Auf der Suche nach Unterschieden: Kandidat*innen fürs Amt an Stadtspitze diskutieren über Wohnen und Stadtplanung

Baukunstarchiv, fünf Kandidat*innen, ein zu vergebender Posten, strittige Themen. Fotos: Thomas Engel

Stadtentwicklung und Architektur in Dortmund. Hört sich für viele vielleicht nach einer trockenen Materie an. Doch bei diesen Themenkomplexen kann es ans Eingemachte gehen. Denn sie betreffen relativ konstante Umweltgebenheiten, die kommunale Infrastruktur, wichtige Voraussetzungen für die Lebenswirklichkeit aller Bürger*innen. Dazu sollten potentielle Oberbürgermeister*innen der Stadt mithin schon ein paar Ideen haben. Nämlich, wie die darunter befassten Dinge vorangebracht werden können. Die fünf Kandidat*innen der demokratischen Fraktionen im Rat für das höchste Stadtamt sprachen darüber miteinander. Und stritten auch ein wenig.

Diskussionsrunden der Kandidat*innen für das Oberbürgermeisteramt zu verschiedenen Themenbereichen

Die Kandidatin*innen für das Oberbürgermeisteramt, das im Herbst neu besetzt werden wird, stellen sich dieser Tage in Dortmund der Öffentlichkeit vor. In Diskussionsrunden zu ausgewählten Themen geht es jeweils darum, sich und ihre Partei zu positionieren. Diese Veranstaltungen sind somit Teil des demokratischen Meinungsbildungsprozesses vor den Kommunalwahlen.

Eingeladen ins Baukunstarchiv hatte in der Woche der Bund Deutscher Architekten (BDA) Dortmund Hamm Unna. Ein renommierter und zugleich der älteste Verband freiberuflich tätiger Architekten in Deutschland. 1903 gegründet, beruft der BDA „Architektinnen und Architekten sowie Stadtplanerinnen und Stadtplaner in seine Reihen, die sich durch die herausragende Qualität ihres baulichen und planerischen Schaffens bemerkbar gemacht haben“ – mit diesen Worten macht die berufsständische Organisation ihre eigenes Anspruchsniveau deutlich. ___STEADY_PAYWALL___

Die Veranstaltungskonzeption birgt vorderhand eine Schwierigkeit. Wenn solche Fachgespräche in Wahlkampfzeiten vor allem dazu dienen, sich und eigene Positionen zu profilieren, dann könnte das zumindest mit Blick auf die Parteiprogramme zu einigen politischen Problemen kein leichtes Unterfangen werden.

Parteiprogramme demokratischer Fraktionen zum Themenspektrum des Abends: große Ähnlichkeiten?

Prof. Andreas Denk (Chefredakteur „der architekt“)

Dies zumindest bedeutet Moderator Prof. Andreas Denk, der die Diskussion zu den Themen um Städtebau und Architektur leiten sollte. Er habe bei der diesbezüglichen Lektüre nämlich feststellen müssen: die Programme, „sie ähneln sich ja enorm“, so der Chefredakteur der BDA-eigenen Zeitschrift „der architekt“.

Das nimmt nicht Wunder: Wer möglichst viel Menschen erreichen will, muss eine breit gefächerte Interessenlandschaft treffen. Gerade zu den zentralen Themen, die in dieser Gesellschaft debattiert werden. Wer wird demnach aus der gestandenen Politik nicht für „Klima- und Umweltschutz“ oder „Nachhaltigkeit“ oder eine „ideologiefreie Politik“ sein – niemand. Weil es sich niemand leisten kann, ohne in einem signifikanten Umfang Stimmen zu riskieren.

Das hat den Nachteil, dass es eine Tendenz zur Unbestimmtheit politischer Positionen gibt. Insofern kommt es auf ein Gespür für Nuancen, Spuren an, die auf bedeutendere Politikdifferenzen verweisen. Zudem sind Zeiten des Wahlkampfs bekanntlich die der Versprechen. Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl, ein hierzu entworfenes Programm nicht die politische Praxis in den kommenden Jahren. Und die Erfahrung zeigt: dazwischen liegt einiges.

Handlungsfelder Identität, Gesellschaft, Ökonomie, Verkehr und Klima in der Diskussion

Fragen um Städtebau und Architektur in Dortmund sollten in der abendlichen Runde im Baukunstarchiv am Ostwall schwerpunktmäßig mit Blick auf den Innenstadtbereich diskutiert werden.

Und zwar in fünf bedeutsamen Handlungsfeldern: Identität, Gesellschaft, Ökonomie, Verkehr und Klima. Eingeladen worden waren – wie bislang üblich zu solchen Anlässen – die demokratischen Fraktionen aus dem Dortmunder Stadtrat, also unter Ausschluss der rechtspopulistischen AfD.

Nun galt es, „herauszuarbeiten, worin die Unterschiede bestehen“, fordert Denk – darum müsse es in den folgenden Stunden gehen. Es sollte ganze drei dauern, in denen sich die Beteiligten redlich bemühten, an der ein oder anderen Stelle Alleinstellungsmerkmale ihrer Partei bzw. eigener Vorstellungen zur Zukunft der Stadt kenntlich zu machen und damit zu punkten.

In der ersten Runde stand die Frage nach der Identität der Stadt Dortmund zur Debatte. Also danach, was sie ausmacht, individuell auszeichnet, was sie von anderen Großstädten besonders abhebt. Dies zielt freilich nicht nur auf eine persönliche Stellungnahme zum Ist-Zustand, sondern impliziert wird damit zugleich die Aufforderung, sich zu einem Soll-Zustand zu erklären. Also dazu, wie Dortmund sein oder nicht sein sollte.

Daniela Schneckenburger: Globalisierung und Umgang mit Folgen des Klimawandels als Schlüsselaufgabe

Daniela Schneckenburger (B 90/Die Grünen)

„Strukturwandel 2.0“: Was denn darunter denn zu verstehen sei? – Für das Bündnis 90/Die Grünen antwortet deren OB-Kandidatin Daniela Schneckenburger: Nach dem ersten großen Strukturbruch ginge es jetzt um folgende Fragen: „Wie wir uns aufstellen im Rahmen der Globalisierung?“ – „Wie wir uns als Stadt anpassen an den Klimawandel?“ Wie also mit dessen Folgen umzugehen sei.

Schließlich darum: „Wie soll die Innenstadt der Zukunft aussehen?“, so Schneckenburger. Und meint damit freilich auch eine Innenstadt mit deutlich weniger bis gar keinen Autos mehr und einer Infrastruktur, die dann umweltfreundliche Fortbewegungsweisen fördert.

Mentalitätsmäßig jedenfalls sieht die erfahrene Grünen-Politikerin Dortmund für die Zukunft schon einmal gut gerüstet: es gäbe eine Offenheit für den Wandel, statt sich in süddeutscher Gelassenheit zurückzulehnen. In einer Stadt des Aufnehmens, also einer offenen Stadt.

Utz Kowalewski: Fokus auf Fragen sozialer Gerechtigkeit in einer geteilten Stadt

Utz Kowalewski (Die Linke)

Ob es hinter einer Identität der Stadt über Architektur und Städtebau eine andere Identität, will der Moderator von Utz Kowalewski wissen. „Wir sind natürlich die Partei, die die Stadt von den Menschen her denkt“, so der Fraktionschef der Linken im Stadtrat.

Abgesehen davon, dass die sehr beharrlich sein könnten, hat die Linke ein Problem mit der sozialen Lage eines signifikanten Teils der Bevölkerung. Die Gesellschaft in Dortmund sei ökonomisch gespalten, stellt Kowalewski fest. Einer Hälfte ginge es „wirtschaftlich nicht so gut“.

Konkret: Die Hälfte habe einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, 100.000 Menschen lebten um das Existenzminimum (erhalten Transferleistungen). So etwas sei nicht identitätsstiftend. Für einen Großteil der Menschen, die schon hier gelebt hätten, habe der Strukturwandel eben nicht funktioniert. „Genau da müssen wir ran, an die Menschen, die wirklich abgehängt sind“, Stichwort: Prekariat, d.h. Personen, die dauerhaft in existentieller Unsicherheit leben (müssen).

Thomas Westphal: Entscheidend ist das Verhältnis von Stadtentwicklung und Lebenshaltungskosten

Thomas Westphal (SPD)

Was es bedeute, dass Dortmund ein Stadt sein müsse, die man sich wieder leisten könne, fragt Denk in Richtung des zustimmend nickenden OB-Kandidaten der SPD, Thomas Westphal, der das kürzlich erst gefordert habe. Das bedeute, „zunächst einmal, dass man hier in der Stadt leben können muss“, so Westphal. Etwa, was die Bezahlbarkeit der Wohnung angeht.

Und nennt den Borsigplatz als Beispiel. Wenn dort schon nach einer Sanierung der Quadratmeterpreis von 4,35 auf 6,35 Euro stiege und Menschen ihm dann sagten, dass sie das nicht mehr bezahlen könnten: wo wolle man da noch wohnen? Im Kern ginge es um das Verhältnis von Stadtentwicklung und Vermögensbildung hier, Bezahlbarkeit dort.

Ansonsten: eine eigene Identität entstünde einer Stadt nicht nur und nicht in erster Linie aus ihren Bauten. Dortmunder Identität – die sei eher in der Dezentralisierung zu suchen, sei eine „der tausend Dörfer“. Mentalitäten hätten sich andererseits in der Stadt sicher verändert – unvermeidlich, wenn neue Menschen hinzukommen. Doch bei allem bliebe da „Bodenständigkeit“, eine „hohe Leistungsbereitschaft“, eine „zupackende Solidargemeinschaft“.

Dr. Jendrik Suck: Dortmund verbindet Großstadtflair mit dörflichem Charakter

Jendrik Suck (CDU)

Was denn nun das Entscheidende für die eigene Identität Dortmunds sei?, will Denk anschließend von Dr. Jendrik Suck, dem CDU-Repräsentanten wissen, der den parteieigenen OB-Kandidaten, Andreas Hollstein, im Baukunstarchiv vertritt Jener hatte es an dem Abend vorgezogen hatte, sich an der Seite von Gesundheitsminister Spahn zu zeigen, welcher zeitgleich in Dortmund weilte.

Dessen Eingangsstatement lautet: „Dortmund ist eine der attraktivsten Großstädte in unserem Lande.“ Hier habe jeder die Chance, mitgenommen zu werden, sich zu verwirklichen. Die Stadt könne sich – im Unterschied zu anderen Städten – fast jeder leisten, nachdem der Transformationsprozess erfolgreich bewältigt worden sei.

Was ihm an Dortmund besonders gefällt: da gäbe es ein „großstädtisches Flair“, doch zugleich sei da eben auch die Stadt, die „diesen dörflichen Charakter, die Heimat hat“.

Ansonsten sei man eben in Westfalen: „ehrlich“, „direkt“, „offen“, so der CDU-Politiker.

Michael Kauch: Bild von Dortmund entspricht nicht der wirtschaftlichen Kraft der Stadt

Abschließend wendet sich Moderator Andreas Denk zum FDP-OB-Kandidaten Michael Kauch: Wenn es denn (auch) um eine bessere Vermarktung der Innenstadt ginge, wie von diesem verschiedentlich angemahnt – ob er mal drei Beispiele nennen könne? Und: Wie stünde es nun um ein [identitätsstiftendes] Alleinstellungsmerkmal?

Michael Kauch (FDP)

Die Mischung mache es eher, so Kauch. Da ginge es in Dortmund im Hinblick auf die Ambition und die wirtschaftliche Entwicklung einerseits um weniger Gelsenkirchen oder Altena und um mehr Silikon Valley. „Aber dazu gehört dann eben auch Heimat“,weiß der aus Dortmund-Eving stammende FDP-Politiker, worauf es auch ankommt.

So, wie sich „die Brüche der Geschichte dieser Stadt“ vollzogen hätten, so sähe eben auch das Bild der Stadt aus – eben eine Stadt mit Brüchen. Was die Außendarstellung beträfe: da sei das Problem, „die wirtschaftliche Kraft, die diese Stadt hat“, die käme nach außen eben nicht an, sondern sei (zu stark) nach innen gerichtet. Ein Beispiel sieht er in der Frage, wie der Tourismus vermarktet werden könne. Oder die Zeche Zollverein: die verkaufe sich wie die DASA unter Wert – weil sie nicht der Stadt gehörten.

Zur Identitätsfrage bemerkt der FDP-Mann: Man müsse weg von der Bergbaukultur. Beim Singen des Steigerliedes während des Neujahrsempfangs – da hätten sich die Leute unter 50 eigentlich nur entsetzt angeschaut. Daher, so Kauch: für die Jüngeren bräuchte es neue Identitätsstifter.

Wohnen in Dortmund: Mischung, Schutz gewachsener Strukturen, keine neuen „Horror-Häuser“

Und so hangeln sich die OB-Kandidat*innen an weiteren Themen entlang. In Sachen Stadtgesellschaft geht es um (den Erhalt gemischter) Quartiere, Verdrängung, Gentrifizierung und in diesem Zusammenhang um Milieuschutz: also um den Erhalt einer gewachsenen Sozialstruktur/Soziokultur in abgrenzbaren Teilen der Stadt, wofür sich besonders die Grünen stark machen.

Für den öffentlich geförderten Wohnungsbau fordern die Linken eine festgelegte Quote von 30 statt der bisherigen 25 Prozent. Die Rede ist von neuen Wohnkonzepten, der Förderung von Baugemeinschaften (Schneckenburger). Jendrik Suck sieht kommunale Verantwortlichkeiten, um so etwas wie das „Horror-Haus“ in der Kielstraße zukünftig zu vermeiden. Hier wie bei Ökonomie oder Klima waren die Unterschiede der Parteien an vielen Punkten eher marginal.

Deutlichere Differenzen tun sich an einigen Schlüsselfragen auf – in der kommunalpolitischen Diskussion nicht seit gestern – und, dies sei vorweg genommen: der Abend bei den Architekt*innen brachte da wenig bis gar nichts Überraschendes. Einer dieser Streitpunkte: die Verkehre vor dem Hintergrund umweltpolitischer Forderungen angesichts der Klimakrise.

Am Ob und Wie einer Verkehrswende in Dortmund scheiden sich weiterhin die Geister

Vor allem geht es um den Ausbau des ÖPNV wie des Fahrradwegenetzes und die Vorstellungen, ob und inwieweit dies zulasten des motorisierten Individualverkehrs gehen darf oder sollte. Die einen setzen sich deutlich für ein Umdenken und entsprechendes Umplanen ein (Grüne, Linke). Da sei die Frage, wie der Dortmunder Wall in bedeutendem Umfang für den Radverkehr geöffnet werden könnte, eher ein „Symbolkampf“, so Daniela Schneckenburger.

Es geht um das Grundsatzproblem der Gleich- oder Ungleichbehandlung der Verkehre vor dem Hintergrund der Öko-Krise. Umweltfreund*innen argumentieren: Dortmund wurde über Jahrzehnte zur Autostadt entwickelt; nun sei es an der – wegen des Klimawandels zwingend gebotenen – Zeit, ökologisch verträglichere Verkehrsformen zu fördern – und zwar zuungunsten des Autoverkehrs.

Die CDU will zwar 5.000 Bäume pflanzen lassen, sorgt sich aber um den heimischen Einzelhandel, wenn die Autos aus der Innenstadt vertrieben werden. Und überhaupt möchte sie vermeiden, dass der motorisierte Individualverkehr zugunsten des Radverkehrs eingeschränkt wird. Thomas Westphal setzt auf den Ausbau des ÖPNV, weil die Verkehrsprobleme der Stadt allein über das Fahrradfahren nicht in den Griff zu kriegen seien.

 

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