Von Robert Bielefeld
Die Pflegekrise zieht bereits seit geraumer Zeit tiefe Risse durch die Pflegelandschaft Deutschlands. Im Rahmen dessen macht sich die frühere Dortmunder CDU-Landtagsabgeordnete Claudia Middendorf – mittlerweile Pflegebeauftragte der NRW-Landesregierung – auf eine große Sommertour durch Nordrhein-Westfalen. Sie will sich vor Ort bei einzelnen Pflegeinstitutionen über Notstände informieren, um dann im Bereich der Alten- und Behindertenpflege für Verbesserungen zu sorgen. Doch bei ihrer ersten Station bei der Caritas in Dortmund dämpfte sie gleich Erwartungen auf schnelle Fortschritte.
Caritas Dortmund wirbt für ihr Konzept mit PflegeberaterInnen
Dass es in der Pflege Probleme gibt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Als „stark ausbaufähig“ bezeichnete Jörg Hartmann, Abteilungsleiter der Caritas-Sozialstation in Hörde, die Personalsituation in der Pflege. Zugleich warb er beim Besuch von Middendorf für das Caritas-Konzept der sogenannten PflegeberaterInnen.
Diese sollen die Angehörigen auch nach der Entlassung der Pflegebedürftigen weiter beraten. „60 Prozent der Patientinnen und Patienten sind nach der Krankenhausentlassung unfallgefährdet”, erklärt Caritas-Pflegeberaterin Barbara Egbert. Durch die Pflegeberaterinnen und -berater – in Krankenhäusern gibt es sie in der Regel nicht – könnten die Menschen über Risiken aufgeklärt und Unfälle von vornherein vermieden werden.
Allerdings grenzen sich die verschiedenen Institutionen bisher von einander ab. Das behindert die Schaffung dieser Stellen – ein Hindernis, wenn es darum geht, die bestmögliche Pflegeleistung zu erbringen. „Wir haben all diese funktionierenden Systeme, die aber voneinander getrennt sind und nur schwer miteinander kommunizieren“, berichtet Hartmann.
Diese erschwerte Kommunikation in Kombination mit einem allgemeinen Personalmangel macht den Pflegekräften das Leben schwer. Statt Akten zu pflegen, würden sie lieber Patienten pflegen. Eine im Gespräch anwesende Caritas-Mitarbeiterin kommentierte: „Die meisten Kollegen wünschen sich ein oder zwei Hände mehr; das würde den Alltag schon wesentlich angenehmer machen.“
Viel Stress und schlechte Bezahlung schreckt potenziellen Pflegenachwuchs ab
Doch selbst die Caritas, die mit anderen Wohlfahrtsverbänden wie der AWO oder der Diakonie mit gerechterer Bezahlung als viele private Pflegeanbieter auf dem Markt aktiv sind, bleibt die Branche für viele potenzielle Auszubildende unattraktiv – oder sie arbeiten nicht lange in ihrem erlernten Beruf.
„Wir bilden momentan doppelt bis dreimal so viele Kräfte wie in den Vorjahren aus, doch viele der Teilnehmer nutzen die Ausbildung lediglich als Sprungbrett für ein Studium oder steigen komplett aus“, bedauert Jörg Hartmann.
Vor allem die jüngeren Generationen seien eingeschüchtert von der Verantwortung im Beruf. „Häufig ist man vor allem im ambulanten Dienst sogar alleine unterwegs und muss dementsprechend auch die Verantwortung tragen können“, fügt eine Mitarbeiterin hinzu.
„Die Politik kann nicht alles“ – Pflegebeauftragte will Lösungen durch Kooperation der Träger
Um den schlechten Arbeitskonditionen im Berufsalltag der Altenpflege entgegenzuwirken, plant Middendorf vorerst die Etablierung der lang ersehnten Pflegekammer. Die Pflegekammer soll den bislang wenig beachteten Problemen der Pflegenden eine Stimme geben und das Klima innerhalb der Branche zugunsten der ArbeitnehmerInnen verbessern.
Direkte Maßnahmen zur Regulierung der Arbeitsbedingungen sind seitens der Regierung jedoch nicht geplant. Middendorf möchte das Problem von einer anderen Seite angehen, denn so sagt die Pflegebeauftragte auch: „Die Politik kann nicht alles, ab einem gewissen Punkt müssen auch die Träger Verantwortung für Probleme in der Pflege übernehmen.” Die Träger sind in diesem Fall die Institutionen, die die Pflege bereitstellen.
Die Pflegebeauftragte bemängelte vor allem die Behandlung von MitarbeiterInnen durch profitorientierte Pflegeunternehmen, die auch dafür verantwortlich seien, dass sich Lohnsituation und Arbeitsqualität so negativ entwickelt hätten.
Pflegeschulen ausbauen – mehr Ausbildungsstellen in ländlichen Regionen
Zudem steht auch die Erweiterung von Pflegeschulen auf dem Programm der Landesregierung. Als Örtlichkeiten sind hierfür bereits existierende Lehreinrichtungen im Saarland ausgewählt.
Insgesamt sollen die Kapazitäten der Schulen um rund 200 Plätze steigen. Konkrete Daten zur Verwirklichung der Maßnahmen wurden jedoch nicht genannt. Der Startschuss soll jedoch nächstes Jahr fallen.
“Es wird ein langsamer Prozess, der schrittweise ablaufen wird”, warnt Middendorf übertriebene Erwartungen an die Landesebene. Sichtbare Ergebnisse sind laut der NRW-Pflegebeauftragten erst im Jahr 2030 zu erwarten.
Dennoch gibt sich Jörg Hartmann trotz allem optimistisch: „Noch nie gab es so viel positive Bewegung im Feld der Pflege. Wenn es jetzt nicht klappt, wann dann“, betont der Caritas-Abteilungsleiter in Hörde. Auch wenn eine kurzfristige und qualitativ angemessene Lösung nicht in Sicht ist, hofft er doch auf die versprochenen Langzeitpläne der Pflegebeauftragten.
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Der Typ aus der Stadt
Pflegekrise, Pflegenotstand, wie auch immer man es nennt, es ist leider hausgemacht. Immer wieder wird in den Medien das Argument gebracht, es gäbe zu wenig ausgebildete Pflegekräfte. Jörg Hartmann weist darauf hin, wo eines der diesbezüglichen Probleme tatsächlich sitzt. Egal in welchem Fachseminar, APM, DRK, Grone, Cansinius und so weiter oder welchem Betrieb die Altenpflegehelfer oder Altenpfleger (examiniert) ausgebildet werden – weit mehr als die Hälfte arbeitet nach der Ausbildung nicht einen Tag in dem soeben erlernten Beruf. Arbeitsbedingungen, Entlohnung, Überforderung durch Missmanagement und falsche Personalplanung machen den jungen und eigentlich willigen Menschen schon während der Ausbildung den Garaus. Die ausgebildeten Fachkräfte und Helfer sind eigentlich da. Hauptsache Gesundheitsminister Jens Spahn will eine halbe Million Pflegekräfte den Arbeitsmärkten in Albanien und dem Kosovo entziehen. Egal wie dann da drüben mit ihrem eigenen Pflegenotstand klar kommen.
APH-Schülerinnen werden angewiesen Behandlungspflege auszuführen welche Altenpflegern (examiniert, mit den entsprechenden Behandlungsscheinen LG 1 + 2 n. §§ 132, 132 a Abs. 2 SGB V) vorbehalten ist – und könnten mangels des Hintergrundwissens jederzeit damit Menschen töten. Sollen ohne entsprechende Ausbildung Dekubiti Grad III/IV mit nekrotischer Taschenbildung versorgen – an denen sie schlichtweg rein gar nichts verloren haben. Selbst mit dem falschen Anziehen von Kompressionsstrümpfen kann man den Patienten schweren Schaden zufügen oder im schlimmsten Fall jemanden töten, weshalb das Ausziehen in die Leistungsgruppe 1 und das Anziehen sogar in die Leistungsgruppe 2 gehört und damit entsprechenden Fachkräften (examiniert) vorbehalten ist. „Zieh mal eben Frau Müller die Strümpfe an!“, keine wirklich seltene Anweisung an Praktikanten oder APH-Schüler.
Eine einzelne Fachkraft kurz nach der Ausbildung wird selbst erkrankt und arbeitsunfähig nachts mit einer ganzen Station alleine gelassen, auf der fast alle Bewohner an einer hochsteckenden Erkrankung leiden. Vorgesetzte und Kollegen nicht zu erreichen. Eigentlich muss die Feuerwehr so eine Station sofort schließen und alle Bewohner auf Isolierstationen in den umliegenden Kliniken verteilen – die Fachkraft eingeschlossen. Konsequenzen trotz Todesfall? Keine.
Pflegeschüler lernen in den Fachseminaren den richtigen Umgang mit hoch kontaminierten Patienten, Wäsche, Pflege- und Behandlungsutensilien und verstehen die Welt nicht mehr, wenn sie ohne Schutzkleidung und sogar ohne Handschuhe infektiöse Patienten – auch im Intimbereich – waschen sollen. Wo Handschuhe definitiv auch bei nicht infektiösen Patienten einfach schon wegen der Hygiene standard sind. Zum Eigenschutz der Pflegekräfte und Verschleppungsschutz. Sind total verstört, wenn sie ein Zimmer betreten und Bewohner seit etlichen Stunden in Kot und Urin liegen, der in der Bettwäsche schon so angehärtet ist, dass dieser arme Mensch da mindestens seit kurz nach Beginn der vorherigen Schicht vor sich hin leidet.
Wer kann es den jungen Menschen verübeln, diesen Beruf unter solchen Bedingungen niemals ausüben zu wollen, solange sich die Bedingungen nicht massiv und schnell ändern?
Die Wohlfahrtsverbände dürfen hier nicht so große Töne spucken. In der ambulanten Pflege beispielsweise gibt es privatwirtschaftliche Unternehmen, die qualitativ dramatisch besser arbeiten, deutlich mehr zahlen, viel bessere Arbeitsbedingen und Betriebsklima bieten, vorbildlich ausbilden und ihre Auszubildenden nicht im Stich lassen. Die Qualität der stationären Häuser ist auch bei den Wohlfahrtsverbänden fürchterlich unterschiedlich und es gibt Häuser, denen seitens der Fachseminare für Altenpflege die Zusammenarbeit aufgekündigt wurde.
Ohne bestimmte Sachen knallhart gesetzlich zu regulieren, wird sich vieles immer der Schere der Profitmaximierungsinteressen und dem begrenzt zur Verfügung stehenden Geld für Pflege unterordnen. Schaut man sich in bestimmten stationären Einrichtungen mal genauer um stellt man fest, dass obendrein eine Kontrollbehörde mit knallharten Sanktionsmöglichkeiten und ordnungsrechtlichen Befugnissen fehlt. Ob MdK oder chronisch unterbesetzte Heimaufsicht bellen oder eine Ordnungsbehörde mit knallharten ordnungsrechtlichen Maßnahmen unter Frist von wenigen Tagen oder in schlimmsten Fällen weniger Stunden eine Mängelbeseitigung anordnen und schwer sanktionieren kann dürfte wohl ein wirksamer Unterschied sein. Und da Heimaufsicht hier mal den Ländern und dort man den Kreisen oder Kommunen untersteht und die Konsequenzen beinahe lachhaft sind, muss da härter durchgegriffen werden und die Aufsichtsbehörden deutlich mehr Personal und Möglichkeiten erhalten.
Da muss (nicht nur) die gute Frau Middendorf noch ganz schön dicke Bretter bohren.