Von Susanne Schulte und Alexander Völkel
Die Dortmunder Wohlfahrtsverbände wollten es wissen: Welchen Wert hat ihre Arbeit für die Stadt? Prof. Dr. Rolf Gerd Heinze von der Ruhr-Uni Bochum gab ihnen jetzt die Antwort schwarz auf weiß: viele Millionen in echtem Geld, tausende Arbeitsplätze und eine Bedeutung für das Gemeinwesen und den Zusammenhalt, die unverzichtbar ist.
Wohlfahrtsverbände beschäftigen allein in Dortmund 17.500 Menschen
Als hätte die Kommune dieses Ergebnis schon erwartet, war sie bereit, das Geld zu geben, um den Professor mit der Studie beauftragen zu können. Jetzt stellte die Arbeitsgemeinschaft (AG) der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege diese Studie vor.
Neben Geschäftsführer*innen der Verbände waren auch Sozialdezernentin Birgit Zoerner und Wirtschaftsförderer Thomas Westphal dabei. Professor Heinze selbst war nicht dabei, hatte aber tags zuvor im Sozialausschuss die Ergebnisse seiner Studie präsentiert.
Alle sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sind in Dortmund aktiv. Das sind die AWO, die Caritas, die Diakonie, das DRK, die Jüdische Kultusgemeinde und Der Paritätische (Dachverband für bundesweit 10.000 eigenständige Organisationen). In Dortmund beschäftigen diese sechs Verbände nach eigenen Angaben mehr als 17.500 Frauen und Männer in Voll- und Teilzeit.
Soziale Anwaltschaft für Schutzbedürftige statt Renditeorientierung für Aktionäre
Insgesamt arbeiten im hiesigen Gesundheits- und Sozialwesen 46.500 Personen, das sind fast 20 Prozent aller Beschäftigten in der Stadt.
Dass die Wohlfahrtsverbände im Vergleich zu anderen Arbeitgeber*innen nur wenig 450-Euro-Stellen anbieten, spreche, so Prof. Heinze, auch für die gute Qualität der Arbeit und die gute Ausbildung der Beschäftigten. Es würden in erheblichem Umfang sozialversicherungspflichtige und tarifvertragliche Arbeitsverhältnisse in Dortmund geschaffen.
Heinze macht als entscheidenden Unterschied zu kommerziellen Anbietern die fehlende Renditeorientiertung aus. „Die Wohlfahrtsverbände übernehmen die soziale Anwaltschaft als Aufgabe für Menschen, die nicht für sich selbst sprechen oder sprechen können“ – also sogenannte schutzbedürftige Gruppen.
Zudem seien die Organisationen werteorientiert, wenngleich es in der Arbeitsgemeinschaft eine sehr unterschiedliche Wertorientierung gebe. So reiche die Spanne von religiösen bis zu sozial geprägten Organisationen. Sie fühlen sich den Menschen, nicht der Rendite oder den Aktionären verpflichtet wie beispielsweise Aktiengesellschaften, die zunehmend auf den Markt drängen.
Wirtschaftsfaktor: Die sechs Verbände machen 300 Millionen Euro Umsatz
Nicht nur als Arbeitgeber, auch in Sachen Investitionen sei die Wohlfahrtspflege ein bedeutender Faktor: Es würden erhebliche Eigenmittel der Verbände in die Arbeit eingebracht und erhebliche Fördermittel von Land-, Bund und europäischer Union eingeworben, machte Heinze deutlich.
Rund 300 Millionen Euro setzen die sechs Verbände pro Jahr um. Von jedem Euro, der als Zuwendung in die Arbeit einfließt, wanderten rund 81 Cent wieder zurück in die Wertschöpfungskette der Stadt, macht die Studie deutlich.
Durch die Verbesserung der sozialen Infrastruktur werde die Stadt für Investoren und potenzielle Arbeitskräfte attraktiver und nicht zuletzt durch ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement die Stadtgesellschaft gestärkt.
„Die Verbände ermöglichen und stabilisieren den Wirtschaftsstandort Dortmund. Schließlich sind Kinderbetreuung und die Versorgung der Eltern für einen Arbeitnehmer genauso wichtige Standortfaktoren wie die Infrastruktur des Verkehrs“, betonte Wirtschaftsförderer Thomas Westphal.
„Wir können uns ein Gemeinwesen ohne die Wohlfahrtsverbände nicht vorstellen“
Während der Wirtschaftsförderer vor allem den geldwerten Vorteil der Wohlfahrtsverbände hervorhob, sah Sozialdezernentin Zoerner eher die Bedeutung der Verbände für das soziale Zusammenleben.
Das könne man sich ohne die Wohlfahrtsverbände nicht vorstellen. Diese übernähmen die sozialanwaltliche Funktion für alle Dortmunder*innen. Das heißt: Die Verbände kümmern sich um die Anliegen und Rechte von Kindern und Erwachsenen, von Menschen ohne Obdach, ohne Heimat, ohne Familie, ohne Freunde, ohne Beruf.
Sie sprechen für Menschen, die mit Behinderungen leben, mit Krankheiten, mit seelischen Verletzungen, mit gravierenden Lebensbrüchen. „Wir können uns ein Gemeinwesen ohne die Wohlfahrtsverbände nicht vorstellen“, so Zoerner. Deshalb hoffe man, dass jetzt im Dezember der Rat dem Verwaltungsvorschlag folge und der langfristigen finanziellen Absicherung der Wohlfahrtsverbände zustimme.
„Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft, die das Wort auch verdient“
Die gute Zusammenarbeit zwischen der Stadt und den Verbänden betonte auch DRK-Geschäftsführer Frank Ortmann, der auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft ist. Als Beispiel nannte er die Hilfe für Geflüchtete und hier die Beratungsstellen „Lokal willkommen“ in vielen Stadtbezirken.
Auch innerhalb der Arbeitsgemeinschaft scheint alles gut zu laufen: „Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft, die das Wort auch verdient“, meinte er.
Weiterhin ging Ortmann auf die wirtschaftliche Seite der guten Taten ein und wies auf das Geld hin, das die Verbände vom Land, vom Bund und der Europäischen Union bekämen und in der Stadt einsetzten: „Das sind erhebliche Mittel.“
Allein bei der AWO engagieren sich 800 Ehrenamtliche in Begegnungsstätten und Treffs
Während Pfarrer Nils Back von der Diakonie ebenfalls auf den Wert der Arbeit in Geld einging und die erfolgreiche Schuldnerberatung erwähnte, tat sich AWO-Geschäftsführer Andreas Gora schwer, mit der Definition der Arbeit der Wohlfahrtsverbände als Sozialmarkt. Dabei bliebe das Ehrenamt unberücksichtigt.
Bei der AWO im Unterbezirk Dortmund arbeiteten mehr als 800 Personen ehrenamtlich allein in den Begegnungsstätten und Treffpunkten. Und das seit vielen, vielen Jahren. Auch Gora ist erfreut über die Art der Verständigung mit der Stadt. „Es ist nicht selbstverständlich, dass Kommune und Wohlfahrtsverbände so gut zusammenarbeiten.“
Und da man auf einer Wellenlänge ist, gibt die Stadt nach Gesprächen mit den Verbänden freiwillig mehr Geld aus, als sie müsste, um das Leben in Dortmund gemeinsam mit den Verbänden für alle lebenswerter zu machen.
Die Freiwilligenagentur sucht für rund 300 Einrichtungen Ehrenamtliche
Sizialdezernentin Birgit Zoerner zählte auf: Seniorenbüros, Treffpunkte „Lokal Willkommen“ und die Selbsthilfe Kontaktstelle seien Einrichtungen, die müsse die Kommune nicht finanzieren. Teile der Altenhilfe, der Obdachlosenhilfe und der Drogenhilfe gehörten ebenfalls dazu.
Auch in diesen Bereichen arbeiten viele hundert Ehrenamtliche. Gunther Niermann vom Verband Der Paritätische wies noch auf die Freiwilligenagentur hin, die für rund 300 Einrichtungen Frauen und Männer suchte und sucht, die sich dort unentgeltlich engagieren wollen.
Der Einsatz und die Identifikation mit der Stadt zeigten auch, dass es sich in ihr gut leben lasse. Dies sei eine „Vielfalt ohne Alternative“. Und dazu tragen laut Professor Heinze die Wohlfahrtsverbände einen ganz erheblichen Teil bei.
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Sabine Poschmann (SPD-MdB)
Dortmunder Bundestagsabgeordnete wirbt für bessere Förderung von Sozialunternehmern
Poschmann: „Wirtschaft kann auch anders gehen“
Sie machen benachteiligte Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt. Sie entwickeln Apps wie „Mobile Retter“, die medizinisch qualifizierte Ersthelfer, die sich in unmittelbarer Nähe eines Notfalls befinden, automatisch und parallel zum Rettungsdienst in Alarm versetzen: Innovative Sozialunternehmer lösen gesellschaftliche Probleme und verdienen damit ihren Lebensunterhalt. „Sie zeigen, dass Wirtschaft auch anders gehen kann. Deswegen ist dieses Thema auch eine Herzensangelegenheit von mir“, sagt die Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann. Dabei stehe nicht der unternehmerische Gewinn an erster Stelle. „Im Vordergrund steht der Nutzen für den Menschen oder die Umwelt.“
„Für die Realisierung der Ideen sind anfangs höhere Investitionen nötig. Mittel- und langfristig tragen sich die Unternehmen allerdings selbst und sorgen so für Arbeitsplätze“, erläutert die stellvertretende wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. „Von daher ist es absolut notwendig, Sozialunternehmer konsequenter zu unterstützen und zu fördern“, so Poschmann. Deshalb werde nun ein Koalitionsantrag auf den Weg gebracht, in dem zum Beispiel ein Sozialer-Innovations-Fonds angeregt wird. „Die Mittel für einen solchen Fonds könnten aus Guthaben von Konten stammen, bei denen der Kontakt zu den Eigentümern verloren ging“, schlägt Poschmann vor.
Weitere Kernpunkte des Antrages seien, sich auf ein koordinierendes Ressort auf Bundesebene zu einigen sowie die Rahmenbedingungen für Sozialunternehmen prüfen zu lassen. Poschmann: „Dazu gehört auch die Frage, ob wir eine neue Unternehmensform benötigen, die speziell auf die Anforderungen von Sozialunternehmen zugeschnitten ist.“ Einige Nachbarländer hätten diesen Schritt bereits vollzogen.
„Sozialunternehmer sind keine unverbesserlichen Romantiker, sondern bringen der Gesellschaft handfesten Nutzen und helfen, durch frühzeitiges und vorbeugendes Handeln oft hohe Folgekosten zu sparen“, stellt die Dortmunderin fest. Ein Beispiel seien die „Discovering Hands“, die blinde und sehbehinderte Frauen ausbilden, um ihren Tastsinn für die Früherkennung von Brustkrebs einzusetzen.
Ruhr Reisen
Solange das Transparenzgesetz nicht dafür sorgt, dass diverse Geschäftsführer und Vorstände dieser Armutsindustrie ihre teils exorbitanten Gehälter im Gegensatz zu unterbezahlten Fachkräften und Ehrenamtlern (Aufwandsentschädgungen sind die Ausnahme) für Alle offen legen, bleibt die professionelle „Nächstenliebe“ für einige Wenige ein lukratives Geschäft, dessen monetäre Gewinne besser bei der Zielgruppe und den Praktikern vor Ort aufgehoben wäre. Aber offensichtlich interessiert das die Politik nicht – weil auch sie von der Intransparenz persönlich profitieren.
Mehr Betreuungsplätze für Kinder: Großtagespflegestelle „Villa Sonnenschein“ im August 2022 eröffnet (PM)
Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren ist groß. Der Wunsch vieler Eltern ist die professionelle Betreuung ihrer Kinder in sog. Großtagespflegestellen. Der Katholische Trägerkreis Kindertagespflege (KTK) griff diesen Wunsch auf und eröffnete noch eine weitere Großtagespflegestelle in der Wellinghofer Str. 17 in 44263 Dortmund-Hörde.
Die beiden Tagespflegepersonen Anke Dierks und Eva Finn betreuen seit August 2022 neun Kinder mit viel Freude und Engagement. Am 28. Oktober 2022 findet die offizielle Eröffnung der Großtagespflegestelle „Villa Sonnenschein“ statt. Vertreter des KTK, der Caritas Dortmund, SKF Dortmund sowie Familien und Tagespflegepersonen feiern gemeinsam die Einweihung.
Die kreativ gestalteten Betreuungsräume verfügen über ein umfassendes pädagogisches Spielangebot. Die Betreuung, Bildung und Förderung der Kinder stehen im Mittelpunkt. Durch das breite Spektrum an Spielmöglichkeiten und die qualifizierte pädagogische Begleitung wird jedes Kind seinem Entwicklungstand entsprechend individuell gefördert und auf den Kindergarten vorbereitet.
Das Angebot der Großtagespflegestelle richtet sich an berufstätige und in Ausbildung befindliche Eltern, sowie an Eltern, die einen Rechtsanspruch auf einen U3-Betreuungsplatz haben. Aktuell sind die Betreuungsplätze in der „Villa Sonnenschein“ belegt. Da aber immer wieder Kinder in den Kindergarten wechseln, können sich interessierte Eltern fortlaufend beim KTK informieren und sich für einen Betreuungsplatz vormerken lassen. Die Kosten werden vom Jugendamt, sowie den Eltern einkommensabhängig getragen.
Der Trägerzusammenschluss KTK, bestehend aus dem Caritasverband und dem Sozialdienst Katholischer Frauen, bietet seit 2006 Eltern eine kontinuierliche und verlässliche Betreuung für Kinder unter drei Jahren, ergänzend hierzu auch eine Randzeitenbetreuung für ältere Kinder an. Der KTK betreut derzeit über 120 Tagespflegepersonen und begleitet 380 Betreuungsverhältnisse.