Von Gerd Wüsthoff
Auch eine Woche nach dem Berliner Dieselgipfel sind aus Sicht des Dortmunder und Lüner Handwerks noch zu viele Fragen offen. „Der erhoffte Schlussstrich unter dem Hin und Her beim Diesel ist aus unserer Sicht leider ausgeblieben“, zieht Kreishandwerksmeister Dipl.-Ing. Christian Sprenger die ernüchternde Bilanz. Die Sondersituation, mit „nur“ 14 Städten mit hoher Feinstaubbelastung, ärgert das Kraftfahrzeug-Handwerk in Dortmund. Es sieht darin einen verantwortungslosen Umgang mit den Handwerksbetrieben. Wobei die Autohäuser auch über Stadtgrenzen hinaus an der Seite ihrer KundInnen stehen.
Prävention statt Insellösungen, die den natürlichen und strukturellen Gegebenheiten widersprechen
Eindeutig zu kurz gedacht sind für Christoph Haumann, Obermeister der Kfz-Innung Dortmund und Lünen, die Ergebnisse des Berliner Diesel-Gipfels. „Wir haben immer gesagt, dass die Hardware-Nachrüstung machbar und richtig ist“, so Haumann. Dies betont auch Grünen-Politiker Hofreiter in einem Interview im MorgenMagazin des ZDF.
Vielen Diesel-BesitzerInnen, EinwohnerInnen von Dortmund, und PendlerInnen ist das drohende Dieselfahrverbot für Pkw mit Dieselabgasnorm 1 bis 5 durch das Gericht noch nicht bewusst. Das Urteil steht kurz bevor.
Grundsätzlich steht man im Innungsbezirk dem Ergebnis des Berliner „Diesel-Gipfel“ positiv gegenüber. „Diese Entscheidung war längst fällig und wird von uns begrüßt. Allerdings scheint uns die Koalition gerade ein ,Dieselpaket‘ als Meilenstein verkaufen zu wollen, das mangels fester Finanzierungszusagen der Hersteller eher eine Mogelpackung ist. Und den Flickenteppich der städtischen Lösungen halten wir für ganz misslungen“, erklärt Haumann.
Hier zeigt der Gipfel vor allem Unkenntnis der Gegebenheiten, besonders im Ruhrgebiet und seines Einzugsgebietes. Das Handwerk hatte sich allerdings eine klare, definitive Entscheidung vom „Diesel-Gipfel“ erwartet, vor allem die Hardware Nachrüstung.
„Es macht gar keinen Sinn, Umtauschprämien und Nachrüstungen nur auf Bochum zu begrenzen.“
„Wir haben hier fließende Stadtgrenzen in einem der größten Ballungsgebiete Europas. Wenn wir Westwind haben, kommen die Abgase von Bochum nach Dortmund und bei Ostwind von Dortmund nach Bochum. Es ist absoluter Unsinn, hier eine virtuelle Mauer zu bauen“, so der Obermeister.
„Die Menschen im Ruhrgebiet pendeln nicht nur in die Innenstadt und zurück. Sie fahren auch über die A40 und A43 durch Bochum auf dem Weg zur Arbeit und zurück. Sie ziehen in Berlin ja auch keine Grenze zwischen den Bezirken Charlottenburg und Mitte.“
„Fahrverbote für Diesel will niemand“, so Haumann. Deshalb müssten regionale Lösungen mit Weitsicht beschlossen werden. „Es macht gar keinen Sinn, Umtauschprämien und Nachrüstungen nur auf Bochum und einen kleinen Kreis von Pendlern zu begrenzen.“
Eine vernünftige Lösung muss auch die umliegenden Städte Dortmund, Herne, Gelsenkirchen und Essen sowie den Ennepe-Ruhr-Kreis und den Kreis Recklinghausen einschließen“, vertritt Haumann den Vorschlag der Kraftfahrzeug-Innung Dortmund und Lünen. Darüber hinaus kommen auch Pendler aus anderen Kreisen, wie zum Beispiel Kreis Coesfeld. „Das ist aktive Prävention gegen drohende weitere Fahrverbote. Sie warten ja auch nicht, bis sie die Grippe erwischt hat, sondern gehen vorher zum Impfen.“
Währenddessen sind am 9. Oktober in Berlin Fakten geschaffen worden: das Verwaltungsgericht hat dort Fahrverbote für Fahrzeugtypen mit Dieselabgasnorm 1 bis 5 auf bestimmten Strecken der Hauptstadt angeordnet. Für Dortmund steht die Gerichtsentscheidung noch aus.
Hilfe brauchen auch die Betriebe außerhalb der Brennpunkte mit drohenden Fahrverboten
Für absolut verantwortungslos hält Haumann den Umgang mit den Kfz-Betrieben. „Die Automobilhersteller haben manipuliert, die Politik hat geschludert und die Verbraucher und unsere Betriebe müssen es ausbaden. Schon heute stehen auf den Höfen der Händler bundesweit rund 300.000 unverkäufliche Euro-5 Diesel“, sagt Haumann. Zudem wird der „Never-Ending-Flughafen – Willy Brandt“ als größter Parkplatz für unverkäufliche Diesel PKW verschiedener Hersteller genutzt.
„Durch die Umtauschprämien kommen noch mehr alte Dieselfahrzeuge dazu. Die müssen auch alle umgerüstet werden und wer bitte soll die dann alle kaufen?“, empört sich der Obermeister der Kfz-Innung. „Wo sind im Berliner Diesel-Kompromiss die Interessen der Unternehmen, ihrer Tausenden von Mitarbeitern und deren Familien berücksichtigt?“
Fakt sei, so Haumann, dass weiterhin eine aktive Wert-Vernichtung von guten Autos betrieben werde, die die Existenz vieler Betriebe bedrohe. Solange es Insellösungen statt einer flächendeckenden Hardware-Nachrüstung gebe, sei der Wettbewerb darüber hinaus regional verzerrt. Mögliche Nachrüstungen für ältere Dieselfahrzeuge wären in den Werkstätten nach Einschätzung des Kraftfahrzeuggewerbes schnell umsetzbar. „Ich halte das für lösbar“, sagt der Vizepräsident des Branchenverbandes ZDK, Thomas Peckruhn.
Der „große Wurf“ des Diesel-Paketes hinterlässt verunsicherte Betriebe und Verbrauche
„Die aus unserer Sicht zu begrüßenden Umweltprämien helfen bundesweit nur den Betrieben in deren Region Fahrverbote drohen“, so Haumann. Diese Nachrüstungen betreffen 14 Großstädte und deren Umkreis von 70 Kilometern.
Dass Betriebe des Kfz-Gewerbes in Bochum bald mit vermehrten Umrüst-Aufträgen und einem höheren Absatz an Neu- und Gebrauchtwagen rechnen können, hält Haumann zwar ebenfalls für ein Ungleichgewicht, aber das sei vernachlässigbar. „Auch Dortmunder Kfz-Betriebe haben langjährige Kunden in Bochum und werden Aufträge bekommen“, so der Obermeister. „Wir stehen an der Seite unserer KundInnen und unserer KollegInnen aus den anderen Kfz-Innungen – auch über Stadtgrenzen hinaus.“
Neben dem aktuten Problem des Wertverlustes für Diesel PKW mit Abgasnorm 5 und geringer, stellt die „Diesel-Regelung“ für Unternehmer und ihre Transporter ein unternehmerisches Risiko dar. „Viele Unternehmen haben junge Euro-5-Diesel, die erst vor wenigen Jahren angeschafft wurden. Dafür ist eine Nachrüstung ideal, denn solche Nutzfahrzeuge und Transporter sind erhebliche Investitionen, die für die Betriebe auch mit einer entsprechend langen Nutzungsdauer verbunden sind“, erklärt der Kreishandwerksmeister.
Darüber hinaus hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eine staatliche Förderung der Nachrüstung von Lieferfahrzeugen für Handwerker mit bis zu 80 Prozent in Aussicht gestellt. Jetzt aber sei – nachdem einige Hersteller einen Rückzieher bei der Kostenübernahme gemacht hätten – offensichtlich die gesamte Frage der Finanzierung wieder offen.
Das als Wurf gepriesene „Diesel-Paket“ der Regierung lässt nicht nur die Kfz-Betriebe, Verkauf und Handwerk, aber auch verunsicherte VerbraucherInnen – Diesel-PKW-BesitzerInnen und UnternehmerInnen zurück. Die Kfz-Industrie hatte über Jahre geschummelt und Verbraucher betrogen. Um saubere Abgaswerte zu erhalten, haben sie Betrugs-Software in die Diesel eingebaut. Die KäuferInnen haben im guten Glauben gekauft und sind nun mit Steuernachforderungen konfrontiert.
Zu allem Überfluss sind Diesel der Euro-Norm 5 und geringer höchstens noch mit großem, zu großem, Wertverlust zu verkaufen. Gingen Diesel früher wie die sprichwörtlichen „warmen Semmeln“ weg, stehen sie nun unverkäuflich auf Gebrauchtwagenmärkten.
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Grünen-Fraktion Dortmund (Pressemitteilung)
Wer betrügt, gewinnt – Lässt Diesellösung der Bundesregierung Dortmunder*innen im Stich?
Aus Sicht der GRÜNEN im Rat waren die letzten Tage ein Rückschritt für den Klimaschutz und viele betroffene Bürger*innen auch in Dortmund. Denn mit den enttäuschenden Ergebnissen des sogenannten Dieselgipfels schützt die Bundesregierung nicht die Bürger*innen und die Umwelt, sondern die Industrie. Dazu kommt ein Verhandlungsergebnis auf EU-Ebene, das hinter dem zurückbleibt, was nötig gewesen wäre, um tatsächlich auf den Klimawandel einzuwirken. Verlierer sind damit am Ende alle Bürger*innen – nicht nur diejenigen, die auf den Kosten durch den Dieselbetrug sitzenbleiben.
Ingrid Reuter, Fraktionssprecherin der GRÜNEN in Dortmund:
„Mit der von der Industrie zu bezahlenden Umrüstung von Diesel-Fahrzeugen in nur 14 Städten entsteht ein unbefriedigender Flickenteppich. Noch ist unklar, ob auch im Umkreis dieser 14 Städte Umrüstungen finanziert werden sollen. Das führt zu der absurden Situation, dass Autobesitzer*innen in Bochum die Umrüstung ihres alten Diesels wohl bezahlt bekommen, die Autobesitzer*innen in Dortmund eventuell nicht. Sie wären dann darauf angewiesen, ihren alten Diesel gegen einen neuen zu tauschen. Dabei herrscht in beiden Städten dicke Luft. Denn die Werte für das stark gesundheitsschädigende Stickstoffdioxid lagen 2017 sowohl in Bochum als auch in Dortmund deutlich über den EU-Grenzwerten. Und Luftbelastung macht bekanntlich nicht an Stadtgrenzen Halt.“
Für die GRÜNEN ist es ein Skandal, dass für die Umrüstung auf Kosten der Autohersteller der Grenzwert einfach nochmal angehoben wurde: Statt der geltenden 40 Mikrogramm wurde nun eine Überschreitung von 50 Mikrogramm Stickoxide zugrunde gelegt, um am Ende nur in 14 „Intensivstädten“ tätig werden zu müssen. Hätte man den geltenden Grenzwert genommen, dann hätten Autofahrer*innen in rund 65 Städten ein Recht auf Umrüstung gehabt – auch in Dortmund.
Ingrid Reuter: „Die Autohersteller kommen dabei fein raus. Dabei haben ihre kriminellen Machenschaften massiv dazu beigetragen, dass die Stickoxidwerte auch in Dortmund nicht sinken. Es ist ein Skandal, dass sie dafür weiterhin nicht wirklich zur
Rechenschaft gezogen werden. Es ist völlig unverständlich, warum für die Autoindustrie im Regressfall plötzlich andere Grenzwerte gelten sollen als die von der EU festgelegten, auf die sich auch die Klagen der Deutschen Umwelthilfe beziehen. Durch diese Regelung gibt es nicht nur betroffene Dieselbesitzer*innen zweiter Klasse, Dortmund wird auch mit seinen Bemühungen um die Verbesserung der Luft allein gelassen.“
Auch die aktuellen Verhandlungsergebnisse der EU-Umweltminister*innen sind für die GRÜNEN kein großer Wurf. Denn der Kohlendioxid-Ausstoß von Neuwagen soll nach dem Willen der EU-Staaten von 2020 bis 2030 nur um 35 Prozent sinken. Das ist eine Entscheidung, die allein dem Protestgeschrei und der Verweigerungshaltung der Autoindustrie geschuldet ist. Denn um die im EU-weiten Klimaabkommen festgelegten Klimaziele zu erreichen und die Emissionen aus dem Straßenverkehr spürbar zu drücken, hätte diese Zahl deutlich höher sein müssen.
Ingrid Reuter: „Das alles heißt für uns in Dortmund, dass die Maßnahmen, die jetzt für das Konzept „Emissionsfreie Innenstadt“ weiter qualifiziert werden, noch mutigere Schritte zu einer echten Verkehrswende beinhalten müssen: Das bedeutet weniger Autoverkehr in der Stadt und mehr schadstofffreie Alternativen. Bei den beiden großen Fraktionen im Rat ist dafür jetzt die entsprechende Unterstützung gefragt, damit am Ende nicht alle Dortmunder Bürger*innen verlieren. So sollte auch der Radschnellweg Ruhr, zu dem wir kürzlich bei der Verwaltung einen Sachstand angefragt haben, schnellstmöglich in Dortmund realisiert werden.“
Initiative „Garten statt ZOB“
Am Wochenende besteht das minimalistische Mahnmal der Initiative „Garten statt ZOB“ am Hauptbahnhof sieben Jahre. Es ist unklar, wie lange es noch gepflanzt bleiben mag. Politik und Verwaltung der Stadt hatten beruhigend gesagt, der Standort des ZOB werde hier nur vorübergehend sein. Nun soll er bleiben. Und Platz bieten für doppelt so viele Fernbusse als hier jetzt schon ankommen und abfahren! Und er soll hochgelegt werden auf die Gleisebene – die Busse müssen aufwärts und abwärts zusätzlich ‚gas geben‘! Ein Schildbürgerstreich erster Güte.
Die Initiative hat die aktuellen Planungen zum Anlass genommen, sie erneut zu analysieren und zu kritisieren. Vor allem die Standortfrage muss auf der Basis neuer Entwicklungen und Erkenntnisse neu beantwortet werden – Umweltgerechtigkeit und Gesundheitspolitik, Verkehrsproblematik und soziale Gerechtigkeit müssen Eingang in die Planung und die notwendigen Abwägungsprozesse finden. Wir haben dazu Vorschläge gemacht: Wohin mit dem ZOB? Unten belieben! – vgl. https://www.gartenstattzob.de/
Der Geburtstag ist kein Anlass zu feiern. Aber ein Anlass, sich wieder einmal vor Ort zu treffen und Informationen und Gedanken auszutauschen. Und auch ein bisschen den schönen Wildwuchs im ‚Garten‘ zu bändigen.
Wir treffen uns am Samstag, den 13. Oktober 2018 um 14 Uhr