Qualifizierungs- und Sprachangeboten. Teilnehmende betätigen sich im Bereich der Pflege von Grün- und Spielflächen sowie im Bereich der städtischen Beteiligungsgesellschaften, berichtete Daniela Pollei. Sie bekommen einen Vertrag für drei mal drei Stunden Arbeit pro Woche.
Es gibt dadurch ein tagesstrukturierendes Angebot. Damit öffnen sich für die Teilnehmenden andere weiterführende Integrationsangebote im Regelsystem, sowie Angebote zur Heranführung an eine Ausbildung oder Beschäftigung. Durch das Projekt wird eine Angebotslücke geschlossen. Sogenannte „entkoppelte“ junge Menschen können an Unterstützungs- und Förderangebote des Regelsystems herangeführt werden. Das Angebot ist niedrigschwellig angelegt – außerdem werden viele Sprachen abgedeckt.
„RADIO PLOVMUND“ – transnationale Jugendarbeit zwischen Dortmund und Plovdiv
Ein weiteres Arbeitsfeld ist die transnationale Jugendarbeit, stellte Steffen Moor – freier Theatermacher und seit drei Jahren für GrünBau in Austauschprojekten aktiv – auf dem Forum vor. Als „Beyond Europe. Crossboarder collaboration through arts in disadvantaged neighborhoods“ stellte er seine Arbeit vor.
Um was geht es? Im Jahr 2019 war die bulgarische Stadt Plovdiv die offizielle Kulturhauptstadt Europas und stellte dieses Jahr unter das Motto „together“. Diese Idee der Brücken zwischen Menschen in Europa wurde in gemeinsamen Kulturprojekten aufgegriffen.
Jeweils im Sommer 2018 und 2019 gab es das Erasmus+ Projekt: „RADIO PLOVMUND“ mit je zehn jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 27 Jahren aus Plovdiv und Dortmund. Im Rahmen dieser Projekte fanden im August 2018 in Dortmund und und im Juli 2019 in Plovdiv Begegnungen statt.
Die Jugendlichen arbeiteten gemeinsam an einem Stadtspaziergang mit Audiotour durch die Stadtteile Dortmund-Clarenberg und Plovdiv-Stolipinovo, indem sie Geschichten aus ihrer Heimat austauschten und den Zuhörer*innen aufs Ohr schickten. Mit Hilfe des Regisseurs Steffen Moor entstanden selbst konzipierte Stationen und ein Hörbuch. Als Inhalt für die Performance wurden die Lebenswelt und die Erfahrungen der jungen Menschen herangezogen.
Unter den Folgen der Corona-Pandemie hat auch die Austauscharbeit zu leiden. Zumindest beteiligten sich die Akteure an der Aktion #helpstolipinovo – sie sammelten finanzielle Unterstützung für Roma-Familien in Plovdiv, die durch den Corona-Lockdown im Frühjahr noch härter getroffen wurden als die ethnischen Bulgaren.
Aktuell arbeitet Moor an einem neuen Projekt: „Neuropa – The Establishment 25.10.2020“ heißt das Vorhaben. „Im Radioprojekt haben wir eine Stadt gegründet, jetzt gründen wir einen Staat. Die Stadt alleine ist zu klein“, berichtet Moor mit einem Augenzwinkern. Los gehen soll es noch in diesem Monat. Doch der Ort ist noch offen. Wahrscheinlich findet es am Clarenberg in Hörde statt – wenn Corona dies zulässt.
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