Keine Opfer, kein Zwang: Sexarbeiterinnen wehren sich gegen Vorurteile – Prostitutionsgegner blieben Gesprächsrunde fern

Tote Hose - so stellt sich die Situation in der Linienstraße aktuell dar.
Tote Hose in der Linienstraße – die Corona-Verordnungen machen die Prostituierten seit über vier Monaten arbeitslos. In einer prominent besetzten Gesprächsrunde stellten einige von ihnen ihre Situation dar.

Von Heike Becker-Sander

„Wir sind es leid, dauernd als Zwangs- und Armutsprostituierte dargestellt zu werden.“ Sexarbeiterinnen aus der Linienstraße (in Corona-Zeiten gerade arbeitslos) nutzten am Freitag eine Gesprächsrunde mit Vertretern aus Politik, Ordnungsbehörden und Polizei, um ihrem Ärger über die gerade wieder aufgeflammte Diskussion zum Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild Luft zu machen. „Wir sind erwachsene Frauen, die sich diesen Job freiwillig ausgesucht haben,“ stellte Christina, die zu normalen Zeiten in der Linienstraße arbeitet, klar. „Ich will das nicht mehr hören, dass ich unter Zwang arbeiten muss, weil es einfach nicht stimmt.“

Mitternachtsmission suchte Meinungsaustausch zum „Schwedischen Modell“

CDU-MdB Sylvia Pantel. Fotos: Klaus Hartmann

Eingeladen zu der Runde im Dietrich-Keuning-Haus hatte die Dortmunder Mitternachtsmission als Fachberatungsstelle für Prostituierte und Opfer von Menschenhandel. ___STEADY_PAYWALL___

Hintergrund des Gespräches: Die derzeit auf politischer und gesellschaftlicher Ebene geführte Debatte um ein Sexkaufverbot in Deutschland nach dem Vorbild Schwedens, was einem Verbot der Prostitution gleichkäme.

Verschiedene Bundespolitiker*innen haben in einem Brief die Einführung des Schwedischen Modells gefordert (wir berichteten), in der Mehrheit von CDU/CSU. Weshalb die Mitternachtsmission auch durchweg Politiker*innen aus dem konservativen Lager zu dem Treffen eingeladen hatte.

Beratungsstelle positioniert sich: „Wir sind strikt gegen ein Sexkaufverbot“

Christos Katzidis (CDU-MdL)

Unterstützer dieses Vorstoßes zum Verbot von käuflichem Sex nutzten am Freitag allerdings die Möglichkeit zum Gespräch nicht. Sie fehlten. Was durchaus bedauert wurde. „Ein Austausch von kontroversen Argumenten könnte für die Meinungsbildung ja durchaus wichtig sein“, hieß es.

Zu den Gesprächsteilnehmern, die gekommen waren, gehörten neben Dortmunds Oberbürgermeister-Kandidat Andreas Hollstein (CDU), auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Pantel aus Düsseldorf, die maßgeblich am Prostituiertenschutzgesetz (2017) mitgearbeitet hat und der CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Christos Katzidis.

Aus dem Rat der Stadt waren die CDU-Mitglieder Friedrich-Wilhelm Weber und Thorsten Hoffmann der Einladung gefolgt. Dortmunds Ordnungsdezernent Norbert Dahmen beteiligte sich ebenso an der Gesprächsrunde wie der Leiter des 22. Kriminalkommissariats, Dirk Becker.

Andrea Hitzke, Leiterin Mitternachtsmission

„Wir sind strikt gegen ein Sexkaufverbot“, betonte Andrea Hitzke, Leiterin der Mitternachtsmission, gleich zu Anfang der Gesprächsrunde. Und für Sozialarbeiterin Silvia Vorhauer, die sich bei der Mitternachtsmission seit Jahren intensiv um Prostituierte kümmert, ist die Diskussion „ein Anlass zu sehr großer Sorge.“

Sie befürchte für den Fall, dass dieses Schwedische Modell von der Politik ernsthaft in Erwägung gezogen würde, eine erneute Kriminalisierung auch der Frauen in diesem Gewerbe, obwohl eigentlich „nur“ die Männer bestraft werden sollen, die sexuelle Handlungen kaufen wollen. „Wenn es für die Frauen keine sicheren Orte mehr für ihre Arbeit gibt, so wie es jetzt der Fall ist, sind sie wieder gezwungen, heimlich im Untergrund zu arbeiten.“

„Dortmunder Modell“ ist ein Beweis, dass es auch anders geht

Außerdem gäbe es bisher noch keinen Beweis dafür, dass es in Schweden nach Einführung des Gesetzes vor 20 Jahren weniger Prostituierte geben würde. „1999 waren in Schweden rund 2000 Sexarbeiterinnen registriert, zehn Jahre später gab es bereits 10000 Internetadressen mit entsprechenden Angeboten,“ so Vorhauer.

Dirk Becker, Polizei Dortmund

Die Bundestagsabgeordnete Silvia Pantel hatte gleich zu Anfang der Diskussion deutlich gemacht, dass sie eine andere Position vertritt als der Teil der CDU-Mitglieder, der sich für den schwedischen Weg ausgesprochen hat. „Ich bin kein Freund davon, Prostitution zu verbieten.“

Am Dortmunder Modell könne man sehen, dass es auch anders funktioniere. Nämlich mit Kontrollen in den Bordellbetrieben. Und zwar Kontrollen, durch die auch die Prostituierten geschützt würden. „Die Frauen müssen unserer Polizei vertrauen, gerade auch, wenn sie aus dem Ausland kommen und dort andere Erfahrungen gemacht haben.“

Auch Dirk Becker, Leiter des KK 22, plädierte für eine Kontrollfunktion, die nicht als Repressalie verstanden wird: „Wir fahren in die Bordelle und sprechen auch mit den Frauen und auf diesem Weg erfahren wir, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“ Er zeigte sich froh darüber, dass seine Abteilung Rückendeckung vom Polizeipräsidenten habe. „Wir bekommen auch das nötige Personal, um diese meist nächtlichen Kontrollen durchzuführen. Das ist nicht überall so.“

Kontrollen in Bordellen sind wichtig – aber auch das Gespräch mit den Prostituierten

Dr. Andreas Hollstein, OB-Kandidat der CDU, dahinter Ordnungsdezernent Norbert Dahmen.

OB-Kandidat Andreas Hollstein (CDU) hatte anfangs betont: „Ich will vor allem zuhören, möglichst viel aus dieser Stadt kennenlernen.“  Fragen hatte er natürlich auch. „Welche Auswirkungen haben Prostituiertenschutzgesetz und Dortmunder Modell? Gibt es da Erkenntnisse?“

Dazu Dirk Becker: „Durch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, von der Politik, über Mitternachtsmission und Ordnungs- und Gesundheitsamt bis zu den Bordellbesitzern haben wir eine gewisse Vertrauensbasis geschaffen. Dadurch bekommen wir direkte Kontakte und können eingreifen oder helfen – wenn es nötig ist.“

Dadurch würden natürlich auch die Zahlen, zum Beispiel bei den Opfern von Menschenhandel, höher ausfallen. „Einfach, weil wir davon wissen und uns kümmern können.“ Bei den Bordellbetrieben habe sich auch eine positive Entwicklung ergeben. „Vor 20 Jahren gab es 25 Betriebe, bei denen keiner wusste, was dort eigentlich passierte und wer dort unter welchen Bedingungen arbeitet.“ Heute seien noch acht Bordell-Betriebe übrig. Und dort werde regelmäßig nachgeschaut.

Thorsten Hoffmann (CDU)

Der OB-Kandidat zeigte sich abschließend beeindruckt von dem, was er zu hören bekam. Andreas Hollstein: „Ich teile die Ansicht, dass man konsequente Regeln für die Arbeit in der Prostitution schafft. Und wer das machen will, soll das in Sicherheit und mit der nötigen Würde tun können.“

Die Veranstalterinnen der Mitternachtsmission hätten sich am Freitag in der Gesprächsrunde auch gern mit den Thesen der CDU-Befürworter des Schwedischen Modells auseinandergesetzt. Dass keine(r) von ihnen der Einladung gefolgt war, löste schon etwas Enttäuschung aus.

Trotzdem war es für die Teilnehmer ein interessanter Diskurs und ein Plädoyer für das Dortmunder Modell, das Prostitution in unserer Stadt ein Stück weit aus der „Schmuddelecke“ herausgeholt hat.

 

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