SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Elefanten auf Münsterstraße – Hagenbecks indische Karawane gastierte am Fredenbaum

Hagenbecks Indien-Schau: Wagenrennen (Sammlung Klaus Winter)
Hagenbecks Indien-Schau: Wagenrennen – auch in Dortmund war sie zu Gast. (Sammlung Klaus Winter)

Von Klaus Winter

Muss man den Namen „Hagenbeck“ erklären? Der weltberühmte Hamburger Tierpark war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus einer Tierhandlung hervorgegangen und entwickelte sich zu einem der bedeutendsten seiner Art. Weniger bekannt ist, dass die Hagenbecks von den 1870er Jahren ab bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zahlreiche große und erfolgreiche Völkerschauen organisierten – so auch in der Dortmunder Nordstadt.

Völkerschauen sollten informieren und unterhalten

Eine Völkerschau war die Präsentation von Angehörigen eines fremden, exotischen Landes vor zahlendem Publikum. Sie führten in Kulissen ihre heimische Lebensart – Handwerk, Tanz, Kampfweise – vor. Oft waren solche Veranstaltungen mit der Zurschaustellung von Tieren verbunden, die für das Herkunftsland der Darsteller typisch waren. Zwar wurde in der Werbung gerne auf den lehrhaften Charakter dieser Shows hingewiesen, doch stand die Unterhaltung der Zuschauer im Vordergrund.

Im Laufe der Jahrzehnte konnten die Dortmunder zahlreiche Völkerschauen in ihrer Stadt erleben. In den frühen Jahren handelte es sich dabei gewöhnlich um Vorstellungen mit wenigen Akteuren und einfacher Ausstattung. Später trafen die Völkerschauen mit Sonderzügen in der Stadt ein; der Weg vom Bahnhof zum Veranstaltungsort glich schon einer ersten Vorstellung.

Auf der Festwiese am Saalbau Fredenbaum fanden auch großangelegte Völkerschauen statt. (Sammlung Klaus Winter)
Auf der Festwiese am Saalbau Fredenbaum fanden auch großangelegte Völkerschauen statt. (Sammlung Klaus Winter)

Im Mai 1906 gastierte Hagenbecks Indische Karawane am Fredenbaum

So war es auch Ende Mai 1906 in Dortmund. Nicht nur Werbeinserate in den Tageszeitungen lockten zum Spektakel. In ihrem redaktionellen Teil wies die „Dortmunder Zeitung“ am 29. Mai auf die Ankunft des Sonderzuges am Mittag desselben Tages hin. Man kann davon ausgehen, dass der Weg der Inder vom Hauptbahnhof zur Festwiese am Fredenbaum von zahlreichen Passanten bestaunt wurde. Zweifellos wurden die Elefanten aus Hagenbecks Karawane durch die Münsterstraße geführt.

Werbeinserat zur Völkerschau 1906 (Dortmunder Zeitung, 06.06.1906)
Werbeinserat zur Völkerschau 1906 (Dortmunder Zeitung, 06.06.1906)

Die „Dortmunder Zeitung“ schickte auch einen Redakteur zum Fredenbaum. Er berichtete von den verblüffenden Tricks der indischen Zauberer und den filigranen Erzeugnissen der Metallarbeiter und Ebenholzschnitzer, die in kleinen offenen Hütten arbeiteten.

Er staunte über die Schulklasse, die unter Anleitung eines Lehrers gerade das komplizierte indische Alphabet übte. „Der Herr Magister dünkt sich zweifellos als Herrscher aller Reußen und schaut mit überlegenen Blicken auf die schaulustige Menge, die er zum mindestens für Analphabeten hält.“

Der Maharadscha war das Highlight im Programm

Der Auftritt des Maharadschas auf seinem Elefanten und begleitet von einem zahlreichen Gefolge hatte zur Folge, dass sich die Tribüne füllte. Zur Unterhaltung des Fürsten setzte indische Musik ein, und Akrobaten und Tänzer traten auf.

„Die Tänzerinnen selbst sind von kleiner Statur. Nasen und Ohren sind mit Silber und Perlschmuck behangen und die Arme mit indischen Mustern in blauer Farbe tätowiert.“ Die Musik – „eine schreiende Klarinette, bellende Trommeln und eine näselnde Schalmei“ – beeindruckte den Berichterstatter allerdings nicht.

Hagenbecks Indien-Schau: Handwerker (Sammlung Klaus Winter)
Hagenbecks Indien-Schau: Handwerker (Sammlung Klaus Winter)

Schwert- und Feuerschlucker, der Ringkampf zwischen einem Hufeisenbären und seinem Dompteur, das Wettrennen der Zwergochsen und die Eselreiter waren weitere Attraktionen. Und natürlich die Elefanten, „die ruhig und gelassen ihre Pflicht tun und unermütlich damit beschäftigt sind, der Wiese ihres spärlichen Graswuchses gänzlich zu berauben.“

Werbeinserat zur Völkerschau 1910 (Dortmunder Zeitung, 07.10.1910)
Werbeinserat zur Völkerschau 1910 (Dortmunder Zeitung, 07.10.1910)

Hagenbecks indische Karawane gastierte vom 30. Mai bis 12. Juni 1906 am Fredenbaum. Täglich gab es mehrere „Hauptvorstellungen“, die rund 1 ½ Stunden dauerten. Der Eintrittspreis betrug 50 Pfennig ohne Sitzplatzreservierung und 1 Mark, wenn dieser Service beansprucht wurde. Für Kinder unter 12 Jahren wurde die Hälfte verlangt.

1910 gastierten Hagenbecks Inder erneut am Fredenbaum

Der Erfolg der Veranstaltung von 1906 war wohl zufriedenstellend, denn rund vier Jahre später gab es eine Fortsetzung. Vom 4. bis zum 9. Oktober 1910 war Gustav Hagenbeck mit seiner Indien-Show erneut am Fredenbaum.

Es überrascht nicht, dass sich die Karawane zwischenzeitlich vergrößert hatte: 100 statt 75 Akteure – Männer, Frauen und Kinder – belebten nun das Programm auf einer Fläche von 8.000 Quadratmetern. Hagenbeck warb mit dem Hinweis: „Vornehmstes reisendes Unternehmen des Kontinents auf wissenschaftl. Grundlage“

Geboten wurde ein großer indischer Marktplatz, der aufgrund seiner „hochkünstlerischen prächtigen Dekorationen“ ein farbenprächtiges Bild bot. Die Töpferscheiben surrten, die Hämmer pochten, es wurde gewebt und gestickt. Von morgens 11 Uhr an war der Markt bis zum Abend geöffnet.

Elefanten-Reiten war eine besondere Attraktion

Drumherum waren Bären, Affen, Schlangen zu bestaunen. Auf den Elefanten durfte man sogar reiten! Zauberkünstler und allerlei Artisten beeindruckten mit schier unglaublichen Tricks wie der, der rund 20 Kugeln und zwei bis drei hühnereigroße Kieselsteine aus seinem Mund zog, „ohne daß man eigentlich weiß, wo sie herkommen.“

Hagenbecks Indien-Schau: Elefanten (Sammlung Klaus Winter)
Hagenbecks Indien-Schau: Elefanten (Sammlung Klaus Winter)

Es gab Programmpunkte, die Hagenbeck bereits 1906 im Programm gehabt hatte. Auch jetzt konnten die Besucher einen Blick in die Schule werfen, und der Maharadscha feierte mit großem Pomp seine Palastfeste. Es traten Tellerjongleure auf, Feuerschlucker und „Akrobaten am frei schwebenden Bambus“.

Hagenbeck hatte seine Schau 1910 bereits in Mitteldeutschland, in Bayern, Württemberg und Baden präsentiert. Dabei hatte er auch Mitglieder fürstlicher Häuser begrüßen können. Er konnte „trotz der gewaltigen Größe täglich ausverkauftes Haus“ verbuchen.

Eine dritte indische Karawane hielt nicht mehr am Fredenbaum

In Dortmund schien die Karawane 1910 nicht ganz so erfolgreich gewesen zu sein. Denn es „hat sich die Direktion, den ungünstigen Preisverhältnissen Rechnung tragend, entschlossen, billige Tage zu veranstalten.“ Auch Minderbemittelten wurde dadurch Gelegenheit geboten, die Vorstellungen zu besuchen.

Der Hinweis auf die Preissenkung wurde allerdings erst am vorletzten Veranstaltungstag veröffentlicht. Wie viele davon noch profitierten, ist nicht bekannt. Verlängert wurde die große indische Ausstellung am Fredenbaum nicht. Das dürfte aber sicherlich allein auf den engen Reisekalender der Karawane zurückzuführen sein und deshalb keinen Rückschluss auf den Erfolg der Veranstaltung gestatten.

Dass die Karawane nicht ein drittes Mal am Fredenbaum gastierte, hatte einen Grund, den Hagenbeck nicht beeinflussen konnte: Die Festwiese des Fredenbaum stand nur noch 1911 für Großveranstaltungen zur Verfügung; 1912 wurde darauf der ständige Lunapark eröffnet.

Hagenbecks Indien-Schau: Bambusstangen-Jongleure (Sammlung Klaus Winter)
Hagenbecks Indien-Schau: Bambusstangen-Jongleure (Sammlung Klaus Winter)

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