Die besten Wünsche gab’s für den Heimweg: „Viel Spaß bei der nächsten Kränkung!“, ruft Bärbel Wardetzki, Referentin des Abends, abschließend ins Publikum. Es folgt ein heiteres Lachen, alle haben verstanden. Was wie bittere Ironie klingt, darin steckt ein gut gemeinter Rat der promovierten Psychologin aus München. Dessen Quintessenz ist die ihres Vortrages, den sie gerade über die „Macht der Kränkung“ im Clearinghaus der AWO in Dortmund-Eving gehalten hat. Er könnte lauten: Bleiben Sie locker, wenn Sie merken, dass etwas ihre Seele zum Brennen bringt! Damit die Kränkung nicht zur Ohnmacht wird!
Was ist der Mensch? Therapeutin Bärbel Wardetzki: Menschen sind verletzliche, „kränkbare Wesen“
Eingeladen hat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Unterbezirk Dortmund: vorwiegend sind es MitarbeiterInnen aus dem eigenen Haus, die an der Veranstaltung „Mitgedacht“ teilnehmen. Sie sind dort beschäftigt, wo es um Menschen geht, daher hier genau richtig: zweimal im Jahr sollen in der beliebten Vortragsreihe gewichtige Lebensthemen diskutiert werden.
Einleitend dazu ruft Christopher Frentrup, Leiter des AWO-Betriebs „Hilfen zur Erziehung“, den Philosophen Kant und dessen vier Grundfragen der Vernunft in Erinnerung. Die sind keineswegs nur von akademischem Rang, sondern es geht auch um das, was uns alle als Menschen angeht, letztlich darum, was wir als Mensch sind – und wie wir miteinander umgehen (sollten).
Es sind Fragen, die sie sich jeder stellen kann, im Arbeitsleben, in einer Beziehung. Zumal bei einer gewissen Konsequenz eigene Verhaltensweisen im Alltag von den Antworten nicht unberührt blieben.
An diesem Abend geht es in dem gut gefüllten Vortragsraum um „Kränkung“, darum, was jeder als Seelenschmerz schon erfahren hat, und immer wieder erfahren wird. Denn wir sind als Menschen fragil; verletzliche, „kränkbare Wesen“, wie Dr. Bärbel Wardetzki, sagt.
Das Fragespektrum: Was ist eine „Kränkung“, was bewirkt sie, wie können wir damit umgehen?
Daher sollten wir aufeinander Acht geben, das ist klar: uns selbst mit dem Blick des Anderen sehen wie den Anderen durch uns selbst. Dazu gehört, weil das eigentlich nie wirklich ganz klappt, mit dem Scheitern umzugehen: wenn wir einen Menschen verletzt haben oder selbst verletzt worden sind.
Letzteres ist für Bärbel Wardetzki als Psychologin und Psychotherapeutin seit vielen Jahren Gegenstand ihres Interesses, darüber trägt sie vor: wie wir uns in solchen Fällen des Gekränktseins selbst helfen können.
Die ZuhörerInnen können jetzt mindestens drei Rollen einnehmen: die kränkbarer SozialarbeiterInnen, von KlientInnen, denen sie in ihrer Verletzung beistehen sollen, schließlich ist da die Privatperson. Insofern ist es Lebensberatung wie Fortbildung, wenn die Referentin zu erklären versucht, was es mit der „Macht der Kränkung“ auf sich hat, der sie bereits in zahlreichen Veröffentlichungen auf der Spur gewesen ist.
Wie es dazu kommt, es sich anfühlt, was es unter Umständen mit uns macht, wenn die Seele brennt, die Sinne flackern, Enttäuschung und Schmerz bohren, ich mich in meiner Würde verletzt fühle. Vor allem aber: was wir dagegen tun können, in jeder Phase des Unglücks, um mit der Kränkung nicht auf unbestimmte Zeit leben zu müssen, ihre Macht zu brechen.
Persönliche Verletzungen bedrohen das Selbstwertgefühl an einem „schwachen Punkt“ – mit Geschichte
Aus ihren langjährigen Erfahrungen als Psychotherapeutin weiß Bärbel Wardetzki: die Erklärung für so manch vordergründige Diagnose sind nicht aufgearbeitete Kränkungen.
Abgesehen davon, dass sie uns möglicherweise körperlich krank machen, erzeugen sie, wenn nicht Trauer, dann häufig Wut, die zu Rückzug, nicht selten aber auch zu Aggression und Gewalt – oder auf kollektiver Ebene gar zu Kriegen führen kann.
„Kränkungen“ entstehen in Interaktionszusammenhängen. Es handelt sich um Verletzungen der Psyche, dort, wo unsere schwachen Punkte sind: wo wir ein Wort, eine Tat „persönlich“ nehmen, wie es umgangssprachlich heißt. Wo unser Selbstwertgefühl, unsere Würde bedroht ist, weil basale menschliche Bedürfnisse unerfüllt bleiben: etwa nach Anerkennung im Beruf, nach Geborgenheit in der Liebe, nach Wirksamkeit im Leben. Gilt dies generell?
„Individuelle Verwundbarkeit liegt dort, wo es in der Vergangenheit häufiger zu Selbstwertverletzungen gekommen ist“, präzisiert die Referentin. Tiefenpsychologisch orientiert, führt für sie an dieser Stelle kaum ein Weg an Kindheitserlebnissen vorbei. Hier müsste es fortgesetzt zu bestimmten Arten von Kränkungen gekommen sein, die spezifische Vulnerabilitäten erzeugen.
Raus aus Wut oder Trauer: Opfer von Kränkungstaten tragen allein gegenüber sich selbst Verantwortung
Wem es beispielsweise früh und dauerhaft an Aufmerksamkeit der Eltern mangelte, dem sollte als Erwachsener gut zugehört werden, sonst ist sein Narzissmus bedroht und Kränkung durch Unaufmerksamkeit wird wahrscheinlicher. Andere, nicht aus jungen Jahren herrührende Dispositionen für Verletzbarkeit, etwa durch ein späteres Trauma, geraten ein wenig aus dem Blick.
Ein weiterer kritischer Punkt im Konzept der Referentin sind ihre Empfehlungen, wie Opfer von Kränkungstaten mit einem solchen Ereignis umgehen sollten. Eine Befreiung aus dem „grauen Kränkungssumpf“, einer Art „Gemengelage von Gefühlen und Zuständen“, soll nämlich nur unter einer Voraussetzung möglich sein. Die lautet: die Opfer müssen anerkennen, dass sie allein die Verantwortung dafür tragen, ob eine Kränkungstat zur persönlichen Verletzung wird oder nicht.
Sie müssen sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Wie? Sich der eigenen wunden Punkte bewusst werden, das potentiell Verletzende anerkennen; statt aus Kränkungswut einen „bösen Täter“ zu konstruieren; mit „konstruktiver Wut“ Grenzen setzen, ohne zu verurteilen, gelassen bleiben, erklärt die Psychologin.
Für Psychotherapie: unzureichende Trennschärfe zwischen „Kränkungen“ und Traumata/PTBS
Und was ist mit Traumata? „Jedes Trauma beinhaltet eine Kränkung“, definiert sie. – Geht das? Wie kann ich mich etwa nach einer traumatischen Vergewaltigung selbst dafür verantwortlich machen, dass ich die Verletzung meiner Würde wie Selbstachtung weiterhin nur als das empfinden kann, was da ist: Schmerz, Schmutz, Zweifel.
Wenn sich nach dem brutalen Einbruch in meine körperliche Integrität deshalb keine Gelassenheit einstellt, meine Wut mir alles andere als konstruktiv vorkommt? Wenn ich sowieso schon unter Schuldgefühlen leide, mir noch die Schuld dafür geben soll, den Schmerz nicht überwinden zu können.
Es bleiben am Ende des Vortrags theoretische Unklarheiten. Vor allem durch die wenig trennscharfe Differenzierung zwischen „Kränkung“ und „Trauma“ und in diesem Zusammenhang die Übertragung der alleinigen Verantwortung auf das Opfer für sein psychisches Wohl, erscheint das Therapiekonzept problematisch.
Denn es scheint wenig sensitiv gegenüber der Schwere psychischer Verletzungen zu sein. Zwischen einer ungerechtfertigten Kritik des Chefs und einem schweren Trauma mit Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) liegen Welten.
Trotz ungeklärter Fragen: Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in Handlungsfeldern des Alltags
Fruchtbarer ist das Konzept, wird es auf die eher alltäglichen Konflikte angewandt, in denen weniger gravierende Kränkungen eine Rolle spielen, die aber zu erheblichen Folgen führen können. Als lebenspraktischer Ratgeber ergeben sich erstaunliche Anwendungsmöglichkeiten und Einblicke, vor allem in die Arbeitswelt.
Mobbing – zugelassen von Vorgesetzten – etwa entpuppt sich häufig als Folge nicht aufgearbeiteter Kränkungen; Wut durch Kränkung am Arbeitsplatz kann dazu führen, dass jemand pünktlich den Bleistift fallen lässt oder es zu Beziehungsabbrüchen kommt.
Ein sensitiver Handlungsbereich ist „die Kritik“. Durch sie fühlten sich Menschen schnell entwertet, könnten alles über Bord zu werfen. Auch hier wieder die Opferperspektive: Wer kritisiert würde, müsse zuhören und danach differenzieren, was Sinn, was keinen mache, dort Grenzen setzen. Konsequenz ist auf jeden Fall: das Opfer ist verantwortlich für sich selbst; leidet es, gilt Eigenverantwortlichkeit.
Es passt einiges nicht zusammen, an diesem Tag. Worin kein Nachteil liegen muss, denn Dissens wirkt auch befruchtend; anregend war er allemal, daher ein guter Tag für „Mitgedacht“.
Weitere Informationen:
Veröffentlichungen von Bärbel Wardetzki zum Thema „Kränkungen“
- Nimm’s bitte nicht persönlich. Der gelassene Umgang mit Kränkungen. München 2012
- Kränkung am Arbeitsplatz. Strategien gegen Missachtung, Gerede und Mobbing. München 2005
- (zus. mit Dorothea Cüppers) Mich kränkt so schnell keiner! Wie wir lernen, nicht ales persönlich zu nehmen. München 2001
- Ohrfeige für die Seele. Wie wir mit Kränkung und Zurückweisung besser umgehen. München 2000