HMKV präsentiert Dortmunder Filmemacherin Silke Schönfeld

Zwischen Fiktion und Dokumentation: Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten

Plakatmotiv zur Ausstellung der Dortmunder Filmemacherin Silke Schönfeld: „You Can‘t Make This Up” heißt so viel wie: Kannst du dir nicht ausdenken und beschreibt das Spannungsfeld ihrer Filme zwischen Dokumentation und Fiktion. Gestaltet wurde es von der Dortmunder Agentur Ten Ten Team. Schönfeld / Ten Ten Team

Heimspiel für Silke Schönfeld: Die Filmemacherin aus der Dortmunder Nordstadt zeigt fünf ihrer teils preisgekrönten Arbeiten in einer stimmungsvoll inszenierten Ausstellung im Hartware MedienKunstVerein (Dortmunder U). Überaus sensibel und in ausdrucksstarken Bildern erzählt sie ganz unterschiedliche Geschichten über schwierige Themen wie Missbrauch, die Neue Rechte oder auch den Strukturwandel im Ruhrgebiet, in denen das Private stets auch Ausdruck des Politischen ist.

Von den Kurzfilmtagen zum Kurzfilmpreis bis nach Cannes

Silke Schönfeld studierte Bildende Kunst an den Kunstakademien in Münster und Düsseldorf. Tommy Scheer

Für Silke Schönfeld ist es nicht die erste Einzelausstellung, aber die Show im Hartware MedienKunstVerein (HMKV) ist für sie etwas ganz Besonderes. Seit 2007 lebt sie in der Nordstadt und ist „Fan“ der Arbeit des Vereins, „denn hier gibt es eine ganz besondere Wertschätzung für das Medium.“

In der Ausstellung werden fünf Filme präsentiert – darunter eine Neuproduktion und ein Film, der bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen den NRW Wettbewerb gewann, 2023 den Deutschen Kurzfilmpreis erhielt und bei den Filmfestspielen in Cannes seine internationale Premiere feiern durfte.

Nüchterner Blick hinter die Kulissen der Neuen Rechten

Ausgangspunkt für ihre Arbeit sei immer ein persönliches Interesse am Thema, so die Künstlerin, und „eine Ambivalenz, die den Wunsch weckt hinter die Kulissen zu schauen und Vorurteile – auch die eigenen – zu hinterfragen.“ Persönliche Geschichten dienen als Basis für die weitere filmische Analyse. Stets geht es aber um mehr als die individuelle Betroffenheit – Schönfeld interessiert sich für die Strukturen dahinter.

Szene aus: Ein Prozent – imagined communities (Video, 8 Min., 2019) DoP: Tommy Scheer

Ihr frühester Film in der Ausstellung ist von 2019 – sein Thema leider aktueller denn je. Im Netz stieß die Künstlerin auf Propagandafilme des Vereins „Ein Prozent für unser Land“, der sich nach eigenen Angaben den „patriotischen Protest gegen die verantwortungslose Politik der Masseneinwanderung“ zur Aufgabe gemacht hat.___STEADY_PAYWALL___

Silke Schönfeld begab sich an Originalschauplätze, wie das sächsische Oybin und fing Orte und Atmosphäre mit eher unaufgeregten, nüchternen Kamerabildern ein. In Kombinationen mit den Propagandatexten der Neuen Rechten führt dies beim Betrachten des Films allerdings zu einem unangenehmen Gefühl und der bedrückenden Erkenntnis, dass die aktuellen politischen Entwicklungen keinesfalls aus dem Nichts kommen.

Welche Wertvorstellungen gelten? Welche gilt es zu überwinden?

Vielleicht waren es ähnliche Erkenntnisse, die Silke Schönfeld auch zu den privaten Wurzeln führten. Ihr aktueller Film „Die Unvorzeigbarkeit dessen, was nie hätte geschehen sollen“ befragt die eigene Familie zu den Erfahrungen der Nachkriegszeit und zeigt: die Wurzeln liegen tiefer.

Filmszene aus: Die Unvorzeigbarkeit dessen, was nie hätte geschehen sollen. (Video, ca. 18 Min., 2024) Tommy Scheer

Mutter und Tante sind die Protagonistinnen, denen wir im Garten beim Blättern durchs Familienalbum über die Schulter schauen dürfen. Es geht um ihre Jugend, ihr Aufwachsen und die Erziehungsideale des Faschismus.

Die Tante erinnert sich an einen Lehrer namens Goebbels – und der war tatsächlich ein Neffe des nationalsozialistischen Reichspropagandaministers Jospeh Goebbels. Ein Mann mit Wertvorstellungen, wie sie auch im Buch „Die Deutsche Mutter“ propagiert wurden.

Das Buch war nach dem Krieg zwar verboten, wurde aber teilweise überarbeitet und dann als „Die Mutter“ noch bis 1987 verlegt. „Solche Kontinuität dürfen wir nicht vernachlässigen, wenn wir uns fragen, wo wir heute stehen und was uns prägt“, findet Schönfeld.

Der Kirschbaum im Garten – ein Symbol für Missbrauch und Befreiung

Auch der preisgekrönte Film „Ich darf sie immer alles fragen“ beschäftigt sich mit der eigenen Familiengeschichte. Schönfeld bricht mit einem Tabu und thematisiert den Missbrauch ihrer Mutter durch deren Vater, ihren Opa.

Szene aus: Ich darf sie immer alles fragen (Video, 15 Min., 2023) Tommy Scheer

2007 verstarb er – 15 Jahre später finden Mutter und Tochter einen gemeinsamen Weg, das Geschehen zur Sprache zu bringen. Die Mutter gestaltet den Garten neu und läßt den Kirschbaum fällen, den ihr Vater einst pflanzte. Die Tochter begleitet die Arbeit mit der Kamera.

Die Gartenarbeit wird zur Therapie, der Kirschbaum zum Symbol. Schönfeld nähert sich dem Thema behutsam, beobachtet ruhig und mit viel Liebe für Details. Wir sehen Fotos der Kinder und wir erfahren nicht, wen wir sehen – aber wir bekommen eine Ahnung. Das Wesentliche wird spürbar, ohne das jemand bloß gestellt wird.

Für ihre Mutter war dieser Film auch ein Stück Befreiung und Selbstbehauptung, berichtet Schönfeld: „Ich habe mich mit ihr zusammen an Grenzen herangetastet. Ich wollte nicht, dass sie nur mir zu Liebe mitmacht.“ Am Ende steht ein Film, der „gleichermaßen Aufklärung und Heilung ist.“

#MeToo und seine Folgen: Wie weit willst du gehen?

Ein besonderes Verantwortungsgefühl gegenüber den Menschen die sie filmt, ist bezeichnend für die Regisseurin – und sie macht es auch grundsätzlich zum Thema. In ihrem Film „No More Butter Scenes“ untersucht sie das Verhältnis von Zustimmung und Intimität im Kontext des Schauspielberufs.

Szene aus „No more Butter Scenes“ mit Lola Fuchs und Mervan Ürkmez Presse HMKV

Lola Fuchs und Mervan Ürkmez spielen die Hauptrollen in einem Interview, das anfängt wie ein PR-Spaß – doch während die beiden einen Blick hinter die Kulissen gewähren, kippt die Stimmung. War alles wirklich ein Spaß? Wer ist Opfer, wer Täter?

Der Titel ist eine Anspielung auf die Erlebnisse der Schauspielerin Maria Schneider in einer Sexszene für den Film „Der letzte Tango von Paris“ (1972). Die Szene wurde später als „Butterszene“ berühmt, aber Schneider, damals 19 Jahre alt, wußte nicht, was ihr beim Dreh genau widerfahren würde und spielte mit.

35 Jahre später sprach sie über den Vorfall, den sie als Vergewaltigung erlebt hat und im Zuge der #MeToo-Bewegung bekannten viele Schauspieler:innen ähnliche Erfahrungen mit emotionalen Übergriffen.

Szene aus: No More Butter Scenes (Video, 30 Min., 2024) Tommy Scheer

Heute werden zumindest teilweise für besondere, emotional anspruchsvolle Szenen sogenannte Intimitätskoordinator:innen beschäftigt. Sexszenen, Gewalt – „wie können wir hier einen Ausdruck finden und dennoch dafür sorgen, dass Schauspieler:innen emotional unversehrt aus der Szene hervorgehen?“, fragt sich auch Schönfeld.

Für „No More Butter Scenes“ arbeitete sie mit der Intimitätskoordinatorin Teresa Maria Hager und zeigt auch im Film, wie sich die Schauspieler:innen beispielsweise über den „boundary check“ mit den Händen darüber verständigen, welche Körperstellen berührt werden dürfen und welche nicht. Hager wird ihre Arbeit übrigens im Kontext des Rahmenprogramms zur Diskussion stellen.

Samtvorhänge als Protagonisten – Film als Schutzraum

Schönfelds Filme gewähren uns intime Einblicke und haben ihre Stärke besonders in den Zwischentönen – dann, wenn der Kamera-Fokus von den Gesprächspartner:innen weg und ins Detail geht. Der Kirschbaum im Hintergrund, der Schatten eines McDonald-Logos, ein Banner an der Hausfassade – die Dinge beginnen zu erzählen und eröffnen uns eine weitere Ebene.

Ausstellungsansicht: Bunte Vorhänge trennen die einzelnen Filmräume voneinander und schaffen eine besondere Atmosphäre. Foto: David Kleinekottmann (HMKV)

Das gilt übrigens auch für den Ausstellungsparcours. Die fünf Filme werden in eigenen Räumen präsentiert, die durch farbige Samt-Vorhänge gebildet werden. Drinnen steht man mal auf einem Plüschteppich, wie im Kinosaal, dann wieder an einer Holzbank, wie im Garten.

Die Vorhänge sind mehr als Ausstellungsdesign, „sie haben etwas Körperliches, sind selbst Protagonisten“, findet Inke Arns, Direktorin des HMKV und Kuratorin der Ausstellung. Tatsächlich machen sie die Ausstellung noch einmal mehr zu etwas Besonderem: Wir sitzen im Dunkeln, wie in kleinen samtigen Schneckenhäusern und schauen in eine andere Welt. Der Kinoraum, der Filmraum, er ist unser Schutzraum und ermöglicht uns Verhüllung und Enthüllung gleichermaßen.

Weitere Informationen

  • Silke Schönfeld: „You Can‘t Make This Up” läuft noch bis zum 02. Februar 2025 im HMKV im Dortmunder U, Eintritt frei /
  • Öffentliche Führung jeden Sonntag und Feiertags, 16 Uhr / Sonntag 27.10.2024, 15:00 Uhr auf Englisch und Samstag 9.11.2024, 15:00 Uhr auf Ukrainisch
  • Umfangreiches Rahmenprogramm auf der Website zur Ausstellung, darunter auch der Talk: Choreographing Intimacy, am 06.12.2024 ab 19:00 Uhr

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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