Smartphone, Tablett, Laptop, ein Klick – schon gelingt etwas, wofür früher unter Umständen lange Wege benötigt wurden. Weil sie real beschritten werden mussten, wo heute nur der Zeigefinger zuckt. Und so jagt mittlerweile ein visionäres Zauberwort das andere: Cyberspace, SmartThings, Virtualität. Oder auch: Digitalität. Der Begriff verweist auf eine Verschränkung: jener durch Hightech geschaffenen Wirklichkeit mit der analogen Welt. Und auf Übergänge. Wo sonst eine Tür zum angestaubten Stempelkasten des deutschen Beamten führte, ist die öffentliche Verwaltung jetzt über digitale Schnittstellen erreichbar. – Die dafür benötigte Software wird gerne von großen IT-Konzernen bereitgestellt. Das hat gewisse Nachteile und soll sich ändern, bundesweit wie in Dortmund. Die Stadt setzt auf frei zugängliche Alternativen, um ihre Bürger*innen an den Verheißungen der vielbeschworenen Digitalisierung teilhaben zu lassen.
Verringerung von Abhängigkeiten gegenüber Microsoft wird zur Bundesangelegenheit
Nicht zuletzt wegen der relativen Unberechenbarkeit des derzeitigen US-Präsidenten ist in der Bundesrepublik eine Debatte über zu große Abhängigkeiten von Mega-Konzernen entstanden, deren Zentralen auf der anderen Seite des Teichs beheimatet sind. Augenfällig wird dies etwa bei Software-Anbietern. Ein Aspekt, dies kritisch zu beurteilen: der Erhalt digitaler Souveränität in der öffentlichen Verwaltung.
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Gerade erst hat das Bundesministerium des Inneren das Ergebnis einer dazu beauftragten Studie vorgelegt. Deren Schlussfolgerung ist eindeutig: „Die vorliegende Marktanalyse zeigt, dass die Bundesverwaltung in hohem Maße von dem Software-Anbieter Microsoft abhängig ist. Das kann kritische Folgen haben […] Daraus ergibt sich dringender Handlungsbedarf …“ (S. 30).
Doch das ist nicht alles. In Dortmund gibt es einen Masterplan „Digitale Verwaltung – Arbeiten 4.0“, der 2018 ins Leben gerufen wurde. Darin wird eine erste Konzeption vorgestellt, wie der digitale Wandel überhaupt in die Stadtverwaltung übersetzt werden könnte. Es geht um die IT-Infrastruktur, Fragen der Ausbildung, Arbeitsorganisation, Work-Life-Balance und vieles mehr – eine extrem komplexe Herausforderung.
Gestaltung digitaler Transformationsprozesse nicht ohne Sicherung von Entscheidungshoheit
Sie deutet das Ausmaß der durch Digitalisierung zu erwartenden Veränderungen an. Ob die Menschheit – von der ein Großteil in Armut lebt – damit jemals glücklich werden wird, sei unbedacht. Fakt ist: innovative Technologien wälzen unvermeidlich dort, wo der Reichtum zu Hause ist, Gesellschaften, Lebensentwürfe, schließlich unsere Beziehungsmuster um.
Die Frage ist nicht mehr: Was bleibt? Sondern: Wie können wir „das“ angemessen implementieren? Denn es wird eh kaum etwas sein, wie es einmal war. – Wenn dem aber schon so ist, macht es Sinn, sich über die bewusste Gestaltung der Veränderungsprozesse Gedanken zu machen. Dafür ist Entscheidungshoheit zu sichern, sind Abhängigkeiten gegenüber anderen möglichst zu minimieren.
Vor diesem Hintergrund hat sich in der Stadt aus den drei Masterplänen zur Digitalisierung (2016-2018) heraus das Planungsprojekt „Freie Software und offene Standards“ entwickelt. Hier kooperieren als Arbeitsgruppe „Freie Software“ das Dortmunder Systemhaus (dosys), der Personalrat der Stadtverwaltung und die 2014 gegründete Bürgerinitiative Do-FOSS (Free and Open Source Software).
Unikum in Dortmund: Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bürgerinitiative zur Einführung Freier Software
Das sei ein Dortmunder Spezifikum, betont Personal- und Organisationsdezernent Christian Uhr stolz mit Verweis auf das Zusammenspiel von Stadtverwaltung und Bürgerinitiative. Deren Motto passt zu den städtischen Motiven: „Dortmund braucht Freie Software“. Ins Leben gerufen würde die Initiative, um den selbstbestimmten Einsatz von Software und anderer digitaler Techniken zu fördern, erklärt Till Schäfer von Do-FOSS.
Doch es ginge nicht nur um technische Probleme. Sondern ihm persönlich – wie anderen in einem mittlerweile beachtlich angewachsenen Netzwerk von Interessierten bis Fachleuten – ebenfalls darum, sich mit den sozialen und politischen Auswirkungen von Digitalisierungsprozessen auseinanderzusetzen, so der diplomierte Informatiker von der TU Dortmund.
Eine von der Stadt intendierte Folge bei der Implementierung von Hightech in die Kommunikationsstrukturen ihrer Ämter soll nicht nur Erleichterungen für die Bürger*innen durch Einführung digitaler Schnittstellen bewirken. Sondern ihr ist es auch darum bestellt, wie sie von außen wahrgenommen wird: „Wir wollen uns rühmen als moderne Arbeitgeberin, nicht als verstaubte Stadtverwaltung“, beschreibt Christian Uhr die Absicht. Also endgültig weg vom altbackenen, „vermieften“ Schmuddelimage bleistiftspitzender Bürokraten.
Digitalisierung verspricht Rationalisierung und Effizienzsteigerung von Arbeitsabläufen
Die Bemühungen, Freie Software für kommunale Verwaltungsaufgaben zu nutzen, müssen außerdem im Lichte einer ubiquitären Digitalisierung verstanden werden, der sich niemand wirklich entziehen kann, soll die Konkurrenz nicht davoneilen. Insofern werden in der Angelegenheit notwendig weitergehende strategische Ziele verfolgt.
Indem die Potentiale der Digitalisierung fruchtbar gemacht werden durch deren planerisch abgesicherte und kontrollierte Diffusion in die Bestände der gesamten Kommunalverwaltung. Abgesehen von der im E-Government-Gesetz festgelegten Verpflichtung einer jeden Behörde, einen elektronischen Zugang zu ermöglichen, packt die Stadt Dortmund hier nur konsequent eine sich bietende Gelegenheit gleichsam beim Schopfe.
Denn damit eröffnen sich Perspektiven einer Automatisierung von Arbeitsabläufen einschließlich dem Versprechen prozessualer Rationalisierung und Effizienzsteigerung – letztendlich winken Wettbewerbsvorteile, gelingt dies. Was aber wiederum nur durch eine mit Nachdruck betriebene, sukzessive Einführung leistungsstarker oder durch die Erweiterung bzw. Remodifikation bereits bestehender Datenverarbeitungssysteme möglich ist. Im Zuge dessen soll in Dortmund nun nach und nach Offene Software zum Einsatz kommen soll. – Was sind eigentlich deren Vorteile?
Bindung an einzelne IT-Anbieter soll durch Einsatz Freier Software gelockert werden
Die kostenfreie Lizenz freier oder (quell-)offener Software erlaubt – grob gesagt – den Benutzer*innen, sie beliebig zu kopieren, sie nach eigenen Bedürfnissen und Zwecken zu verwenden, zu verändern oder zu verbessern.
Möglich wird dies unter anderem, weil ihr Quellcode (der basale Programmtext) öffentlich zugänglich ist – und nicht wie bei der proprietären Software eines Unternehmens de facto als Betriebsgeheimnis gehandelt wird (Closed Source Software).
Die resultierenden Vorteile der Open Source Software und offener Standards umschreibt Till Schäfer von der Do-FOSS-Bürgerinitiative: neben einem potentiellen Mehr an Datenschutz durch die Möglichkeit, den frei lesbaren Quellcode auf seine Zuverlässigkeit zu prüfen, ohne auf Herstellerangaben angewiesen zu sein, sind das:
Umsetzung des E-Government-Gesetzes, das die Arbeit mit offenen, standardisierten Dateiformaten vorschreibt, sowie funktionale Transparenz und die Plattformunabhängigkeit des Systems, d.h. es ist möglich, etwa mit einem beliebigen Endgerät an die Stadt Dortmund heranzutreten: ob mit dem Smartphone oder dem Laptop.
Im Weiteren: eine Erhöhung der Flexibilität und Steuerungsfähigkeit beim Softwareeinsatz; schließlich auf diese Weise auch Synergieeffekte – und eben die Reduktion von Herstellerabhängigkeiten.
Potentielle Nachteile kommerzieller Produkte gegenüber (quell-)offener Software
Denn die Nachteile, mit kommerziellen Produkten zu arbeiten, sind schnell klar und liegen häufig im eigenen Erfahrungshorizont der User*innen: allfällige Lizenzgebühren, kontingenter Datenschutz (z.B.: Hersteller sammelt Informationen über das Anwendungsverhalten und verkauft sie an Dritte oder es existieren unentdeckte Sicherheitslücken mangels Transparenz beim Quellcode) sowie vor allem notorische „Kostenketten“.
Die entstehen durch mangelnde Kompatibilität und Interoperabilität wegen des Fehlens gemeinsamer, diskriminierungsfreier technischer Standards. Möglicherweise etwa passen bestimmte Programme nur zu einer Softwareplattform (dem Betriebssystem), die vom selben IT-Anbieter stammt. Die Kund*Innen zahlen so letztendlich zweimal, ohne es zu merken. Oder wenn Softwareschnittstellen, also Protokolle oder Dateiformate, verschiedener Entwickler nicht zueinander passen.
Dadurch werde ich unter Umständen an einen Hersteller gebunden, um Kompatibilität zu wahren und um so mir die Möglichkeit offen zu halten, mit verschiedenen benötigten Programmen parallel zu arbeiten. Was wiederum Handlungsspielräume beschränkt. Auf diese Weise werde ich zum*r Gefangener*n eines IT-Riesen wie Microsoft.
Das Drogendealer-Modell in der IT-Branche: erst Anfixen und dann satt Kasse machen
Kritische Stimmen sprechen in Sachen des IT-Konzerns von einer Art Drogendealer-Modell: Anfixen, in Abhängigkeit bringen und darin halten, um regelmäßig zu kassieren. Diese Geschäftskonzeption könnte freilich mit gleicher Berechtigung ebenso Apple zugeschrieben werden; nur, dass die es eben nicht flächendeckend in bundesdeutsche Büros geschafft haben.
Es sind nach und nach gewachsene Bindungsstrukturen, in denen einzelne Softwarekomponenten wegen ihrer Interpendenzen nicht mehr einfach ausgetauscht werden können, erklärt Till Schäfer. Und erst recht sind solche Strukturen nicht von heute auf morgen transformierbar, zumal, wenn es in einer Verwaltungseinheit nicht genügend ausgebildete Fachkräfte gibt, die mit einem etwaig neuen System umgehen könnten. Denn öffentliche Einrichtungen müssen weiter die ihnen zugeschriebenen Aufgaben erfüllen, müssen funktionieren.
Insofern mag der Rausschmiss professioneller IT-Anbieter wie Microsoft aus zahlreichen Ämtern zwar politisch und aus anderen Gründen gewünscht sein („Wir wollen solche Monopole aufbrechen“, sagt Schäfer) – doch als ein einzelner Akt ist er schlicht irrealistisch. Es kann sich vielmehr nur um einen sorgfältig geplanten und begleiteten Transformationsprozess handeln.
Vorliegender Sachstandsbericht: Was wollen wir? – Was brauchen wir? – Was haben wir?
Daran arbeiten die Fachleute in Dortmund gerade. Und da ist noch eine Menge Arbeit vor ihrer Brust. Was sie in dieser Woche vorgelegt haben, ist ein Sachstandsbericht, der den Abschluss der ersten von drei Projektphasen einer geplanten Potentialanalyse zum Einsatz Freier Software in der Stadtverwaltung bildet.
In diesem ersten Abschnitt geht es um die Grundlagen: um Begrifflichkeiten, um eine Art Bestandsaufnahme sowie Zielformulierungen: Was wollen wir? Was brauchen wir? Was haben wir? – In der Stadt insgesamt? Mitnichten nur das: es wäre in mancherlei Hinsicht viel zu abstrakt formuliert. Denn, wie Jörg Zilian, Leiter von dosys, bedeutet: immerhin nähmen über 30 Fachbereiche (Ämter) in Dortmund die verschiedensten Aufgaben wahr.
Diese heterogene Anwendungslandschaft führt daher zu den unterschiedlichsten Anforderungsprofilen. Die deshalb darauf zugeschnittene, kontextsensitive Lösungskonzepte benötigen. Doch eine grundsätzliche Problemkonstellation macht der dosys-Leiter über alle Ämter hinweg aus. Das sei der Spagat, der mit der Einführung Freier Software immer zu leisten sei: nämlich die IT- und Datensicherheit gleichzeitig im Blick zu behalten.
Sicherung sensibler Daten als eine der entscheidenden Aufgaben für die Zukunft
Es leuchtet ein: eine freie, in einer Community entwickelte und gepflegte Software ist unter diesen Gesichtspunkten eben auch nur so gut, wie sie es ist – und nicht als solche schon besser als kommerzielle Angebote. Die daraus resultierende Sorgfaltspflicht macht die Angelegenheit nicht weniger verzwickt.
Wo sonst Herstellerangaben vertraut werden musste oder konnte, braucht es jetzt ein geeignetes Prüfinstrumentarium, um die Sicherheit im Umgang mit sensiblen Daten zu garantieren.
Wie dies geschehen könnte, das muss unter den beteiligten Expert*innen seriös geklärt werden. Was verständlich macht, weshalb Christian Uhr freimütig einräumt: eigentlich hätte bereits Ende 2019 eine fertige Potentialanalyse stehen sollen. Zudem, deutet er an, habe es auch eine gewisse Zeit gedauert, wenn die Stadt und eine Bürgerinitiative zusammen an einem Tisch sitzen: um ein gegenseitiges Verstehen zu erzeugen, eine gemeinsame Sprache zu finden.
Der anvisierte Abschluss der insgesamt drei Planungsschritte für das Gesamtprojekt ist jetzt das Ende des ersten oder zweiten Quartals 2022. Dann sollen die Ergebnisse den politischen Gremien in Dortmund vorgelegt werden. Gut Ding will Weile haben.
Zum Projektende: Open Government Konferenz in Dortmund für Anfang 2022 geplant
Im zweiten Teilabschnitt werde es jetzt um eine genauere Analyse der Potentiale Freier Software und offener Standards gehen, erläutert Dennis Nitschke von dosys. Unter anderem sollen deren Lizenzmodelle und kritische Erfolgsfaktoren beim Einsatz evaluiert werden. Auch der Blick auf andere Städte und Datenzentren wird nicht fehlen: Wie handhaben die das? Was sind Best Practices?
Den Abschluss des Planungsprojektes wird in der dritten Phase dann – die weitere Planung bilden. Wie also im Einzelnen in der Folgezeit systematisch vorzugehen sei, steht hier auf dem Programm. Begleitend sollen parallel „verschiedene fachliche und öffentliche Beteiligungsformate“ organisiert werden, heißt es in dem Sachstandsbericht.
Gegen Ende der Unternehmung findet in Dortmund eine Open Government Konferenz statt. Anfang 2022 treffen sich in der Stadt Expert*innen aus dem Netzwerk um Do-FOSS, die sich mit Freier Software, Standards und ihren Anwendungen beschäftigen. Eine gute Gelegenheit also für die gesamte Truppe, ihr bis dahin entwickeltes Planungsvorhaben vorzustellen. Sich vor allem aber mit hoffentlich konstruktiv-kritischen Anmerkungen selbstbestimmungsgewogener IT-Cracks auseinanderzusetzen.
Weitere Informationen:
- Strategische Marktanalyse zur Reduzierung von Abhängigkeiten von einzelnen Software-Anbietern (August 2019); hier:
- Sachstandsbericht – Masterplan „Digitale Verwaltung – Arbeiten 4.0“ (dem Stadtrat vorläufig zur Kenntnis am 14. November 2019); hier:
- Anhang zum Sachstandsbericht – DS-Nr. 15160-19; hier:
- Homepage von Do-FOSS; hier:
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