Vom deutschen Philosophen Immanuel Kant stammen die Worte: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.“ Diese Worte sprechen Trost zu, aber ermahnen uns gleichzeitig dazu uns zu daran zu erinnern, was Schlimmes geschah – damit Derartiges nicht wieder geschieht. Etwa 200 DemokratInnen waren am Volkstrauertag an zwei Gedenkstätten gekommen, um dafür einzutreten.
Veranstaltung galt dem Gedenken an die Kriegsopfer und der Mahnung für den Frieden
Am Volkstrauertag steht das Gedenken vielerorts im Mittelpunkt. Auch in Dortmund wurde einmal mehr der Opfer von Gewalt, Terror, Vertreibung der beiden Weltkriege gedacht. Dieses Gedenken macht den Volkstrauertag zugleich zu einem Friedensmahntag.
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Die zentrale Gedenkstunde der Stadt Dortmund fand abermals auf dem Hauptfriedhof statt. Zunächst versammelten sich die zum Gedenken erschienenen Menschen – darunter viele SchülerInnen der Europaschule – am Mahnmal bei den deutschen Kriegsgräbern.
In ihrer Ansprache sagte Bürgermeisterin Birgit Jörder, dass dieser stille Gedenktag zugleich ein Tag der Besinnung sei: „Wir halten inne und überlegen zugleich, was wir heute zu Frieden, Freiheit und Menschlichkeit beitragen können.“
Für die Gestaltung der Zukunft ist das Wissen über die Vergangenheit unablässig
Angesichts der vielen Millionen Toten der vergangenen Weltkriege, der „monströsen Opferzahlen“, versage unser Vorstellungsvermögen. Weiter mahnte sie an: „Auch wenn heute der Krieg fern zu sein scheint, muss dieser Tag weiterhin fester Bestandteil unserer Gedenkkultur sein. Auch, weil die Schrecken des Krieges Teil unserer Identität sind.“
An die Worte des französischen Präsidenten Macron zum Volkstrauertag vor einem Jahr erinnere sie gern. Er habe damals darauf hingewiesen, „dass unsere Jugend die Zukunft nur aufbauen kann, wenn sie die Vergangenheit kennt“.
Wir alle, strich Jörder heraus, seien aufgefordert mitzuhelfen, neues Blutvergießen zu verhindern und Versöhnungsprozesse voranzutreiben. Eine zentrale Lehre unserer Geschichte sei, Verantwortung zu übernehmen. Jörder gab zu bedenken: „Wir brauchen diesen Gedenktag auch deshalb, weil Bürgerkriege, militärische Auseinandersetzungen und die Taten politisch oder religiös Verblendeter immer stärker zunehmen.“
Birgit Jörder: „Der Friede ist das beste Erbe, das wir künftigen Generationen vermachen können.“
Überdies benötigten wir den Volkstrauertag in einer Zeit in der aufkommender Nationalismus den Frieden in Europa bedrohe. Des Weiteren zitierte Jörder den in diesem Jahr scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Juncker, der bereits 2008 gesagt habe: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen. Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher ist zu spüren, was das europäische Gegeneinander am Schlimmsten bewirken kann.“Jörder dazu: „Wie wahr!“
„Insofern muss“, davon zeigte sich Bürgermeisterin Jörder überzeugt, „dieser Gedenktag auch Anlass sein, die Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn im Geist der Versöhnung und der Partnerschaft wieder neu zu festigen.“ Die Bürgermeisterin postulierte: „Der Friede in Europa ist ein Schatz, den es zu pflegen und zu bewahren gilt; das beste Erbe, das wir künftigen Generationen vermachen können.“
Herzlichen Dank stattete die Bürgermeisterin dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge für die Organisation und Planung dieser Gedenkveranstaltung und allen Mitwirkenden ab. Sie und alle zum Gedenken erschienenen Menschen hätten an diesem Volkstrauertag des Jahres 2019 ein Zeichen gesetzt, „dass Freundschaft zwischen den Völkern stärker ist als der kriegerische Wahn und geben Hoffnung, dass wir auch weiterhin in Frieden und Freiheit miteinander leben können“.
Gregor Lange sieht in Artikel 1 des Grundgesetzes das kostbare Fundament der freiheitlichen Verfassung
Im Anschluss an Bürgermeisterin Jörder fragte sich Gregor Lange, der sich als einen „zunehmend nachdenklicher werdenden Polizeipräsidenten“ bezeichnete, in seinem Grußwort, ob die weltweit rund 65 Millionen vom faschistischen NS-Regime zu verantwortenden Kriegstoten als Schrecken wirklich ausgereicht hätten, „um die deutsche Gesellschaft gegen Faschismus, Hass und Ausgrenzung zu immunisieren“.
Der Dortmunder Polizeipräsident erinnerte an die Mütter und Väter des Grundgesetzes, die mit dessen Artikel 1 ein kostbares Fundament in unsere freiheitliche Verfassung gelegt hätten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heiße es da. „Nicht etwa die Würde des Deutschen, nicht die Würde des Christen und auch nicht die Würde angeblicher Patrioten für das Abendland.“ Lange: „Unsere Verfassung schützt die Würde aller Menschen. Unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe.“
In diesem Artikel liege der Schlüssel für 70 Jahre inneren Frieden in Deutschland. Allerdings, gab Gregor Lange zu bedenken, werde dieses Wertefundament in der Zukunft nur fortbestehen, „wenn es von überzeugten Demokratinnen und Demokraten aktiv vertreten und gelebt und vor allen Dingen immer wieder gegen die Angriffe ihrer Feinde selbstbewusst verteidigt wird“.
Klare Positionierung gegen Nationalismus und Populismus
Aktuelle Entwicklungen in unserem Land forderten gerade jetzt, „ein beherztes Engagement von Staat und Gesellschaft“. Lange: „Wie müssen sich Menschen fühlen, die vor Krieg und Terror aus ihren Heimatländern zu uns geflohen sind und dann hier mit Hass, Hetze, Gewalt und Ausgrenzung konfrontiert werden?“
Und welche Gefühle bewegen wohl Menschen jüdischen Glaubens, die anders als viele ihrer Angehörigen und Freunde den Holocaust überlebt haben und heute auf offener Straße antisemitischer Hetze und Gewalt ausgesetzt sind?“
Ebenfalls müsse man sich fragen, was davon zu halten sei, „wenn rechtspopulistische Parteien selbst nach dem brutalen Anschlag auf eine Synagoge und nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten durch einen Rechtsextremisten immer noch Zuspruch bei Teilen der Bevölkerung bekommen.“
Geistigen BrandstifterInnen muss das Handwerk gelegt werden
Auch müsse man darüber nachdenken, wie es wohl VertreterInnen unseres demokratischen Rechtsstaates gehe, „wenn sie im Netz bedroht oder auf offener Straße in SA-Manier angegriffen werden“.
Polizeipräsident Gregor Lange versprach: „Die Polizei Dortmund ist fest entschlossen, alle rechtlichen Instrumente, die ihr der wehrhafte demokratische Rechtsstaat zur Verfügung stellt auszuschöpfen, um die Bevölkerung vor aggressiv-kämpferischen Verfassungsfeinden zu schützen.“ Geistigen Brandstiftern, so Lange, müsse das Handwerk gelegt werden. Dabei setze er „auf kluge Staatsanwälte und Richter, die unseren Gesetzen die notwendige Durchschlagskraft geben können“.
Letztlich frage sich Lange noch, wie schwer manche Mutter und mancher Vater sicherlich getroffen sein müssten, deren Söhne oder Töchter in NS-Gedankengut abdriften und sich einer rechtsextremistischen Szene anschlössen. Mit den Worten (nach einer chinesischen Weisheit) des englischen Schriftstellers Charles Reade (1814-1884) schloss Lange sein Grußwort:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheit.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“
Empörung über Kranzniederlegung von Neonazis als „Heldengedenken“
Bürgermeisterin Birgit Jörder, Dr. Stefan Mühlhofer (Leiter des Stadtarchivs) und Oberstleutnant André Rosarius (Bundeswehr) legten am Mahnmal bei den deutschen Kriegsgräbern Kränze nieder. Es wurde eine Schweigeminute eingelegt.
Neonazis und Mitglieder der Partei Die Rechte – die bis dahin durch einen Pulk von SchülerInnen und ein auf dem Boden liegendes „Dortmund-bunt-statt-braun“-Transparent auf Abstand gehalten worden waren, legten Blumen und Kränze am Mahnmal ab, offenbar um ihrem „Heldengedenken“ zu frönen. Das empörte viele Teilnehmer des Gedenkens.
Die anwesenden DemokratInnen machten sich auf zu ihrem „Friedensmarsch“. Dieser führte zum Friedhof am Rennweg vor das Mahnmal für die in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen.
SchülerInnen der Europaschule und der VHS beteiligten sich mit „Friedensbändern“ und Namensziegeln
Dort stellten SchülerInnen der Europaschule das Projekt „Namensziegel und der digitale Parcours“, „Gegen das Vergessen“, welcher in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge in Verantwortung von Verena Effgen erarbeitet wurde. Gefördert wurde es durch das Bundesprogramm „Openion – Bildung für eine starke Demokratie“. Die Biparcours-App, kündigte eine Schülerin an, könne ab sofort im App Store oder bei Google Play kostenlos heruntergeladen werden.
Zuvor hatten die Teilnehmer des Friedensmarsches die Leinen, welche den Weg zum Mahnmal säumten, passiert, an denen 5.095 Namensbänder (Nordstadtblogger berichtete) zum Gedenken an in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetische Kriegsgefangene befestigt waren. Zu sehen waren auch einige Personalkarten der einstigen Kriegsgefangenen und die Namensziegel. Die Bänder waren in der VHS Dortmund, an der Europaschule Dortmund sowie von Gästen des Evangelischen Kirchentages erstellt worden.
Am Ende des Gedenkens wurde noch eine Anzahl weiterer Friedensbänder an die Leinen geknüpft. Die Gelegenheit dazu ergriffen auch Bürgermeisterin Birgit Jörder, Oberstleutnant André Rosarius und Dr. Stefan Mühlhofer. Die musikalischen Beiträge anlässlich dieses Gedenkens, „Winter“ und „war girl“, interpretierten Finn und Jonas Ulrich. Marina Kalmykowa sang zur Gitarre „’S brennt“ von Mordechaj Gebirtig.
Gemeinsam mit Schülerinnen legte Bürgermeisterin Birgit Jörder ein Blumengebinde vor dem Mahnmal für die getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen ab. Auch hier wurde der Toten mit einer Schweigeminute gedacht. Etwa 200 DemokratInnen nahmen jeweils am Gedenken am Mahnmal an den deutschen Kriegsgräbern sowie am Obelisken für die toten sowjetischen Kriegsgefangenen am Volkstrauertag 2019 teil.
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Historischer Verein Ar.kod.M e.V.
Nur wer sich daran erinnert, was gestern war, erkennt, was heute ist
Der Volkstrauertag ist ein Tag der Mahnung zu Versöhnung, Verständigung und Frieden.
Zum Volkstrauertag haben wir an die Menschen erinnert, die während des Zweiten Weltkriegs in Dortmunder Betrieben, Stahlwerken und Zechen als Kriegsgefangene und ZivilarbeiterInnen Zwangsarbeit leisten mussten.
Wie groß die Zahl der Menschen war, zeigt alleine schon der Umstand, dass auf den Dortmunder Zechen die Belegschaft zu fast 50 Prozent aus Kriegsgefangenen und ZivilarbeiterInnen bestand. Besonders hart war das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen.Viele Menschen, die Zwangsarbeit leisten mussten, überlebten das nicht. Sie sind an den harten Arbeitsbedingungen und an der fehlenden Versorgung gestorben. Viele wurden auf dem Friedhof am Rennweg anonym begraben. Ihren Angehörigen ist das Schicksal der Verstorbenen oft bis heute nicht bekannt.
Der Internationale Friedhof hat heute einen parkähnlichen Charakter. Die Grabstätten, insbesondere die der Verstorben aus der Sowjetunion, die den weitaus größten Teil ausmachen, sind nicht mehr als Gräber erkennbar. Auf den Grabfeldern erinnern nur noch Obelisken allgemein an die Verstorbenen. BesucherInnen des Internationalen Friedhof können nicht erkennen, dass die Rasenflächen in Wirklichkeit Grabfelder sind. Die Verstorbenen scheinen vergessen zu sein. Durch sehr umfangreiche Recherchen ist es aber gelungen die Namen der anonym begrabenen Menschen zu ermitteln, so dass fast 4500 Namen inzwischen bekannt sind.
Die Stadt Dortmund plant dankenswerterweise nun, gemeinsam mit den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., dem Büro für Erinnerungsarbeit der Botschaft der Russischen Föderation und der Bezirksregierung in Arnsberg, die Neugestaltung dieses Teils des Internationalen Friedhofs. Die Pläne dazu liegen seit einiger Zeit vor. Auf den Grabfeldern, auf denen Kriegsgefangene und ZivilarbeiterInnen aus der Sowjetunion beigesetzt sind, sollen 58 Stelen mit den Namen der Verstorbenen aufgestellt werden.
Leider macht das Projekt derzeit keine erkennbaren Fortschritte, ebenso wie die Errichtung des Denkmals auf der Kulturinsel im Phönixsee, das an die Menschen, die Zwangsarbeit in Dortmund leisten mussten, erinnern soll. Der Volkstrauertag ist für uns Anlass an die ZivilarbeiterInnen und Kriegsgefangenen, die in Dortmund lebten, arbeiten und starben, zu erinnern.
Wünschenswert ist deshalb für uns, dass die beiden Projekte nun zeitnah umgesetzt werden und dadurch Erinnerungsorte in Dortmund geschaffen werden, „denn nur wer sich daran erinnert, was gestern gewesen ist, erkennt auch, was heute ist und vermag zu überschauen, was morgen sein kann“. (Zitat Willi Brandt)