Von Sarah Mack
Es ist 75 Jahre her, dass die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz befreite. Unter den Gefangenen und Verstorbenen waren auch zahlreiche Sinti und Roma, deren systematische Verfolgung unterm Nationalsozialismus kaum Gegenstand der Erinnerungskultur ist. Wie jedes Jahr war der 27. Januar vielerorts ein Tag des Gedenkens – so auch in Dortmund.
Inschrift des Gedenksteins: „Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung“
Hier lud unter anderem das Bündnis Dortmund gegen Rechts (BDgR) zu einer Gedenkkundgebung am ehemaligen Ostbahnhof ein. Von hier aus wurden 1943 150 Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert. Für sie kam die Befreiung zu spät – heute erinnert ein Gedenkstein an der Weißenburger Straße Ecke Gronaustraße an sie.
„Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung“, steht darauf geschrieben. Auf diese Worte beruft sich Ula Richter vom BDgR, als sie die Veranstaltung eröffnet. Gedenken wollen sie dabei insbesondere den Opfern des Völkermordes an den Sinti und Roma – anmahnen wollen sie Erinnerungskultur, die diese oftmals außen vor lässt.
Es folgte ein Redebeitrag von Helmut Manz, in dem dieser ausführte, warum die Verfolgung der Sinti und Roma ein Völkermord war. So sagt er, dieses Volk habe das maximale Unrecht erfahren, denn ihnen sei das fundamentalste Grundrecht genommen worden, nämlich das Recht, zu leben. Geboren zu werden, sei ihr Todesurteil gewesen.
Porajmos – der vergessene Völkermord an Sinti und Roma während des Nationalsozialismus
Im Weltbild der Nationalsozialisten galt das Volk der „Zigeuner“ als eine „erblich asoziale“ und deshalb auszurottende Rasse. Ähnlich wie der nationalsozialistische Antisemitismus wurde auch der Antiziganismus pseudowissenschaftlich begründet.
Sogenannte Tsiganologen bestimmten anhand von Kriterien wie Augenabstand oder Höhe der Wangenknochen, ob ein Mensch ein „Zigeuner“ war und deportiert wurde. Daraus folgte systematische Diskriminerung, die in einem Völkermord gipfelte. In der Roma-Sprache wird dieser Genozid als „Porajmos“ bezeichnet, zu deutsch „das Verschlingen“.
Die genaue Anzahl der Opfer ist unklar, sie wird im sechsstelligen Bereich vermutet. In der Wissenschaft wird der Porajmos längst unumstritten als Völkermord anerkannt, trotzdem gestaltet sich seine Aufarbeitung in der Erinnerungskultur bislang schwierig.
Deutliche Diskrepanz zwischen Wissenschaft und öffentlicher Erinnerungskultur
In den Augen der Veranstalter*innen liegt das nicht zuletzt daran, dass Antiziganismus noch heute weitaus salonfähiger als Antisemitismus sei. Helmut Manz zieht das Beispiel einer Wahlkampfparole der NPD heran:
„Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ – hätte die NPD so einen Text über Juden gedichtet, wäre sie nicht straffrei davon gekommen.“ Auch die Bundesregierung weigerte sich jahrelang, anzuerkennen, dass die Verbrechen an Sinti und Roma in der NS-Zeit rassistisch motiviert oder gar ein Völkermord waren. Erst 1982 erklärten sie dies öffentlich. Das sei für die Überlebenden zu spät gewesen, so Manz.
Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung durch kulturelle Beiträge von Eva Weber und Peter Sturm. Sie spielten mit Violine und Gitarre traditionelle Lieder der Sinti und Roma, aber auch Lieder, deren Verbindung zu ihrer Kultur nicht sofort erkenntlich ist. So sangen sie beispielsweise „Georgia on my Mind“ von Django Reinhardt.
Eva Weber: „Man hat nichts aus der Verfolgung gelernt und es schmerzt!“
Später erklärten sie, dass Reinhardt, der während des zweiten Weltkriegs lebte, in die Schweiz flüchten wollte aus Angst vor Verfolgung. Dort wurde er jedoch abgewiesen und nun besingt er einen Sehnsuchtsort, der für ihn unerreichbar ist. Peter Sturm zieht eine Parallele zur Vertreibung, einem Schicksal, das noch heute viele Sinti und Roma erfahren müssen.
Für alle Anwesenden ist klar: Antiziganismus ist ein aktuelles Thema und das zeigt sich nicht nur darin, dass die Erinnerungskultur den Völkermord an Sinti und Roma weitestgehend ausblendet. So fordert Eva Weber ein Bleiberecht für die in Westeuropa verbliebenen Sinti und Roma und kritisiert ihre Abschiebung in die Gebiete des ehemaligen Jugoslawiens.
„Man hat nichts aus der Verfolgung gelernt und es schmerzt!“, schlussfolgerte sie. Ula Richter beendete die Gedenkveranstaltung mit einem Appell: ,,Man muss an die denken, die es nötig haben, und die Menschlichkeit hochhalten!“
Evinger Geschichtsverein mahnt zur Wachsamkeit
Gegen Krieg, Terror und Gewalt ist die Mahntafel am Eingang des Eckeystadions überschrieben. Mitglieder des Evinger Geschichtsvereins legten dort zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts ein Blumengesteck nieder.
Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz, wo Nationalsozialisten mehr als 1,5 Millionen Menschen ermordeten; Juden, Roma und Sinti, Menschen mit anderen Meinungen. „Wie viele Evingerinnen und Evinger in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten umgebracht wurden, ist nicht mehr zu erfahren“, stellt die Vorsitzende des Evinger Geschichtsvereins Wiltrud Lichte-Spranger fest.
Unter den Ermordeten waren aber beispielsweise der Textilhändler Max Schild, der zuvor Am Gulloh wohnte oder das Ehepaar Julia und Adolf Löwenhardt mit ihren beiden Söhnen, die im Haus Lindenhorster Str.235 eine Fleischerei betrieben. Für die Löwenhardts und Schilds sind im Stadtbezirk Eving kleine Erinnerungssteine, Stolpersteine aus Messing, in den Boden eingelassen. Es sind fast 30 Stolpersteine für Menschen aus Eving, die durch die nationalsozialistischen Machthaber in Konzentrationslagern ermordet wurden.
In diesem Jahr jährt sich die Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, als Sinnbild für Unmenschlichkeit schlechthin, zum 75. Mal. „Eine bedrückende Wahrheit, an die die Erinnerung nicht verloren gehen darf. Die Erinnerung sollte die zukünftige Generation angesichts des Wiedererstarkens des Antisemitismus und rechtsextremistischer Einschüchterungsversuche zur Wachsamkeit mahnen“, sagt Wolfgang Skorvanek, der stellvertretende Geschichtsvereinsvorsitzende.