September 1969: Als die heile Welt zerbrach – Spontane Streiks ohne Gewerkschaften in Dortmund bewegten die Republik

Streikenden Hoeschianer vor der Hauptverwaltung der Westfalenhütte im September 1969. Foto: Archiv Peter Keuthen
Streikende Hoeschianer vor der Hauptverwaltung der Westfalenhütte im September 1969. Foto: Archiv Peter Keuthen

„Ein Paukenschlag ging vor 50 Jahren durch den Dortmunder Norden, der ganz Deutschland bewegte“, sagt Wiltrud Lichte-Spanger, die Vorsitzende des Evinger Geschichtsvereins. Spontane Streiks, ohne Unterstützung durch Gewerkschaften oder Parteien, begannen im September 1969 auf der Westfalenhütte, setzten sich über die Zentralwerkstatt der Zeche Fürst Hardenberg auf die Dortmunder Schachtanlagen und die Dortmunder Stadtwerke fort. Bald breitete sich die Streikwelle, der „Heiße Herbst 69“ über ganz Deutschland aus – Geschichte, die heute noch aktuell ist.

Trotz Boom Gewerkschaften waren an langfristig abgeschlossene, niedrige Tarifverträge gebunden

Am ehemaligen Werkstor der Zeche Minister Stein versammelten sich 1969 streikende Bergarbeiter ohne Vertreter ihrer Gewerkschaft.
Am ehemaligen Werkstor der Zeche Minister Stein versammelten sich 1969 streikende Bergarbeiter ohne Vertreter ihrer Gewerkschaft.

Der heiße Herbst ’69 ist Thema des Treffens des Evinger Geschichtsvereins am Montag, 9. 9. 2019. Dr. Wilfried Kruse, ehem. Leiter der Sozialforschungsstelle in Dortmund, gibt einleitend einen Einblick in den Vorabend der Streikbewegung. Die Studentenbewegung stellte alles in Frage, was die Zeit des 2. Weltkriegs überlebt hatte.

Auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms waren Gewerkschaften, wie sie meinten, durch die Friedenspflicht an langfristig abgeschlossene, niedrige Tarifverträge gebunden, während die Hoesch-Konzernleitung den Aktionären eine drastische Erhöhung der Dividenden ankündigte.

Als Zeitzeuge berichtet Werner Nass, später einer der einflussreichsten Betriebsräte in der Stahlindustrie, auf dessen Einladung sogar Michail Gorbatschow die Westfalenhütte und Dortmund besuchte.

Stahlwerker und und Bergleute fühlten sich von den Gewerkschaften nicht ausreichend vertreten

Die Dortmunder Stahlwerker und kurz danach auch die Bergleute der Zechen Minister Stein und Fürst Hardenberg fühlten sich nicht mehr ausreichend von den Gewerkschaften vertreten, nahmen ihre Forderungen selbst in die Hand, wählten aus ihrer Mitte Sprecher und schickten sie in die Vorstandsetagen. Konsequent, selbstbewusst und zum Schluss erfolgreich endete der insgesamt 18tägige Streik in Deutschland.

Im September 1969 zogen sie von hier aus in die Innenstadt.
Im September 1969 zogen die DemonstrantInnen von der Westfalenhütte aus in die Innenstadt.

Unterschiedlich waren die durchgesetzten Forderungen. „Während es in der Stahlindustrie um die Erhöhung der Stundenlöhne ging, setzten die Kumpels auf den Zechen auch Urlaubs- und Wohnungsgeld sowie Urlaubsverlängerungen durch, also Ergebnisse, die ihnen nicht wieder durch Akkorderhöhungen oder Inflation genommen werden konnten“, so Dr. Volker Schacke, stellvertretender Vorsitzender des Evinger Geschichtsvereins. 

Bei allen Unterschiedlichkeiten meint Wolfgang Skorvanek, ebenfalls stellvertretender Vorsitzender des Evinger Geschichtsvereins, gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Septemberstreiks von 1969 und der heutigen Klimaschutzbewegung um Greta Thunberg. Skorvanek: „Damals wie heute entstand eine spontane Aktion junger Menschen, die ohne Rücksicht auf Sanktionen neue Ansprüche formulierten, bevor sie von Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften zunächst erkannt wurden.“

Mehr Informationen:

  • Zu den Vorträgen und der anschließenden Diskussion „Septemberstreiks 1969“  lädt der Evinger Geschichtsvereins am Montag, 09. 09. 2019, ab 18.30 Uhr alle Interessierten in das Wohlfahrtsgebäude (Evinger Schloss), Nollendorfplatz 2, ein.
  • Der Zugang zum Saal des Evinger Geschichtsvereins in der 1. Etage des Wohlfahrtsgebäudes ist barrierefrei und die Teilnahme an der Veranstaltung kostenfrei. 
Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Hoesch-Museum Dortmund (Pressemitteilung)

    Museumsgespräch zum Streik der Hoesch-Arbeiter 1969

    „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ – unter diesem Titel steht das nächste Museumsgespräch im Hoesch-Museum am Donnerstag, 12. September, 18 Uhr an der Eberhardstr. 12. Der Historiker Dr. Karl Lauschke spricht über den wegweisenden Streik der Hoesch-Arbeiter im September 1969. Der Eintritt ist frei.

    Vor 50 Jahren streikten die Arbeiter bei Hoesch, ohne dass die Gewerkschaft sie dazu aufgerufen hatte. Damit lösten sie eine Streikwelle aus, die zahlreiche Betriebe in der Bundesrepublik erfasste. Diese Arbeitsniederlegung, die in kürzester Zeit erfolgreich abgeschlossen werden konnte, fand in einer besonderen gesellschaftlichen Situation statt und blieb ein einmaliges Ereignis. Welche Lehren wurden daraus gezogen? In welcher Weise haben sich die Bedingungen in den Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verändert? Diesen Fragen wird der Referent auf den Grund gehen.

    Dr. Karl Lauschke ist Vorsitzender des Trägervereins Freunde des Hoesch-Museums und arbeitet wissenschaftlich u.a. zur Regionalgeschichte des Ruhrgebiets oder zur Unternehmensgeschichte im 20. Jahrhundert.

  2. Langer August (Pressemitteilung)

    Lesung: „Tod im Stahlwerk“ mit Anne-Kathrin Koppetsch
    50 Jahre „Septemberstreik“ bei Hoesch

    In diesem Jahr jährt sich der sogenannte „Septemberstreik“ bei Hoesch
    zum 50. Mal! Im Umfeld dieses Streiks 1969 spielt Anne-Kathrin
    Koppetschs Krimi „Tod im Stahlwerk“. Sie erzählt – historisch gut
    recherchiert – die fiktive Geschichte eines Lokführers, der nach
    erfolgreicher Beendigung des Streiks betrunken den Sohn des Betriebsrats
    überfährt. Lokführer und Betriebsrat waren einst gute Kumpels. Nun sind
    sie verfeindet. Wurd der Sohn das Opfer dieses Streits? In der Siedlung
    kocht die Gerüchteküche, auch Pastorin Martha Gerlach gerät unter
    Beschuss und muss um ihre Ehre kämpfen….Ein Krimi aus Zeiten der
    Vollbeschäftigung, ein „Western von gestern“, wie das Magazin „Bodo“
    schrieb.

    Die Protagonistin dieses Retro-Krimis, Martha Gerlach, ist in den 60er
    Jahren eine der ersten Pastorinnen im Ruhrgebiet. Mit Charme und Chuzpe
    setzt sie sich gegen die männlichen Kollegen durch und gewinnt die
    Herzen ihrer Gemeindeglieder. Dabei stolpert sie immer wieder über
    Leichen und löst Kriminalfälle.

    „Tod im Stahlwerk“ ist der dritte Band einer Trilogie um diese junge
    Pastorin, für die eine reale Figur Modell gestanden hat. „Anne-Kathrin
    Koppetsch gelingt es, den Zeitkolorit einzufangen“, schreibt die Presse.

    Anne-Kathrin Koppetsch wurde 1963 im Sauerland geboren und lebt – nach
    Lehr- und Wanderjahren – seit dem Jahr 2000 in Dortmund. Im Hauptberuf
    ist sie Pfarrerin, derzeit in der Evangelischen Miriam-Kirchengemeinde
    Dortmund, in Huckarde und Kirchlinde. Ihre Krimitrilogie um die
    Dortmunder Pastorin Martha Gerlach erschien in den Jahren 2012-2015 im
    Kölner emons-Verlag. Ihr neuestes Projekt: „Glücksorte im Sauerland“
    erscheint im kommenden Jahr.

    Veranstaltungslink:
    http://www.langer-august.de/was-findet-statt/was-details/veranstaltung/lesung-aus-tod-im-stahlwerk-anne-kathrin-koppetschso-29092019-1700-uhr.html

    Eintritt: frei

    Datum: 29.09.2019
    Einlass: 17:00 Uhr

    Ort: Café im Vorderhaus, Braunschweiger Str. 22, 44145 Dortmund
    Veranstalter: Langer August e.V.
    Veranstalter-Link: http://www.langer-august.de

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert