Die „Alternative für Deutschland“ ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Sie sitzt im Bundestag sowie in fast allen Landesparlamenten (außer Schleswig-Holstein, wo sie 2022 wieder rausgewählt wurden) und verzeichnet hohe Umfragewerte bei den bevorstehenden Wahlen – trotz Rechtsextremismus, Spionage-Vorwürfen und bundesweiten Protesten gegen die Partei. Das Dortmunder Bündnis „BlockaDo“ fordert in Angesicht der Europawahl alle demokratischen Parteien dazu auf, gemeinsame Auftritte mit der AfD „deutlich“ abzulehnen. Micha Neumann, Leiter einer Dortmunder Beratungsstelle bei Antisemitismus und Rassismus erklärt, welche Gefahren medienwirksame Auftritte rechter Politiker:innen mit sich bringen.
AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla zu Gast im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
„Zwischen Kreml-Nähe und Rechtsextremismus. Wofür steht die AfD, Herr Chrupalla?“, fragte Caren Miosga den Bundessprecher der Alternative für Deutschland, Tino Chrupalla, am 21. April. In dem Talkshow-Format der ARD interviewte die Journalistin den Spitzenpolitiker der rechten Partei zunächst einzeln, anschließend saß er neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens Energy AG und der Hauptstadtkorrespondentin und AfD-Expertin des Deutschlandfunk in der Talkrunde.
Caren Miosga ordnete die AfD zu Beginn der Sendung ein, ging auf den Vorwurf der Russland-Nähe und die frauenverachtenden Aussagen aus einem Buch des Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah ein, der mittlerweile wegen umstrittener Äußerungen über die Waffen-SS der Nationalsozialisten angekündigt hat, seine Mitgliedschaft im Bundesvorstand niederzulegen. Sein finanziell lukratives Mandat im Europaparlament will er aber behalten – auch nach der Europawahl. Wegen Krah wurde die gesamten AfD-Mitglieder aus der gemeinsamen ID-Fraktion der Rechtspopulisten ausgeschlossen.
Vor der Diskussionsrunde zeigte das öffentlich-rechtliche Format die Einschätzungen einer Wirtschaftsjournalistin und zweier Ökonomen, die Hintergründe des AfD-Europawahlprogramms näher erklärten und kritisierten. Während des Talks wurden Forderungen und Standpunkte der AfD und einzelner Mitglieder thematisiert, kritisiert und entkräftet – respektvoll, aber bestimmt.
AfD und JA vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft
Zur Erinnerung: Sowohl die Alternative für Deutschland, als auch ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) werden vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft.
Grund sind tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sowohl Partei, als auch Jugendorganisation, Bestrebungen verfolgen, die sich gegen die Menschenwürde bestimmter Gruppen und gegen das Demokratieprinzip richten. Diese Einschätzung des Verfassungsschutzes bestätigte das Oberlandesgericht NRW erst kürzlich.
Immer wieder fallen Politiker:innen der AfD mit geschichtsrevisionistischen, diskriminierenden Aussagen auf, personelle Überschneidungen mit rechtsextremen Organisationen, wie der Identitäten Bewegung, lassen sich nachweisen.
Der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen und Ex-„Flügel“-Kader Björn Höcke darf gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden. Ein Dortmunder AfD-Politiker bezeichnete sich selbst in geleakten Chat-Nachrichten als „freundliches Gesicht des NS“ (kurz für Nationalsozialismus).
Micha Neumann, Leiter der Dortmunder „Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus“ (Adira), bewertet die Partei als „nicht zu unterschätzende Gefahr“.
„Die Alternative für Deutschland ist aus meiner Sicht eine extrem rechte Partei, deren Programm im Kern aus einem völkisch-nationalistischen Weltbild besteht. Ihr Ziel ist ein autoritärer Umbau von Staat und Gesellschaft“, so Neumann.
Zuletzt demonstrierten bundesweit Millionen Menschen gegen die Partei, nachdem ein Treffen in Berlin Potsdam von Investigativjournalist:innen publik gemacht wurde, bei dem sich hochrangige Politiker:innen der Alternative für Deutschland mit dem Leiter der Identitäten Bewegung Österreich über die millionenfachen Deportationen von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund austauschten.
Wie sinnvoll ist es, eine demokratiefeindliche Stimme im demokratischen Diskurs zu hören?
Ist es nun gelebte Demokratie, eben dieser AfD eine ebenbürtige Stimme im öffentlichen Diskurs zu geben oder der Weg hinein in die Normalisierung von Rassismus, Antisemitismus, Menschen- und Demokratiefeindlichkeit?
„Eine Partei, die von der millionenfachen Vertreibung nach rassistischen Kriterien träumt, ist keine Diskussionspartnerin“, findet „BlockaDo“.
Denn so würde der AfD trotz „fortlaufender rhetorischer Verschärfung“, allen voran in Talkshows und Interviewformaten, aber auch bei Diskussionsveranstaltungen zu Wahlen, eine Bühne gegeben, um „mal offen darüber zu diskutieren, ob es eine gute Idee sein könnte, auf Flüchtende an Grenzen zu schiessen (Beatrix von Storch), seine Gegner zu jagen (Alexander Gauland) oder sich als freundliches Gesicht des Nationalsozialismus zu bezeichnen (Matthias Helferich)“, kritisiert das zivilgesellschaftliche Bündnis.
Micha Neumann findet es grundsätzlich richtig, verschiedene Stimmen und Meinungen medial abzubilden. Er bezweifelt aber, ob es dazu notwendig ist, Vertreter:innen der AfD in Talkshows einzuladen, da dies „über eine reguläre Berichterstattung hinausgeht. Trotz Meinungsfreiheit besteht kein Recht darauf, in Talkshows eingeladen zu werden. In der Regel werden solche Auftritte auch eher dazu genutzt, Ressentiments zu äußern, weswegen die Debatten in den Talkshows durch eine Beteiligung der AfD nicht erhellt werden“, so Neumann.
ADIRA befürchtet Normalisierung und Verschiebung des demokratischen Diskurses
Zur Aufgabe von medialer Berichterstattung gehöre das Berichten über die AfD als Oppositionspartei, äußert Micha Neumann. Die Aufgabe der Medien sieht er darin, durch journalistische Recherchen Entwicklungen innerhalb der Partei und deren Hintergründe offenzulegen, Politiker:innen der AfD mit Aussagen zu konfrontieren und diese kritisch einzuordnen.
„Eine aktive Einbindung in Talkshows oder Ähnlichem würde aber bedeuten, die Standpunkte der AfD weiter zu normalisieren. Wie ich aber vorhin beschrieben habe, stehen die politischen Ideen und Haltungen von AfD-Politiker:innen oft außerhalb eines demokratischen Diskurses, sodass sich dieser dann auch eventuell weiter verschieben könnte“, begründet der „Adira“-Leiter.
„BlockaDo“ führt an, dass Befürworter:innen solcher Gesprächsformate der Meinung seien, die AfD würde so „entzaubert“, „entlarvt“ oder „enttarnt“ werden.
Dabei handele es sich aber über eine Fehlannahme, so das Bündnis, weil „noch bevor ein Wort gesprochen ist, macht schon die Einladung von AfD-Politiker:innen auf eine Bühne deutlich: Was dieser Mensch zu sagen hat, ist Teil des Diskurs‘ und nicht etwa geächtete Hetze.“
„BlockaDo“ fordert alle demokratischen Parteien dazu auf, sich keine Bühne mit der AfD zu teilen
Auch Neumann denkt, es sei nicht mehr notwendig, die AfD zu „enttarnen“: „Mittlerweile liegt eine Fülle von wissenschaftlicher Literatur sowie journalistischen und zivilgesellschaftlichen Recherchen zur inhaltlichen Ausrichtung, Ziele und Personal der Partei vor, ebenso zu politischen Umwälzungen die bei einer Regierungsverantwortung der Partei eintreten könnten.“
Die Phase der Entlarvung sei schon lange vorbei. Aktuell sei es vor allem wichtig, „relevante, demokratische Institutionen und Prozesse gegen politische Erfolge der AfD abzusichern. Dazu braucht es keine Talkformate mehr.“
„BlockaDo“ fordert daher alle demokratischen Parteien dazu auf, sich klar von der AfD abzugrenzen und in Hinblick auf die bevorstehende Europawahl, bei der die AfD laut aktuellen Umfragewerten auf rund 15 Prozent kommt, gemeinsame Auftritte deutlich abzulehnen.
Weitere Informationen und Quellen:
- Die Sendung von Caren Miosga mit Tino Chrupalla gibt es hier zu Sehen: www.ardmediathek.de
- Zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW zur Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall und der Begründung des Verfassungsschutzes geht es hier lang: www.ovg.nrw.de
- Der Link zur aktuellen Sendung des ZDF-Politbarometers: www.zdf.de
- Weitere genutzte Quellen: Pressemitteilung von „BlockaDo“ und Interview mit Micha Neumann von Adira
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Reader Comments
Cmdr
Schöner Text, kleine Korrektur:
Sie schreiben „(Die AfD) sitzt in allen Landesparlamenten“.
Schleswig-Holstein ist stolz darauf, diese Partei 2022 als erstes Bundesland wieder heraus gewählt zu haben.
Viele Grüße
Nordstadtblogger-Redaktion
Das korrigieren wir doch gerne 🙂