Initiative gegen Videoüberwachung in der Münsterstraße: Stadtteilspaziergang und Nachbarschaftstreffen am Samstag

Gegen die geplante Videoüberwachung in der Münsterstraße: das Transparent ist mehrsprachig, wie sich von selbst versteht. Foto (3): Nachbarschaftsinitiative

Am 21. Januar 2020 teilte die Polizei Dortmund mit, dass die Münsterstraße in der Nordstadt ab Frühling 2020 mittels Videokameras überwacht werden soll. Aus diesen Grund hat sich ein Zusammenschluss aus Anwohner*innen, Antifaschist*innen, Mitgliedern verschiedener Parteien und anderen Aktivist*innen gegründet, die sich den Plänen einer 24-Stunden-Videoüberwachung entgegenstellen. Nach einer ersten Ad-hoc-Mobilisierung hat die Initiative nun für Samstag, den 29. Februar, einen informativen Stadtteilspaziergang an Ort und Stelle sowie ein Nachbarschaftstreffen geplant.

Dortmunder Münsterstraße ab dem Frühjahr quasi durchgehend unter den Augen der Polizei?

Die Dortmunder Ordnungshüter*innen gehen daran, die Möglichkeiten, die ihnen das neue NRW-Polizeigesetz bietet, auszuschöpfen (wir berichteten). Unter anderem die Münsterstraße soll demnächst mindestens in Teilen der Videobeobachtung bzw. Videoüberwachung zugänglich gemacht werden. Im Unterschied zum Brückstraßenviertel, setzt die Polizei dabei offenbar auf den durchgängigen Einsatz der Aufnahmegeräte.

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Insgesamt fünf dreh-, schwenk- und neigefähige Kameras wurden installiert.
Videobeobachtung in der Brückstraße. Foto: Alex Völkel

Und begründet dies mit der besonderen Situation auf der Münsterstraße: „Anders als die Brückstraße ist es aber nicht das klassische Ausgehviertel, so dass sich die Zeiten der Videobeobachtung hier deutlich unterscheiden: Hier spielt jeder Tag eine wichtige Rolle, nicht nur das Wochenende mit dem Schwerpunkt in den Abend- und Nachtstunden“, heißt es in der Pressemitteilung aus dem Polizeipräsidium, in der die Maßnahme angekündigt wird.

Der Unterschied zwischen „Videobeoachtung“ und „Videoüberwachung“ ist der, dass bei der Beobachtung die Beamt*innen online vor dem Bildschirmen sitzen und bei sich anbahnenden bzw. stattfindenden Straftaten umgehend einschreiten können, indem sie Einsatzkräfte zum Tatort dirigieren. Im Gegensatz zur Videoüberwachung (Aufzeichnung, ohne dass zwingend zusätzlich parallel beobachtet würde) steht hier der präventive Charakter im Vordergrund. Die Aufzeichnung dient dabei genauso wie bei der Überwachung der etwaigen Strafverfolgung.

Videoüberwachung löst keine sozialen und andere Probleme im Quartier – sondern verdrängt sie allenfalls

In der Pressemitteilung der Dortmunder Polizei ist bezüglich der Münsterstraße von Beobachtung wie Überwachung die Rede. Gegen derartige Absichten regt sich seit längerem Widerstand, der sich nun nach der polizeilichen Ankündigung, dass es ernst wird, neu formiert.

Von der Leitstelle in der Markgrafenstraße aus wird der Bereich überwacht. Foto: POL-DO
Leitstelle an der Markgrafenstraße: hier laufen relevante (und weniger relevante) Informationen zusammen. Foto: Pol-D0

Für Arthur Winkelbach, Pressesprecher der Nachbar*innen gegen Videoüberwachung, stellen die Pläne schlicht kein geeignetes Mittel dar, die sozialen und andere Probleme im Quartier anzugehen.

„Unserer Meinung nach ist Videoüberwachung keine Antwort auf die verschiedenen sozialen Probleme in der Dortmunder Nordstadt. Videoüberwachung hilft weder bei Armut und Überschuldung, noch bei Drogensucht. Videoüberwachung verhindert keine Straftaten, sondern zeichnet diese höchstens auf. Videoüberwachung löst keine Probleme, sondern verdrängt sie lediglich in die nächste Straßenecke.“

Mit anderen Worten: deprivilegierten Lagen ist nicht mit Repression beizukommen. Diese kratzt allenfalls an der Oberfläche und trifft zumeist die Falschen. Demgegenüber setzt der Zusammenschluss gegen die anvisierten Überwachungsmaßnahmen auf Gespräche und Debatten im Stadtteil, um Widerstandsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen auszuloten und nach alternativen Wegen zu suchen, wie verschiedenen sozialen Problemlagen im Quartier begegnet werden könnte.

Stadtteilspaziergang am Samstag – anschließend Nachbarschaftstreffen im Nordpol

Dafür plant die Initiative am 29. Februar um 12 Uhr, ausgehend vom Mehmet-Kubaşık-Platz, einen Stadtteilspaziergang mit Redebeiträgen, Straßenkunstaktionen und Flyern gegen Videoüberwachung und Rassismus, um mit weiteren Anwohner*innen und Passant*innen der Münsterstraße ins Gespräch zu kommen.

Verteilaktion erster Flugblätter in der Nordstadt

Im Anschluss findet um 16 Uhr im Nordpol (Münsterstraße 99) ein Nachbarschaftstreffen statt, bei dem weitere Möglichkeiten politischen und juristischen Widerstands gegen die Überwachung der Münsterstraße diskutiert und nach besseren Lösungsansätzen zu virulenten Problemen im Quartier gesucht werden soll.

Gestartet wurde die Mobilisierung mit Flugblattverteilaktionen bereits am selben Tag, an dem die Dortmunder Polizei ihre Kameraüberwachungspläne bekannt machte. Arthur Winkelbach betont, dass dabei schon viele konstruktive Gespräche geführt worden seien.

Ein Grund mehr für die Initiator*innen, nun am Samstag mit dem freundlichen Spaziergang über die Münsterstraße und dem anschließenden Nachbarschaftstreffen die ersten Ansätze einer Vernetzung und Formierung gegen die anvisierten Maßnahmen weiterzuentwickeln.

Befürchtung der Initiator*innen: Überwachung rund um die Uhr macht alle Anwohner*innen zu Verdächtigen

Miray Aydın von der Nachbarschaftsinitiative gegen Videoüberwachung setzt die Auseinandersetzung mit den anvisierten polizeilichen Maßnahmen in einen Zusammenhang zu den rassistischen Attacken auf Shisha Bars wie in Hanau, Stuttgart und Döbeln:

„Die Münsterstraße wurde nicht zuletzt durch Innenminister Reuls Kampagne gegen ,Clankriminalität’ zu einem angeblich gemeingefährlichen ,Angstraum’ gebrandmarkt. Rassistische Personenkontrollen seitens der Polizei gehören leider zum Alltag in der Nordstadt.“

Zugleich weist die Ini-Vertreterin darauf hin, dass die geplante Maßnahme de facto ein zentrales Prinzip des bundesdeutschen Rechtssystems infrage stellt, nämlich die Unschuldsvermutung: „Eine Tag- und Nachtüberwachung unserer Straße würde uns alle zu Verdächtigen stempeln.“

Und schlussfolgert: „Daher sagen wir: Nein zu Überwachung! Wir wollen gemeinsam mit unseren Nachbar*innen nach anderen Wegen zur Lösung von sozialen Problemen suchen und gemeinsam für eine solidarische, antirassistische Nordstadt streiten.“

 

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  1. Nachbarschaftsinitiative gegen Videoüberwachung (Pressemitteilung)

    Erfolgreicher Stadtteilspaziergang und Nachbarschaftstreffen gegen Videoüberwachung am 29.02.2020

    → Erfolgreicher Stadteilspaziergang über die Münsterstraße
    → Angeregte Diskussionen bei der Nachbarschaftsversammlung
    → Input der Kölner Initiative „Kameras stoppen“

    Fünfzig Anwohner*innen nahmen am Samstag an einem Spaziergang über die Münsterstraße gegen die geplante Videoüberwachung teil. In Redebeiträgen und Grußworten wurde aus verschiedenen Perspektiven die Videoüberwachung im allgemeine und konkret in der Münsterstraße kritisiert. Unter anderem gab es Redebeiträge von Nachbar*innen aus der Münsterstraße, der Kölner Initiative Kamera Stoppen, migrantischen Aktivist*innen und politischen Akteuren aus der Nordstadt. Bei einer Stadtteilversammlung am späten Nachmittag kamen Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zu dem Schluss, dass weiterer Widerstand gegen die vermeintlich notwendige Videoüberwachung notwendig ist.

    Arthur Winkelbach, Pressesprecher der Nachbar*innen gegen Videoüberwachung, sieht in der Vielfältigkeit der kritischen Stimmen einen Ansatz für weitere Aktivität: „unserer Meinung nach ist die Videoüberwachung keine Antwort auf die verschiedenen sozialen Probleme in der Dortmunder Nordstadt. In den Redebeiträgen bei unserem Stadteilspaziergang ist deutlich geworden, dass Videoüberwachung gegen Grundrechte verstößt, die rassistische Stigmatisierung und Ausgrenzung verschärft, keine Lösung für Armutsprobleme ist, und sich genausowenig für einen Kampf gegen den Rechtsextremismus eignet. Wir fordern daher den Polizeipräsidenten Dortmunds, Herrn Lange, auf: Nehmen Sie ihre Pläne zur Dauerüberwachung von uns Anwohner*innen der Münsterstraße zurück!“

    Im Anschluss an den Stadtteilspaziergang fand in den Räumlichkeiten des linken Kulturorts Nordpol das erste Stadtteiltreffen gegen Videoüberwachung statt. Nach einem Austausch über die verschieden Ansichten zu den Überwachungsplänen der Polizei, wurden weitere Aktionen gegen Überwachung diskutiert. Neben der Frage, wie alternative Lösungsansätze für die Probleme in der Nordstadt aussehen können, wurden juristische Fragen erörtert. Die Nachbarschaftinitiative wird die vielfältigen Diskussionsergebnisse auswerten und zeitnah weitere Schritte gegen die Kameraüberwachung vorbereiten.

    Vernetzung mit Kölner Initiative „Kameras Stoppen“

    Torben Strausdat von der Kölner Initiative „Kamera Stoppen“ (https://kameras-stoppen.org/) sieht Parallelen zwischen den Initiativen in den beiden Städten: „In Nordrhein-Westfalen wird spätestens seit Beginn der jetzigen Regierungskoalition aus CDU und FDP die polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums stark vorangetrieben. So sieht es auch der Koalitionsvertrag vor, der von Innenminister Herbert Reul, einem Befürworter der Videoüberwachung, über seine Polizeipräsidenten in mehreren Städten diesbezüglich umgesetzt wird. Es ist an der Zeit einen Widerstand gegen die Totalüberwachung auf die Beine zu stellen“

  2. Fraktion DIE LINKE & PIRATEN (Pressemitteilung)

    Kritik an geplanter Videoüberwachung in der Münsterstraße

    Die Fraktion DIE LINKE & PIRATEN hat volles Verständnis für die Kritiker, die sich gegen die geplante Installation von Kameras an der Münsterstraße aussprechen. „Wir teilen die Argumente des Bündnisses ‚Nachbar*innen gegen die Videoüberwachung‘“, sagt Ratsherr Thomas Zweier, die für die Fraktion DIE LINKE & PIRATEN im zuständigen Ausschuss für Bürgerdienste und öffentliche Ordnung sitzt.

    Thomas Zweier: „Kameras können die Zahl der Straftaten nicht reduzieren. Dealer oder Taschendiebe werden dann lediglich in paar Straßen weiterziehen.“ Den „normalen“ Bürgern aber werde mit einer Videokamera das beklemmende Gefühl suggeriert, dass sie sich in einer offenbar gefährlichen Straße aufhalten. Damit würden die Kameras letztendlich die völlig falsche Personengruppe abschrecken. Und darunter würden am Ende die Geschäftsleute in der Münsterstraße leiden.

    Um die Kriminalitätsentwicklung in der Nordstadt zu reduzieren, will die Polizei nach dem Brückstraßenviertel noch in diesem Halbjahr auch die Münsterstraße mit Videokameras ausstatten. Die Polizei scheint davon überzeugt zu sein, mit dieser Maßnahme tatsächlich die Zahl der Strafdelikte weiter reduzieren zu können – ganz im Gegenteil zu den zweifelnden Linken. „Vor allem wüsste ich gerne, ob die Kameras wieder abgebaut werden, falls tatsächlich die Deliktzahlen zurückgehen sollten“, sagt Thomas Zweier. „Oder wird in einem solchen Fall argumentiert, dass die Kameras vorsorglich hängen bleiben müssen?“

    In seiner Jahrespressekonferenz hat der Polizeipräsident am Montag mitgeteilt, dass die Zahl aller Straftaten seit 2014 in Dortmund rückläufig ist. „Das ist eine erfreuliche Tendenz“, sagt Zweier. „Aber umso mehr sei die Frage gestattet, ob Videoüberwachung in einzelnen Straße als vorübergehendes Abschreckungsmittel oder als Dauerzustand geplant ist.“

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