Kapitän Pernelet, die Krokodile und das Olympia-Theater in Dortmund – ein Bild erzählt eine vergessene Geschichte

Kapitän Pernelet mit seinen Tieren (Sammlung Klaus Winter)
Kapitän Pernelet mit seinen Tieren (Sammlung Klaus Winter)

Von Klaus Winter

Vor dem Ersten Weltkrieg, als die Post in Großstädten bis zu dreimal täglich ausgetragen wurde, war die Ansichtskarte ein alltägliches, vielfach genutztes Kommunikationsmittel. Deshalb gibt es noch heute eine große Zahl solcher Zeitzeugen aus Papier, die weit älter als hundert Jahre sind. Die Karten überliefern mit ihren Motiven in der Regel die bedeutenden, vorzeigenswerten Seiten eines Ortes: Kirchen, Rathäuser, Theater, Bahnhöfe, aber auch Plätze, Promenaden, Einkaufsstraßen. Andere Karten hatten Großereignisse als Motiv oder dienten der Werbung für Produkte oder Veranstaltungen.

Ansichtskarte zeigt Mann im Straßenanzug zwischen Krokodilen

Hier soll die Rede sein von einer mehr als hundert Jahre alten Ansichtskarte, die auf dem ersten Blick in keinem Zusammenhang mit Dortmund steht. Denn das Bildmotiv der Karte – ein s/w-Foto – zeigt einen bärtigen Mann im Straßenanzug, der – so hat es den Anschein – sich liebevoll über einen Alligator beugt und ihn streichelt.

Mit seiner rechten Hand fasst der Mann das Tier am Unterkiefer, die linke streichelt es hinter dem Kopf. Umgeben sind Mann und Tier von weiteren Krokodilen und Alligatoren, die teilweise übereinander krabbeln und den Mann halb verdecken.

Werbekarte des Olympia-Theaters (Sammlung Klaus Winter)
Werbekarte des Olympia-Theaters (Sammlung Klaus Winter)

Dortmund besaß am Burgwall ein Varieté- und Revuetheater

Was hat das exotische Motiv mit Dortmund zu tun? Die Ansichtskarte wurde postalisch verschickt. Ein Bezug zu Dortmund lässt sich zunächst nur durch den gut lesbaren Poststempel herstellen. Aber die Absenderin hat dem Empfänger mit der Karte eine Botschaft gesandt. Sie lautet schlicht: „Dieses haben wir gestern Abend im Olympia Theater gesehen.“

Die Fassade des Olympia-Theaters wirkte am Burgwall mehr wie ein Geschäftshaus. (Sammlung Klaus Winter)
Die Fassade des Olympia-Theaters wirkte am Burgwall mehr wie ein Geschäftshaus. (Sammlung Klaus Winter)

Das Olympia-Theater Dortmund, an Burgwall, Bornstraße und Auf dem Berge gelegen, war Weihnachten 1902 eröffnet worden. Es handelte sich um ein großes Varieté- und Revuetheater mit zwei Bühnen: Das eigentlichen Theater, das mit Parkett, Rängen und Balkonen über einen klassisch aufgebauten Zuschauerraum verfügte, fasste 1.700 Gäste. Der kleinere „Olympia-Tunnel“, in dem man an Tischen saß und wo Verzehrzwang herrschte, bot immerhin nochmals 900 Personen Platz.

Die Stadt kaufte und verkaufte das Olympia

Seine wohl beste Zeit hatte das Olympia von der Eröffnung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Mitte der 1920er Jahre wurde es von der Stadt gekauft, in „Burgwalltheater“ umbenannt und für die Operette genutzt.

Die städtische Rechnung, mit dem Kauf des Hauses am Burgwall das Theaterleben in der Stadt zu optimieren, ging jedoch nicht auf. Nach einigen Jahren veräußerte die Stadt das Burgwalltheater wieder. Es erhielt seinen alten Namen zurück und wurde erneut ein Heim der leichteren Muse.

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zerstörten Bomben das Haus, das nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut wurde.

Zeitungswerbung gibt Auskunft über das Programm im Olympia

Werbeinserat in der "Dortmunder Zeitung" vom 1. Mai 1905
Werbeinserat in der „Dortmunder Zeitung“ vom 1. Mai 1905

Die Ansichtskarte mit dem Mann-Krokodil-Alligator-Motiv wurde am 4. Mai 1905 abgestempelt. Am Tag zuvor will die Absenderin das Olympia besucht haben. Der Blick in die Dortmunder Tageszeitungen dieser Zeit führt zu Werbeanzeigen des Olympias und zu Details seines Programms.

Olympia-Theater und Olympia-Tunnel waren nicht nur unterschiedlich angelegt, sie boten auch voneinander unabhängige Programme. Das Programm des großen Theaters wechselte 1905 immer zur Monatsmitte und zum Monatswechsel.

Kapitän Pernelet mit seiner Tiershow trat in der ersten Mai-Hälfte auf, jedoch nicht abendfüllend, sondern als einer von mehreren Programmpunkten.

Krokodil-Show wurde vier Monate in London gezeigt

Allerdings galten Pernelet und seine 40 Tiere als Höhepunkt des Abends, als „Hauptschlager“ wie man es damals nannte. Pernelets Show wurde angepriesen als die sensationellste und aufsehenerregendste Dressurnummer, die je in einem Varieté gezeigt wurde. Vier Monate lang war sie die Sensation des Tages im Palast-Theater in London gewesen.

Die Berichterstattung über die Vorstellungen waren lebhaft: „Es wurde einem doch recht unheimlich zu Mute, als da aus dem großen Bassin, das man auf die Bühne gestellt hatte, die mißgestalteten Leiber der scheußlichen Skorpione [!] hervorschillerten, diese geschmeidigen Kreaturen, die mit ihren Schwänzen um sich schlugen und das Wasser peitschten.“

Pernelet nahm ruhig auf einem Stuhl in dem Bassin Platz. Er „ließ die Tiere das Fleisch aus seinem Munde nehmen. Ihn störte es nicht, wenn da plötzlich ein Ungetüm den Rachen aufsperrte und in seinen Bart biß oder sich an seinem Arm zu schaffen machte, er ließ sich ruhig auf dem Rücken eines Tieres nieder und durchquerte mit ihm das Bassin.“

Pernelet ging und hinterließ Fragen

Nach zwei Wochen war Schluss mit den Krokodil-Vorstellungen; eine Verlängerung war nicht vorgesehen. Der enggestrickte Terminplan des Olympia sah für die zweite Mai-Hälfte 1905 bereits neue Attraktionen vor. Wohin es Kapitän Pernelet mit seinen Tieren von Dortmund aus zog, ließ sich nicht ermitteln. Überhaupt konnten nur wenige Hinweise auf seine Person ermittelt werden.

Dortmunder Nachtleben damals: Olympia-Theater am Burgwall (Sammlung Klaus Winter)
Dortmunder Nachtleben damals: Olympia-Theater am Burgwall (Sammlung Klaus Winter)

Reader Comments

  1. Christian Brandt

    Vielen Dank für die interessanten Details zum Olympia-Theater in Dortmund; ich bin darauf gestoßen, weil ich eine AK vom Alten Markt in Dortmund habe, die an einen Frank Montrose, Obermann der weltberühmten Montrose Troupe, Olympia Theater, Dortmund, gerichtet ist.

Write a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert