Bundesteilhabegesetz stellt Träger vor Herausforderungen
Gesprächsrunde mit Claudia Middendorf (Landesbehindertenbeauftragte) im Caritas-Wohnhaus St. Michael
Menschen mit Behinderungen sollen demnächst von mehr Selbst- bestimmtheit und einer größtmöglichen Teilhabe profitieren – das verspricht das Bundesteil- habegesetz (BTHG). Mit der stufenweisen Einführung des BTHG wurde bereits 2017 begon- nen, für den 1. Januar 2020 steht eine weitere Änderung an: die Trennung von Leistungen der Eingliederungshilfe und existenzsichernden Leistungen (Sozialhilfe). Am 11. März 2019 besuchte Claudia Middendorf, die Beauftragten der Landesregierung für Menschen mit Be- hinderung sowie für Patientinnen und Patienten, das Caritas-Wohnhaus St. Michael, um sich mit Bewohnern, Angehörigen, Mitarbeitern und Betreuern der Einrichtungen zu den Auswir- kungen des BTHG auszutauschen.
Laurenz Wältken ist ein aktiver junger Mann mit einer besonderen Leidenschaft für Musik. Sein Handycap, das Down Syndrom, hält ihn nicht davon ab, nach Berlin zu reisen und an verschiedenen Musik-Projekten und Workshops teilzunehmen. Claudia Middendorf hört dem 29-Jährigen, der im Ambulant Betreuten Wohnen in seiner eigenen Wohnung im Pastor- Block-Weg 6 wohnt, interessiert zu. Für Einrichtungsleiterin Kornelia Berges gehört es zur gelebten Normalität, dass die Bewohner im hohen Maße zur Verselbstständigung angeleitet werden: „Wir schauen genau auf die Ressourcen unserer Bewohner. Menschen mit Han- dycap haben viel Potenzial, wenn man sie lässt und ihnen Dinge zutraut“, berichtet sie.
Seit Jahren betreibt das Haus in Aplerbeck ein besonderes Konzept zur Verselbstständi- gung. Dazu gehören regelmäßige Projekte für die Bewohner, aber auch die tägliche Hilfe zur Selbsthilfe. Wichtig dabei: Jeder Bewohner formuliert seine Ziele selbst. „Kommunikation ist extrem wichtig“, so Kornelia Berges. Die Perspektive ist, dass Bewohner nach einiger Zeit ins Ambulant Betreute Wohnen wechseln können. Grundsätzliche Ziele des BTHG werden hier also schon lange gelebt.
„Natürlich begrüßen wir die Idee des BTHG, die Teilhabe und Selbstbestimmung aller Men- schen mit Behinderungen sicherzustellen und zu fördern“, erklärt Georg Rupa, Vorstands- vorsitzender der Caritas Dortmund. Die Trennung von Leistungen, beurteilt er jedoch kritisch: „Wir befürchten, dass die gute Absicht durch Streitigkeiten der unterschiedlichen Kostenträ- ger blockiert werden könnte. Bürokratie und Sparkonzepte dürfen nicht dazu führen, dass Teilhabe unter die Räder gerät. Vor allem darf die Umstellung nicht zu Qualitätseinbußen führen. Für die Fachleistungen der Eingliederungshilfe brauchen wir Fachkräfte, mindestens in derzeitiger Relation. Weder die Leistungsberechtigten noch die Träger dürfen dabei die Leidtragenden sein“, so Rupa.
Die Caritas rechnet mit einem deutlichen Mehr an Bürokratie aufgrund der Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen der Eingliederungshilfe. „Zum Beispiel für den Abschluss von ca. 165 Mietverträgen und Betriebskostenabrechnungen. Unsere Ein- richtung muss zudem nach Flächen aufgerechnet werden: Welche dienen dem Wohnzweck, welche einer Fachleistung“, erläutert Kornelia Berges. „Für diese Verwaltungsaufgaben müs- sen entsprechende Finanzierungsmittel zur Verfügung stehen“, fordert Georg Rupa. Die Zeit für die Umstellung auf das neue System sei zudem zu kurz.
Claudia Middendorf begrüßte die rege Diskussion und das große Engagement der Teilneh- menden im Wohnhaus St. Michael. „Ich erkenne, dass die bevorstehenden Änderungen durch das BTHG einen kompletten Systemwechsel für die Träger von Einrichtungen bedeu- ten. Ich sehe es als meinen Auftrag, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die tag- täglich entweder persönlich oder an ihrem Arbeitsplatz von den Änderungen betroffen sein werden. Diese Erfahrungen aus der Praxis sind enorm wichtig. Die Sorgen und möglichen Probleme aufgrund von vermehrter Bürokratie und mangelnder Planungssicherheit müssen zu den Kommunalverbänden transportiert werden. Daher setze ich mich für die entspre- chende Positionierung der Landesregierung ein.“
Gute Chancen für ein erfolgreiches Jahr 2019
Kreishandwerkerschaft Dortmund und Lünen zieht positive Bilanz des abgelaufenen Jahres / Betriebe suchen dringend Fachkräfte und Auszubildende / Arbeitgeber wollen Entscheidung für das Handwerk attraktiver machen
2018 war für Handwerk in Dortmund und Lünen ein gutes Jahr – mit einem Umsatzplus von fünf Prozent sogar rekordverdächtig. Diese gute Nachricht konnte Kreishandwerksmeister Dipl.-Ing. Christian Sprenger bei der Jahres-Pressekonferenz des Handwerks der Region nicht ohne Stolz verkünden: „Wir haben damit unsere eigene Prognose aus dem März vergangenen Jahres sogar noch um zwei Prozentpunkte übertroffen.“ Positive Zahlen gab es auch an anderer Stelle zu vermelden: Mit insgesamt 4.803 Betrieben zählt das Dortmunder und Lüner Handwerk unter dem Strich 37 Unternehmen mehr als noch vor einem Jahr. In Dortmund gab es 74 Neugründungen und 40 Schließungen, in Lünen 15 Neugründungen und 12 Schließungen. Der Blick in die Statistik zeigt, dass insbesondere die ausbildungsrelevanten Betriebe der Anlage A und B1 der Handwerksordnung angezogen haben mit einem Plus von 51 Betrieben. Die Statistik spiegelt auch die Konjunkturentwicklung wider. Von den Neugründungen in der Region sind allein 28 in der Anlage A (mit Meisterpflicht) und davon 16 Unternehmen im boomenden Bau- und Ausbaubaugewerbe. Das war wie im Vorjahr wichtigster Träger des Aufschwungs und legte allein im 3. Quartal in Nordrhein-Westfalen 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu.
Fachkräfte und Azubis bleiben Mangelware
Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt, schränkte Sprenger die positive Bilanz ein. Im Kfz-Handwerk verzeichnen die Betriebe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum Rückgänge bei Auftragsbestand und Umsatz. Grund dafür ist die Dieselkrise mit nahezu unverkäuflichen Euro 5-Dieseln und Leasing-Rückläufern. Gedämpft optimistisch läuft es auch im Nahrungsmittelhandwerk, allen voran den Fleischern, die trotz der hohen Qualität ihrer Produkte durch den Discounter-Preisdruck in den Städten viel zu niedrige Endpreise ansetzen müssen. „Unser größtes Problem aber ist und bleibt der Arbeitsmarkt“, so der Kreishandwerksmeister. „Sinkende Arbeitslosenzahlen sind gut, aber es gibt für das Handwerk einfach nicht genug Auszubildende und keine Fachkräfte, um alle Aufträge zeitgerecht abarbeiten zu können.“ Erfreulicherweise konnte sich das Handwerk der Region hier 2018 dennoch gut behaupten und einen moderaten Anstieg bei den Ausbildungszahlen im 1. Lehrjahr verbuchen. Insgesamt 1029 junge Menschen begannen eine Ausbildung im Handwerk – zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Über alle Lehrjahre blieben die Ausbildungszahlen stabil: 3.361 Auszubildende standen 2018 im Dortmunder und Lüner Handwerk in einem Ausbildungsverhältnis.
Umfrage bestätigt Arbeitskräftebedarf
Trotzdem ist der Bedarf an Arbeitskräften immens, wie die Frühjahrsumfrage der Kreishandwerkerschaft unter 1.500 Innungsbetrieben zeigt. Ein Drittel (33,33 %) der Betriebe will den Mitarbeiterbestand erhöhen. Das sind rund 11 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Weitere 60 Prozent (59,80%) prognostizieren einen gleich bleibenden, stabilen Mitarbeiterstand. Ähnlich sieht es bei den Ausbildungsplätzen aus: 94 Prozent der Betriebe gehen von gleichbleibenden oder sogar steigenden Lehrlingszahlen aus. Das ist der höchste Stand seit drei Jahren. Fast 23 Prozent (22,62 %) wollen 2019 die Zahl ihrer Ausbildungsplätze erhöhen. Das sind neun Prozent mehr als im Vorjahr.
Vor diesem Hintergrund fragte die Kreishandwerkerschaft die Innungsbetriebe in Dortmund und Lünen erstmals detailliert nach der Fachkräfte- und Ausbildungssituation. Das Ergebnis: Fast 90 Prozent der Betriebe (88 %) bilden aus oder wollen ausbilden. Die überwiegende Mehrheit sucht einen einzelnen Auszubildenden (67 %), rund ein Drittel (33 %) hat sogar zwei oder drei Lehrstellen zu vergeben. Aber rund ein Drittel der suchenden Betriebe (2018: 18%; 2019: 33,72 %) findet keine geeigneten Auszubildenden. Das sind fast doppelt so viele wie im Vorjahr.
Ähnlich ist die Situation bei den Fachkräften: 60 Prozent der Betriebe gaben an, Fachkräfte zu suchen, aber die Hälfte der Suchenden findet keine geeigneten Bewerber. Ebenfalls rund 60 Prozent der Unternehmen (60,40 %) sind bereit, Geflüchtete einzustellen, wenn deren Qualifikation stimmt. Damit könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit das Fachkräfteproblem zumindest teilweise gelöst werden, wenn genügend qualifizierte Geflüchtete den ersten Arbeitsmarkt erreichten. Immerhin beschäftigt bereits fast ein Drittel (29 %) der befragten Unternehmen Geflüchtete, davon jeweils rund zur Hälfte als Auszubildende (55,2 %) und als Angestellte (44,8 %).
Arbeitgeber im Handwerk wollen Handeln
„Hier gibt es für uns dringenden Handlungsbedarf, wenn wir auch in Zukunft der guten Auftragslage und den Ansprüchen unserer Kunden gerecht werden wollen“, resümierte Christian Sprenger. „Das Handwerk wird darum 2019 große Anstrengungen unternehmen müssen, um seine Attraktivität im umkämpften Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nachhaltig unter Beweis zu stellen. Wir wollen mehr Begeisterung für das Handwerk wecken und werden vor allem bei Schulabsolventen und Studienabbrechern für die Attraktivität des Handwerks werben.“ Dazu plant die Kreishandwerkerschaft eine Informations-und Dialog-Initiative mit Beratungsangeboten in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit.
Auf Dynamik folgt Stabilisierung
Die konjunkturellen Aussichten des Handwerks für 2019 – so sehen es die Betriebe der Region – bieten dazu passend nach wie vor die besten Chancen, ein Erfolgsjahr zu werden. 93 Prozent der Unternehmen beurteilen ihre Lage als befriedigend oder gut. Das sind zwar drei Prozent weniger als im vergangenen Jahr, aber immer noch ein ausgesprochen hohes Niveau. Ebenso hoch ist die Einschätzung der erwarteten Umsatzentwicklung für 2019. Rund 88 Prozent der Betriebe sehen steigende oder gleichbleibende Umsätze. „Nach unserer Einschätzung wird 2019 für das Handwerk ein gutes, aber kein erneutes Rekordjahr“, so Christian Sprenger. „Die konjunkturelle Dynamik bleibt aufwärtsgerichtet, wenngleich abgeschwächt.“ Die Betriebe würden einerseits weiterhin von der hohen Konsumbereitschaft profitieren als auch von den hohen Ausgaben der öffentlichen Hand vor allem durch Investitionsprogramme auf Bundes-und Landesebene, die bis 2022 von den Kommunen umgesetzt werden (z. B. Gute Schule 2020, KIF und Digitalpakt). „Der Brexit und internationale Handelskonflikte können noch verzögert im Handwerk ankommen, deshalb sind wir vorsichtig“, so der Kreishandwerksmeister. „Aber noch sind keine Auftragsrückgänge zu verbuchen.“ Die Kreishandwerkerschaft Dortmund und Lünen geht deshalb von einer Wachstumsprognose für 2019 von 1,4 bis 1,5 Prozent aus, etwas höher als der Prognosewert der Bundesregierung.
Bildzeile: Bilanz und Perspektiven des Handwerks vorgestellt: (v.l.) Geschäftsführer Volker Walters, Hauptgeschäftsführer Ass. Joachim Susewind, Kreislehrlingswart Ulrich John, Kreishandwerksmeister Dipl.-Ing. Christian Sprenger, stv. Stadthandwerksmeister von Lünen Christoph Haumann, Geschäftsführerin Markt und Integration im Jobcenter Dortmund Heike Bettermann und stv. Hauptgeschäftsführer Ludgerus Niklas. Foto: Kreishandwerkerschaft Dortmund und Lünen