Bund und Länder haben lange um eine Bezahlkarte für Geflüchtete gestritten. Die Konferenz der Ministerpräsident:innen hat die Einführung beschlossen, aber jedes Bundesland kann das Vorhaben selbst ausgestalten. In NRW ist die Verwirrung noch größer: Jede Kommune soll selbst entscheiden können, ob sie die Bezahlkarte einführt – aber dann auch selbst die Kosten tragen. Nach Kritik signalisierte Ministerpräsident Wüst, dass das Land bei den Kosten dafür helfen werde. Im Rat der Stadt Dortmund wurde jetzt die Einführung einer solchen Karte sehr kontrovers diskutiert und letztendlich abgelehnt.
„Wir wollen keine Abschreckungskarte. Wir halten das für unnötig und unwürdig“
Die Fraktion FDP/Bürgerliste hatte geradezu enthusiastisch die Einführung einer Bezahlkarte für Flüchtlinge gefordert. Dem gegenüber stand ein gemeinsamer Antrag von Grünen und SPD, der sich gegen eine Einführung aussprach, so lange es keine landesweite Einführung gibt. Und selbst dann gibt es zahlreiche Bedenken und Vorbehalte. Damit trugen die Ampel-Parteien aus Berlin in Dortmund den Koalitionskrach auf lokaler Ebene weiter aus.
„Wir wollen keine Abschreckungskarte. Wir halten das für unnötig und unwürdig“, sagte Jenny Brunner (Grüne). Sie kritisierte den Überbietungswettbewerb der Länder. „Ich finde es schon verwunderlich, dass die Partei, die sich das Thema Freiheit auf die Fahnen schreibt, jetzt mit Gängelungen und Verboten kommt“, hielt sie der FDP vor.
Die Partei solle sich lieber mit Wohnungsmangel, Fachkräftemangel, Kita- und Schulbau beschäftigten. „Es gibt genügend Probleme. Beschäftigen sie sich damit“, so Brunner.
Michael Kauch (FDP/ Bürgerliste) reagierte darauf ebenso getroffen wie scharf: „Ich möchte sie daran erinnern, dass es die Bundesregierung ist, die gemeinsam mit den Ministerpräsidenten aller Parteien außer der CSU diese Bezahlkarte beschlossen hat. Es geht nicht, dass Sie in Berlin A sagen und in Dortmund B tun und den Koalitionspartner angreifen“, echauffierte sich Kauch.
Dortmunder FDP-Politiker wirft den Grünen Unredlichkeit vor
„Diese Art von Unredlichkeit ist genau das, warum die Politikverdrossenheit zunimmt.Die Grünen müssen sich fragen, ob sie redliche Politik betreiben. Das gilt auch gleich für die SPD“, sagte Kauch mit Blick auf den gemeinsamen Antrag. Der Bundeskanzler habe dass den Ministerpräsidenten beschlossen und der Arbeits- und Sozialminister lege ein Konzept vor. „Und Sie sagen vor Ort, dass das alles scheiße ist“, kritisierte der FDP-Politiker.
Die Karte sei ein wichtiges Instrument gegen Leistungsmissbrauch und Schlepperfinanzierung. „Dafür ist die Bezahlkarte gedacht. Nicht für Gängelung, sondern gegen Einwanderung und das Verschicken von Geld in die Heimat, damit sie nicht mit dem Bargeld die Schlepper bezahlen“, so Kauch weiter. Und weiter warf er den Grünen vor, mit ihrer Politik zwar die Wähler:innen in ihrer „Wohlfühloase“ glücklich zu machen, aber damit „zum Erfolg von Rechtsaußen beizutragen“.
Dagegen hielt Daniela Worth: „Ich kann ihre Frage nach A und B ganz klar beantworten. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem die Bundesregierung hinhält. Der Unterschied ist, dass die Bezahlkarte Dortmund richtig Geld kosten wird. Daher kann ich Frau Brunner nur hundertprozentig zustimmen. Dortmund ist für B.“
Karte als „Instrument der Segregation“ und „Schlag gegen Würde und Privatsphäre“
Klare Ablehnung gab es auch von der Fraktion der Partei „Die Partei“: Die Karte sei ein „Instrument der Segregation, das mit einem Schlag die Würde und Privatsphäre untergraben kann“, so Olaf Schlösser.
Sie diene dazu, Menschen als anders zu brandmarken und tagtäglich auszugrenzen. „Das spielt direkt denen in die Hände, die „vor Begeisterung sofort den rechten Arm hochreißen“ wollten. Die Karte widerspreche den „Grundsätzen der Gleichheit und Menschlichkeit. Daher lehnen wir die Bezahlkarte selbstverständlich ab“, so Schlösser.
Das ließ Tino Perlick (AfD) nicht unwidersprochen: „Wir reißen mitnichten einen der beiden beiden Arme in die Luft. Das Geld landet in den Händen von Schleppern und in Heimatländern. Eine Bezahlkarte wird daran nichts ändern.“
Denn auch damit könne man weiter per Western Union in Herkunftsländer Geld überweisen. Die AfD sei weiterhin für „reine Sachleistungen statt Geldleistungen“. Zudem seien sie gegen die Karte, weil man diese auch auf andere Gruppen wie Sozialhilfemepfänger übertragen könne: „Das möchten wir als Bargeldpartei keinesfalls. Daher lehnen wir beide Anträge ab.“
Neonazi Matthias Deyda („Die Heimat“, ehemals „Die Rechte“) fand die Debatte unnötig: „Würden wir konsequent die Ausländerückführung betreiben, müssten wir die Debatte nicht führen. Aber die Karte ist ein richtiger erster Schritt, dass zeigen Landkreise, wo die Zuwanderung dadurch sinkt.“
„Wo finden wir den richtigen Paartherapeuten, wo wir die Ampelpartner hin überweisen können?“
Gespielt ungläubig beobachte Dr. Jendrik Suck die Debatte. Ihn erinnerte der Streit der Ampel-Parteien an „Szenen einer Ehe“: „Wo finden wir den richtigen Paartherapeuten, wo wir die Ampelpartner hin überweisen können? Das Schauspiel von gelb, grün und rot verdeutlicht das Problem in Berlin und das kommunikative Miteinander.“ Dies sorge für die schlechte Stimmung im Land. „Das ist das Schlimme im Land. Darüber freuen sich die, die ganz rechts im Saal sitzen“, so Suck.
Auch zur Karte hatte Suck eine Meinung: „Die Migrationsanreize reizen die Menschen in diesem Land am meisten. Wir glauben, dass diese Karte von Bund und Ländern ein Baustein ist, um das aufzunehmen, was die Mehrheit in Deutschland möchte. Daher werden wir dem FDP-Antrag zustimmen und den der Grünen ablehnen.“
Es sei wichtig, dass eine landeseinheitliche Regelung komme, an der sich auch das Land beteilige. „Dann ist es ein guter Baustein, das Thema Migration so zu steuern, dass sich die Mehrheit in der Politik wiederfindet. Das muss das Interesse der Parteien der Mitte und der Bundesregierung sein“, so der CDU-Politiker.
OB kritisiert die bisherigen NRW-Bezahlkartenpläne als Stückwerk
Das Thema „Szenen einer Ehe“ wollte Oberbürgermeister Thomas Westphal nicht unkommentiert lassen: „Ihr Ministerpräsident hat ähnliche Eheprobleme in Düsseldorf. Diese Landesregierung traut sich nicht, die Bezahlkarte in NRW einzuführen. Da ist sich die schwarz-grüne Koalition nicht einig“, hielt der OB dem CDU-Politiker vor. „Was nutzt eine Bezahlkarte, die ich in Dortmund habe, aber nicht in Castrop. Sie müsste bundeseinheitlich sein. Alles andere ist nur Stückwerk und sinnlos“, so Westphal, der sich damit auf einer Linie mit anderen Kommunen im Städtetag sah.
Contra bekam Michael Kauch auch von Dr. Christoph Neumann (Grüne): „Was sie hier machen, ist billiger Populismus. Die FDP ist nun gerade nicht die Partei, die sich an Koalitionskompromisse hält. Bargeld ist ihr Herzensanliegen. Dafür setzen sich in der EU ein – aber nur Migrant:innen wollen sie es verweigern. Das kann man so machen, muss man aber nicht“, kritisierte der Grüne.
Er kritisierte, dass die angebliche Verwendung des Geldes für Schleuser zwar immer insbesondere von Rechts angeführt werde. Doch dafür gebe es keine Erkenntnisse. Zumal die Menschen sich solche Summen ohnehin nicht vom Mund absparen könnten. „Auch Geflüchtete müssen irgendwo von leben“, so Neumann. Zudem gebe es bereits Bezahlkarten, sagte er mit Blick auf Girokarten. „Daher brauchen wir keine Karten, die bestimmte Menschen ausgrenzen.“
„Die Bezahlkarte ist menschenverachtend, sie öffnet der Willkür Tür und Tor“
„Wir setzen uns für die uneingeschränkte Nutzung von Bargeld als Zahlungsmittel ein. Bargeld ist ein Teil unserer Freiheit. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass durch ein Verbot oder die Einschränkung der Bargeldhaltung Terrorismus oder Kriminalität bekämpft werden könnten. Der von interessierter Seite immer mehr verfolgten Abschaffung des Bargelds ist rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Es ist ein beabsichtigter Eingriff in die persönliche Freiheit der Bürger. Bargeld als Instrument zur Steuerhinterziehung zu bezeichnen, rückt jeden korrekten Bürger in die Nähe der Steuerkriminalität“, führte Sonja Lemke (Die Linke+) ein Zitat der FDP an.
„So klingt die FDP, wenn es um reiche Menschen geht. Die können gerne weiter Geldwäsche, Steuerhinterziehung und allerlei andere dubiose Geschäfte machen. Aber bei Geflüchteten – den Menschen, die es von allen hier im Land am schwersten haben, die vor Verfolgung, Klimawandel und Hungersnot fliehen mussten, die sowieso schon mit Aufenthaltsbeschränkungen und Arbeitsverboten gegängelt werden, bei diesen Menschen möchten Sie gerne noch einmal nachtreten“, kritisierte die Linke den Antrag von FDP/Bürgerliste.
„Ihnen möchten Sie es noch schwerer machen, an lebensnotwendige Dinge zu kommen. Dort wird dann unter Generalverdacht gestellt, dort muss jeder Cent aufs Genaueste kontrolliert und nachverfolgt werden, bei Menschen, die eh schon unter dem Existenzminimum leben, ist die größte Angst, dass sie es ihren Familien schicken könnten, die in noch größerer Armut leben. Wie abstrus ist das denn bitte“, kritisierte Lemke.
„Und um diesen Menschen zu schaden, sind Sie dann auch bereit, den größtmöglichen bürokratischen Aufwand zu betreiben und keine Kosten zu scheuen – Hauptsache nach unten treten“, hielt sie Kauch vor. „Die Bezahlkarte ist menschenverachtend, sie öffnet Willkür Tür und Tor, sie löst kein einziges Problem und sie kommt aus billigstem Populismus. Sie sollten sich schämen, hier solche Anträge zu stellen. Wir lehnen die Bezahlkarte ab und stimmen selbstverständlich dagegen“, so Lemke.
Für die AfD sind ein Großteil der Geflüchteten Sozialschmarotzer
Utz Kowalewski (Die Linke+) widersprach dem rechten Narrativ, dass die Gelder dazu dienten, im großen Stil Schlepper zu finanzieren. „Sie können ja mal ein halbes Jahr versuchen, von dem Geld zu leben. Sie betreiben blanken Populismus. Das tut die Bundesregierung auch, aber sie müssen das hier an der Basis der Demokratie nicht nachvollziehen.“
Gundula Frieling (Grüne) richtete sich an Kauch und Suck, dass diese die Öffentlichkeit und ihre Wähler:innen damit konfrontieren sollten, dass der „Klimawandel, den wir vorantreiben, Menschen zur Flucht treibt. Wenn die jetzt ihrer Familie ein paar Euro zukommen lassen, die sie sich hier absparen, ist das menschliche Solidarität. Damit kann man keine Schlepperei finanzieren.“
Für Heiner Garbe (AfD) sei der größte Teil der Geflüchteten nur hier, „um Geld zu generieren und auf Kosten des Staates zu leben“. Das könne nicht „im Interesse unseres Staates und Volkes sein. Sonst gehen wir in dieser Flut unter“.
Sowohl Ausländern als auch Deutschen mit Migrationshintergrund, die „einfach die Hand aufhalten, kann man die Karte verordnen, die man möchte.“
Wie unmenschlich und inhuman das ist, kann ich nicht ausdrücken“
„Der Gastgeberstaat muss Vorschriften machen, ansonsten bedient man sich hemmungslos und das wird weiter zunehmen“, so Garbe. Auch er kommentierte die Diskussion der Ampel-Parteien: „Wenn man hört, dass sie an der Basis das ganz anders sehen als in Berlin, ist das zumindest skurril und völlig daneben. Am besten täte man, sich gar nicht damit zu befassen und es von der Tagesordnung zu nehmen.“
Da platzte Fatma Karacakurtoglu (Die Linke+) der Kragen: „Wir hören Blödsinn, sobald Herr Garbe den Mund aufmacht. Schon Anfang der 90er Jahre wurde versucht, Geflüchteten das Existenzminimum abzusprechen. Das wurde nicht umsonst von Gerichten abgestellt“, erinnerte sie an Sachleistungen und Kartensysteme.
„Die Bezahlkarte ist nicht neu.“ Die Parteien, die sie forderten, wollten Geflüchtete noch weiter einschränken und damit unter das Existenzminimum drücken. „Wie unmenschlich und inhuman das ist, kann ich nicht ausdrücken. Die Bezahlkarte werden die Gerichte auch wieder kassieren.“
Der Antrag von FDP/ Bürgerliste wurde mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken, Partei und AfD abgelehnt. SPD, Grüne, Linke+ und die Partei hingegen drückten dann den Antrag von SPD und Grünen durch.
Hier gibt es die Anträge im Wortlaut:
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