Serie „Lokaljournalismus“ (3): Wie viel Staat braucht, wie viel Staat verträgt eine freie Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben?

Pressevielfalt ist ein hohes Gut. Im Lokaljournalismus sieht es nicht gut aus. Fotos (8): Alexander Völkel

Manch eine*r mag bei Fragen wie im Titel dieses Beitrages die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Kann es eine freie Presse denn nicht allein in relativer Distanz zu staatlichen Instanzen geben? – Die eindeutige Antwort lautet: Ja! Ohne klare Grenzziehungen ist nicht gewährleistet, dass ein Schreckgespenst, das der „Staatspresse“, dauerhaft außen vor gehalten wird. – Allerdings: Insbesondere der klassische Lokaljournalismus kann seine lebenswichtigen Funktionen für eine lebendige Demokratie nicht mehr erfüllen, wenn er unter wirtschaftlichen Zwängen oder alternativ im Ehrenamt kollabiert. Ein Vorgang, der gegenwärtig unter unseren Augen vielerorts stattfindet. Was also tun?

Lokale Angebote in Dortmund: erhebliche Unterschiede nach Ansprüchen und Motiven

Vielleicht gar nichts, weil alles halb so wild ist? Weil die einschlägigen Folgen medialer Digitalisierung, mit denen die lokale Tageszeitung zu Grabe getragen wird, zugleich einen passenden Ersatz beinhalten? Das ist die Internet-Zeitung, das sind Blogger*innen oder Fakten und Meinungen generierende Diskussionsgruppen in den Foren der Sozialen Medien etc. Reicht das?

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Neben Diversifikation hieße dies zunächst: vom journalistisch vermittelten Konfliktstoff für demokratische Prozesse und Meinungsbildung bis zur leichten Unterhaltung verschiebt sich Presse zunehmend aus der Welt materieller Gegebenheiten in virtuelle Medien. Was in Dortmund neben den Ruhr Nachrichten überhaupt angeboten wird, variiert allerdings stark nach Ansprüchen und Motiven.

Da ist die seriöse Abteilung: soziokulturelle und politische Themen etwa verarbeiten das bekannte Print-Straßenmagazin „Bodo“ (Wohnungslosenhilfe) oder der Kulturblog „Ars tremonia“, dessen Akteure wie die Nordstadtblogger ehrenamtlich tätig sind. – Doch am anderen Ende des Spektrums fallen publizistische und wirtschaftliche Interessen schlicht zusammen, werden ununterscheidbar: Beispiele sind die Werbeplattformen „lokalkompass.de“ oder „Ruhr24“ bzw. „Dortmund24“.

Wenn Pressearbeit rein kommerziellen Interessen dient: „lokalkompass.de“ und „Dortmund24“

Als die Nordstadtblogger 2017 die nord.mag-Ausgaben herausbrachten, konnten auch sie wegen der Druck- und Verteilungskosten nicht auf Werbung im Inneren des Magazins verzichten.

Das 2010 ins Leben gerufene Forum „lokalkompass.de“ dient vor allem dazu, etwa 85 Anzeigenblätter in Papierform (wie „Stadtspiegel“, „Stadt-Anzeiger“, „Wochenblatt“, u.a.), die an die Haushalte im Verbreitungsgebiet verteilt werden, mit einem kostengünstigen Berichterstattungsumfeld auszustaffieren. Geleistet wird dies von sog. Bürgerreporter*innen mit selbstgewählten Themen aus dem Kerngebiet NRW.

Die arbeiten als einmal registrierte Hobby-Journalist*innen unentgeltlich, haben dafür aber die Chance, dass es ihr Beitrag, den sie für das Online-Portal hochladen, ins lokale Anzeigenblatt schafft. Das ist in Dortmund der „Stadt-Anzeiger“, der sich zweimal wöchentlich zum Leidwesen vieler Bewohner*innen mit gut 270.000 Print-Exemplaren in den Hausfluren stapelt. „Pressearbeit“ ist hier mithin nur Mittel zu einem rein kommerziellen Zweck: dem eigentlichen Ansinnen, bezahlte Werbeanzeigen über ein flächendeckendes Zeitungsformat unter die Bevölkerung zu bringen.

Exklusiv im Internet treten „Ruhr24“ bzw. „Dortmund24“ auf – das sind Werbeseiten im Gewand von Nachrichtenportalen „für eine junge und urbane Zielgruppe“, wie es dort heißt. Dahinter verbirgt sich ein gemeinsames Tochterunternehmen von Lensing Media und dem verbundenen Verlag Rubens, das seine Dienste potentiellen Kund*innen mit den Worten anbietet: „Unser Credo: Zielgruppen effektiv erreichen dank aufmerksamkeitsstarken, werblichen Artikeln mit maximaler Wirkung – direkt im redaktionellen Umfeld der Website.“

Die Geschäftsidee ist „Native Advertising“ im östlichen Ruhrgebiet. Geworben wird unter anderem mit Glaubwürdigkeit, weil Native Ads von Nutzer*innen nicht als Werbung wahrgenommen würden, und einer 100-prozentigen Auslieferungsquote, denn die Anzeigen seien resistent gegen AdBlocker. Versprochen werden „journalistische Qualitätsumfelder“ (mit professionellen Beiträgen aus den Medienhäusern) und dadurch eine Verbesserung der „Werbewirkung um 28 %“.

Bedeutung von lokalen Blogs und anderen Internet-Angeboten bleibt unterbelichtet

Es erhellt sich: das allein kann es nicht sein, wenn es um ein angemessenes Funktionieren des Lokaljournalismus im Sinne seines gesellschaftlichen Auftrages geht. Für eine Presselandschaft, deren Ethos es ist, demokratische und partizipative Öffentlichkeiten herzustellen, rankt sich die eine Gretchenfrage lokaler Berichterstattung, soweit sie professionellen Ansprüchen genügen will, um ihre Qualität, Vielfalt und Wirtschaftlichkeit bzw. deren Verhältnis zueinander.

Das Nordstadtblogger-Team am Wahlabend im Rathaus Dortmund. Foto: Oliver Schaper
Das Nordstadtblogger-Team am Wahlabend 2013 im Rathaus Dortmund

Angesichts fortschreitender Digitalisierung, welche Presseerzeugnisse wie die journalistische Tätigkeit selbst längst ergriffen hat, bleiben Rolle und systematischer Stellenwert von Nachrichten-Blogs in diesem Zusammenhang erstaunlich unterbelichtet. In einschlägigen Untersuchungen zur Medienentwicklung befindet sich das Schwergewicht immer noch deutlich auf der Zeitungsforschung. Darin liegt mitnichten eine böse Absicht.

Sondern die Fokussierung hat etwas damit zu tun, wie ernstzunehmende Pressearbeit dauerhaft eigentlich nur gedacht werden kann, nämlich als eine berufsmäßig betriebene, in einer Marktwirtschaft daher in der Regel auch wirtschaftliche und an einen Verlag gebundene Unternehmung. Dadurch aber wird ein Großteil der vielen digitalisierten Angebote nicht mehr fassbar und kann insgesamt kaum nach Entwicklung und Bedeutsamkeit eingeschätzt werden.

Das Betreiben eines Blogs spricht nicht notwendig gegen seine Professionalität

Lokal-journalistischen Online-Portalen wird immer wieder mangelnde Professionalität nachgesagt. Wegen der teils relativen Niederschwelligkeit der Erzeugung von Medien und deren Präsentation mit digitalisierten Kommunikationstechniken wie beim Bloggen sowie wegen knapper Personalressourcen in der Redaktion häufig quasi betrieben als „Ich-AG“ – dadurch entsteht schnell der Verdacht, dass journalistische Qualitätsstandards bei Auswahl und Bearbeitung von Themen in den Hintergrund treten.

Es ist unbestreitbar: Bloggen können heutzutage fast alle – und von dort bis zur redaktionellen Arbeit einer Tageszeitung ist es ein sehr weiter Weg. Allerdings fängt das Betreiben eines Blogs nicht zwingend auf „I-Männchen“-Niveau an: auch Mathematiker*innen dürfte das Ein-mal-Eins geläufig sein – und ebenso kann in der Virtualität prinzipiell nach etablierten Standards guter Journalismus gemacht werden.

Das grundlegende Problem liegt vielmehr darin, der vollständigen Kuratel des Marktes zu entkommen. Denn dort reproduzieren sich systemisch Kräftefelder, die bei Entscheidungen zu Themen und Weisen der Berichterstattung oft journalistische Kriterien den wirtschaftlichen unterordnen. Indem freundlich geschrieben wird, was die Leute lesen wollen. Das klingt zwar vorderhand sympathisch und nah am Puls der Zeit, verkennt aber etwas Entscheidendes.

Journalismus: primäre Orientierung am „öffentlichen Interesse“ oder am Marktmechanismus?

Von „öffentlichem Interesse“ ist nämlich nicht zwingend, was Menschen lesen, sehen oder hören wollen – sonst träfe dies schon auf Gaffer*innen bei einem Unfall zu. Der Begriff „öffentliches Interesse“ ist weniger deskriptiv, sondern vielmehr normativ zu verstehen – basierend auf Prämissen, die Aussagen darüber beinhalten, was Öffentlichkeit, was Gesellschaft jenseits individueller Präferenzen interessieren sollte.

Was danach wichtig oder weniger wichtig ist, kann sich nicht allein – wie beim wirtschaftlichen Handeln – nach Erfolgsaussichten auf dem Markt definieren. Es geht um mehr: um Verantwortung für den Erhalt eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens und des friedlichen Zusammenlebens in ihm.

Werden demgegenüber ganze Redaktionen in funktionalistische Prozesslogiken ökonomistischen Denkens hineingezwungen, muss sich eine Gesellschaft ernsthaft fragen, ob und inwieweit eine Ernst zu nehmende Presse unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch frei sein, frei agieren kann. Wenn sie auf Qualitätserzeugnisse setzen möchte, die ihren Preis haben, aber nicht hinreichend Leser*innen findet, so dass die Einnahmen die Ausgaben nicht decken – denn auch Journalist*innen müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Für ein Presseorgan, das deshalb auch wirtschaftlich denken muss, sich aber permanent am Rande des Ruins bewegt, gäbe es am Ende vielleicht keine andere Option mehr, als flachen Termin- und Verlautbarungsjournalismus zu betreiben. Indem zuungunsten politischer Informationen aus Eigenleistung fleißig Fremdinhalte referiert werden. Und sich Kolleg*innen irgendwann zum Organ der Kommunalpolitik machen, mithin zur „Hofberichterstattung“ tendieren, um unter den wohlgemeinten Streicheleinheiten der Stadtgesellschaft überleben zu können – kritische Berichterstattung ade.

Ehrenamtliches Engagement im Lokaljournalismus: eine Alternative mit Zukunftsperspektive?

Die gegenwärtigen Handlungsalternativen im Medienbereich sind überschaubar: neben den bekannten Anstrengungen, Produktionskosten durch Streichungen und Straffungen im Personal- und Organisationsbereich zu senken, bietet sich eben an, billige Massenware zu verkaufen – von Schützenfest-Anekdötchen vom Lande bis zur reißerischen Rot- oder Blaulichtreportage.

Eine Alternative ist das Ehrenamt, das sich dem Marktmechanismus ein Stück weit entzieht. Zwar steht die Pressearbeit der Nordstadtblogger – anders als die eines Medienunternehmens wie Lensing – aus diesem Grund nicht direkt unter wirtschaftlichen Zwängen und hat insofern weiter gefasste Entscheidungsspielräume bei Themenwahl wie deren Ausgestaltung. Ermöglicht wird dies durch viel Engagement und der Leidenschaft von Überzeugungstäter*innen.

Das zehrt allerdings, zumal auch das Ehrenamt gegenfinanziert sein will. Wer unentgeltlich tätig ist, benötigt im Normalfall andere Einkommensquellen zur Existenzsicherung. Der Fortbestand solcher Initiativen wie der Nordstadtblogger hängt dann schlussendlich an den Kontingenzen individueller Biographieverläufe. Daran, wie viel Raum, Bereitschaft und Kraft jeweils im eigenen Leben für die Tätigkeit bleibt. Mit anderen Worten: auf Dauer wird sich ein solcher Journalismus allein auf der Grundlage von freiwilligem Engagement nicht durchhalten lassen.

Digitalisierung und veränderte Rezeptionskulturen besiegeln Schicksal klassischer Tageszeitung

Zumal ein Ende der Krise nicht in Sicht ist – im Gegenteil. Dem spezialisierten Lokaljournalismus wird in der Digitalisierung sein Alleinstellungsmerkmal zum Verhängnis, weil Digital Natives – groß geworden im Internet – durch kostenfreie Angebote reichlich verwöhnt sind. Überregionale Medien mögen das insofern stemmen können, als deren Repertoire wegen der hohen Reichweiten hinreichend bezahlte Abonnements nach sich zieht.

Gegenüber der Reichhaltigkeit konkurrierender Portfolios großer Medienkonzerne hat die wenig Raum für Innovation bietende klassische Tageszeitung auf Papier allein schon deshalb schlechte Karten, weil ihr Themenspektrum auf den relativen Konservatismus überalternder Zielgruppen hin entworfen ist. Das ist Gift für Vielfalt und begrenzt die Handlungsbeweglichkeit.

Traditionelle Leserschaften sterben aus, die Rezeptionskulturen junger Leute drängen nach. Deren Erwartungshorizont bildet eine andere Welt. Darin hat der Bericht über die letzten Vorstandswahlen beim örtlichen Kaninchenzüchterverein schlicht jegliche Bindungskraft verloren. Stattdessen richten sich neu formierte, heterogene Informations- und Identifikationsbedürfnisse immer stärker auf alternative, wenig textschwere und schnell zu konsumierende Online-Angebote.

Frage wird unabweisbar: Wie kann dem schwächelnden Lokaljournalismus geholfen werden?

Die Verschiebung hin zur „Internetzeitung“ ist insofern irreversibel, als Digitalisierungsprozesse immer weiter in gesellschaftliche Interaktionsbestände diffundieren werden. Welche Medien überhaupt in einem gewissen Umfang als Druckerzeugnisse erhalten bleiben, ist offen. Die Krise des (Lokal-)Journalismus – die „Pressedämmerung“ (Spiegel) – rührt aber nicht allein daher, sondern hat gerade auch deshalb etwas mit fehlenden finanziellen Ausstattungen zu tun.

Auch die Dortmunder Polizei hat die Zeichen der Zeit erkannt: hier, bei einer Demo, ist sie mit ihrem Social Media Team dabei.

Sofern der fast unaufhaltsame Sinkflug von Auflagenhöhen begleitet wird von einer Zunahme der Zeitungsdichte bei ausgeprägten Monopolisierungstendenzen; dem Schrumpfen von Lokalredaktionen in Wechselwirkung mit Defiziten hinsichtlich der Einhaltung von Qualitätsstandards journalistischen Arbeitens – wird die Frage unabweisbar, wie dem Lokaljournalismus geholfen werden könnte?

Einfache Antworten verbieten sich hier. Vielfalt im Sinne eines realen Wettbewerbs unter den Medienanbieter*innen allein reicht nämlich beispielsweise nicht aus. Sie führt gleichsam keine Qualitätsgarantie mit sich. Das zeigt die jüngere Geschichte in der Region Dortmund, als vor 2013 die Lokalredaktionen der Westfälischen Rundschau (WR) noch existierten. Sicher, zu jener Zeit gab ein Mehr an Meinungsvielfalt – doch die wurde teuer erkauft, weil die lokale Berichterstattung hypertrophierte, teils mit skurrilen Auswüchsen.

Monopolstellung oder realer Wettbewerb in der Kommune: in keinem Fall gibt es eine Qualitätsgarantie

Wenig fröhliches Erwachen Anfang Februar 2013 in Dortmund und Umgebung. Foto: Franz Luthe

Der Öffentlichkeit wurden nämlich gnadenlos die trivialsten Ereignisse bebildert und über alles geschrieben, was vor Ort nur irgendwie kreucht und fleucht.

Konkret: In Lüdenscheid etwa standen sich der traditionelle Platzhirsch der Stadt – die „Lüdenscheider Nachrichten“ – und ein externer Konkurrent gegenüber – die damalige Lokalredaktion der WR. Mit dem Resultat: die lokale Berichterstattung der jeweiligen Printausgaben expandiert bei einer Bevölkerung von gerade einmal 75.000 Seelen zu teils zweistelligen Seitenzahlen im Lokalteil.

Allerdings nur um den Preis einer Tendenz zum Trivialismus, damit der vorgegebene Umfang des eigenen Lokalteils täglich erreicht wird.

Eine Monopolstellung macht es umgekehrt aber auch nicht besser. Relativ zur Größe des Einzugsgebiets tendiert die Lokalberichterstattung dann zur selbstverordneten Askese.

In Hagen zum Beispiel – einer Großstadt mit immerhin über 185.000 Einwohner*innen – beschränkt sich bereits vor 2013 der originäre Lokalteil der WR auf nur wenige Seiten, weil es dort keinen ernstzunehmenden externen Mitbewerber gibt. Freilich, ohne dass weniger mehr würde: denn die Versuchung, das „Knallende“ zum Besten zu geben, ist nahezu unwiderstehlich. Und führt häufig zum weitgehenden Verzicht, politisch relevante Bedeutungszusammenhänge aufzuarbeiten.

Pressefreiheit und die Pflicht zur Information – Prozess gegen die Stadt am Dortmunder Landgericht

Stein des Anstoßes im Streit zwischen Lensing Media und der Stadt Dortmund: deren Internetportal

Unzufriedenheit mit der lokalen Berichterstattung zeigt auch die Stadt Dortmund. Die Reaktion: auf ihrer Homepage werden regelmäßig und in für die Presse typischer Weise Informationen zum gesamten Spektrum kommunalen Geschehens aufbereitet. Die städtischen Redakteur*innen beschränken sich folglich nicht auf die Darstellung von Angelegenheiten, die aus städtischen Verwaltungsaufgaben resultieren.

Die Stadt begründet ihre Initiative mit Rekurs auf eine Art „Notstandsrecht“. Sie sei zur übergreifenden Berichterstattung gezwungen, weil Lensing Media ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten nicht hinreichend erfülle. – Damit wiederum hat das Verlagshaus der Ruhr Nachrichten ein Problem und zog mit einer Klage auf Unterlassung vor das Dortmunder Landgericht. Dem Medienhaus Lensing-Wolff gehen die medialen Aktivitäten auf dem stadteigenen Online-Portal thematisch zu weit, weil sie auf fremdem Terrain wildern – auf dem der eigenen Lokalzeitung.

Die enge Verbindung des Konflikts zur gegenwärtigen Krise des Lokaljournalismus ist deutlich: womit sich die Dritte Zivilkammer befassen musste, sind Fragen nach Funktion, Freiheit und Verantwortung lokaler Berichterstattung bzw. die Schranken staatlicher Einflussnahme. Wenn – wie hier – faktisch ein Staatsorgan als Gebietskörperschaft auf Handlungsfeldern in die Presserolle schlüpft, die nicht mehr zur üblichen Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen gehören – dann ist das ein höchst sensibler Vorgang.

Gefahr staatlicher Eingriffe in freie Pressearbeit: ein Politikum sondergleichen in einer Demokratie

Denn Pressestellen von Exekutive und Administration sind lediglich zu den jeweiligen Institutionen gehörende Verlautbarungsinstanzen, d.h. dort arbeiten keine frei berichtenden Journalist*innen.

Verleger Lambert Lensing-Wolff (mit Rechtsanwalt Michael Rath-Glawatz im Hintergrund), konnte vor dem Landgericht einen vollen Erfolg verbuchen. Fotos: Alex Völkel
Verleger Lambert Lensing-Wolff am Landgericht Dortmund.

Daher kann das Handeln der Stadt Dortmund als illegitimer Eingriff in gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse interpretiert werden, deren Sicherung durch unabhängige Medien geschehen sollte, nicht durch staatliche Verwaltungsorgane.

Das Argument lautet in letzter Konsequenz: hier könnte ein verfassungsmäßiges Gut, die Pressefreiheit, durch Staatseingriffe in Gefahr geraten. Ein kaum von der Hand zu weisender Gedanke: Es sei nur vorgestellt, Rechtspopulisten zögen irgendwo mehrheitlich in ein Rathaus ein und finanzierten daraufhin aus Steuergeldern willfährigen Journalismus, weil ihnen die kritische Lokalberichterstattung nicht passt.

Vorbei wäre es mit der Staatsferne eines Teils der Medien, der sich zudem einflussreicher politischer Rückendeckung versichern könnte. Ein Szenario, dass sich in dieser Form mühelos auf Landesebene übertragen ließe – bis zur Götterdämmerung der Demokratie.

Schutz des Lokaljournalismus: vor staatlichen Eingriffen und vor Monopolisierung mithilfe des Staates?

Der Richterspruch am 8. November 2019 war denn auch eindeutig. In dem brisanten medienpolitischen Rechtsstreit gab die Kammer in erster Instanz dem Verlagshaus recht. Doch die Klage hat Signalwirkung und ist von bundespolitischer Relevanz. Die Stadt Dortmund hat vor einigen Tagen gegen das Unterlassungsurteil Berufung eingelegt; beide Parteien haben schon angekündigt, durch alle Instanzen gehen zu wollen.

Die Stadt Dortmund hat Berufung gegen das Unterlassungsurteil des Landgerichts Dortmund bezüglich des kommunalen Internetangebotes dortmund.de eingelegt. Der Fall geht somit in die nächsthöhere Instanz.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Sensibilität jener Debatte, die im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung und der Wahrung von Vielfalt in der  journalistischen Arbeit entstandenen ist. Sie richtet sich auf die Option einer indirekten staatlichen Unterstützung lokaler Pressearbeit über Steuervorteile, wie sie bislang gemeinnützige Vereine genießen. Damit stünde am Ende eingangs erwähntes Schreckgespenst einer „Staatspresse“ vor der Tür.

Die verständlichen Gründe für den Widerstand gegenüber staatsbasierten Hilfen im Sinne einer Förderung der lokalen Berichterstattung liegen – abgesehen von wirtschaftsliberalen Paradigmen – in den dunklen Erfahrungen deutscher Geschichte mit einer hierarchisch kontrollierten Presse, die jegliche Freiheit verloren hatte. Das kann niemand wollen. Genauso wenig wie, dass der Lokaljournalismus monolithisch erstarrt.

Was steht eigentlich auf dem Spiel? – nach Meinung des Autors eine ganze Menge

Eine demokratische Gesellschaft lebt vom öffentlichen Widerstreit interessierter Meinungen mündiger, selbstbestimmter Personen. Solche Auseinandersetzungen werden im politischen Raum von einem (relativ) unabhängigen Journalismus mit Informationen versorgt. Damit Akteure wissen können, worüber überhaupt gesprochen wird: über welche Fakten; und was stattdessen Fake ist. Teil solcher Debatten ist auch der Kommentar in einer Zeitung oder in einem Blog.

Dafür aber braucht es in der Presselandschaft genauso zwingend Pluralität wie im Insgesamt des demokratischen Prozesses selbst – ansonsten wäre das Ganze eine absurde Veranstaltung, ein Fake eben. Weil Differenz nicht zugelassen ist und insofern sinnvoll erst gar nicht von Entscheidungsprozessen die Rede sein kann, die stets mehr als nur eine Handlungsoption bzw. Stellungnahme im fraglichen Problemhorizont voraussetzen.

Genau die dafür erforderliche Publikationsvielfalt aber ist angesichts der Medienkonzentration vor allem bei der professionellen Lokalberichterstattung in Gefahr. Also gerade dort, wo Partizipationsmöglichkeiten von Bürger*innen die kürzesten Wege haben. Wo sie unmittelbar und in doppelter Hinsicht am bedeutsamsten sind: häufig für sie selbst als Akteure im Lokalen, also durch Engagement in ihren materiellen Lebenswelten.

Wie für ein konstitutives Merkmal von Demokratie überhaupt: darin alle Macht „vom Volke“ ausgeht. Die sich niemals erschöpfen kann, in regelmäßigen Abständen Vertreter*innen mit freiem Mandat in Repräsentationsorgane zu wählen, sondern genuine Basisverankerung über direkte Partizipationsformen benötigt, wie die Luft zum Atmen. – Ergo gibt es ein erhebliches Problem, will eine Gesellschaft offen sein und bleiben, wenn der Lokaljournalismus nicht mehr funktioniert. Daher braucht es dringend Lösungen; solche gleichwohl, die den Spagat zur Beibehaltung von Staatferne des Journalismus schaffen.

 

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