Wiederbelebung der „SPD-Herzkammer“: Mit einer bewegenden Rede hat Thomas Westphal seine Bewerbung als Oberbürgermeister-Kandidat auf dem Parteitag untermauert. Es war ein Plädoyer für ein solidarisches Dortmund, das integrierend wirkt und unterschiedlichsten Menschen ein bezahlbares Zuhause und fair bezahlte Arbeit bietet. Parteichefin Nadja Lüders preist Westphal an: „Er lebt, liebt und kennt Dortmund“ sagte sie und schießt, ohne den Namen zu nennen, eine Breitseite auf den CDU-OB-Bewerber Dr. Andreas Hollstein, den amtierenden Bürgermeister von Altena: „Wir werden nicht eingeflogen aus dem Sauerland, um Dortmund zu lernen. Wir können Dortmund!“
Inszenierung des Wahlkampfauftaktes in der traditionsreichen „Roten Burg“
Die SPD will sich programmatisch ihrer Wurzeln (noch) stärker besinnen und eine Brücke in die Zukunft schlagen. Symbolisch gewählt war hierfür auch der Ort: Statt im Berufsfortbildungswerk in Hacheney mit dem Charme einer 70er Jahre-Gesamtschul-Mensa (eigentlich auch eine sozialdemokratische Errungenschaft), fand der Parteitag in der „Alte Kaue“ auf der Zeche Hansemann in Mengede statt.
Die auch optisch eindrucksvolle „rote Burg“ hat den Niedergang des Bergbaus überlebt und ist heute ein modernes Berufsbildungszentrum für das Handwerk. Hier stimmt die Partei ihre Mitglieder auf den Wahlkampf ein.
Doch Thomas Westphal räumt mit einem Vorurteil bzw. Klischee auf: Herzkammer bedeute nicht Wahlergebnisse von 50, 60 oder 70 Prozent zu haben oder eine große Volkspartei zu sein. „Das ist das Ergebnis von Herzkammer – doch es muss einen Grund für Zustimmung und Wahlergebnisse geben“, so Westphal.
„Die Herzkammer ist nicht Museum, sondern so aktuell wie lange nicht mehr“
Herzkammer bedeute, nah an den Menschen zu sein – so wie es der österreichische Sozialdemokrat Bruno Kreisky („Man muss die Menschen gerne haben“) oder der frühere Landesvater und Bundespräsident Johannes Rau („Wenn man Politik für die Menschen machen will, muss man sie mögen“) ausgedrückt hatten.
„Ich war als junger Juso davon nicht sofort hellauf begeistert. Das war mir vielleicht zu wenig programmatisch. Heute sehe ich das anders“, räumt der SPD-OB-Kandidat ein. Denn der Gedanke dahinter sei ein grundsätzlicher: „Sie ist Grundlage für jede ethische Entscheidung. Dahinter steckt ein Menschenbild. Nur wenn man die Menschen überwiegend mag, kann man Politik für sie machen“, so der einstige Juso-Bundesvorsitzende.
Politik für die Menschen, aus der Mitte der Menschen und an ihrer Seite für ihre Angelegenheiten zu kämpfen: „Das ist das Kraftwerk, die Herzkammer. Das ist nicht Museum, sondern so aktuell wie lange nicht mehr“, sagte Westphal unter dem Applaus der GenossInnen.
Die Metapher soll für eine Renaissance einer sozialdemokratischen Politik mit Bodenhaftung stehen. Nicht nur voraus, auch zurück blickte Westphal: Man habe sich in den letzten 20 Jahren „nicht verrückt machen lassen“ und neoliberalen Forderungen nach Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung widerstanden.
Ankündigung von Thomas Westphal: „Wohnungspolitik wird Chefsache sein“
Ein Beispiel dafür sei die Beibehaltung von Wohnungsamt und Wohnungsaufsicht sowie das Engagement für kommunalen Wohnungsbau. „Das regelt der Markt? Nein, wir haben uns nicht verrückt machen lassen. Das zahlt sich dann später aus.“ Dem Thema Wohnen misst der OB-Kandidat immens große Bedeutung zu: „Wohnungspolitik wird Chefsache sein“, kündigt er an.
20.000 neue Wohnungen für Dortmund in den kommenden zehn Jahren ist die Zielmarke, die sich die SPD setzt. Und auch den Bestand wollen die Sozialdemokraten dabei nicht vergessen. Die „Servicegesellschaft Dortmunder Wohnen“ soll Bauland schneller erschließen und die Stadttochter Dogewo21 soll ein Wohnungsbauprogram auflegen.
All das sind Bestandteile der „Gesamtstrategie Wohnen“, die auch ein Streitpunkt im Wahlkampf werden könnte. Denn Bauflächen sollen vorrangig für gemeinnützige Gesellschaften bereitgestellt werden.
Doch dieser Auseinandersetzung will sich Westphal stellen: „Dortmund muss die Großstadt in Deutschland sein, die sich alle leisten können. Daher werden wir Bodenpolitik betreiben und diese so sichern, dass preiswertes Bauen möglich ist“, sagte er unter dem Applaus der Delegierten.
Diese waren ganz begeistert von ihrem OB-Kandidaten. Der mitunter eher spröde wirkende Wirtschaftsförderer gibt sich bodenständig, nahbar und betont locker. Dazu passte auch das Werbevideo, das Westphal als „einen von uns“ präsentiert – und einen, der zuhören kann.
Umwelt, Klima und Mobilität als Kernthemen des SPD-Programms
Daher holte er sich unter der Regie und Moderation von Manfred Kossack Menschen aufs Podium, die sinnbildlich für die Themen im Wahlprogramm stehen, welches für die Delegierten auf den Tischen lag. Vom Sozialdienst Katholischer Frauen über den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und dem DGB bis zum Mieterbund und einer TU-Studentin reichte die Spannbreite der Gäste.
Neben Wohnen sind Umwelt, Klima und Mobilität die zentralen Themen, die auch zusammenhingen. Mobilität und Klimaschutz seien eng verknüpft.
„Den CO2-Ausstoß bekommen wir nur dann gesenkt, wenn wir flächendeckend eine andere Mobilität organisieren. Dazu gehört nicht das Bashing des Autofahrers, sondern dass das Fahren mit Bahn und Rad so selbstverständlich wird wie das Fahren mit dem Auto“, betont Westphal. Dafür müsse die Verkehrsinfrastruktur verdichtet und ausgebaut werden, „Ein geschlossenes und sicheres Radewege-Netz steht für uns genauso oben auf der Agenda“.
Sicher sind Radwege nicht dann, wenn ein robuster Radfahrer durchkommt, sondern wenn das schwächste Glied in der Mobilitätskette sicher fahren kann – dass sind unsere Kinder“, betont der OB-Kandidat. „Wenn die Eltern guten Gewissens entscheiden können, dass sie ihre Kinder bedenkenlos auf Rad steigen lassen können, erst dann haben wir ein gutes Radwegenetz. Da ist noch Luft nach oben“, so Westphal.
SPD-Forderung: „Dortmund soll zur Hauptstadt der Kinder werden“
Apropos Kinder: Insgesamt stehen sie im Mittelpunkt aller Bestrebungen. „Dortmund soll zur Hauptstadt der Kinder werden“, lautet eine Überschrift im Programm. Dafür bemüht der OB-Kandidat eine alte indianische Weisheit: „Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf.“ Westphal schwebt vor, analog zur Kinderwerkstatt des CJD flächendeckende Angebote für Kinder zu machen.
Bislang versteht sich die Kinderwerkstatt als eine Kurzzeitbetreuung für Grundschulkinder als Alternative zum offenen Ganztag. Sie bietet flexible Möglichkeiten der Nachmittagsbetreuung, im Zeitraum von 7.30 und 15.30 Uhr, und soll eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Schule und Beruf leisten.
Stadtteilbibliotheken sollen zu „Bürgerschulen“ werden, Spiel- und Betreuungsangebote sieht Westphal als künftige „Markenzeichen“, die Hand in Hand mit dem weiteren Ausbau der Bildungslandschaft gehen. Schulsozialarbeit, kostenloses Mittagessen und freier ÖPNV für alle Kinder sind weitere Punkte.
Aktive Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungsförderung sollen fortgesetzt werden
Nicht fehlen darf die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Beschäftigungsförderung: „Wir brauchen das – aktive Gestaltung der Politik für die Menschen. Bundesweit gibt es keine zweite Stadt, wo Wirtschaftsförderung und Sozialdezernat so Hand in Hand für die Menschen kämpfen“, zeigt sich Westphal entschlossen.
„Sicher, Sauber, Nazifrei“ und „Solidarische Stadt“, Gesundheit, Dortmund bleibt bunt (Integration) und die Bekämpfung von Armut sind weitere Schlagworte auf dem Programm, welches bis zum Frühjahr diskutiert und dann verabschiedetet werden soll. Auch dabei wollen sich die GenossInnen nicht von „Neoliberalen“ verrückt machen lassen, sondern wie in den vergangenen Jahren anpacken.
„Wir ducken uns nicht weg, sondern haben den Stein immer wieder den Berg raufgerollt“, bemüht er das Bild von Sisyphos. „Wir laufen nicht weg und arbeiten daran, dass es besser wird“ ruft Westphal all jenen entgegen, die die Stadt schlecht reden. „Die Nordstadt als das große Problem in unserer Stadt. Was für ein Unsinn“, sagt er im Brustton der Überzeugung. „Wir arbeiten daran, dass es besser wird. In der Nordstadt und den anderen Stadtteilen“, spielt er unter anderem auf das Dekadenprojekt „nordwärts“ an.
„Ja, das kostet Geld. Aber da haben wir eine klare Orientierung und setzen auf investierende Haushalts-Politik. Wir werden nichts versprechen und uns dann wegducken, sondern eine gemeinsame Struktur entwickeln.“
Thomas Westphal, Birgit Jörder und Norbert Schilff führen die Ratsreserveliste an
„Der Kampf um diese Überzeugung beginnt jetzt. Wenn wir unsere Entscheidungen getroffen haben und aus dieser Tür rausgehen, sagen wir den Leuten: Wir sind da und an eurer Seite. Dann werden wir diese Auseinandersetzung gewinnen“, zeigt sich Westphal kämpferisch und siegessicher.
„Denen, die uns als Volkspartei ins Museum schicken wollen, werden wir am 13. September 2020 zeigen: Seht her, ihr habt euch schwer geirrt“, ruft Thomas Westphal den Delegierten entgegen, die ihrem Kandidaten stehende Ovationen zollen.
Bei der anschließenden formellen Wahl kann Westphal 146 Ja-Stimmen verbuchen – bei fünf Nein-Stimmen und vier Enthaltungen. Das sind 94,2 Prozent der Stimmen. Gemeinsam mit Birgit Jörder führt er die Reserveliste für die Stadtratswahl an. Jörder, seit 38 Jahren in der SPD, seit 25 Jahren im Rat und seit 15 Jahren Bürgermeisterin, bekam sogar 97,4 Prozent der Stimmen.
Platz 3 der Liste hat der bisherige Fraktionschef im Rat, Norbert Schilff. Insgesamt finden sich viele neue Namen auf den Listen für Rat und Bezirksvertretungen. Rund die Hälfte der bisherigen Ratsvertreter treten nicht wieder an.
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