Abschluss: Staatsanwaltschaft erklärt Kirche zum Tatort – Großaufgebot der Polizei räumt Albertus-Magnus-Kirche

Polizeieinsatz in der Albertus Magnus Kirche  mit anschließender Räumung.
Polizeieinsatz in der Albertus-Magnus-Kirche mit anschließender Räumung.

Am frühen Morgen hat ein Großaufgebot der Polizei die besetzte Kirche abgesperrt, durchsucht und geräumt. Nicht etwa die Kirche als Eigentümerin hatte den Einsatz gewünscht, sondern die Staatsanwaltschaft hatte ihn veranlasst.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen eines versuchten Tötungsdelikts

Polizeieinsatz in der Albertus Magnus Kirche  mit anschließender Räumung.
Die Personalien von 36 Besetzern wurden erfasst.

Sie wertet die Steinwürfe vom Dach der Kirche am Samstag in Richtung Neonazis und Polizei als versuchtes Tötungsdelikt. Am Morgen setzte eine Einsatzhundertschaft den Durchsuchungsbeschluss durch. Die Besetzer widersetzten sich nicht und zogen sich zunächst in einen Turm zurück.

Die Beamte fanden bei der Durchsuchung auch Pfefferspray und Eisenstangen, die sie als Waffen identifizierten. „Aber sicher nur zur Abwehr von Neonazis, nicht von Polizisten“, kommentierte einer der Beamten. Ob er dies ironisch meinte oder nicht, blieb offen. Am Freitag wehrten sie sich auf jeden Fall nicht.

36 Besetzerinnen und Besetzer erhielten Platzverweise

Von 36 Besetzerinnen und Besetzern wurden die Personalien erfasst – alle erhielten weiträumige Platzverweise. Im Verlauf des Polizeieinsatzes wurden zwei Personen vorläufig festgenommen: Eine Person wegen des Verdachts eines ausländerrechtlichen Verstoßes, welcher sich jedoch nicht bestätigte. Eine 29-jährige Frau wurde wegen des konkreten Verdachts einer Tatbeteiligung an dem versuchten Tötungsdelikt festgenommen. Sie lässt sich anwaltlich vertreten und hat sich bislang nicht eingelassen. Mangels dringendem Tatverdacht wurde sie aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

Birgit Rydlewski (MdL Piraten) war empört über die Art und Weise, wie sie von Beamten zurückgewiesen wurde: „Die Olle kommt hier auf keinen Fall rein“, bekam die Abgeordnete zu hören. Später wurde Birgit Rydlewski und Daniela Schneckenburger der Zugang in die Enscheder Straße gewährt. Von der gegenüberliegenden Straßenseite konnten sie Einblick in den Hof der Kirche nehmen. Der war mittlerweise mit Beamten in Zivil und Uniform bevölkert.

Kirchengemeinde lobt Gesprächsbereitschaft der Besetzer

Polizeieinsatz in der Albertus Magnus Kirche  mit anschließender Räumung.
Die Kirche und das Umfeld wurden durchsucht – ermittelt wird wegen der Steinwürfe am Samstag.

Betroffen verfolgte Pfarrer Ansgar Schocke die Räumung: Die Kirche habe diese nicht veranlasst, versicherte er den Besetzern und Politikern – Kommunalpolitiker und Abgeordnete von mehreren Parteien waren zum Einsatzort geeilt.

Die Gespräche zwischen der Kirche und den Besetzern seien sehr konstruktiv gewesen. Man habe sogar über eine Zwischennutzung verhandelt. Ziel bleibe es aber, das Gebäude zu verkaufen – die Kirchengemeinde hat einen Investor an der Hand, dem eine soziale Nutzung vorschwebe.

Klare Distanzierung von Gewalt gefordert

Leider hätten sich die Besetzer nicht öffentlich von den Gewalttätern distanziert  – dann wäre eine Durchsuchung vielleicht ausgeblieben. Denn seiner Kenntnis nach hätten die Steinewerfer das Gebäude bereits am Samstag verlassen.

Tag der offenen Tür in der besetzten Kirche Sankt Albertus Magnus. Sogar eine Hüpfburg konnten die Besetzer organisieren
Tag der offenen Tür in der besetzten Kirche Sankt Albertus Magnus: Sogar eine Hüpfburg gab es.

Übrig geblieben sei eine große Gruppe von dialog- und gesprächsbereiten Besetzerinnen und Besetzern. Davon konnten sich am Donnerstag beim „Tag der offenen Tür“ auch Vertreter aus Politik und Verwaltung vor Ort überzeugen, darunter auch Stadtdirektor Jörg Stüdemann.

Stadtdirektor lobt „schönes und kulturell interessantes Projekt“

„Ein schönes und kulturell interessantes Projekt“, lobte der Stadtrat. „Schön wäre es, wenn es ein moderaten Übergang in eine andere Räumlichkeit geben könnte, damit die Kirche verkaufen kann.“ Angesprochen wurden mögliche Alternativen zu Albertus Magnus.

Oberbürgermeister Ulli Sierau kritisierte daraufhin gegenüber nordstadtblogger.de den Besuch seines Stadtdirektors: „Er ist weder von mir noch vom Rat autorisiert worden, dort Gespräche zu führen.“

Die Besetzung ist damit beendet, auch wenn die Polizei nicht die Kirche, sondern „nur“ einen Tatort geräumt habe. Doch das Ergebnis ist dasselbe. Das Kirchen-Gebäude ist derweil als Tatort beschlagnahmt: Niemand darf es betreten – auch die Kirchengemeinde als Eigentümerin nicht. Frühestens Montag werde er erfahren, ob und wann die Gemeinde ihr Gebäude wieder betreten dürfe, erklärt Pfarrer Ansgar Schocke gegenüber nordstadtblogger.de. Zudem muss die Kirchengemeinde nun für eine Sicherung des Gebäudes sorgen.

Lange kritisiert, dass „einzelne Steinewerfer“ bürgerschaftliches Engagement behindern

Räumung der Kirche Sankt Albertus Magnus. Der Platzverweis für das Areal rund um die Kirche
Der Platzverweis für das Areal rund um die Kirche.

Zu den Steinwürfen von Samstag, äußerte sich Polizeipräsident  Gregor Lange: „Im Kampf gegen menschenverachtenden Rechtsextremismus müssen alle demokratischen Kräfte zusammenwirken, die Steinwürfe vom letzten Samstag sind dabei ein absolut inakzeptables Mittel! Es kann nicht hingenommen werden, dass einzelne Gewalttäter das demokratische Engagement der Dortmunder gegen Rechtsextremismus behindern“, lässt er sich in einer Pressemitteilung zitieren.

Darin Gregor Lange weiter: „Ich stelle mich ausdrücklich hinter meine Polizeibeamten, deren Leben gefährdet wurde, obwohl sie zum Schutz aller Beteiligten an der Enscheder Straße eingesetzt waren. Alle Maßnahmen, die die Polizei derzeit durchführt, dienen zur Aufklärung des Kapitalverbrechens. Ich habe ein hohes Interesse daran, dass die Steinwerfer gefasst werden.“

Besetzer stehen „nicht unter Generalverdacht“

Auch auf die erneut vorgetragene Kritik der versuchten Kriminalisierung reagierte Lange: „Die Polizei ist weit davon entfernt, die gesamte Gruppe aus diesem Haus unter Generalverdacht zu stellen. Ich gehe davon aus, dass sich der überwiegende Teil der dort befindlichen Gruppe deutlich von Steinewerfern und Gewalttätern distanziert.“

Warum erfolgte die Polizeiaktion erst sechs Tage später?

Kritik ergab sich vor allem durch die Frage, wieso die Polizeiaktion erst sechs Tage nach dem eigentlichen Vorfall stattfand. Dazu nahm die Polizei am Freitagnachmittag Stellung: Sie hätten zunächst ein Strafverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung eingeleitet. In der Folge seien eine umfangreiche Beweissicherung und -sichtung betrieben worden.

Anfang der Woche habe die Polizei das Strafverfahren an die Staatsanwaltschaft Dortmund übergeben. Ein zwischenzeitlich beauftragtes Gutachten des Institutes für Rechtsmedizin in Frankfurt machte dann deutlich: Die Art der Tatausführung war geeignet, einem Menschen ein tödliches Schädel-Hirntrauma zuzufügen. Somit waren die Steinwürfe als versuchtes Tötungsdelikt einzustufen.

350 Menschen veranstalten eine Protestkundgebung gegen Schließung

350 Menschennahmen friedlich an der spontan organisierten Demonstration gegen die Räumung des Avanti-Zentrums in der Albertus-Magnus-Kirche teil.
350 Menschennahmen friedlich an der spontan organisierten Demonstration gegen die Räumung  teil.

Gegen die Räumung sind am Freitagabend rund 350 Menschen zur einer spontanen Protestkundgebung auf die Straße gegangen. „Avanti lebt & kämpft“, „Linke Freiräume erkämpfen“, „Gestern Hüpfburg, heute Hundertschaft“ und „We Are Fucking Angry“ war dort zu lesen und zu hören.

Auch die Polizei, die mit einem Großaufgebot die Demonstration von der Katharinentreppe in der Innenstadt über die Münsterstraße zur Polizeiwache Nord (dort gab es eine Zwischenkundgebung) bis zum Nordmarkt begleitete, musste sich sehr viel Kritik  – und auch Beleidigungen – anhören.

Kritik des Mietervereins: „In Dortmund macht die Polizei die Politik“

Der Protest blieb allerdings friedlich und wurde von vielen Solidaritätsadressen begleitet. Auf der Demo sprach beispielsweise auch der Geschäftsführer des Dortmunder Mietervereins, Rainer Stücker.

Der Mieterverein hatte in den vergangenen Tagen die Besetzer beraten, wie man vertraglich eine mögliche Umwandlung der Besetzung in eine legale Zwischennutzung gestalten könne. Er zeigte sich enttäuscht von der Räumung: „In Dortmund wird leider die Politik von der Polizei gemacht“, sagte Stücker unter dem lauten Beifall der Demonstranten.

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Reader Comments

    • Freiraumkämpfer

      Ich glaube, dass diese Festnahme mehr als symbolischen Akt für die Öffentlichkeit verstehen kann. Ich würde mich als Einsatzleiter und Polizeipräsident ziemlich schämen, wenn ich ein Großaufgebot von min. 130 Personen brauche, um 36 Personen zu überprüfen – und dann nichtmal einen Täter habe.

      Im Großen und Ganzen eine inszinierte menschenverachtende Geschichte. Die Polizei hat dort mehrere 10000 Euro verballert. Am nächsten Tag wäre das Haus warscheinlich leer gewesen. Sowas geht in einem Überwachungsstaat, aber in keiner Demokratie. Es ging um Generalverdacht. Auch dieser ist in Deutschland illegal.

      Auch das Großaufgebot während der Demonstration war weit mehr als Übertrieben.

  1. Heinrich Czerkus

    Das ist ja ein wunderbar konstruierter Vorwurf!
    Wäre es um „Beweise“ gegangen, hätte die Polizei das Gebäude ja direkt am Samstag durchsuchen können. Ausreichend Beamte waren ja wohl in der Stadt.
    Nun die besetzte Kirche nach knapp einer Woche in einen „Tatort“ umzuwidmen, zu räumen, abzuschließen und bis Montag Platzverweise auszusprechen, wo doch die Duldung der Besetzung bis zum Wochenende Bestand haben sollte, ist schon mehr als offensichtlich.
    So handeln Menschen bzw. Institutionen, die KEIN INTERESSE an einer politischen und somit friedlichen Lösung dieser Angelegenheit haben! Wenn das mal nicht zum Boomerang wird…

    Gruß,
    H. Czerkus

    PS: Parlamentarier/innen von der Kontrolle der polizeilichen Arbeit abzuhalten ist meines Wissens verfassungswidrig -liege ich da richtig?

  2. Jimbo

    @Heinrich Czerkus :

    Landtagsabgeordnete haben nicht das Recht, als „parlamentarische Kontrolleure“ oder „parlamentarische Beobachter“ – diese Begriffe gibt es offiziell nicht – die Arbeit der Polizei an einem Tatort zu kontrollieren. Sie können auch nicht darauf bestehen, sofort mit dem Einsatzleiter zu sprechen.

    Eine „Kontrolle“ der laufenden Ermittlungen sei nicht vorgesehen. „Das hat auch etwas mit der Gewaltenteilung zu tun“, kommentierte eine Polizeisprecherin das Verhalten der Landtagsabgeordneten.

    • Freiraumkämpfer

      Es gibt ein Recht – wie in jeder Demokratie – dass sich die verschiedenen Gewalten überwachen können. Wenn das nicht gesetlich festgehalten ist, sollte man sich Gedanken machen, was das für eine Demokratie ist. Es ist nur vernünftig, wenn sich die Einsatzleitung vor einer Abgeordneten direkt rechtfertigt, anstatt sich die Argmuente für den Polizeibeirat zurecht zu legen !!!!!

  3. ernst

    @ Anwohner:
    Die Festgenommen sind schon wieder frei weil es ebend doch quatsch war mit einem derartigen Vorwurf dort reinzugehen. Somit ist vorerst bewiesen das keine Straftaten von den Besetzern ausgingen und die Polizei einfach mal ein auf dicke Hose machen wollte.
    Mittlerweile ist auch klar das es heute um 19h eine Demo vom HBF geben wird!

  4. Liselotte

    Der Vorwurf das die sog. Gewalttaten undemokratisch und nicht angemessen seien ist enorm lächerlich genauso wie die Forderung an die Leute im Haus sich davon zu distanzieren. Gerade vor dem Hintergrund das die Dormunder Naziszene massiv gewalttätig, bedrohlich und aggressiv ist und Nazis an dem Tag versuchten das Haus anzugreifen ist eine verteidigung mit solchen Mitteln nicht nur legititm sondern auch notwendig. Das mit dem Vorwurf dann auch noch 2 Menschen festgenommen wurde ist mal wieder typisch für das vorgehen der Polizei gerade in solchen fällen. Das ganze erinnert mich auch ein bisschen an den versucht „Rathaussturm“ der Nazis am wahlabend und den ermittlungen durch die Polizei im nachgang. Leider ist es wohl so das Nazis weitestgehend in ruhe gelassen werden und antifaschistische Arbeit kriminialisiert wird.
    Ich wünsche den Besetzer*innen auf jeden fall alles Gute und mehr Glück und Erfolg (obwohl das nun auch nicht Erfolglos war) beim Nächsten mal. Und das genauso für alle die kriminalisiert, angegriffen und denunziert werden weil sie sich gegen Naziangriffe, mit den Mitteln ihrer Wahl, verteidigen.

  5. Wolfgang Richter

    Wem gehört die Stadt?

    In der Nordstadt zeigte die Polizei einmal wieder, was sie kann – sie sagt, auf Anordnung der Staatsanwaltschaft. Zu erleben war eine neue Folge des Dortmunder “Tatort”, nicht am Sonntag Abend, sondern am Freitag Morgen: Keine fotogenen Kommissar/innen sondern eine Hundertschaft Polizei mit schwerem Räumgerät gegen 30 Jugendliche in einer leerstehenden Kirche.

    Keine Leiche, sondern ein Steinwurf in unübersichtlicher Situation. Vier Tage später eine “Sicherung des Tatorts” unter Räumung der zu einem Sozialen Zentrum erklärten Kirche und militärisch anmutender Belagerung aller umliegenden Straßen.

    Wer dies für unverhältnismäßig und für polizeitaktisch sinnlos hält, liegt völlig richtig – aber warum wurde es veranstaltet? Es heißt, Neonazis hätten das verlangt. Mag sein, aber man könnte auch vermuten, eine kritisch aufmuckende Jugend soll spüren, was sie nicht darf; Hausbesetzer/innen sollen kriminalisiert werden.

    Die Nordstadt soll mal wieder hautnah erleben, wie Staatsmacht zugreifen kann; die Polizei übt hier Straßen- und Häuserkämpfe. Alles möglich und fast schon alltäglich? Politisch denkende Menschen könnten meinen, Staatsanwaltschaft und Präsidium der Polizei handeln gemeingefährlich, und fragen: Wer stoppt sie? Wer regiert die Stadt – Politik oder Justizbehörde und Polizeipräsidium?

    Wolfgang Richter

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