Das sogenannte „Dortmunder Modell“ gilt als Vorzeigeprojekt im Umgang einer Stadtverwaltung mit gewerblicher Prostitution. Es bringt sowohl die zuständigen Behörden als auch die BordellbetreiberInnen und nicht zuletzt die Prostituierten selbst an einen Tisch, um Probleme zu diskutieren und Lösungen zu finden. So soll ein Rahmen von Akzeptanz, Toleranz und Rechtssicherheit für das Gewerbe geschaffen werden. Doch es ist noch ein langer Weg zur endgültigen Anerkennung der Prostitution als Dienstleistungsgewerbe. Um zu erfahren, an welchen Stellen Verbesserungsbedarf besteht, besuchten die SPD-Landtagsabgeordneten Anja Butschkau, Carina Gödeke und Volkan Baran das Etablissement in der Linienstraße 8 und kamen mit Betreiber und Angestellten ins Gespräch.
Gute Zusammenarbeit zwischen Behörden, Ämtern und Betroffenen in Dortmund
„Ich kann sagen, dass im Gegensatz zu anderen Städten, keine Behördendiskriminierung in Dortmund spürbar war und ist. Bei Redebedarf stoßen wir immer auf offene Ohren“, freut sich Bordellbetreiber Setka, der seit rund zwanzig Jahren sein Geschäft in der Linienstraße 8 führt.
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Um etwas zu ändern, die Straßenprostitution einzudämmen, den Prostituierten einen rechtssicheren Rahmen zu bieten, das Gewerbe immer weiter in Richtung Legalität zu modifizieren und eine Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erlangen, seien Leute mit Rückgrat von Nöten gewesen, auf die man bei den Dortmunder Behörden und in der Stadtverwaltung gestoßen sei.
Auch Silvia Vorhauer von der Mitternachtsmission, einer Beratungsstelle für Frauen, die im Gewerbe tätig sind, und die sich um Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution kümmert, ist sehr von der Zusammenarbeit mit der Dortmunder Stadtspitze und den zuständigen Behörden angetan.
„Dortmunder Modell“ gilt bundesweit als gelungene Transformation des Gewerbes zum Dienstleistungsbetrieb
„Das „Dortmunder Modell“ entstand durch den von der Mitternachtsmission organisierten „Runden Tisch Prostitution“, durch den zum ersten Mal in Deutschland auch BordellbetreiberInnen und Prostituierte am Dialog teilnahmen“, erläutert Vorhauer.
Durch das Inkrafttreten des Prostitutionsgesetztes 2002 wollte man eine schnelle Lösung finden, um einen rechtlich geschützten Rahmen für das Gewerbe in Dortmund zu etablieren. Der Verwaltungsvorstand der Stadt habe die Vorschläge des Runden Tisches schnell umgesetzt.
„Auf diese Weise ist ein Rahmen entstanden, in dem die Frauen aber auch die BetreiberInnen legal und sicher arbeiten können. Das Wichtigste war und ist der Dialog“, so Vorhauer. Im „Dortmunder Modell“ tauschen sich Ämter und Behörden wie die Ausländerbehörde, Finanzamt, Ordnungsamt, Polizei und Staatsanwaltschaft regelmäßig mit den Menschen aus, um die es geht. In Dortmund sei diesbezüglich eine unglaublich hohe Akzeptanz und Toleranz aller Beteiligten zu erkennen.
Ziel: Gleichstellung von Prostitution mit anderen Berufen des Dienstleistungsgewerbes
Mittlerweile hätte es viele Nachfragen von Städten aus dem gesamten Bundesgebiet gegeben, die sich über die Strukturen und Regelungen des „Dortmunder Modells“ informieren wollten. Auch wenn für Silvia Vorhauer schon eine größere Akzeptanz für das Gewerbe in der Gesellschaft spürbar ist: es gäbe noch viel zu tun auf dem Weg zur Anerkennung als reines Dienstleistungsgewerbe.
„Das „Dortmunder Modell“ bietet Vorteile und Hilfen für alle Beteiligten. Doch wir müssen weiter daran arbeiten, das Schmuddelimage des Gewerbes loszuwerden“, pflichtet Anja Butschkau Vorhauer bei. Hierfür, sind sich die Beteiligten einig, sei vor allem öffentliche Information und Aufklärung enorm wichtig. Ziel hierbei ist und bleibt die Gleichstellung der Prostitution mit anderen Berufen.
Die bisherigen Maßnahmen des „Dortmunder Modells“ hätten schon viel dazu beigetragen. „Durch die Regelungen ist ein transparenter, sauberer Ablauf der Arbeitsverhältnisse und -konditionen garantiert. Hierdurch haben wir auch keine Probleme mit Zwangsprostitution, Menschenhandel und Drogenkonsum bzw. Beschaffungsprostitution“, so Bordellbetreiber Setka.
Frauen können ihrer Arbeit in der Linienstraße angstfrei nachgehen
Die sachliche Zusammenarbeit am runden Tisch wirkt sich nicht nur positiv auf das Arbeitsumfeld der Prostituierten in der Linienstraße aus. Es hält offenbar auch kriminelle Elemente aus der Straße fern.
Zwar findet man in den 16 Häusern der Straße nicht die „heile Welt“, aber bei der Polizei bescheinigt man der Bordellstraße mit Blick auf die Einsatzstatistik kein besonders negatives Bild. „Der Bereich ist nicht kriminalitätsfrei, aber nicht weiter auffällig“, beschreibt es Polizei-Pressesprecher Kim Ben Freigang.
Auch für die Frauen in der Linienstraße ist es wichtig, dass sie angstfrei arbeiten können. „Ich fühl‘ mich hier wirklich sicher“, meint Maja. Und auch eine Kollegin pflichtet ihr bei: „Die Atmosphäre hier ist schon besonders.“
Gesetzliche Anmeldebescheinigung ist für die Betroffenen eher eine Gefahr als ein Schutz
Doch bei allen Vorteilen und guten Entwicklungen, die das „Dortmunder Modell“ mit sich bringt, bleiben Problemfelder bestehen, die es vor allem den Prostituierten erschweren, ihrer Arbeit regelkonform nachzugehen. So müssen sie sich im Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes beim Ordnungsamt anmelden.
„Die zwischengeschaltete Anmeldebescheinigung in ihrer jetzigen Form ist ganz gefährlich für viele Frauen im Gewerbe“, so Vorhauer. Da die Betroffenen die Bescheinigung immer bei sich tragen müssten und diese unter anderem ein Foto der Besitzerin beinhalte, bestünde die Gefahr, beim Verlust oder nachlässigem Umgang könnten Dritte in den Besitz sensibler, persönlicher Daten gelangen.
Auch die Gefahr, im Freundes- oder Familienkreis aufzufliegen, falls man seine Tätigkeit geheim halten wollte, sei durch die schriftliche Bescheinigung extrem hoch. Für die Frauen erschließt sich nicht die beabsichtigte Schutzfunktion des Formulars, da schon vor seiner Einführung eine Meldepflicht bestand, die aber nicht das ständige Bei-sich-Tragen der Bescheinigung implizierte.
Einfacher und unkomplizierter Zugang zur Krankenversicherung gefordert
„Die Anmeldung ist vom Gesetz vorgeschrieben, um einen Kontakt zwischen den Betroffenen und den Behörden herzustellen. So soll unter anderem dem Menschenhandel und dem Zwang zur Prostitution vorgebeugt werden“ erläutert Anja Butschkau die Intention hinter der Bestimmung. Aber gerne ließ sie sich von den Problemen berichten, um Ansatzpunkte für Verbesserungen zu finden, die sie politisch umsetzen könnte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt und eine zentrale Forderung der Mitternachtsmission als Vertretung der im Gewerbe tätigen Frauen ist ein einfacher und unkomplizierter Zugang zur Krankenversicherung. Bordellbetreiber Setka berichtet in diesem Zusammenhang vom Fall einer 22-jährigen Litauerin, die bei diversen Versicherungen Anfragen stellte.
Zum größten Teil wurde die Mitgliedschaft abgewiesen. In einem Fall berechnete ihr die Versicherung eine monatliche Beitragshöhe von horrenden 1.200 Euro im Monat, da sie einen Risikoberuf ausüben würde. Es mache keinen Unterschied, ob private oder gesetzliche Krankenkasse, beide würden sich oft weigern, die Betroffenen als Mitglieder aufzunehmen.
SPD-Abgeordnete wollen sich im Landtag für die Forderungen stark machen
Für Silvia Vorhauer bestehen aktuell zu viele Hürden für die betroffenen Frauen, um eine Krankenversicherung abzuschließen. Außerdem gäbe es keine einheitlichen Regelungen für Beitragssätze. Diesbezüglich habe die Mitternachtsmission aktuell eine Anfrage an den Spitzenverband der Deutschen Krankenversicherungen gestellt, die sich noch in Bearbeitung befinde.
Anja Butschkau, Carina Gödeke und Volkan Baran zeigten sich zufrieden mit den Entwicklungen in der Linienstraße, nahmen aber auch die Anregungen, Sorgen und Probleme der Betroffenen zur Kenntnis. Ob und in welchem Umfang sie den Bedürfnissen und Forderungen auf politischer Ebene im Landtag gerecht werden können, bleibt abzuwarten. Wichtig für alle Beteiligten ist, dass der Austausch auf Augenhöhe stattgefunden hat und dies auch in Zukunft so fortgeführt wird.
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VHS Dortmund (Pressemitteilung)
Das Nordische Modell in der Diskussion: VHS-Veranstaltung zur Prostitution
Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Die VHS Dortmund organisiert anlässlich des Aktionstags gemeinsam mit der Organisation „Terre des Femmes“ einen Vortrag zum Thema Prostitution.
Im Fokus steht das so genannte Nordische Modell, das Schweden 1998 eingeführt hat. Dabei soll die Nachfrage nach Prostitution eingedämmt werden, indem Freier, Zuhälter und Bordellbetreiber bestraft werden, anstatt Prostituierte zu kriminalisieren. Die Veranstaltung findet statt am Montag, 25. November, 18 Uhr im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (Hansastraße 3).
In einem Vortrag führt Rechtsanwältin Elke Süsselbeck in das Nordische Modell ein und vergleicht es mit der rechtliche Situation in Deutschland, wo das Prostituiertenschutzgesetz gilt. In der anschließenden Diskussion geht es um die Frage, ob und wie das Modell auch für Deutschland ein Lösungsansatz sein kann.
Es diskutieren Dirk Becker, (Polizei NRW Dortmund), Inge Bell (Vorstand „Terre des Femmes“), Andrea Hitzke (Leiterin Dortmunder Mitternachtsmission e.V.), Elke Süsselbeck (Rechtsanwältin) und Birgit Zoerner (Sozialdezernentin der Stadt Dortmund). Die Moderation übernimmt die Moderatorin Sabine Ziemke (u.a. WDR).
Der Eintritt ist frei. Anmeldungen online unter http://www.vhs.dortmund.de (Veranstaltungsnr. 192-51104).