Bericht und Kommentar (Thomas Engel)
Das Frauenhaus in Dortmund: es kann seine Aufgaben nur erfüllen, indem es sich versteckt. Sich dem Zugriff neugieriger, meist eindeutig interessierter Blicke entzieht. Für jene unerreichbar ist, derentwegen sie da sind. Aus purer Not, weil sie keinen anderen Ausweg mehr für sich sahen. Die häufig traumatisierten Frauen finden hier einen ersten Zufluchtsort und mehr: neben der Unterstützung durch das Team aus Sozialarbeiterinnen einen geschützten Raum: für Ruhe, Abstand – um sich zu finden. Beim Atmen ohne Daueralarm in den Eingeweiden, ohne Angst vor Schlägen, Drohungen, anderen Varianten psychischer Gewalt. Auf die Woche genau seit 40 Jahren gilt in dem Haus: Frauen helfen Frauen. Heute ist das Frauenhaus eine „anerkannte Institution“, Glückwunsch. – Aber leider unzureichend ausgestattet, denn der Bedarf hilfesuchender Frauen ist ungebrochen; ohne Absicherung durch eine bundeseinheitliche Regelfinanzierung, sondern angewiesen auf den guten Willen von Land und Kommune; und obendrein muss sich die Einrichtung, wie andere des Frauenschutzes auch, inmitten eines im Aufwind befindlichen völkisch-patriarchalischen Geschwätzes behaupten.
Gewalt gegen Frauen ist nicht an individuelle oder soziale Merkmale gebunden
Sicher, es gibt angenehmere Rahmenbedingungen, einen Geburtstag zu feiern. Doch allein der – bei reifenden Jahrgängen obligatorische – Rückblick lohnt sich. Etwa 10.000 hilfesuchende Frauen (einschließlich ihrer Kinder) haben im Dortmunder Frauenhaus seit 1979 – als es sich aus der damaligen „Frauen Aktion Dortmund“ (FAD) heraus gründete – Unterschlupf gefunden. Einen geschützten Raum, bis sich neue Wege eröffnet hatten, wieder ein „normales“, jedenfalls gewaltfreies Leben zu führen. Was sind das für Frauen, die heute hier wohnen?
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Schnell wird klar: die Frage ist kaum zu beantworten. „Es zieht sich durch alle Schichten“, sagt Eva Grupe, Leiterin der Einrichtung. Auch Bildungsstand oder Religionszugehörigkeit kommen als seriöse Prädiktoren für häusliche Gewalt, die vorerst mit der Flucht ins Frauenhaus endet, nicht in Frage. Aus ihrer langjährigen Erfahrung kann die studierte Erziehungswissenschaftlerin lediglich zusammenfassen: es kann im Grunde jede Frau treffen.
Einzelschicksale, von der Pfarrerstochter über die Mutter von nebenan bis zur Akademikerin mit Migrationshintergrund. Insgesamt 32 Plätze (16 Frauen und 16 Kinder) können ihnen gegenwärtig im Frauenhaus Dortmund, eines der größten in NRW, zur Verfügung gestellt werden. Das professionalisierte Angebot vor Ort hat mittlerweile auch die Kinder im Blick. Denn häufig wurden sie wiederholt „Zeuge“ von Gewalt, verarbeiten aber in der Folge solche unter Umständen traumatischen Erlebnisse anders als Erwachsene.
Frauen müssen teils sehr hohe Schwellen überwinden, sich ans Frauenhaus zu wenden
Wenn Frauen für sich (und vielleicht für diese Kinder) im Frauenhaus Schutz suchen, dann häufig nicht ohne eine solche Vorgeschichte fortgesetzter häuslicher Gewalt. Die sich jetzt – indem sie sich, womöglich bei Nacht und Nebel, an die Einrichtung wenden – zu einem Akt äußerster Verzweiflung verdichtet. Ein letzter Ausweg und alternativloser Ort, der Unsäglichkeit von Misshandlungen oder Missbrauch zu entkommen. Wenn nichts mehr geht, soziale Netze einer Familie oder die des Freundeskreises versagen.
Doch bis dahin, bis zur Aufnahme ins Frauenhaus können die Wege sehr lang sein. Was hier immer wieder wiegt: den Frauen ist es peinlich, sich diese Hilfe überhaupt suchen zu müssen. Das sei für viele schambesetzt, weiß Ria Pinter, Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin in der Einrichtung mit hinlänglicher Erfahrung; und dies vor allem bei Frauen aus relativ privilegierten Verhältnissen.
Bei denen, lässt sich nachvollziehen, die es gewohnt sind, über ihren gesellschaftlichen Status, mit Macht, Geld oder Prestige „die Dinge zu regeln“, sich mithin beständig in ihrer sozialen Wirksamkeit erfahren – und plötzlich völlig hilflos sind. Wie sie es nie zuvor waren. Das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht ist dann nichts, was sich von jetzt auf gleich herzustellen vermag.
Bis zur Aufnahme: Vorgeschichten komplexer Traumatisierung sind keine Seltenheit
Vielleicht finden sich im Einzelfall ja auch andere Lösungen? – Vermutlich gibt es viele Frauen, bei denen das klappt, und die deshalb nie offiziell irgendwo auftauchen, auch in keiner Statistik über weibliche Opfer von Gewalt. Anders als bei denen, die später im Frauenhaus zusammentreffen.
Doch gleich, wie es ausgeht: ist eine Frau über längere Zeit Misshandlungen – nicht-sexualisierter, physischer oder psychischer Gewalt – oder Missbrauch ausgesetzt, ohne eine Beziehung verlassen zu können, hat das bei fortgesetzter Traumatisierung in der Regel etwas mit typischen Abwehrreaktionen zu tun. Sie funktionieren als Selbstschutz, um es „irgendwie“ auszuhalten, verlängern aber gerade dadurch unter Umständen ein Martyrium.
Das können Verdrängungsprozesse sein, innerer Rückzug kombiniert mit Selbstverleugnung oder Selbstbetrug in der vermeintlichen Hoffnung, dass sich in der Beziehung doch noch etwas zum Besseren wenden könne. Oder das Opfer wird geplagt von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen, wieder etwas falsch gemacht zu haben, wonach seine Aggression quasi als „natürliche“ Folge des eigenen Versagens erscheint. Bis sich irgendwann vielleicht ein Schalter umlegt, wenn sie rücksichtslos auf das Kind übergeht, das sie im Arm hält.
Wegen fehlender Kapazitäten ebenfalls keine Seltenheit: Frauen in andere Einrichtungen weitervermittelt
Umgekehrt könnte sich das häusliche Geschehen auch wieder beruhigen. Weil sie beispielsweise zu erkennen glaubt, dass er „charakterlich eigentlich nicht der Typ für so was ist“. Es unter Umständen „nur“ eine außergewöhnliche Stressreaktion war, die eine Hand hatte „ausrutschen lassen“.
Wie auch immer. Solche Beziehungsachterbahnen bleiben solange Privatsphäre, wie sie nicht mit Offizialdelikten verbunden sind und Anzeigen daher wieder zurückgezogen werden können. Und beide es noch einmal versuchen wollen: aus freier Verantwortung.
Anders ausgedrückt: in einer Art „Amour fou“, irgendwo zwischen Verhängnis, Leidenschaft und Raserei, vermindert sich die Halbwertzeit gültiger Willensbekunden beträchtlich. Was nicht bedeutet, dass Nein! nicht definitiv Nein! hieße. Es mache aber manchmal Sinn, sagt Ria Pinter, sich mit Frauen vorher zu beraten. Wenn da kein klarer Entschluss ist. „Ich bin mir selbst noch nicht sicher …“, sei da häufig zu hören.
Allein, bei allen denkbaren Hürden und individuellen Motiven einer Frau, sich (zunächst) gegen eine Aufnahme ins Frauenhaus zu entscheiden: Aufmerken lassen sollte schon die Tatsache, dass die in der Dortmunder Einrichtung zur Verfügung stehenden Plätze häufig vollständig belegt sind. Hilfesuchende Frauen hätten dann nicht aufgenommen werden können, bestätigt Ria Pinter, und deswegen über das Frauenhaus-Netzwerk in eine andere Stadt weitervermittelt werden müssen.
Das Dortmunder Frauenhaus nach 40 Jahren: eine „anerkannte Institution des Gewaltschutzes“?
Doch es gibt auch den umgekehrten Fall, das habe etwas mit dem Thema zu tun, um das es geht, bedeutet die Frauenhaus-Leiterin: dass eine Frau unter Umständen gleich in eine andere Stadt gebracht werden müsse. Wenn zu erwarten ist, dass der Täter nicht locker lassen wird, also ihr Nein! nicht akzeptiert. In der Vergangenheit soll es vereinzelt vorgekommen sein, dass „verstoßene“ Männer am Dortmunder Frauenhaus aufliefen und sich bemüßigt fühlten, dort Rabatz machten.
„Sicherheit hat für uns oberste Priorität“, fasst Eva Grupe zusammen, was in ihrer Einrichtung daher für alles weitere, was den geflohenen Frauen dort in ihrer Notlage an Unterstützung geboten werden kann, unabdingbare Voraussetzung ist. Dass die Betroffenen mit dem beruhigenden Gefühl schlafen gehen: hier kommt er nicht an mich ran! Denn wer es bis hierhin geschafft hat, braucht am allerwenigsten, dass sie die gerade zurückgelassene Vergangenheit sofort wieder einholt.
Das Frauenhaus Dortmund kann nach 40 Jahren über sich mit Berechtigung sagen, es sei eine „anerkannte Institution des Gewaltschutzes geworden“. Es garantiert wie alle vergleichbaren Einrichtungen den Schutz einer Frau vor drohender, ihren Willen missachtender Verletzung der eigenen Integrität und Intimität. – Dass es bei der gesellschaftlichen Vergegenwärtigung von häuslicher Gewalt dennoch deutliche Schieflagen gibt, zeigt sich mindestens an zweierlei.
Gesetzlicher Schutz vor Gewalt in Partnerschaften: spätes Aufwachen in der Bundesrepublik
Erstens daran, dass in der Bundesrepublik 50 Jahre lang schlimmste Formen sexualisierter Gewalt völlig straffrei bleiben konnten – geschahen sie in einer Ehe. Solange definierte §177 StGB Vergewaltigung lediglich als außerehelich erzwungenen Beischlaf.
Erst 1997, also vor gut 20 Jahren änderte sich dies durch Mehrheitsbeschluss im Bundestag: mit 470 gegen 138 Stimmen bei 35 Enthaltungen. Und ohne dass in die Gesetzesänderung eine teils geforderte Widerspruchsklausel aufgenommen wurde, wonach das mutmaßliche Opfer durch Zurückziehen der Anzeige eine Verfahrenseinstellung wie bei einem Antragsdelikt hätte veranlassen können.
Mit Nein, warum auch immer, stimmten damals unter anderem zwei Herren, die sich heute bezeichnenderweise im Zentrum des tagespolitischen Geschäfts befinden: Friedrich Merz (CDU), Kanzlerkandidat in spe, sowie der bekennende Heimatfreund und jetzige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).
Noch später, im Januar 2002, wird mit dem zivilrechtlichen Gewaltschutzgesetz in der Bundesrepublik eine eindeutigere Rechtsgrundlage dafür geschaffen, dass Familiengerichte sogenannte Schutzanordnungen treffen können. Gegenüber (potentiellen) Tätern etwa durch ein Betretungsverbot der gemeinsamen Wohnung oder gar durch ein Näherungsverbot.
Unterfinanzierung von Frauenhäusern: „reale Kosten“ können nicht gedeckt werden
Aus diesem Grund müssten von Gewalt bedrohte Frauen eigentlich nicht mehr in Frauenhäusern Zuflucht suchen – weil schlagende Ehemänner schlicht ausgesperrt werden können. Von denen es aber noch genug gibt: Mehr als 1.150 Einsätze allein im Dortmunder Stadtgebiet hatte zum Beispiel die Polizei im Jahr 2016 unter dem Begriff „Häusliche Gewalt“ registriert. In 430 Fällen wurden aufgrund der Sachlage, die die Beamten vorfanden, die aggressiven Männer aus der Wohnung gewiesen, 475 Mal sprach die Polizei außerdem ein Rückkehrverbot für die Angreifer aus.
In der Praxis hingegen bleiben die erhofften Effekte einer Entzerrung der Situation in den Frauenhäusern aber offensichtlich aus. Es spricht Bände, wenn trotz Gewaltschutzgesetz die Einrichtungen entgegen möglicher Erwartungen keinesfalls unterbelegt sind. Im Gegenteil: der Bedarf an Plätzen in Frauenhäusern übersteigt bundesweit deren Kapazitäten, auch in Dortmund.
Der Verein „Frauen helfen Frauen“ verweist in seiner Pressemitteilung anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Einrichtung ausdrücklich darauf, dass die vorhandenen Mittel leider nicht ausreichten, „die realen Kosten eines Frauenhausbetriebs zu decken“. Wie kann das sein, dass hier offensichtlich unterfinanziert wird? Wo „häusliche Gewalt“ doch „kein Tabuthema mehr“ sei, wie dort ebenfalls nachzulesen ist.
Erstaunlich ist dies auch deshalb, weil Frauenhäuser nicht unter eine bewährte Faustregel passen, mit welcher der von der Studentenbewegung angekündigte „Marsch durch die Institutionen“ in seiner Chronologie grob umschrieben werden kann: 68er => Neue soziale Bewegungen der 70/80 Jahre in der Bundesrepublik => Institutionalisierung, Professionalisierung, einschließlich gesicherter Finanzierungsgrundlage.
Doch genau daran mangelt es den Frauenhäusern – und dies ist der zweite Punkt, an dem sich ablesen lässt, dass es in der Sache, wenn es um den Schutz vor häuslicher, also vor Gewalt innerhalb intimer Beziehungsstrukturen geht, weiterhin erhebliche gesellschaftliche Wahrnehmungsdefizite gibt. Trotz aller Beteuerungen.
Auf „Förderung von Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen“ besteht kein Rechtsanspruch
Sicher, die Stadt Dortmund zahlt regelmäßig aus eigenem Haushalt eine gewisse Summe, um den laufenden Unterhalt des Frauenhauses anteilig mit zu sichern; gerne auch eher etwas mehr als weniger. Ebenso bezuschusst das Land NRW. Doch alles ist Ermessenssache und es bestehen keinerlei gesetzliche Ansprüche.
In den in NRW bis Ende 2019 maßgeblichen „Richtlinien für die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen (Frauenhäuser)“ wird anfangs zwar bestätigt, das Land gewähre „nach Maßgabe dieser Richtlinien … Zuwendungen für Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen“.
Unter 3.1 wird dort (Runderlass des damaligen Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter von 2014) allerdings lapidar festgehalten: „Ein Anspruch der Antragstellenden auf Gewährung der Zuwendung besteht nicht, vielmehr entscheidet die Bewilligungsbehörde aufgrund ihres pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.“ (RdErl 2014).
Pointiert: die Umsetzung von Frauenrechten wird fast zur Bittstellung degradiert, in der Hoffnung, dass das Land liquide ist. Eine seit vielen Jahren immer wieder vorgetragene Forderung von Frauenhäusern bundesweit wird in dem Pressepapier des Dortmunder Trägervereins daher aus gutem Grund explizit wiederholt: „Zeitnah eine sichere und bedarfsgerechte gesetzlich verankerte Finanzierung“.
Finanzierung von Frauenhäusern bleibt auf Bundesebene gesetzlich nicht gesichert
Das Fehlen einer soliden Finanzierungsgrundlage für Frauenhäuser ist ein untragbarer Zustand, wenn nicht ein Skandal: für eine Gesellschaft, die sich vehement gegen Geschlechterdiskriminierung einsetzt, sich die Chancengleichheit für Frauen stolz auf ihre Fahnen schreibt. Diese Gesellschaft hat es – nach 100 Jahren Frauenbewegung, nach 50 Jahren Kampf um Frauenrechte in der Bundesrepublik – immer noch nicht geschafft, ein bundeseinheitliches Finanzierungssystem für Schutzeinrichtungen vor häuslicher Gewalt auf die Beine zu stellen.
Doch in der großen Politik scheint all dies nicht wirklich anzukommen. Offenbar wird Gewalt in festen Partnerschaften, werden Zwang, Druck, Nötigung bis zu Handgreiflichkeiten in unserer Gesellschaft soweit verharmlost, dass sich der Bundesstaat dort, wo es dringend um Opferschutz geht, immer noch schadlos zurückhalten kann – zumindest wenn es über Lippenbekenntnisse hinaus darum geht, die Arbeit von Frauenhäusern durch ein Bundesgesetz zu sichern.
Darin liegt begründet, dass auch das Dortmunder Frauenhaus bis heute – trotz „freiwilliger“ Teilfinanzierung von Land wie Stadt – auf private Spenden angewiesen ist, um die Hilfsangebote für Frauen in Not in der bestehenden Form überhaupt aufrechterhalten zu können. Um Frauen dabei zu unterstützen, aus den vielfältigen Zirkeln von Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Angst und Selbstschutz herauszufinden.
Zudem transportiert die Freiwilligkeit der Leistungen eine gefährliche Symbolik: nämlich die, dass dem Gesetzgeber häusliche Gewalt kaum als ein ernstzunehmendes Problem erscheint, wenn er sich einer Verstetigung und Institutionalisierung der Finanzierungsgrundlage verweigert und damit den Schutz der Gewaltopfer einer Art Spendernoblesse überlässt – in der Zuständigkeit untergeordneter Gebietskörperschaften bis zum privaten Engagement.
Ist die (vermeintliche) Tabuisierung von Gewalt gegen Frauen eine Täuschung?
Ob es heute wirklich einen „gesamtgesellschaftlichen Konsens“ gibt, dass Gewalt gegen Frauen zu ächten sei, oder er lediglich darin besteht, „dass Gewalt gegen Frauen geächtet wird“, ist somit fraglich. Wie weit kann denn die Enttabuisierung häuslicher Gewalt in die Tiefenstrukturen einer Gesellschaft eingedrungen sein, die Wohl und Wehe der Auffang-Einrichtungen vom guten Willen der Kommunen und Länder abhängig macht?
Vielleicht kommt bei dieser Wahrnehmungsresistenz etwas hinzu: der besondere Stellenwert, den eine auf individuellen Freiheiten beruhende Gemeinschaft der Privatsphäre zuspricht. Deren Schutz als Abwehrrechte einer jeden Person gegenüber staatlichen Eingriffen in den ersten Artikeln des Grundgesetz konkretisiert wird. Kurz: Was daheim passiert, das passiert eben und geht niemand etwas an.
Die dortige Intimität als gleichsam unantastbar gesetzt, kann sich dann bis heute ein vorsichtiges Schmunzeln mehr als sehen lassen, wenn etwa ein Satz fällt, wie von einem bekannten Fußballtrainer sinngemäß geäußert: dass Hass im Stadion nichts zu suchen hätte, stattdessen solche Gefühle daheim im Wohnzimmer gemeinsam mit der eigenen Frau ausgelebt werden sollten.
Rechtspopulismus funktionalisiert in Repräsentationsgremien die – teils prekäre – Lage der Frauenhäuser
Hinzukommt, drittens, dass ein erstarkender Rechtspopulismus Finanzierungs- und Ausstattungsprobleme der Frauenhäuser sowohl für sein völkisch-xenophobes Gejaller wie in der Absicht instrumentalisiert, ein Wiedererstarken patriarchaler Denkmuster auf einem Terrain zu bewirken, auf dem sie durch die Frauenbewegung in den letzten Jahrzehnten glücklicherweise stark zurückgedrängt wurden.
Konkret versucht die AfD beispielsweise im Bundestag bzw. in den Landtagen, so in NRW, mit kleinen Anfragen an Statistiken über Frauenhäuser zu gelangen, aus denen die Nationalität der dort wohnenden Frauen hervorgeht oder angezeigt wird, bei wie vielen Bewohnerinnen ein „Fluchthintergrund“ besteht; ggf. wird beantragt, solche Daten zu erheben. Oder sie thematisiert Gewalt gegen Männer und sieht allerorten Ungleichbehandlung. So auch, wenn Frauen nicht zusammen mit älteren Söhnen in ein Frauenhaus aufgenommen werden.
Fordert dafür dann zugleich zuckersüß, dass „Frauenhäuser im ausreichenden Maße mit personellen, sachlichen und finanziellen Mitteln“ ausgestattet werden, „um eine fachgerechte Kinderbetreuung und Unterstützung für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten“, wie es in einem Beschlussantrag für den NRW-Landtag heißt. Auch mit Blick auf die Schaffung von Wohneinheiten für jene Frauen mit älteren Söhnen.
Vergessen wird dabei freilich regelmäßig, zu erwähnen, dass Hilfen für Frauen schlussendlich nur über ethnische und/oder kulturelle Trennungslinien gedacht werden, um dann den Auserwählten liebend gern wieder traditionelle Rollenverständnisse nahelegen zu können. Versucht wird also, die missliche Lage von Frauenhäusern fürs eigene reaktionäre Polit-Repertoire einzuspannen.
„Antifeministische Ressentiments werden derzeit vor allem entlang von Rassismus und Islamfeindlichkeit und im Kontext der Bewahrung vermeintlich traditioneller, konservativer oder christlicher Werte geschürt“ (BkFG, 7), schreibt die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen in diesem Zusammenhang.
Weitere Informationen:
- Spendenkonto: Förderverein Frauen helfen Frauen e.V., Sparkasse Dortmund, IBAN: DE06 4405 0199 0211 0109 08
- Frauenhaus Dortmund, Homepage, hier:
- Kontakt, postalisch: Frauen helfen Frauen e. V., Frauenhaus Dortmund, Postfach 500 234, 44202 Dortmund
- NOTRUF-Telefonnummer: 0231/80 00 81; Büro Tel.: 0231/7250570; Fax: 0231/7250571; E-Mail: frauen@frauenhaus-dortmund.de
- Frauenberatungsstelle Dortmund: Märkische Str. 212 – 218, 44141 Dortmund; E-Mail: frauen@frauenberatungsstelle-dortmund.de; Homepage: frauenberatungsstelle-dortmund.de; Telefonische Beratung: Tel.: 0231 / 52 10 08 (Montags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr)
- Frauenaktion Dortmund (FAD), Frauenzeitschrift, Sonderausgabe 1976 (aus: Digitales Deutsches Frauenarchiv); hier:
- Umfangreiches Material zur Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ruhrgebiets und Dortmund: frauen/ruhr/geschichte; hier:
- Zur Geschichte der Dortmunder Frauenbewegung; hier:
- Literatur zur Dortmunder Frauenbewegung, vor allem von der Dortmunder Geschichtswerkstadt; hier:
- Publikationen der Dortmunder Frauenbewegung zwischen 1976 und 1991 (Überblick, von Hanne Hieber: „Zwischen ,Frauenzeitung’ und ,igitte’“); hier:
- Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen (BkFG): Antifeminismus als Demokratiegefährdung?! Gleichstellung in Zeiten von Rechtspopulismus; hier:
- Wissenschaftliche Dienste / Deutscher Bundestag: Frauenhäuser in Deutschland. Sachstand (Mai 2019); hier:
- Runderlass zu Frauenhäusern in NRW (RdErl 2014); hier:
- Zielvereinbarung über die Zukunftssicherung der Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen zwischen dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, der Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen und der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW e. V. ; hier:
- Abschlussbericht Reformkommission Sexualstrafrecht; hier:
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Gleichstellungsbüros (Pressemitteilung)
Digitale Gewalt gegen junge Frauen und Mädchen
In der evangelischen Stadtkirche St. Petri (Nähe Bahnhof) findet am Montag, 25. November, 17.45 Uhr, eine Veranstaltung zum Thema „Digitale Gewalt gegen junge Frauen und Mädchen“ statt. Es ist eine Kooperationsveranstaltung des Gleichstellungsbüros der Stadt Dortmund mit der Ev. Stadtkirche St. Petri und dem Frauenzentrum Huckarde e. V.
Insbesondere junge Frauen sind von digitaler Gewalt betroffen. Ein Großteil der Kommunikation geschieht im digitalen Raum. Auch Konflikte und Mobbing werden hier ausgetragen. Ob Anschwärzen, Gerüchte verbreiten, Ausgrenzen, Bloßstellen, Veröffentlichung privater Dinge, Beleidigen oder Bedrohen – das Schädigungspotential von verletzendem Online-Verhalten ist enorm gestiegen. Zum Tag gegen Gewalt an Frauen wird das Phänomen in den Fokus genommen:
Wie äußern sich Online-Konflikte und inwieweit sind Mädchen besonders betroffen? Was können Warnzeichen sein und wie können Mädchen bestmöglich begleitet werden? Welche Antwort geben unsere Gesetze hierauf?
Anmeldungen bitte per E-Mail (gleichstellungsbuero@dortmund.de) oder telefonisch (0231 50-23300) an das Gleichstellungsbüro.